Entscheidungsdatum
10.12.2018Index
90/01 StraßenverkehrsordnungNorm
StVO 1960 §9 Abs2Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seinen Richter Mag. Dr. Lehner über die Beschwerde des A. B., vertreten durch Rechtsanwalt, gegen das Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Wien, Polizeikommissariat C., vom 23. Juli 2018, Zl. …, betreffend eine Übertretung des § 9 Abs. 2 iVm § 99 Abs. 2c Z 3 Straßenverkehrsordnung – StVO, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 21. November 2018
zu Recht e r k a n n t und verkündet:
I. Gemäß § 50 VwGVG wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen und das angefochtene Straferkenntnis mit der Maßgabe bestätigt, dass die Strafe gemäß § 99 Abs. 2c Z 1 VStG verhängt wird.
II. Gemäß § 52 Abs. 1 und 2 VwGVG hat der Beschwerdeführer einen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens in der Höhe von EUR 24,- (das sind 20% der verhängten Geldstrafe) zu leisten.
III. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
I. Gang des Verfahrens, angefochtener Bescheid und Beschwerde
Das Straferkenntnis der belangten Behörde vom 23. Juli 2018, Zl. …, hat folgenden Spruch:
„
1.
Datum/Zeit:
05.05.2018, 19:21 Uhr
Ort:
Wien, D.-straße, Schutzweg vor dem dortigen Friseur-Salon
Betroffenes Fahrzeug:
LKW, Kennzeichen: W-1 (A)
Sie haben Lenker des genannten Kraftfahrzeuges einem Fußgänger, der erkennbar einen Schutzweg benützen wollte, nicht das ungefährdete Überqueren der Fahrbahn ermöglicht: Im gegenständlichen Fall musste der Fußgänger zurückweichen, um nicht von Ihrem Fahrzeug erfasst zu werden.
Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschrift(en) verletzt:
1. § 9 Abs. 2 StVO i. V. m. § 99 Abs. 2c Ziff. 3 StVO
Wegen dieser Verwaltungsübertretung(en) wird (werden) über Sie folgende Strafe(n) verhängt:
Geldstrafe von
falls diese uneinbringlich ist, Ersatzfreiheitsstrafe von
Freiheitsstrafe von
Gemäß
1. €120,00
2 Tage(n) 7 Stunde(n) 0 Minute(n)
§ 99 Abs. 3 lit. a StVO
Weitere Verfügungen (zB Verfallsausspruch, Anrechnung von Vorhaft):
Ferner haben Sie gemäß § 64 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 - VStG zu zahlen:
€ 12,00 als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens, das sind 10% der Strafe, jedoch mindestens € 10,00 für jedes Delikt (je ein Tag Freiheitsstrafe wird gleiche 100,00 angerechnet).
Der zu zahlende Gesamtbetrag (Strafe/Kosten/Barauslagen) beträgt daher
€ 132,00“
Dieses Straferkenntnis wurde dem Beschwerdeführer am 27. Juli 2018 im Wege der postalischen Hinterlegung zugestellt. Mit E-Mail vom 10. August 2018 erhob der Beschwerdeführer dagegen Beschwerde und brachte im Wesentlichen zusammengefasst vor, er habe vorschriftsgemäß gebremst und die übrigen Verkehrsteilnehmer beachtet. Der Fußgänger habe jedoch keine Anzeichen gemacht, dass er die Straße überqueren wolle und stattdessen ausschließlich auf sein Mobiltelefon geblickt. Da es für den Beschwerdeführer nicht erkennbar gewesen sei, dass der Fußgänger die Straße überqueren wollte, habe er die Fahrt in Schritttempo fortgesetzt. Ferner befinde sich am Tatort auch kein Friseur, sondern ein Wettbüro.
Die belangte Behörde nahm von der Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung Abstand und legte die Beschwerde samt dem bezughabenden Verwaltungsakt dem Verwaltungsgericht Wien (einlangend am 28. September 2018) vor.
