TE Bvwg Erkenntnis 2018/10/5 W239 2164787-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 05.10.2018
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Entscheidungsdatum

05.10.2018

Norm

AsylG 2005 §5
BFA-VG §21 Abs5 Satz1
B-VG Art.133 Abs4
FPG §61

Spruch

W239 2137193-2/7E

W239 2137191-2/7E

W239 2137197-2/7E

W239 2137192-2/7E

W239 2137195-2/7E

W239 2164787-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Theresa BAUMANN als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1.) XXXX, geb. XXXX, 2.) XXXX, geb. XXXX, 3.) mj. XXXX, geb.XXXX, 4.) mj. XXXX, geb. XXXX, 5.) mj. XXXX, geb. XXXX, und 6.) mj. XXXX, geb. XXXX, alle StA. Russische Föderation, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.07.2017 zu den Zahlen 1.) XXXX, 2.) XXXX, 3.) XXXX, 4.) XXXX, 5.) XXXX, und 6.) XXXX, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerden werden gemäß § 5 AsylG 2005 und § 61 FPG als unbegründet abgewiesen.

Gemäß § 21 Abs. 5 erster Satz BFA-VG wird festgestellt, dass die Anordnung zur Außerlandesbringung zum Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Bescheide rechtmäßig war.

B)

Die ordentliche Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Erstbeschwerdeführer (XXXX) reiste zusammen mit seiner Ehegattin, der Zweitbeschwerdeführerin (XXXX), und den gemeinsamen minderjährigen Kindern, dem Drittbeschwerdeführer (XXXX), dem Viertbeschwerdeführer (XXXX) und der Fünftbeschwerdeführerin (XXXX), ins österreichische Bundesgebiet ein; sie stellten hier am 05.04.2016 im Rahmen eines Familienverfahrens Anträge auf internationalen Schutz. Die Zweitbeschwerdeführerin ist die gesetzliche Vertreterin der minderjährigen Kinder.

Eine EURODAC-Abfrage ergab, dass die Beschwerdeführer zuvor am 01.04.2016 in Polen um internationalem Schutz angesucht hatten.

Im Zuge der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gaben der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin am 05.04.2016 zusammengefasst zu Protokoll, sie seien am 31.03.2016 legal aus der Russischen Föderation über Weißrussland nach Polen ausgereist. In Polen seien sie gezwungen worden, einen Asylantrag zu stellen. Nach zwei Tagen seien sie nach Österreich weitergefahren, da sie nicht in Polen hätten bleiben wollen und Österreich ihr Zielland gewesen sei. Ein Onkel des Erstbeschwerdeführers sei ebenfalls in Österreich aufhältig.

In weiterer Folge richtete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) am 14.04.2016 bezüglich aller Beschwerdeführer auf Art. 18 Abs. 1 lit. b der Verordnung Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin-III-VO) gestützte Wiederaufnahmeersuchen an Polen. Mit Schreiben vom 20.04.2016 stimmte die polnische Dublin-Behörde der Wiederaufnahme der Beschwerdeführer gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. c Dublin-III-VO ausdrücklich zu.

Nach durchgeführter Rechtsberatung und in Anwesenheit eines Rechtsberaters erfolgte am 21.07.2016 die niederschriftliche Einvernahme des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin vor dem BFA.

Dabei gab der Erstbeschwerdeführer unter anderem an, es seien in Österreich noch sein Onkel und eine Tante der Zweitbeschwerdeführerin aufhältig, mit denen sie weder im gemeinsamen Haushalt wohnen würden, noch von ihnen finanziell abhängig seien; sie stünden allerdings jeden Tag in Kontakt und die Angehörigen seien eine große Stütze. Nach Polen wolle der Erstbeschwerdeführer nicht, da er dort keine Angehörigen habe. Außerdem habe er gehört, dass es in Polen Informanten gebe, weswegen es für ihn dort aufgrund seiner Probleme im Herkunftsstaat gefährlich sei. Österreich sei dagegen ein gutes Land und man helfe ihm auch gesundheitlich. So sei ihm eine Brille verordnet worden und er nehme wegen Problemen mit den Ohren und den Nerven verschiedene Medikamente. Vorgelegt wurde diesbezüglich ein psychiatrischer Befund des Vereins OMEGA vom 24.06.2016, mit der Diagnose "schwere posttraumatische Belastungsstörung", sowie eine Überweisung wegen Überlastungssyndrom und schwere posttraumatische Belastungsstörung. Zu den Verhältnissen in Polen erklärte der Erstbeschwerdeführer, er könne dazu nichts angeben, da er dort nicht gelebt habe.

Die Zweitbeschwerdeführerin führte unter anderem aus, dass sie nicht nach Polen zurückkönnten, da man dort den Erstbeschwerdeführer leichter finden könne, als in Österreich. Es habe diesbezüglich keinen Vorfall gegeben, da sie nur zwei Tage in Polen aufhältig gewesen seien. Sie könne deshalb auch nichts über Polen sagen.

Der anwesende Rechtsberater beantragte die Zulassung des Verfahrens in Österreich, und zwar aufgrund des vorliegenden Befundes betreffend den Erstbeschwerdeführer und aufgrund des Umstandes, dass die Zweitbeschwerdeführerin im vierten Monat schwanger sei. Eine Überstellung nach Polen sei keinesfalls im Sinne des Kindeswohls. Außerdem hätten sich die minderjährigen Kinder in Österreich bereits gut eingelebt und es entspreche nicht dem Kindeswohl, wenn diese aus ihrem vertrauten Umfeld herausgerissen würden. Zudem seien die in Österreich aufhältigen Verwandten eine große Stütze für die Beschwerdeführer, sodass Österreich vom Selbsteintritt Gebrauch zu machen habe.

In der gutachterlichen Stellungnahme im Zulassungsverfahren vom 21.08.2016 wurde beim Erstbeschwerdeführer der Verdacht auf ein Posttraumatisches Belastungssyndrom (PTBS) in Teil-Remission diagnostiziert. Betreffend die Zweitbeschwerdeführerin wurde ein ambulanter Arztbrief vom 27.07.2016 mit den Diagnosen "Panikattacken, Angstzustände und Verdacht auf PTBS" sowie die Kopie vom Mutter-Kind-Pass vorgelegt.

