TE Vwgh Erkenntnis 1999/9/10 97/19/1465

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Veröffentlicht am 10.09.1999
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
25/02 Strafvollzug;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AufG 1992 §3 Abs1 idF 1995/351;
AufG 1992 §3 Abs1 Z1 idF 1995/351;
AufG 1992 §4 Abs1;
AufG 1992 §5 Abs1;
AufG 1992 §9 Abs3 idF 1995/351;
B-VG Art130 Abs2;
StVG §147;
StVG §99a;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Zens, Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Brandtner, über die Beschwerde der 1950 geborenen NJ, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 2. Juli 1997, Zl. 122.201/2-III/11/97, betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin beantragte am 26. Juni 1996 die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung und gab als Aufenthaltszweck den der Familiengemeinschaft mit ihrem österreichischen Ehegatten an.

Mit Bescheid der Aufenthaltsbehörde erster Instanz vom 24. Februar 1997 wurde der Antrag gemäß § 3 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) abgewiesen. Die Behörde erster Instanz begründete dies damit, dass der Normzweck einer Familienzusammenführung, die Bildung einer Familieneinheit, ab der Einreise der Antragstellerin nicht erfüllt wäre, weil sich der Ehegatte der Beschwerdeführerin im Zeitpunkt der Bescheiderlassung in Haft befinde. Darüber hinaus sei die Beschwerdeführerin unrechtmäßig ins Bundesgebiet eingereist und halte sich auch unrechtmäßig im Bundesgebiet auf, weshalb auch der Sichtvermerksversagungsgrund des § 10 Abs. 1 Z 4 des Fremdengesetzes 1992 (FrG) gegeben sei.

Die Beschwerdeführerin erhob Berufung, in der sie auf die gegenseitige Unterstützungs- und Beistandspflicht von Ehegatten verwies und auf die - im Fall der Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung bestehende - Möglichkeit hinwies, ihren derzeit noch in Haft befindlichen Ehegatten regelmäßig zu besuchen. Die Entlassung ihres Ehegatten sei für Sommer 1997 vorgesehen, weshalb sehr wohl eine Familienzusammenführung im Sinne des § 3 Abs. 1 Z 1 AufG vorliege. Schließlich sei die Beschwerdeführerin, die den erstinstanzlichen Bescheid im Ausland übernommen habe, auch freiwillig ausgereist, weshalb der Tatbestand des § 10 Abs. 1 Z 4 FrG nicht mehr vorliege.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 2. Juli 1997 wurde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 3 Abs. 1 und § 4 Abs. 1 AufG abgewiesen. Die belangte Behörde stellte fest, der Beschwerdeführerin stehe ein Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gemäß § 3 Abs. 1 AufG zu, weil sie seit 8. Dezember 1995 mit dem österreichischen Staatsbürger Manfred Jurtitsch verheiratet sei. Dieser befinde sich jedoch nach der auch auf den eigenen Angaben der Beschwerdeführerin beruhenden Aktenlage derzeit in der Justizanstalt Linz in Haft. Die Berufungsbehörde stelle hiezu fest, dass in Anbetracht der Tatsache, dass sich der Gatte der Beschwerdeführerin nicht in Freiheit, sondern in Haft befinde, eine Familienzusammenführung im Sinne des § 3 Abs. 1 AufG im gegenständlichen Fall derzeit nicht vorliege. Darüber hinaus befinde sich auch der Sohn der Beschwerdeführerin noch in Bulgarien und habe die Beschwerdeführerin für diesen noch keinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gestellt. Gerade das der Behörde eingeräumte Ermessen gemäß § 4 Abs. 1 AufG gebiete es, bei Erstanträgen strenge Maßstäbe bezüglich der Erreichbarkeit von Aufenthaltszwecken und eines gesicherten Unterhaltes anzulegen. Eine Familienzusammenführung mit einem in Haft befindlichen Ehegatten sei von keiner hervorgehobenen Dringlichkeit und sei es somit erforderlich, die Erteilung einer Bewilligung infolge der derzeitigen familiären Situation zu versagen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde erwogen:

Vorauszuschicken ist, dass die Beschwerdeführerin noch nie über eine Aufenthaltsbewilligung verfügte, weshalb auf den vorliegenden Beschwerdefall die Bestimmung des § 113 Abs. 6 und 7 des Fremdengesetzes 1997 keine Anwendung findet.

§ 3 Abs. 1 und § 4 Abs. 1 AufG lauteten (auszugsweise):

"§ 3. (1) Ehelichen und außerehelichen minderjährigen Kindern und Ehegatten

1.

von österreichischen Staatsbürgern oder

2.

...

ist nach Maßgabe des § 2 Abs. 3 Z 3 und 4 eine Bewilligung zu erteilen, sofern kein Ausschließungsgrund (§ 5 Abs. 1) vorliegt.

§ 4. (1) Eine Bewilligung kann Fremden unter Beachtung der gemäß § 2 erlassenen Verordnungen sowie unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse in dem Land des beabsichtigten Aufenthaltes erteilt werden, sofern kein Ausschließungsgrund (§ 5) vorliegt. Auf die Verlängerung von Bewilligungen finden die gemäß § 2 erlassenen Verordnungen keine Anwendung."

Die belangte Behörde geht im ersten Teil der Bescheidbegründung noch davon aus, dass der Beschwerdeführerin ein Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gemäß § 3 Abs. 1 AufG zustehe, weil diese seit 8. Dezember 1995 mit einem österreichischen Staatsbürger verheiratet sei, dass aber auf Grund der Inhaftierung des Ehegatten der Beschwerdeführerin "eine Familienzusammenführung im Sinne des § 3 Abs. 1 AufG im gegenständlichen Fall derzeit nicht vorliege", was zusätzlich damit begründet wurde, dass auch der in Bulgarien befindliche Sohn der Beschwerdeführerin noch keinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gestellt habe. Aus den letztgenannten Gründen sah die belangte Behörde den zuerst festgestellten Rechtsanspruch dann offenbar doch nicht als gegeben an und traf im zweiten Teil der Bescheidbegründung eine negative Ermessensentscheidung über den verfahrensgegenständlichen Antrag.