Am 21. November 2018 fand eine öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Wien statt, zu welcher der Beschwerdeführer sowie sein rechtsfreundlicher Vertreter und der Zeuge E. F. erschienen sind. Im Anschluss an die Verhandlung wurde das Erkenntnis mündlich verkündet.
II. Sachverhalt
Das Verwaltungsgericht hält es für erwiesen, dass der Beschwerdeführer am 5. Mai 2018 um 19:21 Uhr vom G.-Platz kommend (gegenüber D.-straße) rechts in die H.-gasse einbiegen wollte. Zu diesem Zeitpunkt näherte sich E. F. dem Zebrastreifen, der über die H.-gasse führt. Beide Verkehrsteilnehmer hielten kurz an, bevor sie die als Zebrastreifen markierte Verkehrsfläche benutzten. Dann setzten sich beide gleichzeitig in Bewegung, was dazu führte, dass der Fußgänger E. F. zurückwich. Der Beschwerdeführer hielt sein Fahrzeug erst an, als sich dieses bereits vollständig auf dem Schutzweg befand und nur zu dem Zweck um zu hören, was E. F. zu sagen hatte.
Für den Beschwerdeführer scheinen keine verwaltungsstrafrechtlichen Vormerkungen auf.
Der Beschwerdeführer hat aus selbständiger Tätigkeit monatliche Nettoentnahmen in der Höhe von EUR 1.500,–, kein nennenswertes Vermögen und keine Sorgepflichten.
III. Beweiswürdigung
Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt und Einvernahme des Beschwerdeführers als Partei sowie E. F. als Zeugen in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Wien am 21. November 2018.
Die Feststellungen zum Vorfall am 5. Mai 2018 ergeben sich aus den insoweit übereinstimmenden Aussagen des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung und dem als Zeugen befragten E. F.
Aus dem Auszug der belangten Behörde betreffend die verwaltungsstrafrechtlichen Vormerkungen vom 23. Juli 2018 ergibt sich, dass keine im Tatzeitpunkt rechtskräftigen und zum Zeitpunkt der hg. Entscheidung noch nicht getilgten Vormerkungen aufscheinen.
Die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Beschwerdeführers ergeben sich aus dem von diesem in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Vermögensverzeichnis. Das erkennende Gericht zweifelt nicht an diesen Angaben.
IV. Erwägungen
Gemäß § 9 Abs. 2 StVO hat der Lenker eines Fahrzeuges, das kein Schienenfahrzeug ist, einem Fußgänger oder Rollschuhfahrer, der sich auf einem Schutzweg befindet oder diesen erkennbar benützen will, das unbehinderte und ungefährdete Überqueren der Fahrbahn zu ermöglichen. Zu diesem Zweck darf sich der Lenker eines solchen Fahrzeuges einem Schutzweg nur mit einer solchen Geschwindigkeit nähern, dass er das Fahrzeug vor dem Schutzweg anhalten kann, und er hat, falls erforderlich, vor dem Schutzweg anzuhalten.
Für die Annahme des Verzichtes auf den „Vorrang“ am Schutzweg müssen konkrete, objektiv wahrnehmbare Reaktionen des Fußgängers auf Grund des sog. Augenkontaktes vorliegen, die mit Grund die Annahme rechtfertigen, dass er freiwillig auf die Überquerung der Straße vor dem Passieren des Fahrzeuges verzichtet (VwGH 30. 4. 1964, 1048/63).
Aus dem Umstand allein, dass ein Fußgänger angesichts eines herannahenden Fahrzeuges auf dem Schutzstreifen stehen bleibt, kann nicht der Schluss gezogen werden, dass der Fußgänger dem Kraftwagenlenker „unmissverständlich“ die Vorbeifahrt gestatten will, zumal dann, wenn der Lenker die Fahrgeschwindigkeit nicht verringert (VwGH 12. 6. 1963, 2014/62).
Wenn der sich bereits auf dem Schutzweg befindliche Fußgänger von diesem „zurückspringen“ muss, um nicht überfahren zu werden, erfüllt das ihn dazu veranlassende Verhalten des Fahrzeuglenkers den Tatbestand des § 9 Abs. 2 VStG (VwGH 25. 2. 1988, 87/02/0088).