Mit Bescheiden des BFA vom 23.09.2016 wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und es wurde ausgesprochen, dass Polen gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. c Dublin-III-VO für die Prüfung dieser Anträge zuständig sei (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gegen die Beschwerdeführer gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gemäß § 61 Abs. 2 Z 1 FPG eine Abschiebung der Beschwerdeführer nach Polen zulässig sei (Spruchpunkt II.).

Mit Eingabe vom 10.10.2016 wurde ein Schreiben des Frauenarztes der Zweitbeschwerdeführerin vorgelegt, wonach von einem weiteren Transportweg der Zweitbeschwerdeführerin Abstand zu nehmen sei. Mit Eingabe vom 01.12.2016 wurde betreffend den Erstbeschwerdeführer ein psychiatrischer Befund des Vereins OMEGA vom 21.11.2016 vorgelegt, mit der Diagnose: "Schwere posttraumatische Belastungsstörung".

Die gegen die Bescheide des BFA fristgerecht erhobenen Beschwerden wurden mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 05.12.2016 gemäß § 5 Asyl 2005 und § 61 FPG 2005 als unbegründet abgewiesen. Gemäß § 61 Abs. 3 FPG 2005 wurde die Durchführung der Außerlandesbringung der Beschwerdeführer bis acht Wochen nach der Geburt des Kindes der Zweitbeschwerdeführerin aufgeschoben. Dieses Erkenntnis erwuchs mit 07.12.2016 in Rechtskraft.

Zuvor war den Beschwerden seitens des Bundesverwaltungsgerichtes mit Beschluss vom 17.10.2016 die aufschiebende Wirkung zuerkannt worden. Das BFA setzte die polnische Dublin-Behörde mit Schreiben vom 19.10.2016 von diesem Umstand in Kenntnis. Anschließend wurde Polen darüber informiert, dass das Bundesverwaltungsgericht am 05.12.2016 eine Entscheidung getroffen habe, sodass die sechsmonatige Überstellungsfrist mit diesem Datum zu laufen beginne.

Am XXXX wurde der Sechsbeschwerdeführer (XXXX) geboren.

Mit Schreiben vom 15.03.2017 wurde die polnische Dublin-Behörde darüber informiert, dass die Beschwerdeführer flüchtig seien, sodass sich die Überstellungsfrist gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin-III-VO auf 18 Monate verlängert habe.

2. Im nunmehr gegenständlichen Verfahren stellten die Beschwerdeführer am 15.05.2017 im Rahmen eines Familienverfahrens neuerlich Anträge auf internationalen Schutz; der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin gaben an, dass ihre Angaben auch für ihre minderjährigen Kinder gelten würden.

Am selben Tag (15.05.2017) wurde eine Erstbefragung des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes durchgeführt. Im Rahmen dessen wurden ihnen vorgehalten, dass sie in Österreich eine Rückkehrberatung in Anspruch genommen hätten und eigentlich nach Moskau ausreisen hätten sollen. Nachgefragt, weshalb es letztlich nicht zu dieser freiwilligen Ausreise gekommen sei, gaben der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin übereinstimmend an, die Mutter des Erstbeschwerdeführers habe ihnen telefonisch Bescheid gegeben, dass sich die Situation zuhause verschlechtert habe. Der Erstbeschwerdeführer sei in Tschetschenien wieder gesucht worden. Die Beschwerdeführer hätten bereits Flugtickets für die Rückreise nach Hause gehabt, hätten die Reise aber wegen des Anrufes nicht angetreten. Am selben Tag seien sie dann nach Deutschland ausgereist, weil sie Angst gehabt hätten, ansonsten nach Polen abgeschoben zu werden. Sie seien von 07.03.2017 bis 28.03.2017 in Deutschland gewesen und würden sich seit 12.05.2017 wieder in Österreich aufhalten. In Deutschland hätten sie einen negativen Bescheid bekommen, infolge dessen sie nach Polen abgeschoben hätten werden sollen. Die Beschwerde dagegen sei kostenpflichtig gewesen und man habe ihnen bei einer Beratungsstelle gesagt, dass eine Beschwerde auch nicht erfolgsversprechend sei. Daher seien sie wieder nach Österreich zurückgekommen.

Nachgefragt, was gegen eine Überstellung der Familie nach Polen spreche, erklärten die Beschwerdeführer, dass sie sich in Polen nicht sicher gefühlt hätten, da russische Staatsbürger ohne Probleme nach Polen einreisen könnten. Außerdem würden alle Verwandten des Erstbeschwerdeführers in Österreich leben.

Unter "sonstige sachdienliche Hinweise" wurde im Protokoll der Niederschrift des Erstbeschwerdeführers vermerkt, dass dieser auf seinem Smartphone zwei gespeicherte Ablichtungen von einer "Aufforderung vom 14.12.2016" und von einer handschriftlichen "Aufforderung vom 08.12.2016" vorzeigte. Laut diesen Aufforderungen sei er "Verdächtiger zu § 188 UPK-RF Strafhaft" und müsse zur Aufnahme einer Niederschrift bei der russischen Polizei erscheinen. Der Erstbeschwerdeführer gab dazu an, dass die Aufforderungen seiner Mutter in Tschetschenien zugestellt worden seien. Seine Mutter habe die Dokumente einer Bekannten mitgegeben, die nach Österreich gefahren sei. Die Dokumente seien jetzt bei seiner Tante in Graz; er selbst habe die Aufforderungen noch nicht im Original gesehen.

3. Nach durchgeführter Rechtsberatung und in Anwesenheit eines Rechtsberaters erfolgte am 22.06.2017 die niederschriftliche Einvernahme des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin vor dem BFA. Beide gaben an, sich körperlich und geistig dazu in der Lage zu sehen, die Befragung durchzuführen. Der Erstbeschwerdeführer legte diverse russische Dokumente vor, die in Kopie zum Akt genommen wurden.

