TE Bvwg Erkenntnis 2018/9/19 W105 2176957-1

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Veröffentlicht am 19.09.2018
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Entscheidungsdatum

19.09.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch

W105 2176955-1/10E

W105 2176957-1/11E

W105 2176941-1/9E

W105 2176952-1/9E

W105 2188580-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. BENDA über die Beschwerde 1.) des XXXX , geb. XXXX , 2.) der XXXX , geb. XXXX , 3.) des mj. XXXX , geb. XXXX , 4.) des mj. XXXX , geb. XXXX ,

5.) der mj. XXXX , geb. XXXX , alle StA. Afghanistan, vertreten durch den "Verein für Menschenrechen Österreich", gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom (ad 1. bis 4.) 24.10.2017 bzw. vom 26.02.2018 (ad 5.), Zlen:

15_1092668608_151645215 (ad 1.), 15_1092668706_151646726 (ad 2.), 15_1092669703_151646483 (ad 3.), 15_1092669605_151646556 (ad 4.), 1181824010-180160465 (ad 5.), nach Durchführung einer öffentlich mündlichen Verhandlung am 01.08.2018 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 55, 57 AsylG 2005, § 9 BFA-VG, und §§ 52, 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Erstbeschwerdeführer (BF1) ist Ehemann der Zweitbeschwerdeführerin (BF2), beide sind Eltern der mj. Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer (BF3 bis BF5). Alle sind afghanische Staatsangehörige und Angehörige der turkmenischen Volksgruppe sowie des moslemischen Glaubens. Die BF1 bis BF4 reisten spätestens am 28.10.2015 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten am selben Tag die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz.

2. Der BF1 und die BF2 wurden am 29.10.2015 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes niederschriftlich einvernommen. Hierbei gab der B1 auf die Frage nach seinen Fluchtgründen wörtlich an: "Ich bin Mitglied der turkmenischen Minderheit. Ich wurde von den Taliban bedroht und verfolgt. Einige meiner Cousins sind bereits getötet worden. Einem Onkel haben die Taliban beide Beine abgeschnitten. Ich hatte Angst, dass das mir oder meiner Frau passiert. Deshalb sind wir geflüchtet". Befragt weiters, was er bei einer Rückkehr in seine Heimat fürchte, gab er an, dass seine Cousins getötet worden seien und seinem Onkel beide Beine abgeschnitten worden seien.

Die BF2 gab auf die Frage nach ihren Fluchtgründen an, dass sie auch Mitglied der turkmenischen Minderheit in Afghanistan sei und sie und ihre Familie von den Taliban terrorisiert worden seien. Sie sei die Cousine ihres Mannes. Mitglieder ihrer Familie seien getötet worden.

Die Beschwerdeführer wurden am 06.01.2017 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: "BFA) niederschriftlich einvernommen. Im Rahmen dieser Einvernahme gab der BF1 hinsichtlich seiner Fluchtgründe im Wesentlichen zusammengefasst an, dass er Grundstücksstreitigkeiten gehabt habe. Sein Feind XXXX sei ein paar Mal mit seinen Leuten zu ihnen gekommen und habe seine Familie geschlagen. Einmal seien die gekommen, als er mit seiner Familie im

2. Stock geschlafen habe. Er habe vom Fenster aus gesehen, dass XXXX seinen Onkel geschlagen und nach ihm gefragt hätte. Er sei dann ohne seine Frau und Kinder geflüchtet und habe am nächsten Tag erfahren, dass der Sohn seines Onkels erschossen worden wäre. Sein Onkel habe seiner Familie dann geraten, das Land zu verlassen.

Die BF2 gab hinsichtlich ihrer Fluchtgründe an, dass sie Feinde gehabt hätten. Ihr Schwiegervater habe viele Grundstücke besessen und habe deshalb große Probleme gehabt. Er sei schließlich von den Taliban umgebracht worden. Vor drei Jahren hätten XXXX und dessen Söhne ihr Haus gestürmt und ihren Onkel und sie geschlagen, als ihr Mann gerade auf dem Feld gewesen sei. Man habe sie gefragt, wo ihr Ehemann wäre. Sie sei bewusstlos geworden und wären die Personen, als sie aufgewacht sei, fort gewesen. Ihr Onkel habe bei diesem Vorfall ein Bein verloren. Ein anderes Mal hätten ihr Mann und sie geschlafen, als sie Stimmen gehört hätten. Sie habe zu ihrem Mann gesagt, dass er weggehen solle, da man ihn umbringen wolle. Ihr Mann sei dann aus dem Fenster gesprungen und geflüchtet. Als sie die Treppen hinuntergegangen wäre, habe sie erneut gesehen, wie man ihren Onkel zusammengeschlagen habe. Es sei zu einem Schusswechsel gekommen und sei dabei der Sohn des Onkels erschossen worden.

Mit den angefochtenen Bescheiden des BFA vom 24.10.2017 bzw. 26.02.2018 wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen, gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.) und die Frist für die freiwillige Ausreise 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

Das BFA begründete die Abweisung der Anträge auf internationalen Schutz unter Darlegung näherer Ausführungen zusammenfassend damit, dass das Vorbringen der Beschwerdeführer unglaubwürdig wäre, sodass ihnen die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt werden könne.

2. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben und darauf verwiesen, dass seitens des BFA ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren durchgeführt worden sei. So habe das BFA eine ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens nicht vorgenommen. Der BF1 sowie die BF2 hätten bei ihrer Einvernahme ausführlich und in freier Erzählung zu ihren Asylgründen Stellung genommen. Falls asylrelevante Antworten ausgeblieben seien, wären sie ferner bereit gewesen, weiter an der Sachverhaltsermittlung mitzuwirken. Daher sei es nicht nachvollziehbar, wieso ihre Angaben seitens der belangten Behörde als teils ungenau und widersprüchlich beurteilt worden seien und ihnen die Glaubwürdigkeit abgesprochen worden sei. Die Feststellung seitens der belangten Behörde, wonach die Beschwerdeführer nach wie vor Kontakt zu der in Afghanistan verbliebenen Familie bzw. sie darüber hinaus noch soziale Kontakte in Afghanistan hätten, werde bestritten und handle es sich hierbei lediglich um eine Mutmaßung seitens der belangten Behörde. Die Feststellung, wonach eine potentiell mangelhafte Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit seitens der lokalen Sicherheitsbehörden nicht gegeben wären, sei unzutreffend. Der BF1 habe sowohl bei den Dorfältesten als auch der Polizei mehrmals Hilfe gesucht, die ihm jedoch verwehrt worden wäre. Insgesamt könne auf ein Fehlen einer funktionierenden Staatsgewalt in Afghanistan geschlossen werden. Unrichtig sei weiters, wenn die belangte Behörde ausführe, dass der BF1 nie persönlich bedroht worden sei, da er sich zwar jedes Mal durch Flucht retten habe können, die Angreifer jedoch jedes Mal auf der Suche nach ihm gewesen wären, sodass seine persönliche Bedrohung offenkundig wäre. Die belangte Behörde habe es unterlassen, auf das konkrete individuelle Vorbringen der Beschwerdeführer einzugehen. Zudem sei die Sicherheitslage in Afghanistan äußerst prekär. Auch sei zu berücksichtigen, dass die BF2 als Frau sowie die unmündigen minderjährigen Beschwerdeführer besonders vulnerabel seien. Insgesamt betrachtet sei daher auszuführen, dass ihnen im Falle ihrer Rückkehr nach Afghanistan eine Verletzung ihrer Rechte gemäß Art. 2, 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention drohen würde.

3. In der Folge wurde für den 01.08.2018 beim Bundesverwaltungsgericht eine öffentlich mündliche Verhandlung anberaumt, an welcher die Beschwerdeführer sowie eine Dolmetscherin für die Sprache Farsi teilnahmen.

In das Verfahren eingeführt wurden nachstehende Unterlagen:

-

Gutachten Mag. Karl MAHRINGER

-

Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Stand 29.06.2018

Das Beschwerderechtsgespräch gestaltete sich auszugsweise wie folgt:

[...] RI: Zu welcher Volksgruppe gehören Sie und was ist die Muttersprache?

BF: Turkmenisch ist meine Muttersprache und ich bin Turkmene.

RI: Wo sind Sie aufgewachsen?

BF: In der Provinz Herat bin ich geboren im Distrikt XXXX , im Dorf, XXXX . Wann ich geboren bin weiß ich nicht.

RI: Über welche Schulbildung verfügen Sie?

BF: Keine Schulbildung.

RI: Haben Sie eine Berufsausbildung genossen?

BF: Wir hatten Grundstücke und ich habe am Feld gearbeitet.

RI: Wann haben Sie geheiratet?

BF: Vor 13 Jahren.

RI: Können Sie das Jahr nach Ihrer Zeitrechnung angeben?

BF: XXXX , das war am 10.ten Monat. 2005.

RI: Beherrschen Sie lesen und Schreiben?

BF: Nein, ich habe nie eine Schule besucht.

RI: Hatten Sie in der Heimat jemals Probleme wegen Ihres religiösen Bekenntnisses?

BF: Nein. Ich bin Sunnit und wir hatten deswegen nie Probleme, aber die Probleme haben dann aufgrund unserer Grundstücke begonnen.

R: In XXXX haben Sie Ihr ganzes Leben verbracht?

BF: Ja, bis zur Ausreise.

RI: Wie viel haben Sie für Ihre Flucht bezahlt?

BF: 3000 Lak Afghani.

RI: Können Sie das in Dollar oder in Euro umrechnen?

BF: Ich weiß das nicht.

RI: Können sie vorab in ein bis zwei Sätzen sagen, warum Sie weggehen mussten? Auf die Details kommen wir dann.

BF: Wegen unserer Grundstücke und auch weil wir Turkmenen sind und wir wurden ungerecht behandelt.

RI: Wann und wie sind Ihre Probleme entstanden?

BF: Die Probleme haben schon sehr lange begonnen, als die Taliban in unser Dorf kamen und die Leute schlecht behandelten. Es gab einen Mann namens XXXX , er war auch ein Talib und er hatte mehrere Leute, die für ihn arbeiteten und sie haben die Menschen schlecht behandelt. Sie haben meinen Vater mitgenommen und ihn geschlagen, dadurch ist er gestorben. Nach dem Tod meines Vaters habe ich mit meinem Onkel vs die Grundstücke übernommen. Nach dem Tod meines Vaters kamen sie immer wieder zu uns und sie sagten, wir müssen die Grundstücke hergeben. An einem Abend kamen sie zu mir nach Hause. Mein Onkel war zu Hause und er wurde zusammengeschlagen. Sie fragten wo ich mich gerade befinde, ich war auf den Grundstücken und habe gearbeitet. Sie haben meinen Onkel auch mitgenommen, vielleicht auf die Berge und sie schlugen meinen Onkel so stark, dass er ein Bein verlor. Zwei bis drei Tage später ist er ohne einem Bein nach Hause gekommen.

RI: Sie haben im Rahmen der Ersteinvernahme angegeben, die Reisekosten für die ganze Familie hat ca. 4000 Euro betragen, was sagen Sie dazu?

BF: Ich habe gesagt 3000 Afghani und vielleicht haben sie das dann selbst umgerechnet.

BFV: Ich verweise auf das Protokoll vom BFA auf Seite 6 unten wonach die Angabe von drei Lak in Afghani umgerechnet wurde und dann das folglich 4000 Euro ergebe.

RI: Wann hatten Sie das erste Mal ein Problem mit den Taliban? Hat es schon ein Problem gegeben, als die Taliban das Dorf eroberten?

BF: Die ersten Probleme hat mein Vater bekommen.

RI: Wann war das etwa?

BF: Ich kann den Zeitraum nicht angeben, es ist schon sehr lange her. Ich war noch klein.

RI: Verstehe ich Sie richtig? Die Taliban haben also Ihr Dorf schon vor vielen Jahren erobert und es beherrscht und erst kurz vor Ihrer Ausreise sind die genannten Probleme entstanden?

