TE Bvwg Beschluss 2018/10/5 W187 2206750-1

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Veröffentlicht am 05.10.2018
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Entscheidungsdatum

05.10.2018

Norm

BVergG 2006 §12 Abs1 Z2
BVergG 2006 §139 Abs2 Z3
BVergG 2006 §2 Z8
BVergG 2006 §3 Abs1 Z2
BVergG 2006 §5
BVergG 2018 §342 Abs1
BVergG 2018 §342 Abs2
BVergG 2018 §350 Abs1
BVergG 2018 §350 Abs2
BVergG 2018 §351 Abs1
BVergG 2018 §351 Abs3
BVergG 2018 §351 Abs4
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §31 Abs1

Spruch

W187 2206750-1/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Hubert REISNER über den Antrag der XXXX , vertreten durch die DIWOK HERMANN PETSCHE Rechtsanwälte LLP & Co KG, Schottenring 25, 1010 Wien, auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung betreffend das Vergabeverfahren "Nadelstichsichere Systeme" Los 1 der Auftraggeberinnen Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Adalbert-Stifter-Straße 65, 1200 Wien, und Wiener Gebietskrankenkasse, Wienerbergstraße 15-19, 1100 Wien, beide vertreten durch die Schramm Öhler Rechtsanwälte OG, Bartensteingasse 2, 1010 Wien, vom 1. Oktober 2018 beschlossen:

A)

Das Bundesverwaltungsgericht gibt dem Antrag der XXXX , das Bundesverwaltungsgericht möge den Auftraggeberinnen "mittels einstweiliger Verfügung die Erklärung des Widerrufs des Vergabeverfahrens zu Los 1 für die Dauer des Nachprüfungsverfahrens untersagen", gemäß §§ 350 Abs 1, 351 Abs 1, 3 und 4 BVergG statt.

Das Bundesverwaltungsgericht untersagt den Auftraggeberinnen Allgemeine Unfallversicherungsanstalt und Wiener Gebietskrankenkasse im Vergabeverfahren "Nadelstichsichere Systeme" Los 1, den Widerruf zu erklären.

B)

DIE REVISION IST GEMÄß ART 133 ABS 4 B-VG NICHT ZULÄSSIG.

Text

BEGRÜNDUNG

I. Verfahrensgang

1. Mit Schriftsatz vom 1. Oktober 2018 beantragte die XXXX , vertreten durch die DIWOK HERMANN PETSCHE Rechtsanwälte LLP & Co KG, Schottenring 25, 1010 Wien, in der Folge Antragstellerin, die Nichtigerklärung der am 20. September 2018 bekannt gegebenen Widerrufsentscheidung, die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens, die Durchführung einer mündlichen Verhandlung, die Akteneinsicht und die Erlassung einer einstweiligen Verfügung wie im Spruch unter A) wiedergegeben sowie den Ersatz der Pauschalgebühr. Die Anträge betreffen das Vergabeverfahren "Nadelstichsichere Systeme" Los 1 der Auftraggeberinnen Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Adalbert-Stifter-Straße 65, 1200 Wien, und Wiener Gebietskrankenkasse, Wienerbergstraße 15-19, 1100 Wien, beide vertreten durch die Schramm Öhler Rechtsanwälte OG, Bartensteingasse 2, 1010 Wien.

1.1 Nach der Darstellung des Sachverhalts und Ausführungen zur Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts gibt die Antragstellerin an, sich in ihrem Recht auf Zuschlagserteilung, ihrem Recht auf gesetzeskonforme und vollständige Angebotsprüfung, ihrem Recht auf eine Zuschlagsentscheidung zu ihren Gunsten, ihrem Recht auf Gleichbehandlung und Transparenz im Vergabeverfahren, ihrem Recht auf Bekanntgabe einer Widerrufsentscheidung nur bei Vorliegen gesetzeskonformer Gründe, ihrem Recht auf unterbleiben einer rechtswidrigen Widerrufsentscheidung sowie ihrem Recht auf gesetzeskonforme Durchführung und Beendigung des Vergabeverfahrens verletzt zu erachten. Die Antragstellerin macht den entgangenen Gewinn, die Kosten der Angebotslegung sowie der rechtsfreundlichen Beratung und Vertretung und den Entgang eines Referenzprojekts als drohenden Schaden geltend. Das Interesse am Vertragsabschluss habe sie durch Angebotslegung und Bekämpfung der Widerrufsentscheidung in diesem wie auch in einem anderen Los des selben Vergabeverfahrens dargetan. Der Nachprüfungsantrag sei rechtzeitig und Pauschalgebühr bezahlt.