Eingangs wurde dem Erstbeschwerdeführer vorgehalten, dass er bereits am 05.04.2016 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe, der - auch in zweiter Instanz rechtskräftig - zurückgewiesen worden sei, weil die Zuständigkeit Polens feststehe. Auch die deutschen Behörden hätten eine Zuständigkeit Polens festgestellt. Zur Frage, weshalb er jetzt erneut einen Antrag stelle, erklärte er, dass er gar nicht nach Deutschland habe fahren wollen. Er habe keine Gesetze brechen wollen. Sein Begehren für "Asylstopp" habe er zurückgezogen. Er habe Angst gehabt, dass man sie gleich nach Polen abschiebe, deshalb seien sie nach Deutschland gereist. Hier in Österreich habe er einen Onkel und eine Tante und auch Bewohner aus seinem Dorf und Bekannte. Er habe wirklich nach Hause zurückkehren wollen, das wolle er immer noch, aber er habe Angst.

Betreffend die in Österreich lebenden Angehörigen sei alles gleichgeblieben; er habe hier einen Onkel und eine Tante. Betreffend seine gesundheitliche Situation erklärte der Erstbeschwerdeführer, dass seine Sehkraft und sein Gehör verloren gingen, wegen der Sorgen, die er sich mache. Er habe keine Nerven mehr. Er habe früher durch eine Druckwelle eine Verletzung erlitten. Nachgefragt, welche Verletzung das seien, meinte er, dass er das als Beispiel dafür gesagt habe, was tatsächlich geschehen sei. Er sei in Tschetschenien zusammengeschlagen worden. Er sei traumatisiert.

Vorgehalten, dass beabsichtigt sei, ihn aufgrund der vorliegenden Zustimmung Polens zur inhaltlichen Führung seines Verfahrens dorthin außer Landes zu bringen, brachte der Erstbeschwerdeführer Folgendes vor: Falls sie nach Polen abgeschoben würden, kämen sie bestimmt in eine geschlossene Einrichtung. Die polnischen Behörden würden massenhaft Flüchtlinge nach Russland zurückschieben. Er habe vier Kinder. Er wolle, dass seine Kinder in einer ruhigen Gegend aufwachsen. Er wolle nicht, dass sie diesem Stress ausgesetzt seien. Er wolle einfach ruhig leben können. Er habe zuvor nie finanzielle Probleme gehabt, er sei nicht wegen des Geldes hierhergekommen, sondern, um Schutz zu bekommen. Wenn die Probleme zuhause gelöst seien, dann werde er wieder zurückfahren. Er wolle hier in Österreich bleiben, weil er hier Verwandte und Bekannte habe. Zu den Länderfeststellungen zu Polen wolle er keine Stellungnahme abgegeben.

Über Nachfrage des anwesenden Rechtsberaters führte der Erstbeschwerdeführer aus, dass er insofern von seinen Verwandten unterstützt werde, als sie ihm erklären würden, was man hier machen dürfe und was nicht bzw. wie die gesetzliche Lage sei. Der Rechtsberater beantragt abschließend, vom Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen und die Verfahren in Österreich zuzulassen. Jedenfalls sei eine Einzelfallzusicherung zur Versorgung von Polen einzuholen.

Die Zweitbeschwerdeführerin gab zu Beginn gegenüber dem BFA an, dass ihre Angaben auch für ihre minderjährigen Kinder gelten würden. Gesundheitlich sei beim zuletzt geborenen Sechsbeschwerdeführer alles wieder normal. Die Ärzte hätten gesagt, dass das Baby einen Herzfehler gehabt habe, aber das Loch sei wieder zugewachsen und es sei alles in Ordnung.

Vorgehalten, weshalb sie erneut einen Antrag auf internationalen Schutz stelle, obwohl die Zuständigkeit Polens zuvor bereits rechtskräftig festgestellt worden sei, erklärte die Zweitbeschwerdeführerin, dass es für sie zu gefährlich sei, nach Hause zu fahren. Aber auch in Polen sei es zu unsicher. Nachgefragt, was sie damit meine, gab sie an, dass die Verfolger sie dort eher erreichen könnten. Sie habe gehört, dass es dort geschlossenen Einrichtungen gebe, von wo man direkt nach Russland abgeschoben werde. Außerdem hätten sie gehört, dass die tschetschenischen Behördenmitarbeiter sich versteckt in Polen aufhalten würden. Sie habe Angst, dass ihr Mann in Polen getötet werde. Hier fühle sie sich sicher. Zur Frage, ob in Polen etwas Konkretes vorgefallen sei, gab sie an, in Polen nicht, aber in Tschetschenien.

Betreffend die in Österreich lebenden Angehörigen hätten sich keine Änderungen ergeben; betreffend ihre gesundheitliche Situation sei nur Unruhe dazugekommen, sonst nichts.

Vorgehalten, dass beabsichtigt sei, sie aufgrund der vorliegenden Zustimmung Polens zur inhaltlichen Führung ihres Verfahrens dorthin außer Landes zu bringen, brachte die Zweitbeschwerdeführerin Folgendes vor: Sie hätten Angst, nach Polen zu fahren. Bestimmte Personen würden ihren Mann töten wollen. Sie habe Angst, dass die Verfolger ihn in Polen finden könnten. Vorgehalten, wie diese Personen wissen sollten, wo sich ihr Mann in Polen aufhalte, gestand sie ein, dass sie das nicht wisse, aber es könnte ja sein. Zu den Länderfeststellungen zu Polen wolle sie keine Stellungnahme abgegeben.

Der anwesende Rechtsberater beantragte abermals die Zulassung der Verfahren in Österreich.

4. Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden vom 05.07.2017 wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Polen für die Prüfung der Anträge gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. c Dublin-III-VO zuständig sei (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gegen die Beschwerdeführer gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gemäß § 61 Abs. 2 FPG eine Abschiebung der Beschwerdeführer nach Polen zulässig sei (Spruchpunkt II.).

Zur Lage in Polen traf das BFA folgende Feststellungen (unkorrigiert und nunmehr gekürzt durch das Bundesverwaltungsgericht):

Allgemeines zum Asylverfahren

In erster Instanz für das Asylverfahren in Polen zuständig ist das Office for Foreigners (Urzad do Spraw Cudzoziemcow, UDSC), das dem Innenministerium untersteht. Es gibt ein mehrstufiges Asylverfahren mit Beschwerdemöglichkeiten: (...)

