TE Bvwg Erkenntnis 2018/10/19 W240 2186759-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.10.2018
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

19.10.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W240 2186759-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. FEICHTER über die Beschwerde von XXXX , StA. Somalia gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.01.2018, Zl. 16-1112795003/160590649, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 11.07.2018 zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. gem. § 3 Abs. 1 AsylG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

II. Hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird der Beschwerde stattgegeben und XXXX gem. § 8 Abs. 1 AsylG 2005 idgF der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia zuerkannt.

III. Gem. § 8 Abs. 4 AsylG 2005 idgF wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für die Dauer von einem Jahr erteilt.

IV. Die übrigen Spruchpunkte werden ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Somalias, gelangte unter Umgehung der Grenzkontrolle nach Österreich und stellte am 26.04.2016 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Zu diesem wurde er am selben Tag vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt und gab dabei im Wesentlichen an, er sei Sunnit, sei in Gedo, Somalia geboren und habe keine Berufsausbildung. Seine drei Brüder, seine Schwester und vier Halbgeschwister würden sich im Herkunftsland aufhalten. Ein Cousin von ihm sei in Österreich oder der EU aufhältig. Am ganzen Körper habe er einen Ausschlag. Als Fluchtgrund gab er an, dass niemand für ihn gesorgt habe. Es habe keine Arbeit gegeben und er sei unterdrückt worden. Als seine Eltern gestorben seien und seine Großmutter, die für ihn und seine Geschwister gesorgt habe, krank geworden sei, sei er weggerannt. Es gebe immer Leute, die sie niedermachen würden und da er keine Eltern habe, würden diese ihn schlecht behandeln und bedrohen.

Da im Zuge der Erstbefragung Zweifel an der Minderjährigkeit des Beschwerdeführers aufkamen, erfolgte am 06.05.2016 die Bestimmung des Knochenalters des Beschwerdeführers durch ein Röntgen der linken Hand, dessen Ergebnis "Schmeling 4, GP 31" lautete.

Das vom BFA in Auftrag gegebenen Sachverständigengutachten zur Altersfeststellung vom 16.07.2016 (Untersuchungszeitpunkt: 24.06.2016), nennt betreffend den Beschwerdeführer ein Mindestalter von 19 Jahren. Sodass der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Asylantragstellung am 26.04.2016 jedenfalls volljährig (18,23 Jahre) gewesen ist. Das errechnete fiktive Geburtsdatum ist der XXXX .

Mit Schriftstück vom 10.11.2017 erhob der Beschwerdeführer Säumnisbeschwerde.

Nach Zulassung zum Asylverfahren erfolgte am 30.11.2017 eine niederschriftliche Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl. Der Beschwerdeführer tätigte im Wesentlichen folgende Angaben:

"(...)

F: Wie geht es Ihnen. Sind Sie psychisch und physisch in der Lage, Angaben zu Ihrem Asylverfahren zu machen?

A: Ja, ich bin dazu in der Lage. Ich habe keine physischen oder psychischen Probleme.

F: Haben Sie irgendwelche Krankheiten und wenn ja, welche?

A: Nein, ich bin vollkommen gesund.

F: Haben Sie im Verfahren bis dato der Wahrheit entsprechende Angaben gemacht und wurden Ihnen diese jeweils rückübersetzt und korrekt protokolliert?

A: Ja, ich habe die Wahrheit gesagt, es wurde rückübersetzt aber es gibt einige kleine Fehler.

F: Um welche Fehler handelt es sich?

A: XXXX ist nicht wie protokolliert mein Onkel. Es war nur ein Spitzname. Die Stadt wo ich gelebt habe ist XXXX in Gedo. Auch hat die Schleppung 500 nicht 5.000 Euro gekostet. Sonst wurde alles richtig protokolliert.

F: Haben Sie sich mittlerweile irgendwelche Dokumente besorgt?

A: Ja, alles was ich habe lege ich heute vor.

AW legt Dokumente über seine Integrationsbemühungen und Unterstützungsschreiben vor.

F: Haben Sie irgendwelche Personaldokumente oder andere Dokumente in Österreich, die Sie noch nicht vorgelegt haben?

A: Nein, sonst habe ich keine Dokumente.

F: Besitzen Sie einen Führerschein, und wenn ja, wann, wo und von wem wurde dieser ausgestellt?

A: Nein, ich habe keinen Führerschein.

Erklärung: Sie haben am 26.04.2016 beim BFA um Asyl ersucht. Sie wurden am 26.04.2016 vor der Polizei bereits zu Ihrem Asylverfahren, d. h. zu Ihrem Reiseweg und den Gründen Ihrer Ausreise, befragt. Können Sie sich an Ihre damaligen Angaben erinnern? Waren Ihre damals gemachten Angaben vollständig und entsprechen diese der Wahrheit? Wollen Sie selbst zu diesen Angaben noch etwas hinzufügen oder etwas sagen, was Sie noch nicht angeführt haben?

A: Ja, ich kann mich noch daran erinnern. Meine Angaben sind vollständig, ich habe damals alles gesagt, mehr habe ich selbst nicht dazu anzuführen. Ich habe die Wahrheit gesagt. Andere Gründe gibt es nicht.