1.2 Zur Rechtswidrigkeit der angefochtenen Entscheidung für die Antragstellerin im Wesentlichen aus, dass ihr keine sorgfältige und abgeschlossene Ermittlung der faktischen Grundlagen sowie vollständige Angebotsprüfung zugrunde liege (arg. "vermutlich"), die Mindestanforderung "Zuspritzventil direkt am Katheter fixiert und mit sicher schließendem Klappverschluss" sachlich gerechtfertigt sei und einen jedenfalls ausreichenden Wettbewerb ermögliche und die Behauptung, dass diese Mindestanforderung "aus Anwendersicht nicht notwendig" sei, sich lediglich als nachträgliche und unsachliche Schutzbehauptung erweist, mit der eigentlich jedes Vergabeverfahren nach Kenntnis der angebotenen Preise willkürlich widerrufen werden könnte. Die Angebotsprüfung sei nicht abgeschlossen, was sich aus der Formulierung, dass das Mindestkriterium "sicher schließender Klappverschluss" vermutlich nur durch einen Bieter erfüllt werden könne. Nach dem Kenntnisstand der Antragstellerin verfügten einige am Markt verfügbare Sicherheitsvenenverweilkanülen über einen sicher schließenden Klappverschluss, sodass diese Anforderung eine wettbewerbsoffene und neutrale Leistungsbeschreibung ermögliche. Die Mindestanforderung "sicher schließender Klappverschluss" habe eine Expertenkommission ausgearbeitet und die Auftraggeberin durch die vielen Bieteranfragen ausreichend Gelegenheit gehabt, die Mindestanforderung während der Angebotsfrist zu berichtigen. Das sie nunmehr aus Anwendersicht nicht mehr notwendig sein solle, sei unglaubwürdig und widerspreche dem bisherigen Verfahrensverlauf. Überdies widerspreche es einer im selben Subkriterium geforderten weitern Mindestanforderung: "Der Anwender darf beim Öffnen und Schließen der Verschlusskappe nicht zwangsläufig mit dem Zuspritzventilansatz in Berührung kommen können, das heißt ein kontaminationsfreies Bedienen der Verschlusskappe muss gewährleistet sein." Eine nach Angebotsöffnung und Kenntnis der Angebotspreise erfolgende Behauptung, dass ein Mindestkriterium "nicht notwendig sei" kann grundsätzlich keinen sachlichen Grund für einen Widerruf darstellen. Die Auftraggeberin stütze sich auf Widerrufsgründe, die bereits im Zeitpunkt der Einleitung des Vergabeverfahrens vorhanden gewesen seien. Solche Gründe bildeten keine taugliche Grundlage für einen fakultativen Widerruf nach der Angebotsöffnung.

1.3 Die Antragstellerin macht das Vorbringen zum Nachprüfungsantrag auch zum Vorbringen zum Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung und führt im Wesentlichen aus, dass dem Nachprüfungsantrag keine aufschiebende Wirkung zukomme. Die Auftraggeberin habe die Möglichkeit, jederzeit das Vergabeverfahren zu widerrufen. Daraus ergebe sich, dass für die Antragstellerin eine unmittelbar drohende Schädigung ihren Interessen bevorstehe, weil eine Schadenersatzforderung die Chancen nicht aufzuwiegen vermöge, den Auftrag zu erhalten. Schwerwiegende oder zwingende Hindernisse der Antragsgegner, stünden einer Untersagung der Erklärung des Widerrufs nicht entgegen. Die Auftraggeberin müsse allfällige Verzögerungen durch ein Rechtsschutzverfahren in ihre zeitliche Planung einkalkulieren. Daher sei den Interessen der Antragstellerin der Vorrang einzuräumen. Auf das öffentliche Interesse an der Sicherstellung der Auftragserteilung an den tatsächlichen Bestbieter zu verweisen. Im gegenständlichen Fall überwiege daher das Interesse der Antragstellerin auf Beseitigung der im gegenständlichen Verfahren von der Antragsgegnerin zu verantwortenden Vergabeverstöße bei weitem. Andere Gründe, die gegen eine einstweilige Verfügung sprächen lägen nicht vor. Darüber hinaus handle es sich bei der beantragten Untersagung der Erklärung des Widerrufes für die Dauer des Nachprüfungsverfahrens um die im derzeitigen Verfahrensstadium notwendige und gelindeste Maßnahme, um eine unumkehrbare Schädigung der Interessen der Antragstellerin zu verhindern.

2. Am 5. Oktober 2018 teilte die Schramm Öhler Rechtsanwälte OG mit, dass sie die Erstauftraggeberin vertrete, sprach sich nicht gegen die Erlassung einer einstweiligen Verfügung aus, erteilte die Auftraggeberin allgemeine Auskünfte, legte ergänzend zum Parallelverfahren W187 2205106-2 Unterlagen vor und nahm zur Akteneinsicht Stellung.

4. Am 5. Oktober 2018 nahm die Auftraggeberin zu dem Nachprüfungsantrag Stellung.

4.1 Sie führt im Zuge der Darstellung des Sachverhalts ua aus, dass die Antragstellerin den Sachverhalt aktenwidrig widergegeben habe. Eine neuerliche Überprüfung habe ergeben, dass entgegen einer ersten Beurteilung nur das Angebot der Antragstellerin die Mindestanforderung "nur mit einem Finger" erfülle. Nach Ausscheiden der Billigstbieterin und Rücknahme der Ausscheidensentscheidung habe die Auftraggeberin das Leistungsverzeichnis und die darin festgelegten Mindestanforderungen einer neuerlichen Prüfung und Evaluierung unterzogen. Ergebnis dieser Prüfung und Rückmeldung der Nutzer in den Einrichtungen der Auftraggeberinnen sei, dass es aus Anwendersicht schlicht nicht erforderlich sei, dass das "Zuspritzventil direkt am Katheter fixiert und mit sicher schließendem Klappverschluss" ausgestattet sein müsse. Diese Mindestanforderung sei überzogen und könne nur durch das Produkt der Antragstellerin erfüllt werden. Diese Mindestanforderung widerspreche damit dem Gebot der wettbewerbsoffenen und neutralen Leistungsbeschreibung. Es könne auch mit geänderten Mindestanforderungen ein wesentlich günstigeres Angebotsergebnis erzielt werden.