BF: Ja, so ist es.

RI: Haben Sie sich jemals in der Schweiz aufgehalten?

BF: Wo ist das? Ich weiß es nicht.

RI: Über welche Länder sind Sie nach Ö gekommen?

BF: Zuerst in den Iran, dann in die Türkei. Weiter über Griechenland und Mazedonien. Nach Mazedonien war das nächsten die Slowakei oder Slowenien und dann über andere Länder nach Österreich.

RI: Sind Sie in Österreich jemals straffällig geworden?

BF: Nein.

RI: Ich frage Sie nur deshalb, da sich im Akt Strafregisterauszüge von der Schweiz und von Österreich befinden. Haben Sie damit etwas zu tun?

BF: Ich weiß nicht mal wo die Schweiz ist, ich war noch nie dort. Ich habe nichts gemacht. Ich habe eine Ehefrau und Kinder.

RI: Was können Sie mir über das Schicksal Ihres Vaters berichten?

BF: Der XXXX und seine Leute haben meinen Vater mitgenommen, wohin genau weiß ich nicht und sie brachten die Leiche meines Vaters wieder zurück. Ich bin jetzt ein bisschen verwirrt und würde gerne wissen, wie Sie auf meinen Namen kommen.

RI: Die Behörde hat die Daten gecheckt und dann ist das herausgekommen.

BF: Ich habe deswegen auch gefragt, weil ich nichts damit zu tun habe.

RI: Wie alt waren Sie da etwa, betreffend den Vater?

BF: Ich weiß es nicht, weil dort das Alter unbekannt ist. Vielleicht war ich 10 12 oder 13 Jahre alt.

RI: Hatte diese damalige Sache, betreffend den Vater etwas mit den Taliban zu tun?

BF: Ja, er war selber Talib und er hatte Männer, die auch talib waren. Mein Vater hätte Grundstücke hergeben sollen, deshalb haben sie ihn mitgenommen.

RI: In den Jahren seit Ihrer Kindheit, wie das passiert ist, wie haben Sie bis zu den aktuellen Vorfällen gelebt?

BF: Ich habe mit meinem Onkel vs zusammengelebt.

RI: Seit der Zeit hat es weder mit XXXX , noch mit sonstigen Leuten Probleme gegeben.

BF: Sie haben meinen Onkel immer wieder belästigt, auch wegen den Grundstücken. Die Lage hat sich aber dann verbessert, als die Amerikaner nach Afghanistan kamen und die Taliban verjagten. Dann ist Karzai an die Macht gekommen. Die Lebenssituation hat sich dann ein bisschen verbessert.

RI: Sie haben unter anderem angegeben, dass nach dem Tod des Vaters Ihnen die Grundstücke weggenommen worden seien. Stimmt das?

BF: Nein.

RI: Ich lese Ihnen die Passage vor. RI liest von AS 57, letzter Absatz. Was sagen Sie dazu?

BF: Das höre ich zum ersten Mal.

RI: liest weiter vor: Bis Präsident Karzai mir die Grundstücke zurückgab.

BF: Entweder wurde es falsch von meiner Seite verstanden oder nicht richtig übersetzt, aber so habe ich es nicht gesagt.

RI: Haben Sie XXXX persönlich gesehen?

BF: Nein.

RI: Sie haben vor dem BFA ausgesagt, Sie hätten ihn einmal vom Fenster aus geshen. Was sagen Sie dazu?

BF: Das stimmt.

RI: Haben Sie sich zu einem Zeitpunkt an die Polizei um Hilfe gewandt?

BF: Ja, zwei Mal. Wann genau kann ich nicht sagen, ich habe mir das Datum nicht ausgeschrieben, aber kurz bevor wir aus Afghanistan weggingen war ich bei der Polizei. Die Polizei hat uns nicht wirklich zugehört, weil wir Turkmenen sind.

RI: Sie haben jetzt vom Onkel berichtet, gab es weitere Probleme?

BF: Ja, es hat auch einen anderen Vorfall gegeben. Ich habe die Leute vom Fenster gesehen und versuchte zu fliehen. Dann haben sie den Onkel geschlagen und sein Sohn wollte den Vater verteidigen und dann haben sie meinen Cousin direkt vor Ort erschossen.

RI: War dieser Vorfall, bei dem Ihr Cousin ermordet wurde vor oder nach der schweren Misshandlung des Onkels, wobei er sogar sein Bein verloren hat?

BF: Es war danach. Da hatte er schon nur noch ein Bein und dann sind die Leute wiedergekommen. Es war in der Nacht. Ich habe mit meiner Frau oben gewohnt und ich hatte Schreie gehört und das Fenster aufgemacht und ich hörte, wie sie meinen Onkel nach mir fragten.

RI: Können Sie angeben, wie viel Zeit zwischen dem schweren Vorfall mit dem Onkel und der Ermordung des Cousins vergangen ist?

BF: Ich schätze mal so 4-5 Monate.

RI: Wann waren Sie dann das zweite Mal bei der Polizei?

BF: Ich glaube nach dem ersten Mal bin ich dann zwei oder drei Monate später wieder zur Polizei gegangen.

RI: Waren Sie also beide Male vor der Ermordung des Cousins bei der Polizei?

BF: Es war einmal bevor mein Cousin ermordet wurde und das zweite Mal war nach dem Tod, als ich bei dem Fenster herausgeschaut habe.

RI: Vor dem BFA haben Sie das aber offenbar logisch umgekehrt geschildert: RI liest aus AS 58 3. ABS "Zwischen letzter Anzeige bei der Polizei und der Ermordung meines Cousins... vergingen abermals fünf Monate." Was sagen Sie dazu?

BF: Nein, es ist so passiert. Ich ging beide Male vor der Ermordung dort hin, weil ich nach der Ermordung das Land verlassen habe. Wie ich bereits sagte, habe ich beim Fenster gesehen, wie sie zu uns nach Hause kamen. Als sie meinen Cousin ermordeten, bin ich dann geflohen.