(AIDA 11.2015; für ausführliche Informationen siehe dieselbe Quelle)

Quellen:

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AIDA - Asylum Information Database (11.2015): HFHR - Helsinki Foundation for Human Rights, ECRE - European Council on Refugees and Exiles: National Country Report Poland, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_pl_update.iv_.pdf, Zugriff 31.3.2016

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Eurostat (19.3.2015): Data in focus 3/2015, http://ec.europa.eu/eurostat/documents/4168041/6742650/KS-QA-15-003-EN-N.pdf/b7786ec9-1ad6-4720-8a1d-430fcfc55018, Zugriff 27.1.2016

-

Eurostat (3.3.2016a): Statistics explained, File: Asylum applicants (including first time asylum applicants), Q4 2014 - Q4 2015.png,

http://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php/File:Asylum_applicants_(including_first_time_asylum_applicants),_Q4_2014_%E2%80%93_Q4_2015.png, Zugriff 31.3.2016

-

Eurostat (18.9.2015a): Statistics explained, File:First instance decisions by outcome and recognition rates, 1st quarter 2015.png, http://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php/File:First_instance_decisions_by_outcome_and_recognition_rates,_1st_quarter_2015.png, Zugriff 11.2.2016

-

Eurostat (18.9.2015b): Statistics explained, File:First instance decisions by outcome and recognition rates, 2nd quarter 2015.png, http://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php/File:First_instance_decisions_by_outcome_and_recognition_rates,_2nd_quarter_2015.png, Zugriff 11.2.2016

-

Eurostat (10.12.2015): Statistics explained, File:First instance decisions by outcome and recognition rates, 3rd quarter 2015.png, http://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php/File:First_instance_decisions_by_outcome_and_recognition_rates,_3rd_quarter_2015.png, Zugriff 22.2.2016

-

Eurostat (3.3.2016b): Statistics explained, File: First instance decisions by outcome and recognition rates, 4th quarter 2015.png, http://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php/File:First_instance_decisions_by_outcome_and_recognition_rates,_4th_quarter_2015.png, Zugriff 31.3.2016

Verfolgung durch Dritte

Es wird von tschetschenischen Antragstellern immer wieder vorgebracht, sie fürchten in Polen von Agenten des tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow, sogenannten Kadyrowzy, drangsaliert zu werden. ACCORD zitiert dazu in einer Anfragebeantwortung vom 22.11.2013 verschiedene Quellen, aus denen hervorgeht, dass es diese Berichte zwar gibt, jedoch keine greifbaren Beweise, wie dokumentierte Fälle oder ähnliches. Die polnischen Behörden dementieren derartige Vorgänge strikt (ACCORD 22.11.2013, vgl. auch: borderline 4.11.2013).

Die NGO Pax Christi hat im September 2010 eine Fact Finding Mission nach Polen zu dem Thema durchgeführt und gab an, es falle auf, dass es wenig Schriftliches gebe, obwohl Rechtsberater, Sozialhelfer, Anwälte und NGO-Mitarbeiter in verschiedenen EU-Ländern bei ihrer Arbeit mit tschetschenischen AW dieselben Geschichten zu hören bekämen. Die Berichte seien aber oft unspezifisch und es gebe kaum Zeugen und auch sonst keine Beweise (Pax Christi 1.12.2011).

Jedenfalls gibt es in Polen keine eigene Gesetzgebung, die speziell Asylwerber aus der Russischen Föderation unter besonderen Schutz stellen würde. Bei Vorliegen einer strafbaren Handlung gehen Polizei und Gerichte entsprechend der polnischen Rechtsordnung vor, wie bei jeder anderen Person auch. Es gibt auch keine eigene Statistik bezugnehmend auf Kriminalität unter Asylwerbern bzw. unter diversen Ethnien und es sind auch keine Berichte zu diesem Problemfeld bekannt (VB 11.2.2013).

Die Polizei und Grenzwache sorgen für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit im Rahmen ihres gesetzlichen Auftrages. Kommt es zu strafrechtlichen Handlungen werden diese von den Sicherheitskräften den Gerichten ausnahmslos angezeigt. Die Polizei/Grenzwache vollzieht ausnahmslos die Anordnungen der Staatsanwaltschaft und der Gerichte (VB 3.2.2010).

Quellen:

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ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (22.11.2013): Anfragebeantwortung zu Polen:

Aktivitäten des russischen Geheimdienstes in polnischen Flüchtlingslagern,

https://www.ecoi.net/local_link/270018/398486_de.html, Zugriff 1.4.2016

-

borderline-europe - Menschenrechte ohne Grenzen e.V.(4.11.2013):

Rückführungen im Rahmen von Dublin II nach Polen. Eine Ist-Stand-Erhebung zur Situation Geflüchteter, http://www.borderline-europe.de/sites/default/files/background/Bericht_Polen_2013.pdf, Zugriff 1.4.2016

-

Pax Christi (1.12.2011): Safety of Chechen asylum seekers in Poland,

http://www.paxchristi.be/wp/wp-content/uploads/2012/01/PaxChristi_SafetyofChechenasylumseekersinPoland_2011_def.pdf, Zugriff 1.4.2016

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VB des BM.I Polen (3.2.2010): Auskunft des VB, per E-Mail

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VB des BM.I Polen (11.2.2013): Auskunft des VB, per E-Mail

Dublin-Rückkehrer

Es gibt keine Berichte über Zugangshindernisse zum Verfahren für Dublin-Rückkehrer. Personen, die im Rahmen der Dublin-Bestimmungen nach Polen zurückkehren, müssen beim Grenzschutz einen Asylantrag stellen oder die Wiedereröffnung eines etwaigen vorherigen Verfahrens beantragen, dem er sich entzogen hat. So eine Wiedereröffnung ist innerhalb von 9 Monaten möglich (bis November 2015 galten 2 Jahre als Frist und gelten für Altfälle auch weiterhin). Sind diese 9 Monate verstrichen, wird ihr Antrag als Folgeantrag betrachtet und auf Zulässigkeit geprüft. Hat der Antragsteller bereits eine Entscheidung im vorherigen Verfahren erhalten, wird der Antrag ebenfalls als Folgeantrag betrachtet. Der Grenzschutz verweist sie entweder an ein Unterbringungszentrum, oder inhaftiert sie gegebenenfalls für max. 12 Stunden und beantragt bei Gericht Unterbringung in einem geschlossenen Zentrum (guarded center). Inhaftierung ist dann möglich, wenn ein Rückkehrer Polen illegal verlassen hat (was bei Dublin-Fällen fast immer der Fall ist) oder keine Identitätsnachweise besitzt. Dublin-Rückkehrer sind zu denselben Bedingungen zu Versorgung in Polen berechtigt, wie alle anderen Antragsteller (AIDA 11.2015).

