Index
10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §71 Abs1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Händschke und Dr. Köhler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Fischer, über die Beschwerde der R in S, vertreten durch D, Rechtsanwalt in K, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 1. Juli 1999, Zl. 03-12.10 S 72 - 99/103, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Vorstellungsfrist in einer Bauangelegenheit (mitbeteiligte Parteien: 1. E GmbH, Seiersberg, 2. Gemeinde Seiersberg, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt.
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Aus der Beschwerde und dem mit ihr vorgelegten angefochtenen Bescheid ergibt sich folgender Sachverhalt:
Mit Bescheid des Gemeinderates der mitbeteiligten Gemeinde vom 28. April 1999 wurde der Berufung der Beschwerdeführerin in einer Bauangelegenheit gegen einen erstinstanzlichen Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Gemeinde keine Folge gegeben. Dieser Bescheid wurde der Beschwerdeführerin am Freitag, dem 30. April 1999, zugestellt. Die Rechtsmittelbelehrung des Bescheides, in der auf die Möglichkeit einer Vorstellung an die Landesregierung hingewiesen wurde, enthielt auch den Hinweis, dass die Vorstellung schriftlich oder telegraphisch bei der mitbeteiligten Gemeinde einzubringen wäre. Mit Schriftsatz vom 12. Mai 1999 wurde bei der belangten Behörde Vorstellung gegen den Bescheid des Gemeinderats vom 28. April 1999 erhoben; die Vorstellung wurde direkt an das Amt der Landesregierung adressiert und langte bei diesem am 19. Mai 1999 ein. Im Folgenden wurde die Vorstellung gemäß § 6 Abs. 1 AVG an die mitbeteiligte Gemeinde übermittelt. Sie langte bei der Gemeinde am 28. Mai 1999 ein.
Nach Erkennen der irrtümlichen Adressierung an das Amt der Landesregierung durch den Beschwerdevertreter stellte die Beschwerdeführerin einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 71 AVG. In diesem Antrag wird - unter Vorlage einer eidesstättigen Erklärung der betreffenden Kanzleikraft - die Auffassung vertreten, dass eine entschuldbare Fehlleistung der Kanzleikraft vorliege, die die gegenständliche Vorstellung auf Grund des Diktats des Beschwerdevertreters geschrieben habe und danach das Deckblatt selbstständig ausgefüllt habe. Sie habe sich hiebei an die Rechtsmittelbelehrung gehalten, in der angegeben gewesen sei, dass eine Vorstellung an die Landesregierung erhoben werden könne, und sich dazu verleiten lassen, als Adressaten der Vorstellung die Steiermärkische Landesregierung zu bezeichnen. Vorgelegt wurde weiters eine eidesstattliche Erklärung des Beschwerdevertreters, in der ausgeführt wird, dass die Kanzleikraft mindestens sechs Rechtsmittel und zwei Verwaltungsgerichtshofbeschwerden geschrieben und postalisch richtig abgefertigt habe (offenbar gemeint: im Zusammenhang mit der gegenständlichen Bauangelegenheit). Außerdem habe die Kanzleikraft die Postaufgabe bis dato anstandslos durchgeführt. Eine Kontrolle des Postversandes sei vom Beschwerdevertreter nicht durchgeführt worden und stelle einen übermäßigen Aufwand dar.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ab. Begründend verweist die belangte Behörde zunächst auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. Februar 1979, Zl. 134/1979, demzufolge die Fehladressierung eines Schriftstücks keinen Fall der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand darstelle. Letztlich nimmt die belangte Behörde jedoch die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand an und führt aus, dass kein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis vorliege. Der Rechtsvertreter sei seiner Überwachungspflicht nicht in ausreichendem Maße nachgekommen, zumal er selbst das Deckblatt der Vorstellung, welches eindeutig an die Steiermärkische Landesregierung adressiert gewesen sei, unterfertigt habe. Es hätte ihm die falsche Adressierung auffallen müssen. Auch dann, wenn der Rechtsvertreter - wie in der eidesstattlichen Erklärung ausgeführt - die Kanzleikraft selbstständig das Deckblatt ausfüllen habe lassen, hätte er jedenfalls seiner gebotenen Überwachungspflicht nicht entsprochen, zumal er dann blanko eine Unterschrift auf das Deckblatt gesetzt hätte, wobei zum Zeitpunkt der Unterschrift noch nicht ersichtlich gewesen wäre, um welches Rechtsmittel es sich handle, an welche Behörde das Rechtsmittel gerichtet werde bzw. welcher Bescheid angefochten werde. Es sei Aufgabe des Rechtsvertreters gewesen zu überprüfen, ob der Schriftsatz richtig erstellt werde.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes sowie allenfalls Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Es sei wohl klar, dass dem Beschwerdevertreter "schon ein Fehler vorzuwerfen" sei, da er nämlich das Deckblatt der Vorstellung unterfertigt habe, auf dem die Adressierung an die Steiermärkische Landesregierung in Graz gedruckt gewesen sei. Dies sei aber letztlich nur ein leichtes Versehen. Der Beschwerdevertreter hätte darauf vertrauen dürfen, dass das Deckblatt der Vorstellung ordnungsgemäß geschrieben werde und schließlich an die richtige Behörde abgehe, wie dies gerade im Falle der erstmitbeteiligten Partei und der verschiedenen Bauverfahren durch die Erhebung von sechs oder sieben Vorstellungen, die alle an die richtige Behörde abgefertigt worden seien, bisher der Fall gewesen sei. Dass gerade im gegenständlichen Fall die Sekretärin von der standardisierten Form abgewichen sei und "offensichtlich selbstständig die Berufungsbelehrung las, worin es im ersten Satz" heiße, dass die Vorstellung an das Amt der Steiermärkischen Landesregierung zu richten wäre, habe nicht "unbedingt vermutet werden" können.
