Entscheidungsdatum
19.09.2018Norm
AsylG 2005 §7 Abs1 Z1Spruch
G304 1425776-2/2E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Beatrix LEHNER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA. Irak, vertreten durch RA Kanzlei G&L Rechtsanwälte, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.05.2018, Zl. XXXX, beschlossen:
A)
In Erledigung der Beschwerde wird der angefochten Bescheid aufgehoben und die Angelegenheiten gemäß § 28 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 (VwGVG), zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 (B-VG), in der Fassung BGBl. I Nr. 51/2012, nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang:
1. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (Im Folgenden: belangte Behörde) vom 09.05.2018 wurde der dem BF mit Bescheid vom 25.01.2013, Zl. 11 14.661-BAW, zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z. 1 AsylG 2005 aberkannt und gemäß § 7 Abs. 4 AsylG festgestellt, dass dem BF die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukommt (Spruchpunkt I.), dem BF gemäß § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.), dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gegen den BF gemäß § 10 Abs. 1 Z. 4 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 3 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.), die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des BF aus dem österreichischen Bundesgebiet in den Irak gemäß § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 AsylG und § 52 Abs, 9 FPG für unzulässig erklärt (Spruchpunkt V.), festgestellt, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise des BF 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.) und gegen den BF gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z. 1 FPG ein auf die Dauer von sechs Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).
2. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben.
3. Am 04.06.2018 langte beim Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) die gegenständliche Beschwerde samt dazugehörigem Verwaltungsakt ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz, BGBl. I Nr. 10/2013 (BVwGG), entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt Einzelrichterzuständigkeit vor.
Gemäß § 1 VwGVG regelt dieses Bundesgesetz das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes.
Entgegenstehende Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht sind, bleiben unberührt
(§ 58 Abs. 2 VwGVG, in der Fassung BGBl. I Nr. 122/2013).
Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen (§ 28 Abs. 1 VwGVG). Soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist, erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss (§ 31 Abs. 1 VwGVG).
Zu A)
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Wie eben ausgeführt, ist gemäß § 17 VwGVG der IV. Teils des AVG und somit auch
§ 66 Abs. 2 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetzt 1991, BGBl. Nr. 51/1991 (AVG), in der Fassung BGBl. I Nr. 158/1998, nicht anzuwenden.
Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (§ 28 Abs. 2 VwGVG).
Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht.
Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist (§ 28 Abs. 3 VwGVG).
Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraus (Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren, Stand der Rechtslage 01.01.2014, § 28 VwGVG, Anmerkung 11).
§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.
Aus der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu der vergleichbaren Bestimmung des
§ 66 Abs. 2 AVG ergibt sich, dass nur Mängel der Sachverhaltsfeststellung d.h. im Tatsachenbereich zur Behebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit berechtigen (vgl. VwGH 19.01.2009, 2008/07/0168; VwGH 23.05.1985, 84/08/0085).
Der Verwaltungsgerichtshof hat mit den Erkenntnissen vom 21.11.2002, 2002/20/0315 und 2000/20/0084, grundsätzliche Ausführungen zur Anwendbarkeit des § 66 Abs. 2 AVG im Asylverfahren im Allgemeinen und durch den Unabhängigen Bundesasylsenat im Besonderen getätigt.