Indem der Beschwerdeführer nicht vor dem Zebrastreifen in der H.-gasse anhielt und der Fußgänger den Schutzweg dadurch nicht benützen konnte, sondern zurückweichen musste, hat der Beschwerdeführer § 9 Abs. 2 StVO missachtet. Diese Bestimmung verfolgt den Zweck den unbedingten Vorrang von Fußgängern auf Schutzwegen zu unterstreichen. Es trifft zwar zu, dass dieser Vorrang nur jenen Fußgängern eingeräumt wird, die einen Schutzweg erkennbar benutzen wollen, diese Erkennbarkeit liegt allerdings bereits vor, wenn sich ein Fußgänger einem Schutzweg auf direktem Weg nähert und unmittelbar vor diesem stehen bleibt. Weder aus einem kurzen Anhalten, noch aus dem Unterlassen des Herstellens von Blickkontakt (etwa weil der Fußgänger auf ein Mobiltelefon blickt) kann ein Verzicht auf diesen Vorrang abgeleitet werden. Der Fußgänger darf nämlich darauf vertrauen, dass ihm der Vorrang auch dann eingeräumt wird, wenn er keinen Blickkontakt zum Fahrer des Fahrzeuges hergestellt hat. Erst aus einem längeren Verweilen des Fußgängers vor dem Schutzweg dürfte ein Fahrzeuglenker ableiten, dass der Fußgänger den Schutzweg, vor dem er angehalten hat nicht benützen möchte. Ein Zögern des Fußgängers im Ausmaß von (von beiden Beteiligten übereinstimmend angegeben) 4-5 Sekunden, lässt für sich allein genommen aber nicht den Schluss zu, dass der Fußgänger den Schutzweg nicht benützen oder auf den eingeräumten Vorrang verzichten möchte.
Selbst in dem Fall in dem für den Fahrzeuglenker aufgrund des längeren Verweilens des Fußgängers nicht erkennbar ist, dass dieser den Schutzweg benützen möchte, muss der Fahrzeuglenker, ab dem Zeitpunkt in dem dieser Wille erkennbar wird den Vorrang soweit dies noch möglich ist, einräumen. Im vorliegenden Fall musste für den Beschwerdeführer spätestens ab dem Zeitpunkt an dem sich der Beschwerdeführer in Bewegung setzte erkennbar sein, dass dieser den Schutzweg benützen möchte. Nach übereinstimmenden Aussagen war dies auch jener Moment in dem sich auch das Fahrzeug des Beschwerdeführers in Bewegung setzte. Der Beschwerdeführer hätte sein Fahrzeug also sofort wieder anhalten müssen und dem Fußgänger den Vorrang einräumen müssen. Das spätere Anhalten des Beschwerdeführers diente nach dessen eigener Aussage hingegen nur dem Zweck einige Worte mit dem Fußgänger zu wechseln.
Der objektive Tatbestand wurde daher erfüllt.
Gemäß § 5 Abs. 1 VStG genügt zur Strafbarkeit – mangels einer abweichenden Bestimmungen – fahrlässiges Verhalten. Zudem handelt es sich bei der gegenständlichen Verwaltungsübertretung um ein so genanntes Ungehorsamsdelikt, bei dem gemäß § 5 Abs. 1 zweiter Satz VStG die gesetzliche Vermutung des Vorliegens der fahrlässigen Begehung der angelasteten Verwaltungsübertretung gilt, sofern das Vorliegen eines tatbildmäßigen Verhaltens festgestellt und das mangelnde Verschulden durch den Beschwerdeführer nicht glaubhaft gemacht worden ist. Es ist sohin Sache des Beschuldigten, initiativ alles darzulegen, was für seine Entlastung spricht, etwa durch die Beibringung geeigneter Beweismittel oder Stellung entsprechender konkreter Beweisanträge (vgl. etwa VwGH 31.01.2014, 2013/02/0224; 15.05.1990, 89/02/0108).