4.2 Die Widerrufsentscheidung werde mit einem sachlichen Widerrufsgrund gemäß § 139 Abs 2 Z 3 BVergG 2006 begründet. Eine Widerrufsentscheidung könne auch aus anderen als den von der Auftraggeberin genannten Gründen rechtmäßig sein. An den Widerruf sei kein strenger Maßstab anzulegen. Der Auftraggeber sei nicht verpflichtet, ein Vergabeverfahren abzuschließen und den fraglichen Auftrag zu vergeben. Der Auftraggeber könne auf die Vergabe eines öffentlichen Auftrags, für den ein Ausschreibungsverfahren stattgefunden habe, verzichten. Die Gründe für den Widerruf könnten vielfältig sein. Ein Widerruf des Vergabeverfahrens ist in jedem Fall zulässig, wenn sachliche Gründe dies rechtfertigen, auch wenn der Auftraggeber diese Gründe verursacht habe. Die Auftraggeberinnen hätten erst nach Angebotsabgabe im Zuge der Beurteilung durch die Expertenkommission erkannt, dass die Mindestanforderung "Zuspritzventil direkt am Katheter fixiert und mit sicher schließendem Klappverschluss" a. für die Anwender in den Einrichtungen der Antragsgegnerin nicht relevant sei, b. keine medizinische Notwendigkeit für diese Mindestanforderung bestehe, c. einen Wettbewerb im Vergabeverfahren ausschließe, d. auf einen einzigen Bieter zugschnitten sei, e. zu einem unverhältnismäßig hohen Angebotspreis führe und damit unverhältnismäßig und überzogen sei. Dies sei ihr im Vorfeld des Verfahrens nicht bewusst gewesen. Die oben angeführte Einschränkung des Wettbewerbs sei nicht zweckmäßig. Es wären Einsparungen von 16,67 % möglich. Aus Einsparungsgründen gewählte technische Änderungen berechtigten zum Widerruf einer Ausschreibung. Diese Mindestanforderung "mit sicher schließendem Klappverschluss" widerspreche damit dem Gebot der wettbewerbsoffenen und neutralen Leistungsbeschreibung.

4.3 Der Widerrufgrund nach § 139 Abs 2 Z 3 BVergG 2006 sei somit jedenfalls erfüllt. Nach einer neuerlichen Überprüfung der Angebote ergebe sich, dass außer dem Angebot der Auftraggeberin kein anderes Angebot das Mindestkriterium "mit einem Finger" erfülle. Damit liege auch ein Ausscheidensgrund für das letzte andere Angebot außer jenem der Antragstellerin vor. Es verbleibe somit nur ein einziges zuschlagsfähiges Angebot. Auch der Widerrufsgrund nach § 139 Abs 2 Z 2 BVergG 2006 sei somit erfüllt.

4.4 Es komme nicht auf den Zeitpunkt des Entstehens der Widerrufsgründe an. Der Widerruf sei immer zulässig, wenn sachliche Gründe vorlägen. Die Auftraggeberinnen hätten erst nach der Angebotsöffnung festgestellt, dass die Mindestanforderung nur von einem Bieter erfüllt werden könne. Die Auftraggeberinnen hätten jedenfalls eine fachkundige Prüfung der Angebote vorgenommen, sodass die Gründe für den Widerruf sorgfältig ermittelt seien.

4.5 An dem Vergabeverfahren zu Los 1 hätten nur vier Bieter teilgenommen, von denen nur einer die Mindestanforderungen erfüllt hätte. Die Auftraggeberin stütze sich auf Produktfolder. Der Widerruf beruhe auf sorgfältig ermittelten Tatsachen, nämlich einer neuerlichen Prüfung und Evaluierung der Mindestanforderungen nach Angebotsprüfung durch die Experten und Anwender. Er sei erst nach Angebotsöffnung bekannt geworden. Es könnten auch andere Verschlüsse als der in Los 1 beschriebene ein "kontaminationsfreies Bedienen der Verschlusskappe" gewährleisten. Es sei medizinisch nicht relevant, dass es sich um einen Klappverschluss handle. Daher sei die Mindestanforderung "Zuspritzventil direkt am Katheter fixiert und mit sicher schließendem Klappverschluss" unverhältnismäßig überzogen und wettbewerbsbeschränkend. Der Widerruf sei gerechtfertigt.

4.6 Die Auftraggeberinnen stellen die Anträge auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung, Ab-, in eventu Zurückweisung sämtlicher Anträge der Antragstellerin und Ausnahme jener vorgelegten Unterlagen von der Akteneinsicht der Antragstellerin auszunehmen, die nicht die Antragstellerin selbst beträfen.