Dabei hat er im letztgenannten Erkenntnis insbesondere ausgeführt:
"Bei der Abwägung der für und gegen eine Entscheidung gemäß § 66 Abs. 2 AVG sprechenden Gesichtspunkte muss nämlich auch berücksichtigt werden, dass das Asylverfahren nicht nur möglichst kurz sein soll. Zur Sicherung seiner Qualität hat der Gesetzgeber einen Instanzenzug vorgesehen, der zur belangten Behörde und somit zu einer gerichtsähnlichen, unparteilichen und unabhängigen Instanz als besonderem Garanten eines fairen Asylverfahrens führt (vgl. bereits das Erkenntnis vom 16. April 2002, Zahl 99/20/0430). Die der belangten Behörde in dieser Funktion schon nach der Verfassung zukommende Rolle einer obersten Berufungsbehörde (Art. 129c 1 B-VG) wird aber ausgehöhlt und die Einräumung eines Instanzenzuges zur bloßen Formsache degradiert, wenn sich das Asylverfahren einem eininstanzlichen Verfahren vor der Berufungsbehörde nähert, weil es das Bundesasylamt ablehnt, auf das Vorbringen sachgerecht einzugehen und brauchbare Ermittlungsergebnisse in Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen. Diese über die Unvollständigkeit der Einvernahme hinaus gehenden Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens sprechen auch bei Bedachtnahme auf die mögliche Verlängerung des Gesamtverfahrens unter dem Gesichtspunkt, dass eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst bei der "obersten Berufungsbehörde" beginnen und zugleich - abgesehen von der im Sachverhalt beschränkten Kontrolle der letztinstanzlichen Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof - bei derselben Behörde enden soll, für die mit der Amtsbeschwerde bekämpfte Entscheidung."
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063-4, unter anderem ausgeführt, dass gemäß den Bestimmungen des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG bereits nach dem Wortlaut die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht nicht in Betracht kommt, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht (vgl. auch Art. 130 Abs. 4 Z 1 BVG). Dies wird jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt. Weiters wird zusammengefasst ausgeführt, dass auch eine an der verfassungsrechtlichen Vorgabe des Art. 130 Abs. 4 B-VG orientierte Auslegung ergibt, dass eine Aufhebung des Bescheides der Verwaltungsbehörde jedenfalls erst dann in Betracht kommt, wenn die in § 28 Abs. 2 VwGVG normierten Voraussetzungen, die eine Pflicht des Verwaltungsgerichtes zur "Entscheidung in der Sache selbst" nach sich ziehen, nicht vorliegen. Aus den im Erkenntnis wiedergegeben Gesetzesmaterialien zur Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 ist ersichtlich, dass dem Verwaltungsgericht in den in Art. 130 Abs. 4 B-VG vorgesehenen und in § 28 Abs. 2 VwGVG angeordneten Fällen eine kassatorische Entscheidung nicht offensteht. Damit normiere § 28 VwGVG für die überwiegende Anzahl der Fälle die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte, in der Sache selbst zu entscheiden. Derart wird (wie erwähnt) der sich schon aus Art. 130 Abs. 4 B-VG ergebenden Zielsetzung, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst entscheiden sollen, Rechnung getragen. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht, vgl. Holoubek, Kognitionsbefugnis, Beschwerdelegitimation und Beschwerdegegenstand, in: Holoubek/Lang (Hrsg.), Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, erster Instanz, 2013, Seite 127, Seite 137; siehe schon Merli, Die Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte erster Instanz, in: Holoubek/Lang (Hrsg), Die Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz, 2008, Seite 65, Seite 73 f).
Der angefochtene Bescheid erweist sich in Bezug auf den ermittelten Sachverhalt als mangelhaft, die aus folgenden Gründen:
Der Status des Asylberechtigten ist einem Fremden von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn
1. ein Asylausschlussgrund nach § 6 vorliegt;
2. einer der in Art. 1 Abschnitt C der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Endigungsgründe eingetreten ist oder
3. der Asylberechtigte den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in einem anderen Staat hat (§ 7 AsylG).
Im gegenständlichen Fall legte die belangte Behörde der Entscheidung § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG zu Grunde, welcher - wie oben angeführt - auf § 6 AsylG verweist.
Gemäß § 6 Abs. 1 AsylG ist ein Fremder von der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ausgeschlossen, wenn
1. und so lange er Schutz gemäß Art. 1 Abschnitt D der Genfer Flüchtlingskonvention genießt;
2. einer der in Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Ausschlussgründe vorliegt;
3. er aus gewichtigen Gründen eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt oder
4. er von einem inländischen Gericht wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden ist und wegen dieses strafbaren Verhaltens eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeutet. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB, BGBl. Nr. 60/1974, entspricht.
Wenn ein Ausschlussgrund nach Abs. 1 vorliegt, kann der Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ohne weitere Prüfung abgewiesen werden. § 8 gilt (§ 6 Abs. 2 AsylG).