Insofern, als der Beschwerdeführer vorbringt, es sei ihm nicht erkennbar gewesen, dass der Fußgänger die Straße überqueren wollte, ist ihm – wie oben bereits ausgeführt – entgegenzuhalten, dass Erkennbarkeit bereits vorliegt, wenn sich ein Fußgänger einem Schutzweg auf direktem Weg nähert und unmittelbar vor diesem stehen bleibt. Der Beschwerdeführer hat selbst eingeräumt, dass er den sich nähernden Fußgänger gesehen hat und keine weiteren Umstände dargetan, die ihn an einem ordnungsgemäßen Anhalten gehindert hätten. Insbesondere hat er nicht behauptet, der Fußgänger hätte ihm konkret kundgetan, dass er auf seinen Vorrang verzichten würde. Vielmehr hat der Beschwerdeführer selbst vorgebracht, dass der Fußgänger keinen Blickkontakt mit dem Beschwerdeführer aufgenommen und nur auf sein Mobiltelefon geblickt habe. Gerade aus so einem Verhalten kann der Beschwerdeführer aber nicht schließen, dass der Fußgänger auf seinen Vorrang verzichtet.
Somit hat der Beschwerdeführer die ihm vorgeworfene Verwaltungsübertretung auch in subjektiver Hinsicht verwirklicht.
Gemäß § 19 Abs. 1 VStG sind Grundlage für die Bemessung der Strafe die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes und die Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat.
Gemäß Abs. 2 par. cit. sind im ordentlichen Verfahren überdies die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen. Unter Berücksichtigung der Eigenheiten des Verwaltungsstrafrechtes sind die §§ 32 bis 35 StGB sinngemäß anzuwenden. Auf das Ausmaß des Verschuldens ist besonders Bedacht zu nehmen. Die Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse des Beschuldigten sind bei der Bemessung von Geldstrafen zu berücksichtigen.
Für die zur Last gelegte Verwaltungsübertretung ist gemäß § 99 Abs. 2c Z 1 StVO ein Strafrahmen für Geldstrafen von EUR 72,– bis EUR 2.180,– sowie für Ersatzfreiheitstrafen von 24 Stunden bis 6 Wochen vorgesehen.
Die Tat des Beschwerdeführers schädigte in nicht unerheblichem Ausmaß das durch die übertretene Norm geschützte öffentliche Interesse an der Sicherheit des Straßenverkehrs. Die Einhaltung dieser Vorschrift dient somit im besonderen Maße der Verkehrssicherheit und der Sicherheit der Benützer von Schutzflächen, weshalb der objektive Unrechtsgehalt der verwirklichten Tat keinesfalls als gering anzusehen ist.
Das Verschulden konnte ebenfalls nicht als geringfügig gewertet werden, da weder hervorgekommen ist, noch auf Grund der Tatumstände anzunehmen war, dass die Einhaltung der Vorschrift eine besondere Aufmerksamkeit erfordert habe, oder dass die Verwirklichung des Tatbestandes aus besonderen Gründen nur schwer hätte vermieden werden können.
Mildernd war die verwaltungsstrafrechtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers zu werten. Erschwerungsgründe sind nicht hervorgekommen.
Aufgrund der Angaben des Beschwerdeführers zu seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen und Sorgepflichten ist von durchschnittlichen persönlichen Verhältnissen des Beschwerdeführers auszugehen. Angesichts dessen erscheint die von der belangten Behörde verhängte Strafe von EUR 120,– (Ersatzfreiheitsstrafe 55 Stunden), die sich im untersten Bereich der Strafdrohung bewegt, nicht als zu hoch bemessen.
Gemäß § 16 Abs. 1 und 2 VStG ist neben einer Geldstrafe zugleich für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe ohne Bedachtnahme auf § 12 VStG nach den Regeln der Strafbemessung festzusetzen. Die Ersatzfreiheitsstrafe ist den Strafzumessungskriterien angemessen und zur Geldstrafe verhältnismäßig.
Die Beschwerde war daher abzuweisen.
Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Schutzweg; Vorrang von Fußgängern; Verzicht; SchutzzweckEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGWI:2018:VGW.031.022.12788.2018Zuletzt aktualisiert am
08.01.2019