RI: Gerade vor 5 Minuten haben Sie das aber offenbar umgekehrt dargestellt, können Sie das erklären?

BF: Vielleicht habe ich mich nicht richtig ausgedrückt, aber es waren beide Male vor der Ermordung.

BFV: Man könnte ihn fragen, aus welchem Grund oder für welches Ziel er die erste und die zweite Anzeige getätigt hat.

BF: Wegen den Grundstücken, da sie uns immer schikanieren, weil sie meinen Vater ermordet haben, meinen Onkel misshandelten und wegen meiner Sicherheit und der Sicherheit meiner Familie.

RI: Haben Sie, seit Sie in Ö sind Kontakt zum Onkel?

BF: Nein, ich weiß nicht, was mit ihm passiert ist.

RI: nach diesem Vorfall, bei welchem man Ihren Cousin getötet hat, wie haben Sie sich da konkret verhalten?

BF: Ich bin am selben Abend weggelaufen, bin in einen anderen Ort gegangen namens Shadar. Ich habe mich dort für 2-3 Tage versteckt, dann hat mcih mein Onkel angerufen und gefragt, was los ist. Er sagte mir dann, sein Sohn sei getötet worden und ich darf nicht zurückkommen, sonst würden sie mich auch töten.

RI: Haben Sie nun nicht persönlich gesehen, dass der Cousin erschossen wurde?

BF: Ja, das habe ich gesehen, aber ich habe nicht gewusst, ob er das überlebt hat.

RI: Das Ganze hat sich in der Nacht abgespielt?

BF: Ja.

RI: Waren Sie da mit Ihrer Frau gemeinsam im Obergeschoss im Zimmer?

BF: ja.

RI: Hat Ihre Frau den Schuss auf Ihren Cousin ebenfalls selbst gesehen?

BF: Das weiß ich nicht, sie können Sie dann selber fragen.

RI: Waren Sie da alleine mit Ihrer Frau in dem Raum?

BF: Die Kinder waren auch im Zimmer.

RI: Haben Sie alleine beim Fenster heruntergesehen?

BF: Ich habe erst Laute gehört und dann das Fenster aufgemacht. Meine Frau ist dann neben mir gestanden.

RI: Sind Sie dann in jener Nach alleine aus dem Haus entwichen oder mit Ihrer Frau?

BF: Alleine.

RI: Ihre Frau und die beiden Kinder sind also im Haus verblieben?

BF: Ja.

RI: Gibt es noch weitere erwähnenswerte Umstände, nachdem Sie in der Nacht das Haus verlassen haben?

BF: Nein, was soll noch passiert sein?

RI: Sie haben vor dem BFA angegeben, Ihre Frau sei geschlagen worden, was stimmt nun?

BF: Nachdem ich weggelaufen bin, hat mir das meine Frau erzählt. Ich selber habe es nicht gesehen.

BFV: Für ihn ist es eine Schande, dass die Frau seinetwegen geschlagen wurde und wahrscheinlich wollte er das selber nicht sagen.

RI: Warum haben Sie Ihre Frau in dieser Nacht nicht mitgenommen?

BF: Wie soll ich meiner Frau und meinen Kindern aus dem Fenster raushelfen?

RI: Sie haben sich also selbst gerettet, wie hoch mussten Sie da runterspringen?

BF: Ich weiß es nicht, die Häuser sind in AFG bekannt. Ca. vier Meter.

RI: Sie sind also in jener Nacht weg in das Nachbardorf XXXX , wie weit ist das weg?

BF: Ca. eine Stunde zu Fuß.

RI: Hatten Sie dort Verwandte?

BF: Einen Freund.

RI: Wo haben Sie dann Ihre Frau wiedergesehen?

BF: Nach drei Tagen hat mein Onkel meine Frau zu mir gebracht mit den Kindern.

RI: Dann haben Sie sofort das Land verlassen?

BF: Ja.

RI: Wie kamen Sie dann zu dem Geld, um das Land verlassen zu können?

BF: Es ist gespart worden, wir hatten Grundstücke. Es gab keine Bank, wo wir das Geld hingebracht haben, wir hatten es immer zu Hause und in der Hand. Wir haben immer gearbeitet.

RI: Sie haben dann also von XXXX weg sofort das Land verlassen?

BF: Ja.

RI: Sind Sie nie auf die Idee gekommen, in einem anderen Ort Zuflucht zu suchen?

BF: Wenn ich nicht in meinem eigenen Haus leben kann, wie soll ich dann in einer anderen Stadt leben können?

RI: Was glauben Sie, wie lange würden Sie mit dem genannten Geldbetrag, den Sie für die Flucht aufgewendet haben, beispielsweise in Kabul leben können?

BF: Mit 3000 Lak Afghani kann man in Kabul kein Haus kaufen.

RI: Die Rede ist nicht vom Haus kaufen, sondern von sich dort niederlassen und in Sicherheit sein. Hätten Sie dort mit dem Geld nicht etwa ein halbes Jahr mit Ihrer Familie unbehelligt leben können.

BF: Wir reden von drei Lak, nicht von 3000 Lak.

RI: Sie haben von 4000 Euro gesprochen, umgerechnet.

BF: Mit 3 Lak Afghani kann ich nicht in Kabul leben, ein Zimmer mieten und meine Familie ernähren. Ich bin es gewohnt Grundstücke zu haben und von diesen zu leben.

RI: Dann müssen Sie jetzt auch geschockt sein, weil hier haben Sie auch keine Grundstücke.

BF: Ich habe hier die Ruhe. Meine Kinder können hier zur Schule gehen und lesen und schreiben lernen.

RI: Wer würde hier für Sie ihr ganzes Leben aufkommen.

BF: Ich habe immer ehrenamtlich gearbeitet. Ich selber würde für ich sorgen, ich kann arbeiten und ich bin jung.

RI: Wie gut ist Ihr Deutsch? Verstehen Sie mich?

BF: Viele, die nicht lesen und schreiben können, haben hier es gelernt und arbeiten hier. Ich kann ein bisschen Deutsch. Jetzt bin ich drei Jahre hier und ich besuche einen Deutschkurs und kann langsam lesen und schreiben.

