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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung des Antrags auf Zuerkennung des Status der Asylberechtigten einer somalischen Staatsangehörigen mangels Darlegung der Unglaubwürdigkeit der Beschwerdeführerin hinsichtlich der Zwangsverheiratung, Würdigung der besonderen Vulnerabilität einer alleinstehenden, vermögenslosen Frau sowie der aktenkundigen GenitalverstümmelungSpruch
I. Die Beschwerdeführerin ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Die Beschwerdeführerin, eine somalische Staatsangehörige, die dem Clan der Dir (Subclan Qubees) angehört, stellte am 30. April 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Sie wuchs im Bezirk Huriwa in Mogadischu auf, wo sie nach dem Tod ihrer Mutter im Jahr 2004 mit ihrem Bruder und ihrer Schwester bei ihrem Onkel lebte. Im Jahr 2011 flüchtete sie gemeinsam mit einer Freundin ihrer Mutter und deren Töchtern nach Syrien. Sie bringt vor, dass sie geflohen sei, weil ihr Onkel sie mit einem viel älteren Mann zwangsverheiraten habe wollen. Ein Kontakt zum Onkel bzw zu ihren Geschwistern bestehe seitdem nicht mehr.
2. Mit Bescheid vom 5. Juli 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag auf Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 BGBl I 100/2005 idgF ab (Spruchpunkt I), erkannte der Beschwerdeführerin gemäß §8 Abs1 AsylG den Status einer subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II) und erteilte ihr eine befristete Aufenthaltsgenehmigung gemäß §8 Abs4 AsylG bis zum 5. Juli 2017 (Spruchpunkt III).
3. Die gegen die Abweisung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I) erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht – nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung – mit Erkenntnis vom 11. Juli 2017 als unbegründet ab. Die Abweisung begründete das Bundesverwaltungsgericht insbesondere damit, dass die Angaben zur Bedrohung, die vom Onkel hinsichtlich einer Zwangsverheiratung ausgehen, zu spekulativ seien, um eine rechtlich erforderliche Wahrscheinlichkeit einer drohenden Gefahr zu begründen. Nachdem die Beschwerdeführerin selbst angegeben habe, seit ihrer Ausreise keinerlei Kontakt zu ihren Familienangehörigen zu haben, sei nicht bekannt, ob sich der Onkel noch in Mogadischu befinde, wo sich die Geschwister aufhielten und ob für das bezahlte Brautgeld bereits längst Kompensation geleistet worden sei, sodass er daraus keine Vergeltungsmaßnahmen mehr zu ziehen brauche bzw der Bräutigam kein Interesse an einer Eheschließung mehr habe. Es sei möglich, dass der Onkel nicht mehr in Mogadischu aufhältig sei; selbst wenn, könne der ältere Bruder eine Schutzfunktion gegenüber dem Onkel einnehmen. Die mögliche Bedrohung des Onkels bleibe somit im Falle einer Rückkehr sechs Jahre nach der Ausreise – mangels diesbezüglicher Informationen – reine Spekulation.
Zudem könne die Beschwerdeführerin nicht als alleinstehende Frau, die in einem IDP Lager Aufenthalt nehmen müsse, angesehen werden, da sie – nach ihren Angaben – dem Clan der Dir (einem der vier Hauptclans in Mogadischu) angehöre und zwei Geschwister in Somalia habe. Nach eigenen Angaben sei die Beschwerdeführerin in Somalia infibuliert worden und habe noch keine Defibulation vornehmen lassen, eine entsprechende Gefahr einer erneuten Vornahme sei daher zumindest zur Zeit nicht anzunehmen.
4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes BGBl 390/1973) sowie eine Verletzung in den Art2, 3 und 8 EMRK behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.
Begründend wird dazu im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
Die rechtliche Beurteilung widerspreche den im Erkenntnis angeführten Feststellungen zur drohenden Zwangsverheiratung durch den Onkel, zum mangelnden Schutz des Staates und der Polizei sowie der besonderen Gefahren der Vergewaltigung, Verschleppung und systematischen sexuellen Versklavung, denen Frauen und Mädchen ausgesetzt seien und die Beschwerdeführerin durch ihren Onkel betroffen habe. Frauen seien einem Risiko ausgesetzt, entführt, vergewaltigt oder zur Ehe gezwungen zu werden, eine Verweigerung könne den Tod bedeuten.
5. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und das Bundesverwaltungsgericht haben die Verwaltungs- bzw Gerichtsakten vorgelegt und von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand genommen.
II. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001). Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Entscheidung mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (s etwa VfSlg 13.302/1992 mwN, 14.421/1996, 15.743/2000).
3. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
3.1. Das Bundesverwaltungsgericht geht im angefochtenen Erkenntnis davon aus, dass nicht festgestellt werden könne, dass bei einer Rückkehr eine Zwangsverheiratung durch den Onkel drohe, die Beschwerdeführerin als alleinstehende Frau in ein IDP Lager gehen müsse und dort Gewalt ausgesetzt wäre sowie dass sie einer weiteren Beschneidung unterzogen werden würde. Dies schlussfolgert das Bundesverwaltungsgericht aus den "spekulativen" Angaben der Beschwerdeführerin, da sie selbst angegeben habe, seit ihrer Ausreise keinerlei Kontakt mehr zu ihren Familienangehörigen gehabt zu haben.
3.2. Dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts ist weder zu entnehmen, dass es grundsätzlich an der Glaubwürdigkeit der Beschwerdeführerin zweifelt, noch zeigt es Widersprüchlichkeiten in den Aussagen der Beschwerdeführerin auf. Vielmehr stützt es seine Beweiswürdigung darauf, dass die Angaben spekulativ seien, zumal kein Kontakt zum Onkel bestehe und somit die (derzeitige) Situation in Somalia ihren Verfolgungsgrund betreffend (drohende Zwangsverheiratung bzw diesbezügliche Vergeltungsmaßnahmen) nicht bekannt sei.
3.3. Der angefochtenen Entscheidung ist allerdings kein Anhaltspunkt dafür zu entnehmen, dass weitere Ermittlungstätigkeiten zum Wahrheitsgehalt der behaupteten Zwangsverheiratung und der Beschneidung gesetzt wurden (VfGH 6.6.2014, U2429/2013). Das Bundesverwaltungsgericht setzt sich auch nicht mit der Schutzfähigkeit bzw -willigkeit des Staates hinsichtlich einer Verfolgungsgefahr durch Dritte auseinander. Vielmehr geht das Bundesverwaltungsgericht ebenfalls rein spekulativ davon aus, dass ihr Bruder eine Schutzfunktion gegenüber dem Onkel einnehmen könne; dies entgegen dem Vorbringen der Beschwerdeführerin, wonach ihr Bruder bei einem Bombenangriff beide Beine verloren habe und somit behindert sei.
3.4. Das Bundesverwaltungsgericht setzt sich auch nicht mit der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der alleinstehenden, in Somalia von einer Zwangsverheiratung bedrohten Frauen auseinander (vgl zu Guinea VfSlg 18.916/2009; vgl auch das Schweizer Bundesverwaltungsgericht 6.8.2014, E1425/2014; zur alleinstehenden Frau, die einem Minderheitenclan angehörte, vgl BVwG 18.8.2014, W211 1404874-1). Es entspricht aber der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, "[d]ass eine Verfolgung der Revisionswerberin aufgrund 'Zwangsverheiratung' unter dem Gesichtspunkt einer geschlechtsspezifischen Verfolgung als Angehörige einer bestimmten sozialen Gruppe nach Art1 Abschnitt A Z2 Genfer Flüchtlingskonvention asylrelevant sein kann, […]" (VwGH 15.10.2015, Ra 2015/20/0181; vgl auch VwGH 15.9.2010, 2008/23/0463 mwN).
3.5. Das Erkenntnis ist insofern mit Willkür behaftet, als die Begründung des Bundesverwaltungsgerichts hinsichtlich der drohenden Zwangsverheiratung – mangels einer Darlegung der Unglaubwürdigkeit der Beschwerdeführerin – hypothetisch und zudem widersprüchlich ist: Die Erwägungen widersprechen den Länderberichten, sind in sich widersprüchlich und lassen wesentliche Aspekte des Sachverhalts außer Acht.