Für die hier vorliegenden Fälle - bei denen die belangte Behörde die Entscheidungen auf den Aberkennungstatbestand des § 7 Abs. 1 Z 1 in Verbindung mit § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG stützte - müssen wegen der wörtlich gleichen Voraussetzungen die gleichen Maßstäbe gelten, auf die sich die Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes in den bisherigen Vorerkenntnissen (VwGH 06.10.1999, 99/01/0288, 24.11.1999, 99/01/0314, 12.09.2002, 99/20/0532) zu
§ 13 Abs. 2 zweiter Fall Asylgesetz 1997 bezogen haben (vgl. VwGH 03.12.2002, 99/01/0449).
Wie der Verwaltungsgerichtshof - erstmals - in seinem Erkenntnis vom 06.10.1999, 99/01/0288, unter Hinweis auf Art. 33 Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention ausgeführt hat, müssen nach "internationaler Literatur und Judikatur" kumulativ vier Voraussetzungen erfüllt sein, damit ein Flüchtling trotz drohender Verfolgung in den Heimat- oder Herkunftsstaat verbracht werden darf. Er muss
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ein besonders schweres Verbrechen verübt haben, dafür
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rechtskräftig verurteilt worden,
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gemeingefährlich sein und
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es müssen die öffentlichen Interessen an der Rückschiebung die Interessen des Flüchtlings am Weiterbestehen des Schutzes durch den Zufluchtsstaat überwiegen.
Wie der Verwaltungsgerichtshof in diesem Erkenntnis zur Auslegung des Begriffs "besonders schweres Verbrechen" ausgeführt hat, genüge es allerdings nicht, dass der Antragsteller ein abstrakt als schwer einzustufendes Delikt verübt habe. Die Tat müsse sich im konkreten Einzelfall als objektiv und subjektiv besonders schwerwiegend erweisen. Milderungsgründe, Schuldausschließungsgründe und Rechtfertigungsgründe seien zu berücksichtigen.
Der Verwaltungsgerichtshof fügte seiner im Erkenntnis 99/01/0288 getroffenen Festlegung des Drogenhandels als "typischerweise besonders schweres Verbrechen" im ebenfalls bereits zitierten Erkenntnis vom 03.12.2002, 99/01/0449, zur Frage, wann denn nun ein solches "typischerweise besonders schweres Verbrechen" ausreichend sei, um "besonders schwer" zu sein, "illustrativ" hinzu, in der Bundesrepublik Deutschland sei etwa für den auf Art. 33 Abs. 2 zweiter Fall Genfer Flüchtlingskonvention bezogenen Tatbestand in
§ 51 Abs. 3 dAuslG mit Gesetz vom 29. Oktober 1997 das Erfordernis einer rechtskräftigen Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren normiert worden. Die in der Folge seitens des Verwaltungsgerichtshofes illustrativ angeführten - aus der deutschen Judikatur vor dieser erwähnten Gesetzesänderung, welche die Präzisierung von drei Jahren mit sich brachte, herrührenden - Beispiele reichen von Verurteilungen zu fünf Jahren Freiheitsstrafe wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Heroin, zu fünf Jahren Gesamtfreiheitsstrafe wegen unerlaubten Handeltreibens mit Heroin in nicht geringer Menge und unerlaubten Führens einer Schusswaffe, zu vier Jahren und neun Monaten Freiheitsstrafe wegen Handeltreibens mit Kokain bis zu vier Jahren und vier Monaten Gesamtfreiheitsstrafe wegen Handeltreibens mit Heroin, bei welchen das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 51 Abs. 3 dAuslG verneint worden sei.