5. Am 5. Oktober 2018 teilte die Wiener Gebietskrankenkasse mit dem mit 3. Oktober 2018 datierten gefaxten Schreiben mit, dass ihre Rechte der im Rahmen des gegenständlichen Nachprüfungsverfahrens durch die AUVA bis zum Widerruf dieses Mandats vertreten würden.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen

1. Feststellungen (Sachverhalt)

1.1 Die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt und die Wiener Gebietskrankenkasse schreiben unter der Bezeichnung "Nadelstichsichere Systeme" Los 1 Lieferungen mit dem CPV-Code 33141320-9 - Nadeln für medizinische Zwecke im Oberschwellenbereich in einem offenen Verfahren nach dem Billigstangebotsprinzip ab. Der geschätzte Auftragswert des Gesamtauftrags beträgt € 252.591 pro Jahr, jener des verfahrensgegenständlichen Loses € 104.580 pro Jahr, jeweils ohne USt. Die Laufzeit des Vertrags beträgt 48 Monate. Die Auftraggeberin veröffentlichte die Ausschreibung im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union vom 27. März 2018 zur Zahl 2018/S 054-119660 und im Amtlichen Lieferungsanzeiger vom 27. März 2018 zur Zahl L-645307-8322. Das Ende der Angebotsfrist war der 7. Mai 2018. (Auskünfte der Auftraggeberin, Unterlagen des Vergabeverfahrens)

1.2 Am 7. Mai 2018 fand von 11.00 Uhr bis 11.37 Uhr die bieteröffentliche Angebotsöffnung statt, bei der ua Vertreter der Antragstellerin anwesend waren. Dabei wurden folgende Angebote mit den nebenstehenden Angebotspreisen ohne USt geöffnet:

1. XXXX € 74.700,00

2. XXXX € 77.250,62

3. XXXX € 100.845,00

4. XXXX (bereits ausgeschieden)

(Unterlagen des Vergabeverfahrens)

1.3 Am 20. September 2018 gab die Auftraggeberin die Widerrufsentscheidung bekannt. (Auskünfte der Auftraggeberin, Unterlagen des Vergabeverfahrens)

1.4 Die Auftraggeberin hat weder das Vergabeverfahren widerrufen noch den Zuschlag erteilt. (Auskünfte der Auftraggeberin, Unterlagen des Vergabeverfahrens)

1.5 Die Antragstellerin bezahlte Pauschalgebühren in der Höhe von €

1.296. (Verfahrensakt)

2. Beweiswürdigung

2. Dieser Sachverhalt ergibt sich schlüssig aus den jeweils in Klammern genannten Quellen. Diese sind Veröffentlichungen und die Unterlagen des Vergabeverfahrens, sowie Auskünfte, die nur die Auftraggeberin erteilen kann. Auskünfte der Antragstellerin betreffen ebenso ausschließlich mit der Auftraggeberin gemeinsame Dokumente. Die Echtheit und Richtigkeit von in den Schriftsätzen herangezogenen Unterlagen hat keine der Verfahrensparteien bestritten. Die herangezogenen Beweismittel sind daher echt. Ihre inhaltliche Richtigkeit steht außer Zweifel. Widersprüche traten nicht auf.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1 Anzuwendendes Recht

3.1.1 Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes - BVwGG, BGBl I 2013/10, idgF lauten:

"Einzelrichter

§ 6. Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist."

3.1.2 Die maßgeblichen Bestimmungen des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG, BGBl I 2013/33 idgF, lauten:

"Anwendungsbereich

§ 1. Dieses Bundesgesetz regelt das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes.

...

Erkenntnisse

§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) ...

Beschlüsse

§ 31. (1) Soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist, erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss.

(2) An seine Beschlüsse ist das Verwaltungsgericht insoweit gebunden, als sie nicht nur verfahrensleitend sind.

(3) Auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes sind § 29 Abs. 1 zweiter Satz, Abs. 4 und § 30 sinngemäß anzuwenden. Dies gilt nicht für verfahrensleitende Beschlüsse.

..."

3.1.3 Zu Bestimmungen gemäß § 58 Abs 2 VwGVG zählt der 4. Teil des BVergG, der die Bestimmungen über den Rechtsschutz vor dem Bundesverwaltungsgericht enthält und daher als lex specialis den Bestimmungen des BVergG vorgeht. Die einschlägigen Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Vergabe von Aufträgen (Bundesvergabegesetz 2018 - BVergG 2018), BGBl I 2018/65 idgF, lauten:

"4. Teil

Rechtsschutz vor dem Bundesverwaltungsgericht

1. Hauptstück

Zuständigkeit, fachkundige Laienrichter, Ausschluss und Ablehnung

Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes

§ 327. Das Bundesverwaltungsgericht ist zuständig zur Entscheidung über Anträge wegen Rechtswidrigkeit eines Verhaltens eines Auftraggebers in den Angelegenheiten des öffentlichen Auftragswesens, soweit es sich um Auftraggeber handelt, die gemäß Art. 14b Abs. 2 Z 1 B-VG in den Vollziehungsbereich des Bundes fallen.

Senatszuständigkeit und -zusammensetzung

§ 328. (1) Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet in den Angelegenheiten des § 327, soweit es sich nicht um die Entscheidung über einen Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe für die Einbringung eines Feststellungsantrags, über einen Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung, die Entscheidung über den Gebührenersatz oder die Entscheidung über eine Verfahrenseinstellung nach Zurückziehung eines Nachprüfungs- oder Feststellungsantrages handelt, in Senaten.

(2) ...