BFV: Haben Sie jetzt einen Alphabetisierungskurs gemacht?

BF: Es war einmal in der Woche. Nein, ich kann aber noch nicht lesen und schreiben. Ich lerne gerade Grundbegriffe. Einzelne Worte wurden mir beigebracht.

RI: Ich möchte Ihnen nur vor Augen führe, dass Sie auch mit einer für österreichische Verhältnisse doch erheblichen Geldsumme gekommen sind bzw. die für die Flucht aufgewendet haben und hätten Sie mit dieser doch recht großen Summe zumindest einige Monate in Kabul oder an anderen Orten in Ruhe leben können. Stimmt das so oder nicht?

BF: Ja, wie viele Monate?

RI: dann hätten Sie z.B. als Tagelöhner arbeiten können.

BF: Es geht nicht so, hier in Ö, wenn ich z.B. nicht in XXXX leben kann, kann ich nach Wien gehen und wenn es mir in Wien nicht gefällt, dann kann ich nach Linz gehen. Dort sind mehrere Volkszugehörigkeiten, jeder möchte nur die eigene Volkszugehörigkeit hereinlassen. Wenn ich mich mit meiner Frau an einem anderen Ort unterhalte, dann werden wir ausgelacht, aufgrund unserer Sprache. Ich könnte z.B. mich nach Herat begeben und dort wäre nicht Leib und Leben gefährdet. Bis nach Herat sind es 20 Minuten, Kabul ist weit entfernt. Dort wäre ich zwar einerseits sicher, aber andererseits auch nicht, da ich die Sprache nicht spreche. Ich habe einen Dialekt, aber ich spreche Dari. Ich unterhalte mich mit meiner Frau in Turkmenisch, die anderen würden es nicht verstehen. Dari kann ich sprechen.

RI: Sprechen wir zuerst von der körperlichen Sicherheit, die wäre in Kabul gesichert, aber Ihr wirtschaftliches Fortkommen nicht, meinen Sie das so?

BF: Nein, auch die körperliche Sicherheit ist dort nicht gesichert, weil dort am Tag ca. 100 Leute getötet werden von den Taliban.

BFV: Ich möchte einwenden, dass auch die Ehegattin nun mehr ein selbstbestimmtes westliches Leben führen möchte und weiters verweise ich darauf, dass es sich bei meinen Mandanten um eine Familie mit kleinen Kindern handelt, die als besonders vulnerabel ist.

BF: Wenn wir in Frieden leben könnten. Was bringt mir viel Geld, aber keine Ruhe?

RI: Wie lange haben Sie sich im Iran aufgehalten?

BF: Wir sind nur durchgereist.

RI: Ist Ihnen bekannt, dass im Iran ca. 2Mio. Afghaner Zuflucht gefunden haben, warum sind Sie dann nach Österreich weitergereist?

BF lacht.

BF: Es sind so viele über 30. Tausend Afghaner geflüchtet und haben ihren Platz gefunden. Wir entschieden uns für Österreich und jetzt sind wir hierhergekommen.

BF: Ich möchte anmerken, dass auch im Iran die Afghanen illegal sind.

RI: Haben Sie jemals darüber nachgedacht, sich in der Türkei niederzulassen, da Sie eine Turksprache sprechen und sich zumindest rudimentär mit Türken verständigen können?

BF: Iran oder Türkei, dort ist es so, dass sie jeden Tag Afghanen nehmen und wieder abschieben, da sie sich dort illegal aufhalten und keine Papiere gekommen. Wie soll ich dort leben, ohne Papiere und illegal? Im Iran wird es dann auch so wie in AFG, wenn die Kinder keine Papiere haben, dürfen sie nicht zur Schule gehen.

RI: Wie geht es Ihnen gesundheitlich?

BF: Ich bin gesund. Ich nehme auch keine Medikamente.

RI: Wie geht es Ihrer Frau und Ihren Kindern?

BF: Bei meiner Frau ist es so, dass sie noch schockiert ist und nachts nicht schlafen kann. Sie muss Medikamente einnehmen.

RI: Sind Sie Mitglied in einem Verein oder in einer österreichischen Organisation?

BF: Dort, wo wir leben, leben wir auf einem Berg. Dort ist es nicht einfach etwas zu finden.

RI: Wo leben Sie jetzt hier in Österreich?

BF: In XXXX in XXXX .

RI: Ist es dort schön?

BF: Ja, aber ich brauche drei Stunden, bis ich wo ankomme, wegen dem Bus. Aufgrund der Ferien gibt es keinen Bus.

Der BF verlässt um 10:50 Uhr den Verhandlungssaal und die BF2 betritt den Verhandlungssaal um 10:51 Uhr.

RI: Wie geht es Ihnen gesundheitlich?

BF2: ich nehme Tabletten, wegen den Depressionen. Sie heißen Hova und Pantoloc (Hove ist gegen Durchschlafstörungen)

RI: Stehen Sie in ständiger ärztlicher Behandlung?

BF2: Ja, ich gehe regelmäßig zum Hausarzt und er hat mir eine Überweisung geschrieben zur Organisation XXXX . ich muss auch einen Psychiater aufsuchen. Das Problem ist, dass wir keinen Autobus haben. Ich leide unter starker Vergesslichkeit und nachts kann ich ohne Tabletten nicht schlafen.

RI: Ihre Kinder sind gesund hat Ihr Mann berichtet?!

BF2: Ja, sie sind sehr gesund. Meine kleine Tochter weint sehr viel und sie hat Blähungen.

RI: Haben Sie in Österreich verwandtschaftliche Bindungen?

BF2: Nein.

RI: Haben Sie in AFG noch verwandtschaftliche Bindungen?

BF2: Ich habe meinen Onkel mütterlicherseits (ms) dort. Ich weiß nicht, ob es bei der letzten Verhandlung schon notiert wurde. Wir sind quasi über den Onkel verwandt.