3.6. Vor dem Hintergrund der Länderberichte und der besonderen Vulnerabilität einer alleinstehenden, vermögenslosen Frau, hat es das Bundesverwaltungsgericht verabsäumt, diese Umstände in Bezug auf die drohende Zwangsverheiratung und die vorgenommene Genitalverstümmelung einer hinreichenden Würdigung zu unterziehen (zur Asylrelevanz von Zwangsbeschneidungen bereits VfSlg 18.590/2008 und 18.916/2009).
4. Der VfGH hat in seiner Entscheidung vom 9. Juni 2017, E2687/2016 bereits festgehalten, dass es Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gibt, derzufolge eine drohende Reinfibulation in Somalia nach dortigen Geburten als ein berücksichtigungswürdiger Umstand in einer Gesamtbetrachtung der individuellen Situation einer Asylsuchenden anerkannt wird, wenn das Bundesverwaltungsgericht auch betont, dass es sich dabei um eine Zusatzbegründung für eine Asylzuerkennung handelt (vgl zB BVwG 27.6.2016, W211 1428843-1/23E; 19.8.2016, W211 1434000-2/22E ua; 26.8.2016, W211 2116722-1/10E – jeweils mit Verweis auf die Rechtsprechung des Schweizer Bundesverwaltungsgerichts 6.8.2014, E1425/2014). In dieser Rechtsprechung wird auch angemerkt, dass Reinfibulationen in Somalia insbesondere für alleinstehende Frauen asylrelevant sein können aufgrund der Notwendigkeit der Beschneidung, um in Somalia einen Ehemann finden zu können (siehe BVwG 27.6.2016, W211 1428843-1/23E).
4.1. Auch eine bereits vorgenommene weibliche Genitalverstümmelung kann eine asylrelevante Verfolgung begründen, sei es wegen schweren, oft lebenslang schädigenden Konsequenzen physischer und psychischer Art des ursprünglichen Eingriffs oder der Gefahr einer Vornahme weiterer Genitalverstümmelungen (anderer Form), etwa anlässlich einer Eheschließung oder Geburt eines Kindes (VfGH 9.6.2017, E2687/2016 mH auf UNHCR, Guidance Note on Refugee Claims relating to Female Genital Mutilation, Mai 2009, S. 8 f. und End FGM European Network, FGM in EU Asylum Directives on Qualification, Procedures and Reception Conditions, End FGM Network Guidelines for Civil Society, März 2016, S. 9).
4.2. Dass das Bundesverwaltungsgericht auf die aktenkundige (schwere Form der) Genitalverstümmelung der Beschwerdeführerin nicht eingeht bzw jegliche Ermittlungstätigkeit in dieser Hinsicht unterlässt, kann daher nicht damit gerechtfertigt werden, dass eine bereits vorgenommene Genitalverstümmelung (zur Ermittlungs- und Auseinandersetzungspflicht hinsichtlich einer drohenden Genitalverstümmelung vgl zB VfSlg 18.590/2008, 19.273/2010 und – betreffend Somalia – zur von den Umständen des Einzelfalles abhängigen Asylrelevanz zB VwGH 24.6.2010, 2007/01/1199; 27.6.2016, Ra 2016/18/0045) keinesfalls bzw in der individuellen Situation der Beschwerdeführerin von vornherein, insbesondere auch nicht allein durch ihre Zugehörigkeit zum Clan, nicht asylrechtlich relevant wäre. Eine bereits vorgenommene Infibulation schützt die Beschwerdeführerin gerade nicht vor weiteren Formen der Genitalverstümmelung (zur besonderen Sensibilität dieses Themas, das einer besonderen Bedachtnahme bei der Ermittlung bedarf, vgl das bereits zitierte Erkenntnis vom 9.6.2017, E2687/2016).
4.3. Das Bundesverwaltungsgericht hat daher in einem möglicherweise asylrelevanten und somit entscheidenden Punkt jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen, weshalb das Erkenntnis schon aus diesem Grund aufzuheben ist.
III. Ergebnis
1. Die Beschwerdeführerin ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
2. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten.
Schlagworte
Asylrecht, Ermittlungsverfahren, EntscheidungsbegründungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2018:E2684.2017Zuletzt aktualisiert am
14.01.2019