2. Hauptstück

Besondere Bestimmungen über das Verfahren des Bundesverwaltungsgerichtes

1. Abschnitt

Allgemeine Bestimmungen

Anzuwendendes Verfahrensrecht

§ 333. Soweit in diesem Bundesgesetz und im Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, nichts anderes bestimmt ist, sind die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles in den Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht nach diesem Bundesgesetz sinngemäß anzuwenden.

Zuständigkeit

§ 334. (1) Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Abschnittes über Anträge zur Durchführung von Nachprüfungsverfahren (2. Abschnitt), zur Erlassung einstweiliger Verfügungen (3. Abschnitt) und zur Durchführung von Feststellungsverfahren (4. Abschnitt). Derartige Anträge sind unmittelbar beim Bundesverwaltungsgericht einzubringen.

(2) Bis zur Zuschlagserteilung bzw. bis zum Widerruf eines Vergabeverfahrens ist das Bundesverwaltungsgericht zum Zwecke der Beseitigung von Verstößen gegen dieses Bundesgesetz und die hierzu ergangenen Verordnungen oder von Verstößen gegen unmittelbar anwendbares Unionsrecht zuständig

1. zur Erlassung einstweiliger Verfügungen, sowie

2. zur Nichtigerklärung gesondert anfechtbarer Entscheidungen des Auftraggebers im Rahmen der vom Antragsteller geltend gemachten Beschwerdepunkte.

(3) ...

2. Abschnitt

Nachprüfungsverfahren

Einleitung des Verfahrens

§ 342. (1) Ein Unternehmer kann bis zur Zuschlagserteilung bzw. bis zur Widerrufserklärung die Nachprüfung einer gesondert anfechtbaren Entscheidung des Auftraggebers im Vergabeverfahren wegen Rechtswidrigkeit beantragen, sofern

1. er ein Interesse am Abschluss eines dem Anwendungsbereich dieses Bundesgesetzes unterliegenden Vertrages behauptet, und

2. ihm durch die behauptete Rechtswidrigkeit ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht.

(2) ...

3. Abschnitt

Einstweilige Verfügungen

Antragstellung

§ 350. (1) Das Bundesverwaltungsgericht hat auf Antrag eines Unternehmers, dem die Antragsvoraussetzungen nach § 342 Abs. 1 nicht offensichtlich fehlen, durch einstweilige Verfügung unverzüglich vorläufige Maßnahmen anzuordnen, die nötig und geeignet erscheinen, um eine durch die behauptete Rechtswidrigkeit einer gesondert anfechtbaren Entscheidung entstandene oder unmittelbar drohende Schädigung von Interessen des Antragstellers zu beseitigen oder zu verhindern.

(2) Der Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung hat zu enthalten:

1. die genaue Bezeichnung des betreffenden Vergabeverfahrens, der gesondert anfechtbaren Entscheidung sowie des Auftraggebers, des Antragstellers und gegebenenfalls der vergebenden Stelle einschließlich deren elektronischer Adresse,

2. eine Darstellung des maßgeblichen Sachverhaltes sowie des Vorliegens der in § 342 Abs. 1 genannten Voraussetzungen,

3. die genaue Bezeichnung der behaupteten Rechtswidrigkeit,

4. die genaue Darlegung der unmittelbar drohenden Schädigung der Interessen des Antragstellers und eine Glaubhaftmachung der maßgeblichen Tatsachen,

5. die genaue Bezeichnung der begehrten vorläufigen Maßnahme und

6. die Angaben, die erforderlich sind, um zu beurteilen, ob der Antrag rechtzeitig eingebracht wurde.

(3) ...

Erlassung der einstweiligen Verfügung

§ 351. (1) Vor der Erlassung einer einstweiligen Verfügung hat das Bundesverwaltungsgericht die voraussehbaren Folgen der zu treffenden Maßnahme für alle möglicherweise geschädigten Interessen des Antragstellers, der sonstigen Bewerber oder Bieter und des Auftraggebers sowie ein allfälliges besonderes öffentliches Interesse an der Fortführung des Vergabeverfahrens gegeneinander abzuwägen. Ergibt diese Abwägung ein Überwiegen der nachteiligen Folgen einer einstweiligen Verfügung, ist der Antrag auf Erlassung der einstweiligen Verfügung abzuweisen.

(2) Ein entgegen einer Anordnung in einer einstweiligen Verfügung erteilter Zuschlag, erfolgter Abschluss einer Rahmenvereinbarung bzw. erklärter Widerruf des Vergabeverfahrens ist absolut nichtig bzw. unwirksam.

(3) Mit einer einstweiligen Verfügung können das gesamte Vergabeverfahren oder einzelne Entscheidungen des Auftraggebers bis zur Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über eine allfällige Nichtigerklärung vorübergehend ausgesetzt oder sonstige geeignete Maßnahmen angeordnet werden. Dabei ist die jeweils gelindeste noch zum Ziel führende vorläufige Maßnahme zu verfügen.