RI: Erklären Sie das genau. Ihr Onkel ms, d.h. der Bruder der Mutter ist gleichzeitig der Onkel väterlicherseits (vs) von meinem Mann.

BF2: Ich meine meinen Mann ersten Graden.

RI: Sie haben bei der ersten Einvernahme angegeben, dass Ihre Eltern sowie Ihre Geschwister noch in AFG leben, stimmt das?

BF2: Meine Familie war bis zu unterer Ausreise in AFG. Nach einigen Monaten, als wir in Ö ankamen, haben wir telefoniert und sie meinten, sie halten sich in der Tükei auf, seither haben wir keinen Kontakt mehr.

RI: Ich habe mich geirrt, im Protokoll findest sich, dass die Eltern und die Geschwister auf dem Weg nach Europa sind. Haben Sie noch andere Geschwister in AFG?

BF2: Nein.

RI: Wie viele Geschwister haben Sie?

BF2: Eine Schwester und fünf Brüder.

RI: Sie haben vor dem BFA angegeben, dass die Eltern gemeinsam mit den Brüdern Kombis und Zorab auf dem Weg nach Europa seien, die anderen seien dortgeblieben. Was stimmt nun?

BF2: Ich habe gesagt, dass alle auf dem Weg nach Europa sind.

RI: Über welche Schulbildung verfügen Sie?

BF2: So richtig die Schule habe ich nicht besucht, es war durch die Taliban nicht möglich. Eine gebildete Dame hat uns das lesen und schreiben beigebracht. Auf Niveau 4. Klasse kann ich lesen und schreiben.

RI: Ihr Ehemann hat bereits über die Vorfälle berichtet, können Sie das nur etwas ergänzen. Wie hat sich der Überfall dieser Leute auf Ihr Haus zugetragen, als XXXX kam?

BF2: Ich fange jetzt bei meinem Schwiegervater an, der bereits verstorben ist. Er wurde geschlagen und belästigt, dass er die Grundstücke hergibt, zu diesem Zeitpunkt war ich nicht mit meinem Ehemann verheiratet, ich weiß es nur von Erzählungen. Es war an einem späten Abend, wir haben geschlafen und mein Ehemann war nicht zu Hause. Sie haben meinen Onkel ms geschlagen und nach meinem Ehemann gefragt. Sie wollten unbedingt meinen Mann haben, dass sie die Grundstücke bekommen und sie schlugen so stark auf meinen Onkel ein, bis er ins Spital gebracht wurde und ein Bein verlor.

RI: Wo hat sich Ihr Ehemann in dieser Nacht aufgehalten?

BF2: Er war arbeiten auf dem Feld.

RI: In der Nacht? Da ist es finster.

BF2: Er hat alles gegossen, da es in der Nacht kühler ist.

RI: Hat es dann noch weitere Vorfälle gegeben?

BF2: Ja.

RI: Können Sie über diesen berichten?

BF2: Ja, in der Nacht haben wir auch alle geschlafen. Es war sehr laut und mein Onkel kam dann rauf und sagte zu meinem Mann, er müsse gehen, sonst würde er getötet werden. Ich habe zu meinem Mann gesagt, er soll gehen bevor er getötet wird. Ich ging runter und sie schlugen mich, den Onkel und den Sohn ovm Onkel. Der kleine wollte unsere Hände halten und dann haben sie ihn erschossen. Er war ca. 14 oder 15 Jahre alt.

RI: haben Sie selbst gesehen, wie er erschossen wurde?

BF2: Ja.

RI: Waren Sie im selben Raum?

BF2: Ja, ich wurde dann ohnmächtig.

RI: Ihr Mann hat erzählt, Sie hätten in der Nacht Lärm gehört und sie hätten vom Fenster aus beide die Situation gesehen, wie der Sohn erschossen worden sei.

BF2: Ich weiß es nicht mehr, ich kann mich nicht genau erinnern.

RI: In welcher Weise konnte Ihr Mann das Haus verlassen?

BF2: Er ist vom Fenster runtergesprungen und weggelaufen.

RI: Wo haben Sie ihn dann das erste Mal wiedergesehen?

BF2: Wir blieben ca. 4 Tage wegen der Beerdigung und der Trauer und dann brachte mich mein Onkel nach Shadar.

RI: Können Sie angeben, wie viel Zeit zwischen den beiden Vorfällen vergangen ist?

BF2: Ich weiß es nicht genau, ich glaube 3 Jahre und 10 Monate.

RI: Hatten Sie die Möglichkeit mit Ihrem Mann zu besprechen, wohin Sie fliehen würden?

BF2: Nein.

RI: Sie sind ihm also gefolgt und er hat es entschieden?

BF2: Ja.

RI: Hatten Sie schon die Möglichkeit einen Deutschkurs zu besuchen?

BF2: Anfangs hatte ich einmal in der Woche einen Kurs, jetzt nicht mehr.

RI: War es Ihnen möglich, andere Veranstaltungen in Österreich zu machen? Z.B. Kochabende.

BF2: Jetzt am 29. August ist ein Fest, wo wir hingehen.

RI: Haben Sie die ganze Zeit dort gewohnt?

BF2: Ja, seitdem ich da bin wohne ich dort. Wir sind ganz oben auf einem Berg und etwas isoliert. Dort ist es sehr schön und wir gehen viel spazieren. Dort gibt es nur wenige Leute und es ist ruhig.

RI: Wissen Sie etwas darüber, ob der Bedroher und seine Familie etwas mit den Taliban zu tun hat?

BF2: Er ist ein Talib, weil wir Turkmenen sind werden wir nicht akzeptiert und viel Unrecht angetan. Keiner hört uns zu.

RI: Wissen Sie zu welcher Volksgruppe der Bedroher gehört?

BF2: Ich weiß es nicht, aber XXXX ist Talib.

RI: Welche Völker leben in AFG?

BF2: Tadschiken, Hazara, Paschtunen. Der XXXX ist Talib, vielleicht ist er Paschtune.

BFV: Damals vorm BFA haben Sie ein Kopftuch getragen, warum tragen Sie heute keines?