Tatsächlich hätte die Adressierung auf dem Deckblatt keinen Schaden angerichtet, wäre wenigstens das Kuvert an das Gemeindeamt Seiersberg adressiert worden. Es sei zwar richtig, dass der Beschwerdevertreter, hätte er die Textierung auf dem Deckblatt bewusst wahrgenommen, sofort eine Korrektur vorgenommen hätte, sodass der Fehler tatsächlich nicht passiert wäre. Da aber offensichtlich die Sekretärin selbstständig arbeitete, hätte man ihr gleichfalls zubilligen müssen, dass sie zwar die Vorstellung an die Steiermärkische Landesregierung richte, jedoch gleichzeitig davon ausgehen hätte müssen, dass sie schriftlich bei der mitbeteiligten Gemeinde einzubringen sei.
In der neueren Rechtsprechung habe der Verwaltungsgerichtshof ein Versehen des Parteienvertreters geringerer Art nicht der Partei zugerechnet und Wiedereinsetzungen regelmäßig bewilligt; die diesbezüglichen Voraussetzungen lägen hier vor (ergänzend wird - ohne dass klar wird, was im Beschwerdefall aus dem Erkenntnis folgen sollte - auf das Erkenntnis des verstärkten Senats vom 23. Oktober 1986, Zl. 85/02/0251, hingewiesen; dieses Erkenntnis betraf die Frage, ob die Stellung eines Wiedereinsetzungsantrages gegen die Versäumung der Berufungsfrist ein Hindernis für die Entscheidung über die verspätet eingebrachte Berufung darstelle; der Gerichtshof hat in dem genannten Erkenntnis diese Frage verneint).
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG ist gegen die Versäumung einer Frist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.
Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 25. März 1976, Slg. Nr. 9.024/A, ausgesprochen, dass nicht nur ein äußeres Ereignis, sondern auch ein Irrtum ein "Ereignis" im Sinne des § 71 Abs. 1 AVG sein kann. Nach ständiger hg. Rechtsprechung ist ein Ereignis unvorhergesehen, wenn die Partei es tatsächlich nicht mit einberechnet hat und dessen Eintritt unter Bedachtnahme auf zumutbare Aufmerksamkeit und Voraussicht nicht erwartet werden konnte. Das im Begriff der "Unvorhergesehenheit" gelegene Zumutbarkeitsmoment ist dahin zu verstehen, dass die erforderliche zumutbare Aufmerksamkeit dann noch gewahrt ist, wenn der Partei in Ansehung der Wahrung der Frist nur ein "minderer Grad des Versehens" (seit der AVG-Novelle 1990 BGBl. Nr. 357) unterläuft (siehe den hg. Beschluss vom 26. November 1992, Zl. 92/06/0222). Ein solcher "minderer Grad des Versehens" (§ 1332 ABGB) liegt dann vor, wenn es sich um leichte Fahrlässigkeit handelt, also dann, wenn ein Fehler begangen wird, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch macht. Der Wiedereinsetzungswerber darf also nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen haben, wobei an rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen ist als an rechtsunkundige Personen (siehe Fasching, Zivilprozessrecht2, Rz. 580, sowie das hg. Erkenntnis vom 26. April 1994, Zl. 93/05/0104).