Quellen:

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AIDA - Asylum Information Database (11.2015): HFHR - Helsinki Foundation for Human Rights, ECRE - European Council on Refugees and Exiles: National Country Report Poland, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_pl_update.iv_.pdf, Zugriff 31.3.2016

(...)

Non-Refoulement

Gemäß Asylgesetzesänderung vom 13.11.2015 gilt ein Antrag als unzulässig, wenn der ASt. bereits den Schutz eines anderen Landes genießt, in dem er vor Refoulement geschützt ist (AIDA 11.2015).

Die Gesetze kennen das Prinzip des sicheren Herkunfts- oder Transitstaats, enthalten aber auch Bestimmungen, denen zufolge Schutzbedürfnisse im Einzelfall berücksichtig werden können (USDOS 25.6.2015).

Quellen:

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AIDA - Asylum Information Database (11.2015): HFHR - Helsinki Foundation for Human Rights, ECRE - European Council on Refugees and Exiles: National Country Report Poland, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_pl_update.iv_.pdf, Zugriff 31.3.2016

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USDOS - US Department of State (25.6.2015): Country Report on Human Rights Practices 2014 - Poland, https://www.ecoi.net/local_link/306400/443675_de.html, Zugriff 1.4.2016

Versorgung

AW sind ab Registrierung in einem Ertaufnahmezentrum während des gesamten Asylverfahrens, sowie während der ersten Beschwerde im selben Ausmaß zu materieller Unterstützung berechtigt, auch im Zulassung-, im Dublinverfahren und bei Folgeanträgen. Im Erstaufnahmezentrum müssen sie sich binnen 2 Tagen ab Antragstellung registrieren, ansonsten wird das Verfahren eingestellt. Das Recht auf medizinische Versorgung besteht ab Antragstellung. Generell werden Unterbringung, materielle Hilfe und Gesundheitsversorgung bis zu 2 Monate nach der endgülitigen Entscheidung im Asylverfahren (positiv wie negativ) gewährt. Wird das Verfahren allerdings schlicht eingestellt (z.B. in der Zulassungsphase), verkürzt sich dieser Zeitram auf 14 Tage. Da Ast. mit einer abschließend negativen Entscheidung Polen allerdings binnen 30 Tagen zu verlassen haben und keine Versorgung mehr gewährt wird, wenn Ast. diese Frist zur freiwilligen Ausreise verstreichen lassen, werden sie in der Regel nur für 30 Tage weiterversorgt. Einzelne Asylwerber berichten, dass ihnen sogar ein längerer Verbleib im Zentrum gestattet wurde als rechtlich vorgesehen. Versorgung wird in Polen auch ohne Berücksichtigung der finanziellen Möglichkeiten des AW gewährt. Wenn gegen eine negative Entscheidung des Rats für Flüchtlingsfragen (2. Instanz) Beschwerde vor dem Regionalen Verwaltungsgericht in Warschau eingelegt wird, besteht generell kein Recht auf Versorgung bis das Gericht die Entscheidung des Rats suspendiert. Hier kann es zu einer Lücke in der Versorgung von 2-3 Monaten kommen. Und da seit Mai 2014 das Verfahren und die Rückkehr getrennt wurden und die Suspendierung der Entscheidung des Rates nicht mehr nötig ist um eine Außerlandesbringung zu verhindern, kann es passieren, dass das Gericht keine Suspendierung ausspricht und damit auch keine Versorgung gegeben ist. Es geht aber aus dem Bericht nicht hervor, wie oft das bisher vorgekommen ist. AW, die außerhalb des Zentrums wohnen dürfen, erhalten eine Zulage (AIDA 11.2015).

Quellen:

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AIDA - Asylum Information Database (11.2015): HFHR - Helsinki Foundation for Human Rights, ECRE - European Council on Refugees and Exiles: National Country Report Poland, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_pl_update.iv_.pdf, Zugriff 31.3.2016

Unterbringung

AW, die in einem Zentrum leben, erhalten Unterkunft, Mahlzeiten (oder PLN 9,-/Tag/Person), Taschengeld (PLN 50,-/Monat), Geld für Hygieneartikel (PLN 20,-/Monat), Einmalzahlung für Kleidung (PLN 140,-), einen Polnisch-Sprachkurs und Unterrichtsmaterialien, Unterstützung für Schulkinder (plus außerschulische Aktivitäten), Geld für notwendige Fahrten mit öffentl. Verkehrsmitteln und medizinische Versorgung. AW, die außerhalb der Zentren leben erhalten eine finanzielle Beihilfe (von PLN 25,-/Tag für eine Einzelperson; bis hin zu PLN 12,50/Tag und Person für Familien mit 4 oder mehr Familienmitgliedern), einen Polnisch-Sprachkurs und Unterrichtsmaterialien, Unterstützung für Schulkinder (plus außerschulische Aktivitäten), Geld für notwendige Fahrten mit öffentl. Verkehrsmitteln und medizinische Versorgung. Ende Juli 2015 erhielten 1.315 AW Versorgung innerhalb der Zentren und 2.460 außerhalb der Zentren. Die Höhe der Unterstützungen liegt unter dem sogenannten "sozialen Minimum" und wird als zu gering kritisiert, um in Polen außerhalb der Zentren einen angemessenen Lebensstandard zu führen. Vor allem Mieten in Warschau, wo die meisten AW ihr Asylverfahren abwickeln, seien so schwer abzudecken. Dies trage dazu bei, dass AW oft zu mehreren in beengten Wohnungen oder unsicheren Verhältnissen lebten und oft illegaler Beschäftigung nachgehen müssten. Selbst für Familien reiche die Unterstützung gerade einmal für die Miete (AIDA 11.2015).