Abgesehen davon, dass die Begründung des angefochtenen Bescheides schon aus diesem Grund in sich widersprüchlich ist (Rechtsanspruch oder Ermessen?), erweist sie sich auch aus mehreren Gründen als rechtswidrig. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 3 Abs. 1 Z 1 AufG hängt der dort umschriebene Rechtsanspruch - bei Fehlen eines Ausschließungsgrundes - lediglich davon ab, ob der Antragsteller Ehegatte (oder, was hier nicht in Betracht kommt, minderjähriges Kind) eines österreichischen Staatsbürgers im Sinne des § 3 Abs. 1 Z 1 AufG ist. Davon, dass diese Voraussetzung bei der Beschwerdeführerin gegeben ist, geht die belangte Behörde selbst im angefochtenen Bescheid ausdrücklich aus. Daraus folgt jedoch, dass der Beschwerdeführerin gemäß § 3 Abs. 1 Z 1 AufG ein Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung zustand, sofern kein Ausschließungsgrund im Sinne des § 5 Abs. 1 AufG vorlag, wofür die Feststellungen im angefochtenen Bescheid keine Anhaltspunkte bieten.

Aus dem AufG ergibt sich kein Hinweis darauf, dass der Rechtsanspruch des Ehegatten auf Erteilung einer Bewilligung (zum geltend gemachten Zweck der Familienzusammenführung) noch zusätzlich - wie die belangte Behörde offenbar annahm - davon abhängt, ob sich die Person, mit der die Familienzusammenführung angestrebt wird, im Zeitpunkt der Bescheiderlassung in Haft befindet oder nicht. Ebenso wenig ist es für das Vorliegen des Rechtsanspruches gemäß § 3 Abs. 1 Z 1 AufG von Bedeutung, ob der in Bulgarien befindliche Sohn der Beschwerdeführerin bereits einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung im Inland gestellt hat.

Die Beschwerdeführerin hat in Übereinstimmung mit den zahlreichen Eingaben ihres Ehegatten vorgebracht, im Falle der Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung die Möglichkeit regelmäßiger Besuche bei ihrem inhaftierten Ehegatten nützen und ihn auf diese Weise unterstützen zu wollen. Entgegen der Ansicht der belangten Behörde ist die Einräumung eines Anspruches auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung auch an Fremde, die Angehörige eines inhaftierten Österreichers sind, auch nicht als sachfremd zu erachten, weil die Kontaktnahme der Familienmitglieder während der Haftdauer im Rahmen des Besuchsrechtes in der Strafvollzugsanstalt oder im Rahmen von Ausgängen gemäß § 99a oder 147 StVG außerhalb derselben erfolgen kann. Die von der belangten Behörde vorgenommene teleologische Reduktion dieser Bestimmung ist daher nicht gerechtfertigt.

Die die Bescheidbegründung tragende Ansicht der belangten Behörde, wonach "eine Familienzusammenführung im Sinne des § 3 Abs. 1 AufG" im gegenständlichen Fall nicht vorliege, erweist sich daher einerseits als rechtswidrig, weil eine Familienzusammenführung auch in einer Konstellation wie im Beschwerdefall möglich ist und andererseits § 3 Abs. 1 AufG (und der darin wurzelnde Rechtsanspruch) nicht auf den Aufenthaltszweck der Familienzusammenführung abstellt.

Insoweit die belangte Behörde schließlich eine Ermessensübung gemäß § 4 Abs. 1 AufG vornahm und die Ansicht vertrat, eine Familienzusammenführung mit einem in Haft befindlichen Ehegatten sei von keiner hervorgehobenen Dringlichkeit, so verkennt sie auch in diesem Punkt die Rechtslage. Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Z 1 AufG und bei Fehlen von Versagungsgründen liegt - wie bereits dargestellt - ein Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung vor; diesfalls wäre der Beschwerdeführerin bei offener Quote eine Aufenthaltsbewilligung zu erteilen gewesen. Wäre die Quote (für Familiennachzug) im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides aber bereits erschöpft gewesen, hätte der Antrag nicht abgewiesen werden dürfen, sondern es wäre gemäß § 9 Abs. 3 AufG die Entscheidung über diesen Antrag bis zum Inkrafttreten der neuen Quotenverordnung aufzuschieben gewesen. Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt erkannt hat (vgl. u. a. das hg. Erkenntnis vom 5. Juni 1998, Zl. 96/19/2052, m.w.N.) ist die Behörde nur bei Fremden, die nicht unter § 3 Abs. 1 AufG fallen, unabhängig von der Erschöpfung der Quote zu einer (negativen) Ermessensentscheidung gemäß § 4 Abs. 1 AufG ermächtigt. Eine auf diese Bestimmung gestützte Ermessensentscheidung kommt im Falle des Vorliegens des Tatbestandes des § 3 Abs. 1 AufG überhaupt nicht in Frage. Die in Verkennung der Rechtslage getroffene Ermessensentscheidung der belangten Behörde erweist sich daher ebenfalls als rechtswidrig.

Aus den dargestellten Gründen war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Kostenersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Neben dem pauschalierten Ersatz des Schriftsatzaufwandes kann ein Ersatz weiterer Kosten unter dem Titel von Umsatzsteuer nicht zugesprochen werden.

Wien, am 10. September 1999

Schlagworte

Ermessen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1997191465.X00

Im RIS seit

02.05.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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