Im vorliegenden Fall ist unbestritten, dass nicht nur das Kuvert an die falsche Adresse, nämlich das Amt der Steiermärkischen Landesregierung gerichtet war, sondern auch auf der ersten Seite des Schriftsatzes als Adressat der Vorstellung das Amt der Landesregierung angeführt war und der Beschwerdevertreter den Schriftsatz unterfertigte. Der Sachverhalt gleicht insofern jenem, der dem hg. Erkenntnis vom 25. April 1995, Zl. 95/05/0084, zugrunde lag. Maßgebliche Rechtsfrage ist in einem derartigen Fall, inwieweit ein Rechtsanwalt die ihm zur Unterschrift vorgelegten Schriftsätze zu kontrollieren hat. Es ist im vorliegenden Zusammenhang nicht ein Problem der Überwachung von Kanzleibediensteten gegeben. Auf die diesbezüglichen Ausführungen in der Beschwerde ist daher nicht näher einzugehen; es liegt nicht der Sachverhalt vor, dass bei der Ausführung von Aufträgen eines Parteienvertreters durch dessen Kanzleiangestellte ein Fehler unterläuft, sondern es geht um die Frage, welche Sorgfalt der Vertreter bei der Unterfertigung der von seinen Angestellten erstellten Schriftsätze aufwenden muss.
In dem oben genannten Erkenntnis vom 25. April 1995 hat es der Verwaltungsgerichtshof dahingestellt lassen, ob der Beschwerdevertreter einer Mitarbeiterin im Diktat den Auftrag erteilte, die Vorstellung an die Gemeinde zu richten, weil die Unterfertigung vom einschreitenden Rechtsvertreter selbst auf dem Schriftsatz auf derselben Seite erfolgte, auf der die falsche Adressierung angebracht war. Der Beschwerdevertreter hätte schon bei Aufwendung eines Mindestmaßes an Aufmerksamkeit nicht übersehen dürfen, dass die Adressierung auch auf dem Schriftsatz unrichtig war. Wenn der Beschwerdevertreter, ohne offenbar selbst zu lesen, was deutlich sichtbar auf der ersten Seite des Schriftsatzes angebracht gewesen sei, diesen unterfertigt habe, so könne ihm kein minderer Grad des Versehens zugebilligt werden (Hinweis auf den hg. Beschluss vom 22. Oktober 1992, Zl. 92/06/0202). Auch in seinem Erkenntnis vom 8. Oktober 1990, Zl. 90/15/0134, sowie in den Beschlüssen vom 19. Jänner 1990, Zlen. 89/18/0202, 0203, sowie vom 18. Jänner 1994, Zl. 93/14/0199, habe der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass dann, wenn ein berufsmäßiger Parteienvertreter einen Schriftsatz unterfertigt, ohne ihn zu lesen, dies nicht als minderer Grad des Versehens zu qualifizieren sei. An dieser Beurteilung vermag auch der Hinweis des Beschwerdevertreters nichts zu ändern, dass seine Sekretärin "offensichtlich" (eine genaue Angabe kann er über den tatsächlichen Hergang somit nicht machen) "selbständig" gearbeitet hätte. Es ist für die Frage, ob den Beschwerdevertreter nur ein minderer Grad des Versehens trifft, nicht maßgeblich, ob die Erstellung des Deckblattes nach seinen Angaben erfolgte oder von der Sekretärin selbst (inhaltlich) vorgenommen wurde. Gerade in letzterem Fall hätte der Beschwerdevertreter anlässlich der Unterfertigung besonderes Augenmerk auch auf die inhaltliche Richtigkeit der möglicherweise nicht von ihm diktierten Angaben auf dem Schriftsatz richten müssen. Hat er dies nicht getan, kann ihm kein minderer Grad des Versehens zugebilligt werden. Die Tatsache, dass der Beschwerdevertreter in der beschwerdegegenständlichen Bauangelegenheit bereits mehrere Vorstellungen richtig (an die Gemeinde adressiert) eingebracht hat, dokumentiert zwar, dass es sich um ein ausnahmsweises Versehen handelt, ändert aber nichts daran, dass es sich um ein Versehen anlässlich der Unterfertigung des Schriftsatzes handelt, welches sich der Beschwerdevertreter zurechnen lassen muss und hinsichtlich dessen ihm im Lichte der zitierten hg. Rechtsprechung kein minderer Grad des Versehens zugute kommen kann.
Da somit schon der Inhalt der Beschwerde erkennen ließ, dass die vom Beschwerdeführer behaupteten Rechtsverletzungen nicht vorliegen, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen. Wien, am 9. September 1999
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1999060132.X00Im RIS seit
20.11.2000