BF2: Ich habe es abgelegt, jetzt lebe ich wie die Europäer. Ich möchte frei und in Ruhe leben. Ich möchte so wie die Frauen in Europa um meine Rechte kämpfen. Ich möchte schreiben können und arbeiten.

RI: Wer bestimmt um den Einsatz über die finanziellen Mittel in der Familie?

BF2: Uns beiden, wir entscheiden gemeinsam.

RI: Wer trifft sonst grundsätzlich die Entscheidungen? Hat Ihr Mann etwas dagegen, dass Sie ohne Kopftuch sind?

BF2: Nein, er ist froh darüber.

RI: Welche Arbeit/Ausbildung schwebt Ihnen vor?

BF2: Schneiderin.

RI: Haben Sie sich gedanken gemacht, wie viele Kinder Sie noch haben möchten?

BF2: Eigentlich reichen diese drei, ich habe überlegt noch ein viertes zu bekommen, aber nicht jetzt.

RI: Bestimmen Sie das, ob Sie noch ein Kind bekommen möchten?

BF2: Ich bestimme es.

RI: Ist Ihnen klar, dass zum selbstbestimmten Leben einer Frau unter anderem die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zählt und dass es schon mit drei Kinder schwer ist für eine Frau einer geregelten Erwerbstätigkeit ist. Je mehr Kinder Sie haben, umso schwieriger ist. Wer kümmert sich dann um die Kinder, wenn Sie arbeiten?

BF2: Die Kinder gehen in den Kindergarten und in die Schule. Ich will das vierte Kind nicht jetzt haben.

RI: Wer hat im Herkunftsland die Entscheidungen in der Familie getroffen?

BF2: Dort haben immer die Männer alles bestimmt.

RI: haben Sie dort schon bestimmte Bestrebungen unternommen, dass Sie sich eigenständiger darstellen und mitentscheiden?

BF2: Mein Mann hatte damit kein Problem, wir haben gemeinsam die Entscheidungen getroffen.

RI: Ist Ihnen eine Entscheidung in Erinnerung, an der sie maßgeblich beteiligt waren?

BF2: ich kann mich nicht erinnern.

RI: Können Sie einen durchschnittlichen Tagesablauf in Österreich jetzt schildern?

BF2: Derzeit bin ich sehr mit meiner Tochter beschäftigt, da sie weint. Ja, ich mache den Haushalt und den anderen Kindern das Frühstück und mein Mann hilft mir dabei.

RI: Wer kocht grundsätzlich?

BF2: Wenn unser Baby immer weint, dann trage ich sie und mein Mann kocht.

RI: Wer wäscht die Wäsche?

BF2: Mein Mann, weil wir die Wäsche nicht mit der Hand waschen. Mein Mann gibt die Wäsche zweimal in der Woche in die Waschmaschine.

BFV: Warum sind Sie damals nicht alleine zu Ihrem Mann gegangen in das Dorf?

BF2: Ich kann als Frau dort nicht alleine hin.

BFV: Und in Österreich?

BF2: Ich gehe alleine zum Arzt und bringe die Kinder alleine zur Schule.

BFV: Was machen Sie hier in Ö, was Sie in AFG nicht machen dürfen?

BF2. In AFG durfte eine Frau gar nicht aus dem Haus gehen und schon gar nicht einkaufen gehen. Frauen wurden entführt und geschlagen. Hier bin ich frei und kann ohne Angst rausgehen. Es ist hier schön, da ich hier in Frieden leben kann.

BFV: Wenn Sie nach AFG zurückmüssten, würden Sie dann eine Burka tragen?

BF2: Tschador.

Der BF verlässt um 10:50 Uhr den Verhandlungssaal und die BF2 betritt den Verhandlungssaal um 10:51 Uhr.

RI: Ich möchte Ihnen noch eine vielleicht seltsame Frage stellen, können Sie einen durchschnittlichen Tagesablauf hier in Österreich schildern.

BF: Wir stehen auf, ich helfe meiner Frau, wir geben den Kindern etwas zu helfen. Ich helfe auch meinem Wohnungschef. Dort wo ich helfen kann, helfe ich gerne.

RI: Kümmert sich um die Kinder Ihre Frau in erster Linie?

BF: Nein, ich.

RI: Wer wäscht die Wäsche gewöhnlich?

BF: Ich bringe die Wäsche zur Waschmaschine und wenn sie fertig ist, hänge ich sie auf.

RI: Wie wissen Sie, wann die Wäsche fertig ist?

BF: Es ist eine Uhr.

RI: Können Sie die Uhr?

BF: Ja. (BF zeigt auf seine Armbanduhr)

RI: Hätten Sie was dagegen, wenn Ihre Frau bei Freunden in der Stadt einmal übernachten würde?

BF: Nein, wenn sie weiblich sind, dann kann sie dort übernachten.

RI: Es können ja männliche Freund auch sein.

BF: Das wäre dann auch kein Problem, es ist in unserem Kulturkreis nicht üblich, dass man wo anders schläft.

BFV: haben Ihre Kinder eigene Asylgründe?

BF: Nein.

BFV: Ich möchte gerne ins Protokoll vermerkt wissen, dass die Ehefrau und BF2 ohne Gesichtsschleier oder Kopftuch erschienen ist und westlich gekleidet (Jeans und Bluse und geschminkt).

RI: Möchten Sie noch etwas hinzufügen? Wir haben mit Ihrer Frau um Ihr Leben gesprochen und sie hatte die Gelegenheit über die Sachen zu berichten.

BF: Meine Kinder sollen eine Zukunft haben, nicht so wie ich. Sie sollen auch mit einem Vater auswachsen, meiner Wurde getötet.

RI verweist auf das aktuelle LIB der Staatendokumentation und es wird ins Verfahren eingeführt. Dem BF bzw. BFV wird Gelegenheit geboten binnen zwei Wochen das aufgenommene Verhandlungsprotokoll zu rügen, bzw. allenfalls eine Stellungnahme zur Länderdokumentation einzubringen. [...]