In der Regierungsvorlage zum AsylG wird zu § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG, auf welchen
§ 7 Abs. 1 Z 1 AsylG u.a. verweist, erläuternd - wenngleich nur demonstrativ - Folgendes ausgeführt: "Die Z 3 und 4 des Abs. 1 entsprechen inhaltlich dem bisherigen
§ 13 Abs. 2 AsylG. Unter den Begriff "besonders schweres Verbrechen" fallen nach Kälin, Grundriss des Asylverfahrens (1990), S. 182 und 228 (ua. mit Hinweis auf den UNHCR) und Rohrböck, (Das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl [1999] Rz 455, mit weiteren Hinweisen auf die internationale Lehre), nach herrschender Lehre des Völkerrechts nur Straftaten, die objektiv besonders wichtige Rechtsgüter verletzen. Typischerweise schwere Verbrechen sind etwa Tötungsdelikte, Vergewaltigung, Kindesmisshandlung, Brandstiftung, Drogenhandel, bewaffneter Raub und dergleichen (vgl. VwGH 10.06.1999, 99/01/0288). Zu denken wäre aber auch - auf Grund der Gefährlichkeit und Verwerflichkeit an besondere Formen der Schlepperei, bei der es zu einer erheblichen Gefährdung, nicht unbedeutenden Verletzung oder gar Tötung oder während der es zu erheblichen - mit Folter vergleichbaren Eingriffen in die Rechte der Geschleppten kommt. Die aktuelle Judikatur in Österreich, wie in anderen Mitgliedstaaten der Genfer Flüchtlingskonvention, verdeutlicht, dass der aus dem Jahre 1951 stammende Begriff des "besonders schweren Verbrechens" des Art. 33 Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention einer Anpassung an sich ändernde gesellschaftliche Normenvorstellungen zugänglich ist."
Wie der Verwaltungsgerichtshof im bereits zitierten Erkenntnis vom 06.10.1999, 99/01/0288, darüber hinaus ausgeführt hat, sei als letzter Punkt der kumulativ erforderlichen vier Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Zurückverbringung eine Güterabwägung vorzunehmen, ob die Interessen des Zufluchtsstaates jene des Flüchtlings überwiegen würden. Bei dieser Güterabwägung sei die Verwerflichkeit eines Verbrechens und die potenzielle Gefahr für die Allgemeinheit den Schutzinteressen des Asylwerbers beinhaltend das Ausmaß und die Art der ihm drohenden Maßnahmen gegenüber zu stellen. In diesem Zusammenhang tätigte der Verwaltungsgerichtshof in diesem Erkenntnis weiters die Anmerkung, wenn der Asylwerber mit Folter oder Tod zu rechnen habe, würden die öffentlichen Interessen an der Nichtasylgewährung "eher selten" die individuellen Schutzinteressen überwiegen, in solchen Fällen sei sogar Kriminellen Asyl zu gewähren, wenn ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung droht.
Mit Spruchpunkt I. des gegenständlich angefochtenen Bescheides wurde der dem BF mit Bescheid vom 25.01.2013 zuerkannte Status des Asylberechtigten aberkannt und für diese Aberkennung im Wesentlichen begründend ausgeführt:
"In Anbetracht der schwerwiegenden Tat, (Suchtgifthandel mit der Absicht sich durch die wiederkehrende und andauernde Abwicklung, wenn möglich im großen Stil, eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen) ist es offensichtlich, dass Sie eine aktuelle gesellschaftliche Gefährdung darstellen. Aufgrund des Sachverhaltes, den schriftlichen Ausführungen des Urteils und der Rechtssätze wird festgestellt, dass es sich bei der Tat um ein besonders schweres Verbrechen handelt und Sie als ein gemeingefährlicher Täter angesehen werden können."
Eine für - eine Aberkennung - notwendige Gemeingefährlichkeit ist jedoch nur anhand einer Zukunftsprognose zu eruieren. Hierbei kommt es auf das gesamte Verhalten des BF an. Es sind seine Einstellung während der Dauer des Aufenthaltes gegenüber dem Staat bzw. der Bürger dieses und seine in diesem Zeitraum gesetzten Handlungen maßgeblich, welche geeignet sind, das ordentliche und sichere Zusammenleben der Gemeinschaft zu gefährden (vgl. VwGH 06.10.1999, Zl. 99/01/0288).
Die belangte Behörde hat jedenfalls umfassende Feststellungen, die die nach § 6 Abs. 1 Z. 4 AsylG gebotene Prognoseentscheidung betreffend die vom BF ausgehende Gefahr in gesetzmäßiger Weise ermöglicht hätten (VwGH 05.04.2018, Zl. Ra 2017/19/0531), unterlassen und sich hinsichtlich der von ihr festgestellten Gemeingefährlichkeit nur auf die strafrechtliche Verurteilung des BF und den dieser Verurteilung zugrundeliegenden Suchtgifthandel gestützt.