In Polen gibt es 11 Unterbringungszentren mit gesamt 1.980 Plätzen. Zwei der Zentren dienen der Erstaufnahme. Mit Überbelegung gibt es keine Probleme. Alle Zentren unterstehen der polnischen Ausländerbehörde UDSC, 7 der Zentren werden aber von Vertragspartnern geführt. Es gibt keine speziellen Zentren für AW im Grenzverfahren oder in Transitzonen. AW dürfen die Zentren untertags jederzeit verlassen, sollten aber vor 23 Uhr zurück sein (AIDA 11.2015).

Wenn AW spezielle Bedürfnisse haben (Vulnerable) sind diese bei der Versorgung zu berücksichtigen. Einige Unterbringungszentren sind für Vulnerable angepasst: 3 Zentren haben behindertengerechte Eingänge und ein entsprechendes Zimmer und Badezimmer. 4 weitere Zentren sind teilweise angepasst. Ein Zentrum in Warschau ist speziell für alleinstehende Frauen bzw. alleinstehende Frauen mit Kindern gewidmet. UMA werden nicht zusammen mit Erwachsenen untergebracht, sondern in Kinderheimen oder übergangsweise in Pflegefamilien (AIDA 11.2015).

Es gibt Berichte über Vorfälle von geschlechterbezogener Gewalt, aber UNHCR berichtet, dass darauf unter Einbeziehung von Polizei, Ärzten, Psychologen und Sozialarbeitern reagiert wurde. UNHCR und NGOs berichten auch keine größeren oder anhaltenden Probleme mit Missbrauch in den Zentren (USDOS 25.6.2015).

Polen verfügt auch über mehrere geschlossene Unterbringungszentren (guarded centers), in denen Schubhäftlinge und unter bestimmten Voraussetzungen auch AW untergebracht werden können (Versuch der illegalen Überquerung der Grenze, keine Identitätsdokumente, usw.). Mitte 2015 wurden Schritte unternommen, um die bewachten Zentren zu reformieren und mehr Bewegungsfreiheit usw. zu gewährleisten. Ein Problem sei die zunehmende Zahl von Kindern (Familien dürfen geschlossen untergebracht werden, UMA bis 15 Jahre nicht) in den Zentren, welche keinen Zugang zu Schulunterricht haben. Die geschlossene Unterbringung ist nur auf gerichtliche Anordnung möglich (USDOS 25.6.2015).

UMA werden in Kinderfürsorgeeinrichtungen oder Familien in ganz Polen untergebracht (AIDA 11.2015).

Quellen:

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AIDA - Asylum Information Database (11.2015): HFHR - Helsinki Foundation for Human Rights, ECRE - European Council on Refugees and Exiles: National Country Report Poland, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_pl_update.iv_.pdf, Zugriff 31.3.2016

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USDOS - US Department of State (25.6.2015): Country Report on Human Rights Practices 2014 - Poland, https://www.ecoi.net/local_link/306400/443675_de.html, Zugriff 1.4.2016

Medizinische Versorgung

MedCOI bearbeitet keine medizinischen Anfragen zu EU-Mitgliedsstaaten, da die medizinischen Mitarbeiter von MedCOI (Ärzte) davon ausgehen, dass medizinische Behandlungsmöglichkeiten in der EU generell in ausreichendem Maße verfügbar sind (MedCOI 14.5.2012).

AW in Polen haben ab Antragstellung das Recht auf medizinische Versorgung, das auch dann weiterbesteht, wenn die materielle Versorgung, aus welchen Gründen auch immer, reduziert oder beendet wird. Gesetzlich garantiert ist medizinische Versorgung im selben Ausmaß wie für versicherte polnische Staatsbürger. Die medizinische Versogung von AW wird öffentlich finanziert. In den Unterbringungszentren wird medizinische Basisversorgung vor Ort bereitgestellt. In den Erstaufnahmezentren werden AW auch medizinisch untersucht. Seit 1.7.2015 wird die medizinische Versorgung von AW durch die Vertragsfirma Petra Medica gewährleistet. Sie umfasst auch psychologische Versorung. Psychologische Betreuung ist in jedem Unterbringungszentrum und bei UDSC vorhanden. Pro 120 Personen sind 4 Stunden psychologische Versorgung zuzüglich eines Übersetzers vorgesehen. AW können, wenn nötig, aber auch zu Psychiatern oder psychiatrische Kliniken überwiesen werden. Nach Ansicht einiger Experten ist Spezialbehandlung für Folteropfer oder traumatisierte AW in der Praxis nicht verfügbar. In Polen existieren 2 NGOs, die sich auf psychologische Unterstützung vulnerabler AW spezialisiert haben: Die International Humanitarian Initiative, welche regelmäßig in Warschau ihre Dienste zur Verfügung stellt; und Ocalenie Foundation, welche dreimal die Woche Asylwerber in Warschau unterstützt. Ihre Psychologen sprechen Englisch und Russisch. Andere NGOs bieten aus finanziellen Gründen nur limitiert und unregelmäßig psychologische Unterstützung an (z.B. Caritas, Polish Humanitarian Action). Einige Organisationen spezialisieren sich auf bestimmte Gruppen (z.B. Kinder oder Opfer von Menschenhandel). Da mangelnde Sprachkenntnisse bisher das größte Zugangshindernis zu medizinischer Versorgung waren, wurde dies beim Vertrag mit Petra Medica beachtet und die Gewährleistung von Übersetzung bei medizinischer und psychologischer Betreuung festgeschrieben (AIDA 11.2015).