(4) In einer einstweiligen Verfügung ist die Zeit, für welche diese Verfügung getroffen wird, zu bestimmen. Die einstweilige Verfügung tritt nach Ablauf der bestimmten Zeit, spätestens jedoch mit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über den Antrag auf Nichtigerklärung außer Kraft, in dem die betreffende Rechtswidrigkeit geltend gemacht wird. Das Bundesverwaltungsgericht hat die einstweilige Verfügung unverzüglich auf Antrag oder von Amts wegen aufzuheben, sobald die Voraussetzungen, die zu ihrer Erlassung geführt haben, weggefallen sind. Das Bundesverwaltungsgericht hat die einstweilige Verfügung unverzüglich auf Antrag oder von Amts wegen zu erstrecken, wenn die Voraussetzungen, die zu ihrer Erlassung geführt haben, nach Ablauf der bestimmten Zeit fortbestehen.

(5) Einstweilige Verfügungen sind sofort vollstreckbar.

...

Inkrafttretens-, Außerkrafttretens- und Übergangsvorschriften

§ 376. (1) Dieses Bundesgesetz tritt mit Ausnahme der Einträge im Inhaltsverzeichnis zu den §§ 62, 66, 232, 237, 367 und 368 und der §§ 54 Abs. 2, 62 samt Überschrift, 66 samt Überschrift, 223 Abs. 2, 232 samt Überschrift, 237 samt Überschrift, 367 samt Überschrift, 368 samt Überschrift und des 2. Abschnittes von Anhang VIII samt Überschrift mit dem der Kundmachung folgenden Tag in Kraft. Zugleich tritt das Bundesvergabegesetz 2006 - BVergG 2006, BGBl. I Nr. 17/2006, außer Kraft.

(2) ...

(4) Für das Inkrafttreten der durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 65/2018 neu gefassten Bestimmungen gilt Folgendes: Die im Zeitpunkt des In- bzw. Außerkrafttretens gemäß Abs. 1 und 2 bereits eingeleiteten Vergabeverfahren sind nach der zum Zeitpunkt der Einleitung des jeweiligen Vergabeverfahrens geltenden Rechtslage zu Ende zu führen. Die im Zeitpunkt des In- bzw. Außerkrafttretens gemäß Abs. 1 und 2 beim Bundesverwaltungsgericht anhängigen Verfahren sind vom Bundesverwaltungsgericht nach der zum Zeitpunkt der Einleitung des jeweiligen Vergabeverfahrens geltenden Rechtslage fortzuführen. Hinsichtlich der Vergabeverfahren, die zum Zeitpunkt gemäß Abs. 1 und 2 bereits beendet sind, richtet sich die Durchführung von Feststellungsverfahren nach der zum Zeitpunkt der Einleitung des jeweiligen Vergabeverfahrens geltenden Rechtslage."

3.2 Zu Spruchpunkt A) -Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung

3.2.1 Maßgebliche Rechtslage

3.2.1.1 Am 21. August 2018 trat das BVergG 2018 nach seinem § 376 Abs 1 in Kraft und das BVergG 2006 zu diesem Zeitpunkt außer Kraft.

3.2.1.2 Nach § 376 Abs 4 BVergG 2018 sind Vergabeverfahren, die vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des BVergG 2018 eingeleitet waren, nach der zum Zeitpunkt der Einleitung des Vergabeverfahrens geltenden Rechtslage zu Ende zu führen. Da das gegenständliche Vergabeverfahren am 7. März 2018 eingeleitet wurde, ist es nach der zu diesem Zeitpunkt geltenden Rechtslage, dem BVergG 2006, zu Ende zu führen und zu beurteilen.

3.2.1.3 Nach § 376 Abs 4 BVergG 2018 sind Nachprüfungsverfahren, die vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des BVergG 2018 beim Bundesverwaltungsgericht anhängig waren, nach der nach der zum Zeitpunkt der Einleitung des jeweiligen Vergabeverfahrens geltenden Rechtslage fortzuführen. Da das gegenständliche Nachprüfungsverfahren nach diesem Zeitpunkt eingeleitet wurde, ist es nach der Rechtslage des BVergG 2018 zu führen.

3.2.1 Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts und Zulässigkeit des Antrages

3.2.1.1 Auftraggeberinnen im Sinne des § 2 Z 8 BVergG 2006 sind die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt und die Wiener Gebietskrankenkasse. Sowohl die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (st Rspr zB BVwG 12. 9. 2018, W138 2200339-2/22E, W138 2201255-2/22E, W138 2203735-2/13E; BVA 10. 3. 2009, N/0145-BVA/09/2008-81; 21. 11. 2013, N/0100-BVA/06/2013-27) als auch die Wiener Gebietskrankenkasse (zu Gebietskrankenkassen st Rpsr zB BVwG 23. 8. 2017, W187 2163208-2/18E; 19. 6. 2018, W187 2195740-2/21E; BVA 26. 6. 2009, N/0049-BVA/10/2009-48) sind öffentliche Auftraggeberinnen gemäß § 3 Abs 1 Z 2 BVergG 2006. Bei der gegenständlichen Ausschreibung handelt es sich um einen Lieferauftrag gemäß § 5 BVergG 2006. Der geschätzte Auftragswert des Gesamtvorhabens liegt jedenfalls über dem relevanten Schwellenwert des § 12 Abs 1 Z 2 BVergG 2006, sodass gemäß § 12 Abs 1 BVergG 2006 ein Vergabeverfahren im Oberschwellenbereich vorliegt. Der Auftragswert des verfahrensgegenständlichen Loses 5 liegt unterhalb des Schwellenwertes, sodass die Antragstellerin die Pauschalgebühr für den Unterschwellenbereich schuldet.