Bei der Prüfung, ob tatsächlich Gemeingefährlichkeit des BF vorliegt, ist auch zu berücksichtigen, dass der BF im August 2015 bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren aus der Freiheitsstrafe entlassen, die ausgesprochene Probezeit der bedingten Entlassung im Oktober 2016 auf eine Probezeit von insgesamt fünf Jahre verlängert wurde, und der BF im Mai 2017 erneut rechtskräftig - wenn auch wegen eines anderen als der Asylaberkennung zugrunde gelegten Delikts - versuchter Körperverletzung - und wenn auch nur zu einer Geldstrafe, strafrechtlich verurteilt wurde.
Abgesehen davon, dass der Entscheidung des VwGH vom 06.10.1999, 99/01/0288, zufolge ein Flüchtling trotz drohender Verfolgung in den Heimat- oder Herkunftsstaat nur verbracht werden darf, wenn dieser ein besonders schweres Verbrechen verübt hat, deswegen bereits rechtskräftig verurteilt wurde und gemeingefährlich ist, müssen zusätzlich noch die öffentlichen Interessen an der Rückschiebung die Interessen des Flüchtlings am Weiterbestehen des Schutzes durch den Zufluchtsstaat überwiegen.
Das BFA stellte im angefochtenen Bescheid fest, dass der BF staatenlos ist und der palästinensischen Volksgruppe angehöre. Die belangte Behörde hat zuvor allgemeine Feststellungen zur Volksgruppe der Palästinenser, nicht jedoch zur Stellung staatenloser Palästinenser in der Herkunftsregion des BF bezogen, getroffen.
Dies wäre jedoch erforderlich gewesen, um in einem nächsten Schritt prüfen zu können, ob und inwieweit staatenlose Palästinenser, die den Irak bereits verlassen haben, im Falle einer Rückkehr in den Irak einer asylrechtlich relevanten Gefährdung ausgesetzt sein könnten.
Es waren daher noch weitere Ermittlungen erforderlich, um feststellen zu können, ob die Voraussetzungen für die Aberkennung des Asylberechtigten tatsächlich gegeben sind.
Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Ermittlung und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das BVwG kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen.
Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das BVwG "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - nicht ersichtlich.
Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit nicht gegeben.
Da der maßgebliche Sachverhalt noch nicht feststeht, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheide der belangten Behörde gemäß
§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985, BGBl. Nr. 10/1985 (VwGG), in der Fassung BGBl. I Nr. 33/2013, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Im konkreten Fall ist die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG, in der Fassung BGBl. I Nr. 51/2012, nicht zulässig weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Dieser Beschluss beschäftigt sich vor allem damit, dass es bei der Feststellung von Tatsachen beim Bundesasylamt besonders gravierende Ermittlungslücken gegeben hat und es ergaben sich im Lauf des Verfahrens keine Hinweise auf das Vorliegen von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung.
In den rechtlichen Ausführungen zu Spruchteil A wurde ausführlich unter Bezugnahme auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ausgeführt, dass im Verfahren beim Bundesamt notwendige Ermittlungen unterlassen wurden. Betreffend die Anwendbarkeit des
§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG im gegenständlichen Fall liegt keine grundsätzliche Rechtsfrage vor, weil § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG inhaltlich § 66 Abs. 2 AVG (mit Ausnahme des Wegfalls des Erfordernisses der Durchführung einer mündlichen Verhandlung) entspricht und zusätzlich zur bisherigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes betreffend die Zurückverweisung wegen mangelhafter Sachverhaltsermittlungen auch das Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063-4, heranzuziehen ist. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Im Übrigen trifft
§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG eine klare im Sinne einer eindeutigen Regelung (vgl. OGH 22.03.1992, 5 Ob 105/90), weshalb keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vorliegt.
Schlagworte
Aberkennung des Status des Asylberechtigten, Ermittlungspflicht,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:G304.1425776.2.00Zuletzt aktualisiert am
10.01.2019