4. Mit Schriftsatz vom 14.08.2018 brachten die Beschwerdeführer im Wesentlichen zusammengefasst vor, dass soziale Diskriminierung und Ausgrenzung ethnischer Minderheiten im Alltag fortbestehe und nicht zuverlässig durch

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers und seinen Fluchtgründen:

Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige Afghanistan, Angehörige der Volksgruppe der Turkmenen, bekennen sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam und stammen aus der Provinz Herat. Die Beschwerdeführer (BF1 bis BF4) beantragten nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 28.10.2015 die Gewährung internationalen Schutzes. Der BF5 wurde am 29.01.2018 im österreichischen Bundesgebiet geboren und beantragte seine Mutter als gesetzliche Vertreterin am 14.02.2018 für diesen die internationale Schutzgewährung. Weder der BF1 noch die BF2 haben in Afghanistan Schulbildung genossen. Der BF1 hat Arbeitserfahrung in Afghanistan als Landwirt gesammelt.

Die Beschwerdeführer waren nie politisch tätig und gehörten nie einer politischen Partei an. Sie sind in Afghanistan weder vorbestraft noch waren sie länger inhaftiert.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer ihren Herkunftsstaat aus wohlbegründeter Furcht vor den Taliban oder einer anderen konkreten individuellen Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verlassen haben oder nach einer allfälligen Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Übergriffe zu befürchten hätten. Die Beschwerdeführer haben mit ihrem Vorbringen keine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention glaubhaft gemacht.

Nicht festgestellt werden konnte, dass eine sonstige Handlung oder Maßnahme gegen die Beschwerdeführer in Afghanistan gesetzt wurde.

Der BF1 ist arbeitsfähig. Er ist gesund, nimmt keine Medikamente und ist auch nicht in medizinischer Behandlung. Die BF2 leidet nach eigenen Angaben an Vergesslichkeit und Schlafstörungen. Sie wurde am 11.06.2018 zur ärztlichen Untersuchung durch einen Facharzt für Psychiatrie überwiesen. Ein fachärztlicher Befundbericht wurde bis dato nicht übermittelt.

Zudem kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer im Falle einer allfälligen Rückkehr nach Herat oder Mazar-e Sharif nicht im Stande wären, für ein ausreichendes Auskommen im Sinne der Sicherung seiner Grundbedürfnisse zu sorgen und mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr ausgesetzt wären, in eine existenzbedrohende Notlage zu geraten.

Insbesondere kann nicht festgestellt werden, dass die BF2 seit ihrer Einreise nach Österreich im Oktober 2015 ein "westliches" Verhalten oder "westlichen" Lebensstil in einem Ausmaß angenommen hätte, dass dadurch eine so intensive "westliche Orientierung" vorliegen würden, dass deren Aufgabe für sie entweder unmöglich wäre oder ihr einen unzumutbaren Leidensdruck auferlegen würde.

Nicht festgestellt werden kann, dass eine ausgeprägte und verfestigte Integration der Beschwerdeführer in Österreich vorliegt. Die Beschwerdeführer leben seit der Antragstellung am 28.10.2015 bzw. 14.02.2018 auf der Grundlage einer vorläufigen Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz in Österreich. Ein nicht auf das Asylgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht ist nicht ersichtlich. Die Beschwerdeführer beziehen Leistungen aus der Grundversorgung und sind nicht selbsterhaltungsfähig. Der BF1 wurde mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX , wegen § 218 Abs. 1 Z. 2 StGB und § 107 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 5 Monaten, bedingt unter einer Probezeit von 3 Jahren verurteilt. Weiters wurde er in der Schweiz wegen gewerbsmäßigen Diebstahls und Diebstahls im Rahmen einer kriminellen Vereinigung rechtskräftig verurteilt. Die BF2 ist unbescholten. Der BF1 und die BF2 gehen derzeit keiner beruflichen Tätigkeit nach und verfügen auch nicht über eine Einstellungszusage. Der BF1 hat einen Alphabetisierungskurs für Deutsch absolviert. Die BF2 hat an einem Deutschkurs auf dem Niveau A1 teilgenommen. Der mj. BF3 besucht in Österreich die 1. Klasse Volksschule. Der mj. BF4 besucht in Österreich den Kindergarten. Die Beschwerdeführer sind in keinem Verein aktiv. Die Beschwerdeführer verfügen im Herkunftsstaat noch über familiäre Anknüpfungspunkte insofern, als jedenfalls ein Onkel sowie eine Schwester des BF1 noch in Afghanistan leben. Zu diesem besteht jedoch kein Kontakt. Es können keine nennenswerten Anknüpfungspunkte sozialer und wirtschaftlicher Natur zu Österreich festgestellt werden.

1.2. Feststellungen zum Herkunftsstaat:

1.2. Feststellungen zum Herkunftsstaat:

1.2.1. Dem Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht wurden zugrunde gelegt:

(Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018):

Politische Lage

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung ausgearbeitet und im Jahr 2004 angenommen (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. Casolino 2011). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahr 1964. Bei der Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015).

Nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2014 einigten sich die beiden Kandidaten Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah Mitte 2014 auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) (AM 2015; vgl. DW 30.9.2014). Mit dem RNE-Abkommen vom 21.9.2014 wurde neben dem Amt des Präsidenten der Posten des CEO (Chief Executive Officer) eingeführt, dessen Befugnisse jenen eines Premierministers entsprechen. Über die genaue Gestalt und Institutionalisierung des Postens des CEO muss noch eine loya jirga [Anm.: größte nationale Versammlung zur Klärung von wichtigen politischen bzw. verfassungsrelevanten Fragen] entscheiden (AAN 13.2.2015; vgl. AAN o. D.), doch die Einberufung einer loya jirga hängt von der Abhaltung von Wahlen ab (CRS 13.12.2017).

Die afghanische Innenpolitik war daraufhin von langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Regierungslagern unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah geprägt. Kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 wurden schließlich alle Ministerämter besetzt (AA 9.2016).

Parlament und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus dem Unterhaus, auch wolesi jirga, "Kammer des Volkes", genannt, und dem Oberhaus, mes

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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