3.2.1.2 Der gegenständliche Beschaffungsvorgang liegt somit im sachlichen und persönlichen Geltungsbereich und damit im Vollanwendungsbereich des BVergG. Die allgemeine Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts zur Überprüfung des Vergabeverfahrens und zur Durchführung von Nachprüfungsverfahren entsprechend § 342 Abs 2 BVergG 2018 iVm Art 14b Abs 2 Z 1 lit a B-VG ist sohin gegeben.

3.2.1.3 Da darüber hinaus laut Stellungnahme des Auftraggebers das Vergabeverfahren nicht widerrufen und der Zuschlag noch nicht erteilt wurde, ist das Bundesverwaltungsgericht damit gemäß § 342 Abs 2 BVergG 2018 zur Nichtigerklärung rechtswidriger Entscheidungen des Auftraggebers und zur Erlassung einstweiliger Verfügungen zuständig.

3.2.1.4 Schließlich geht das Bundesverwaltungsgericht vorläufig davon aus, dass der Antragstellerin die Antragsvoraussetzungen nach § 342 Abs 1 BVergG 2018 nicht offensichtlich fehlen. Der Nachprüfungsantrag wurde rechtzeitig eingebracht. Er enthält alle in § 344 Abs 1 BVergG 2018 geforderten Inhalte.

3.2.1.5 Im Ergebnis ist daher vorläufig davon auszugehen, dass der Antrag auf Erlassung der begehrten einstweiligen Verfügung gemäß § 350 Abs 1 BVergG 2018 zulässig ist, wobei auch die Voraussetzungen des § 350 Abs 2 BVergG 2018 vorliegen.

3.2.2 Inhaltliche Beurteilung des Antrages

3.2.2.1 Im Rahmen der Interessenabwägung nach § 351 Abs 1 BVergG 20108 sowie auch im Hinblick auf die zu verfügende einstweilige Maßnahme ist zunächst darauf Bedacht zu nehmen, dass von Seiten der Auftraggeberin die Erklärung des Widerrufs beabsichtigt ist. Es kann aus der Sicht des Provisorialverfahrens nicht ausgeschlossen werden, dass die von der Antragstellerin relevierten Rechtswidrigkeiten zutreffen und sie daher an einem sodann rechtmäßigen Verfahren erfolgreich teilnehmen wird können, wodurch ihr auf Grund der behaupteten Rechtswidrigkeiten der Entgang des Auftrages mit allen daraus erwachsenden Nachteilen droht. Mit der vorliegenden einstweiligen Verfügung müssen daher - bei Nichtüberwiegen der nachteiligen Folgen einer einstweiligen Verfügung gemäß § 351 Abs 1 BVergG 2018 - Maßnahmen getroffen werden, die eine spätere den Grundprinzipien des Vergaberechts entsprechende Teilnahme am Vergabeverfahren über die ausgeschriebenen Leistungen und eine Zuschlagserteilung ermöglicht. Zur wirksamen Sicherung dieser möglicherweise bestehenden Ansprüche muss daher das Verfahren bis zur Entscheidung in der Hauptsache durch das Bundesvergabeamt in einem Stand gehalten werden, der eine allfällige spätere Zuschlagserteilung an die Antragstellerin ermöglicht (BVwG 29. 1. 2015, W187 2017416-1/3E).

3.2.2.2 Die Interessen der Antragstellerin bestehen im Wesentlichen in der Abwendung des drohenden Schadens und im Erhalt des Auftrags.

3.3.2.3 Die Auftraggeberin sprach sich nicht gegen die Erlassung der einstweiligen Verfügung aus.

3.2.2.4 Bei der Interessenabwägung ist schließlich auf die allgemeinen Interessen und Grundsätze Rücksicht zu nehmen, dass der Auftraggeber bei seiner zeitlichen Planung des Beschaffungsvorganges die Dauer eines allfälligen Rechtsschutzverfahrens mit einzukalkulieren hat (siehe zB BVwG 22. 8. 2014, W187 2010665-1/11E; 11. 7. 2017, W187 2163208-1/3E), dass das öffentliche Interesse an der Sicherstellung der Auftragserteilung an den tatsächlichen Bestbieter zu berücksichtigen ist (grundlegend VfGH 1. 8. 2002, B 1194/02) und schließlich dass gemäß § 329 Abs 1 BVergG von der Erlassung einer einstweiligen Verfügung nur dann abzusehen ist, wenn die Interessenabwägung ein Überwiegen der nachteiligen Folgen ergibt (zB BVwG 2. 3. 2015, W187 2101270-1/6E; 19. 1. 2017, W187 2144680-1/2E). Es besteht ein Primat des vergaberechtlichen Primärrechtsschutzes (EuGH 9. 4. 2003, C-424/01, CS Austria, Rn 30, Slg 2003, I-3249).

3.2.2.5 Öffentliche Interessen, die eine sofortige Erklärung des Widerrufs und Neuausschreibung des Auftrags erforderlich machen würden, sind nicht ersichtlich.