Quellen:

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AIDA - Asylum Information Database (11.2015): HFHR - Helsinki Foundation for Human Rights, ECRE - European Council on Refugees and Exiles: National Country Report Poland, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_pl_update.iv_.pdf, Zugriff 31.3.2016

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MedCOI - Medical COI (14.5.2012): Anfragebeantwortung, per E-Mail

Schutzberechtigte

Subsidiär Schutzberechtigte, humanitär Aufenthaltsberechtigte oder Geduldete, die nochmals um Asyl ansuchen, sind nicht zu materieller Versorgung berechtigt, wie sie AW normalerweise zukommt. Subsidiär Schutzberechtigte und andere Fremde mit Aufenthaltsberechtigung sind hingegen zu staatlichen Unterstützungsleistungen des allgemeinen Sozialhilfesystems berechtigt, wie polnische Staatsbürger. Humanitär Aufenthaltsberechtigte und Geduldete haben lediglich das Recht auf Unterkunft, Verpflegung, notwendige Bekleidung und eine spezielle Zulage (AIDA 11.2015).

Amnesty International kritisiert, dass Polen Ende 2015 noch immer über keine umfassende Integrationsstrategie verfügte und bezeichnet die Integrationsmaßnahmen als ungenügend (AI 24.2.2016).

Die Integrationsmaßnahmen für Schutzberechtigte umfassen individuelle Integrationsprogramme, die u.a. auf Sprachtraining und persönliche Beratung fokussieren. Eine umfassende Integrationsstrategie abseits des Erwerbs der Polnischen Sprache gibt es nicht, es wird aber an einer solchen gearbeitet. Die Dauer der individuellen Integrationsprogramme (12 Monate) wird von den Betroffenen als zu kurz beschrieben. Der Zugang zum Arbeitsmarkt wird von den Betroffenen als der kritischste Punkt betrachtet (ECRI 9.6.2015).

UNHCR kritisiert die polnischen Leistungen zur Integration anerkannter Flüchtlinge. So waren 2013 laut Schätzungen 20-30% der anerkannten Flüchtlinge in Polen zumindest zeitweise von Obdachlosigkeit betroffen. Dabei ist es anerkannten Flüchtlingen nach Erhalt der Entscheidung auf internationalen oder subsidiären Schutz für weitere 2 Monate gestattet in der AW-Unterkunft zu bleiben und um das individuelle Integrationsprogramm (IPI) anzusuchen, in dessen Rahmen ihnen die zuständige regionale Stelle (Family Support Center) für ein Jahr lang finanzielle Hilfe ausbezahlt. Personen mit einem lediglich tolerierten Aufenthalt haben keinen Anspruch auf die IPI, sie können aber um Sozialhilfe ansuchen. Unter Kennern der polnischen Flüchtlingsszene ist es aber umstritten, ob Tolerierte deswegen ein höheres Risiko der Obdachlosigkeit haben. Einige sind der Meinung, für diese sei der Anreiz zur Integration sogar höher und führe zu stabileren Verhältnissen betreffend Arbeit und Wohnen. Die Zahl der Nutznießer der IPI ist in den 2 Jahren davor außerdem um etwa 50% zurückgegangen, was es einfacher macht den verbliebenen Berechtigten zu helfen. Der Bericht nennt auch von europäischem Flüchtlingsfonds und polnischem Staat kofinanzierte Services von NGOs, die Schutzberechtigten, deren IPI am Auslaufen ist, bzw. die obdachlos geworden sind, Übergangswohnungen zur Verfügung stellt - für einen Zeitraum von 12-18 oder gar 36 Monaten - und ihnen beim Finden von dauerhafter Wohnung hilft. Die Herangehensweise der lokalen Behörden bezüglich der Hilfe bei Obdachlosigkeit von Flüchtlingen hat sich laut dem Bericht auch verbessert. Als Beispiele genannt wird die Stadt Warschau, die nicht nur Wohnmöglichkeiten für Flüchtlinge unter dafür eingelangten Anträgen kompetitiv vergibt, sondern einige auch nach sozialen Gesichtspunkten an Härtefälle. Wenn in Warschau ein anerkannter Flüchtling in einem Zentrum lebt, kann er um eine Gemeindewohnung ansuchen und wird diese angeblich auch erhalten. In Lublin haben beispielsweise subsidiär Schutzberechtigte seit Juni 2012 Zugang zu Gemeindewohnungen. Als besonders schlecht werden die Wohnverhältnisse von Rückkehrern aus anderen europäischen Ländern geschildert, wobei unklar ist, ob damit Dublin-Rückkehrer gemeint sind (UNHCR 06.2013).

Quellen:

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AI - Amnesty International (24.2.2016): Amnesty International Report 2015/16 - The State of the World's Human Rights - Poland, https://www.ecoi.net/local_link/319771/458965_de.html, Zugriff 1.4.2016

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AIDA - Asylum Information Database (11.2015): HFHR - Helsinki Foundation for Human Rights, ECRE - European Council on Refugees and Exiles: National Country Report Poland, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_pl_update.iv_.pdf, Zugriff 31.3.2016

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ECRI - European Commission against Racism and Intolerance (9.6.2015): ECRI Report Poland, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1441097708_pol-cbc-v-2015-20-eng.pdf, Zugriff 1.4.2016

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UNHCR (06.2013): Where is my home? Homelessness and Access to Housing among Asylum-Seekers, Refugees and Persons with International Protection in Poland, http://www.refworld.org/docid/51b57ce74.html, Zugriff 1.4.2016

Begründend führte das BFA zusammengefasst aus, dass die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz zurückzuweisen seien, da gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. c Dublin-III-VO Polen für die Prüfung der Anträge zuständig sei.

Ein im besonderen Maße substantiiertes, glaubhaftes Vorbringen, betreffend das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände, welche die Gefahr einer Verletzung der EMRK im Falle einer Überstellung der Beschwerdeführer ernstlich für möglich erscheinen ließen, sei im Verfahren nicht erstattet worden. Die Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG sei nicht erschüttert worden und es habe sich kein Anlass zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 17. Abs. 1 Dublin-III-VO ergeben.

5. Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden Beschwerden. Festgehalten wurde, dass die Bescheide in vollem Umfang wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften angefochten würden. Gleichzeitig wurde beantragt, den Beschwerden die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Inhaltlich wurde festgehalten, dass vor allem der Erstbeschwerdeführer gesundheitlich sehr belastet sei. Er sei in seiner Heimat gefoltert worden und leide laut psychiatrischem Befund vom 24.06.2016 unter einer schweren posttraumatischen Belastungsstörung. Dieser Befund sei bereits im Vorverfahren vorgelegt worden. In der gutachterlichen Stellungnahme zu den Untersuchungen vom 28.07.2016 und vom 19.08.2016 sei eine PTSD in Teil-Remission diagnostiziert worden. Der Erstbeschwerdeführer verliere seine Seh- und Hörfähigkeiten. Eine Überstellung nach Polen würde bei ihm eine gravierende Verschlechterung des Gesundheitszustandes hervorrufen. Das sei nicht berücksichtigt worden. Das Kindeswohl sei ebenso wenig berücksichtigt worden. Die Kinder hätten sich in Österreich gut eingelebt und es wäre für sie belastend, aus dem bereits vertrauten Umfeld wieder herausgerissen zu werden. Die herangezogenen Länderberichte zu Polen seien zudem mangelhaft und es hätte eine Einzelfallzusicherung seitens der polnischen Behörden eingeholt werden müssen, um sicherzustellen, dass die Beschwerdeführer in Polen entsprechend versorgt würden.

6. Am 30.08.2017 wurden die Beschwerdeführer nach Polen überstellt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Erstbeschwerdeführer ist mit der Zweitbeschwerdeführerin verheiratet; ihre gemeinsamen minderjährigen Kinder sind der Drittbeschwerdeführer, der Viertbeschwerdeführer, die Fünftbeschwerdeführerin und der in Österreich nachgeborene Sechsbeschwerdeführer. Alle sind russische Staatsangehörige.

Die Beschwerdeführer reisten von Weißrussland kommend über Polen in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten ein und stellten dort am 01.04.2016 Anträge auf internationalen Schutz. Nach ihrer Einreise ins Bundesgebiet am 05.04.2016 stellten sie hier ebenso Anträge auf internationalen Schutz.

Das BFA richtete am 14.04.2016 bezüglich aller Beschwerdeführer auf Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin-III-VO gestützte Wiederaufnahmeersuchen an Polen. Mit Schreiben vom 20.04.2016 stimmte die polnische Dublin-Behörde der Wiederaufnahme der Beschwerdeführer gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. c Dublin-III-VO ausdrücklich zu.

Die Anträge auf internationalen Schutz vom 05.04.2016 wurden ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und es wurde ausgesprochen, dass Polen gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. c Dublin-III-VO für die Prüfung dieser Anträge zuständig sei (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gegen die Beschwerdeführer gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gemäß § 61 Abs. 2 Z 1 FPG eine Abschiebung der Beschwerdeführer nach Polen zulässig sei (Spruchpunkt II.).

Die gegen die Bescheide des BFA fristgerecht erhobenen Beschwerden wurden mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 05.12.2016 gemäß § 5 Asyl 2005 und § 61 FPG 2005 als unbegründet abgewiesen. Gemäß § 61 Abs. 3 FPG 2005 wurde die Durchführung der Außerlandesbringung der Beschwerdeführer bis acht Wochen nach der Geburt des Kindes der Zweitbeschwerdeführerin aufgeschoben. Dieses Erkenntnis erwuchs mit 07.12.2016 in Rechtskraft.

Zuvor war den Beschwerden seitens des Bundesverwaltungsgerichtes mit Beschluss vom 17.10.2016 die aufschiebende Wirkung zuerkannt worden. Das BFA setzte die polnische Dublin-Behörde mit Schreiben vom 19.10.2016 von diesem Umstand in Kenntnis. Anschließend wurde Polen darüber informiert, dass das Bundesverwaltungsgericht am 05.12.2016 eine Entscheidung getroffen habe, sodass die sechsmonatige Überstellungsfrist mit diesem Datum zu laufen beginne.

Mit Schreiben vom 15.03.2017 wurde die polnische Dublin-Behörde informiert, dass die Beschwerdeführer flüchtig seien, sodass sich die Überstellungsfrist gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin-III-VO auf 18 Monate verlängert habe.

Die geplante freiwillige Rückkehr nach Russland traten die Beschwerdeführer nicht an, sondern sie begaben sich illegal nach Deutschland, wo sie sich von 07.03.2017 bis zum 12.05.2017 aufhielten. Auch in Deutschland wurde die Zuständigkeit Polens festgestellt. Letztlich kehrten die Beschwerdeführer wieder nach Österreich zurück.

Im nunmehr gegenständlichen Verfahren stellten die Beschwerdeführer am 15.05.2017 im Rahmen eines Familienverfahrens neuerlich Anträge auf internationalen Schutz.

Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich den oben wiedergegebenen Feststellungen der angefochtenen Bescheide zur Allgemeinsituation im Mitgliedstaat Polen an. Konkrete, in den Personen der Beschwerdeführer gelegene Gründe, welche für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, liegen nicht vor.

Beim Erstbeschwerdeführer liegt der Verdacht auf eine posttraumatische Belastungsstörung vor und er steht diesbezüglich in medikamentöser Behandlung. Bei der Zweitbeschwerdeführerin wurden Panikattacken, Angstzustände und der Verdacht auf eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert. Die minderjährigen Kinder sind gesund. Sohin kann festgestellt werden, dass alle sechs Beschwerdeführer weder an einer körperlichen noch an einer psychischen Krankheit leiden, die einer Überstellung nach Polen aus gesundheitlichen Gründen entgegensteht.

Besonders intensiv ausgeprägte private, familiäre oder berufliche Bindungen der Beschwerdeführer bestehen im österreichischen Bundesgebiet nicht.

Am 30.08.2017 wurden die Beschwerdeführer nach Polen überstellt.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zu den Reisebewegungen der Beschwerdeführer beruhen auf der vorliegenden Aktenlage, insbesondere auf den dahingehend glaubhaften Angaben des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin im Vorverfahren und im gegenständlichen Verfahren. Dass die Beschwerdeführer in Polen einen ersten Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben, steht mit dem vorliegenden EURODAC-Treffer in Einklang und es wurde die Antragstellung auch durch die polnische Dublin-Behörde in ihrer Zustimmungserklärung zur Wiederaufnahme der Beschwe

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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