3.2.2.6 Stellt man daher im vorliegenden Fall die Interessen der Antragstellerin den öffentlichen Interessen sowie den Interessen des Auftraggebers gegenüber, ergibt sich, dass im gegenständlichen Fall vom grundsätzlichen Überwiegen der für die Erlassung einer einstweiligen Verfügung sprechenden Interessen auszugehen ist. Dem Zweck des einstweiligen Rechtsschutzes, nämlich der Ermöglichung der Teilnahme an einem rechtskonformen Vergabeverfahren und einer Auftragserteilung an die allenfalls obsiegende Antragstellerin ist durch eine entsprechende Maßnahme Genüge zu leisten. Ungeachtet eines gesetzlichen Auftrags wäre die Auftraggeberin verpflichtet gewesen, die Dauer eines Nachprüfungsverfahrens bei ihrer Zeitplanung zu berücksichtigen.

3.2.2.7 Zweck einer einstweiligen Verfügung ist es demnach, die dem Antragsteller bei Zutreffen seines Vorbringens drohenden Schäden und Nachteile abzuwenden, indem der denkmögliche Anspruch auf Zuschlagserteilung dadurch wirksam gesichert wird, dass das Verfahren bis zur Entscheidung in der Hauptsache in einem Stand gehalten wird, der eine allfällige Teilnahme der Antragstellerin am Vergabeverfahren ermöglicht. Dabei ist gemäß § 351 Abs 3 BVergG 2018 die jeweils gelindeste zum Ziel führende Maßnahme anzuordnen.

3.2.2.8 Bei der bevorstehenden Erklärung des Widerrufs ist das nötige und gelindeste Mittel gemäß § 351 Abs 3 BVergG 2018 die vorläufige Untersagung derselben (zB BVwG 26. 6. 2015, W138 2108837-1/2E; 19. 10. 2017, W131 2173580-1/2E; BVA 3.7. 2013, N/0062-BVA/10/2013-EV7). Es soll somit (lediglich) der Rechtsgestaltungsanspruch dahingehend gesichert werden, dass durch die einstweilige Verfügung verhindert werde, dass eine nachfolgende im Hauptverfahren erfolgte Nichtigerklärung unmöglich oder sonst absolut sinnlos wird (zB BVwG 10. 1. 2014, W187 2000170-1/11; 7. 8. 2017, W187 2165912-1/2E; 27. 2. 2018, W187 2186439-1/2E; BVA 9. 3. 2007, N/0018-BVA/10/2007-EV011).

3.2.2.9 Durch die Begrenzung der einstweiligen Verfügung mit der Dauer des abzusichernden Nachprüfungsverfahrens wird die Dauer der einstweiligen Verfügung bestimmbar gemacht (Kodek in Angst/Oberhammer, Kommentar zur Exekutionsordnung³ [2015], § 391 Rz 2). Die Zeit bemisst sich nach der Dauer des Nachprüfungsverfahrens.

§ 351 Abs 4 BVergG 2018 verlangt lediglich die Festsetzung einer Zeit, legt im Gegensatz zu den Vorgängergesetzen keine Höchstfrist fest. Aus dem Zweck der einstweiligen Verfügung, der Absicherung eines effektiven Nachprüfungsverfahrens, ergibt sich, dass die einstweilige Verfügung für die gesamte Dauer des Nachprüfungsverfahrens erlassen werden soll und mit dieser Dauer durch das Gesetz überdies begrenzt ist. Der Auftraggeber ist durch eine derartige Bestimmung der Zeit nicht belastet, da die Entscheidungsfrist des Bundesverwaltungsgerichts davon nicht verlängert wird, sie jederzeit bei Wegfall der Voraussetzungen für die Erlassung der einstweiligen Verfügung deren Aufhebung beantragen kann und die einstweilige Verfügung mit der Entscheidung über den Nachprüfungsantrag außer Kraft tritt. Von der Bestimmung einer nach einem bestimmten Datum fest gesetzten Frist konnte daher abgesehen werden (zB BVwG 10. 1. 2014, W187 2000170-1/11; 4. 5. 2015, W187 2106525-1/2E; siehe auch VwGH 10. 12. 2007, AW 2007/04/0054).

3.2.2.10 Über den Antrag auf Ersatz der Pauschalgebühr wird gesondert entschieden werden.

3.3 Zu Spruchpunkt B) - Nichtzulassung der Revision

3.3.1 Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

3.3.2 Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl dazu VwGH 6. 11. 2002, 2002/04/0138;

30. 6. 2004, 2004/04/0028; 1. 2. 2005, 2005/04/0004; 29. 6. 2005, 2005/04/0024; 1. 3. 2007, 2005/04/0239; 27. 6. 2007, 2005/04/0254;

29. 2. 2008, 2008/04/0019; 14. 1. 2009, 2008/04/0143; 14. 4. 2011, 2008/04/0065; 29. 9. 2011, 2011/04/0153) ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Angebotsöffnung, Dauer der Maßnahme, drohende Schädigung,
einstweilige Verfügung, Entscheidungsfrist, Frist, gelindeste
Maßnahme, gelindestes Mittel, Interessenabwägung, Lieferauftrag,
Mindestanforderung, Nachprüfungsantrag, Nachprüfungsverfahren,
öffentliche Interessen, öffentlicher Auftraggeber,
Provisorialverfahren, Schaden, Untersagung, Vergabeverfahren,
Widerruf des Vergabeverfahrens, Widerrufsentscheidung,
Widerrufsgründe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W187.2206750.1.00

Zuletzt aktualisiert am

08.01.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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