V: Bei der Erstbefragung gaben Sie an, dass Sie am XXXX geboren worden wären. Sie machten sich somit Minderjährig. Aufgrund einer Altersfeststellung kam jedoch hervor, dass Sie bereits volljährig sind. Es ist offensichtlich, dass Sie sich durch die Behauptung minderjährig zu sein, Rechtsvorteile verschaffen wollten. Nehmen Sie dazu Stellung!

A: Ich habe das Geburtsdatum nur geschätzt, ich wusste es nicht. Die Altersfeststellung hat dann erst mein richtiges Alter festgestellt.

(...)

F: Unter welchen Lebensumständen haben Sie gelebt?

A: In Somalia haben wir unter mittelmäßigen Umständen gelebt. Wirtschaftlich ging es uns schlecht. Die allgemeine Lage war auch nicht gut.

F: Welchen Beruf haben Sie in Ihrer Heimat ausgeübt?

A: In Somalia war ich mehrere Jahre als Schuhputzer/Autoputzer beschäftigt.

F: Was haben Sie im Monat verdient?

A: Ich habe im Monat ca. 300 Somali-Schilling verdient.

F: Haben Sie in Ihrem Heimatland derzeit Angehörige, wenn ja, geben Sie eine Erklärung dazu ab, in welchem Verwandtschaftsgrad Sie zu diesen Personen stehen?

A: siehe oben

F: Hat Ihre Familie irgendwelche Besitztümer in Ihrem Heimatland, z. B. Häuser, Grund?

A: Ja, wir haben ein Haus und die Erbschaft des Großvaters.

F: Haben Sie bislang eine Ehe geschlossen?

A: Nein, ich bin ledig und kinderlos.

F: Wo hält sich derzeit Ihre Familie genau auf? Können Sie die genaue Adresse bekannt geben?

A: siehe oben

F: Gibt es eine Telefonnummer unter der Ihre Familie erreichbar ist?

A: Ja, die Nummer weiß ich aber nicht auswendig.

F: Haben Sie Kontakt zu Ihrer Familie? Wie gestaltet sich der Kontakt zu Ihrer Familie? Kommunizieren Sie auch über soziale Netzwerke und andere Medien?

A: Ja, ich telefoniere manchmal mit meinem älteren Zwillingsbruder

XXXX .

F: Unter welchen Umständen lebt Ihre Familie, wovon bestreiten Ihre Angehörigen den Lebensunterhalt, wer versorgt sie etc.?

A: Das weiß ich nicht. Mein Zwillingsbruder versorgt die Familie. Mehr kann ich dazu nicht sagen.

F: Könnten Sie im Falle der Rückkehr in Ihr Herkunftsland wieder an Ihrer Wohnadresse bzw. bei Verwandten wohnen?

A: Nein, sicher nicht.

F: Warum nicht?

A: Weil ich hatte dort Probleme. Das ist der Grund warum ich nicht zurück kann.

F: Haben Sie noch Freunde oder Bekannte in der Heimat?

A: Nein, ich habe dort niemanden mehr.

F: Waren Sie nur in Ihrem Heimatort oder kennen Sie sich in Somalia aus und wenn ja, wo haben Sie sich in Somalia schon aufgehalten bzw. wohin sind Sie gereist (z.B. Verwandtenbesuche, Schulaufenthalte etc.?)

A: Ich war eigentlich immer nur in XXXX unterwegs.

F: In welchem Zeitraum haben Sie in Somalia gelebt?

A: Ich habe dort von meiner Geburt, bis zu meiner Ausreise gelebt.

F: Inwieweit beherrschen Sie die Sprache Ihres Heimatlandes?

A: Sehr gut, Somali ist meine Muttersprache.

F: Inwieweit sind Ihnen die gesellschaftlichen und kulturellen Gegebenheiten Ihres Heimatlandes vertraut?

A: Sehr gut, da ich dort aufgewachsen bin.

Angaben zum Fluchtweg:

F: Können Sie nochmals angeben, über welche Reiseroute Sie nach Österreich gekommen sind?

A: Ich bin von Somalia nach Äthiopien weiter in den Sudan und von Libyen bin ich weiter nach Italien und Österreich.

F: Wie viel mussten Sie für die Schleppung bezahlen?

A: Die Schleppung kostete ca. 500 USD.

V: Es ist absolut unglaubwürdig, dass Sie für die Schleppung von Somalia nach Österreich lediglich 500,-- USD bezahlt haben!

A: Ich gehöre zu einem Minderheitenstamm. Andere Flüchtlinge zahlen viel mehr. Der Schlepper hat nur 500 USD verlangt.

Erneute Nachfrage: Es ist unglaubwürdig, dass Sie so wenig bezahlt haben. Nehmen Sie dazu Stellung!

A: Von Somalia nach Äthiopien habe ich 900 USD gezahlt. Dann habe ich noch 500 USD bis nach Europa gezahlt.

F: Wieso sagten Sie das nicht gleich?

A: Ich wurde nicht danach gefragt.

F: Woher haben Sie das Geld?

A: Meine Schwester hat es mir gegeben.

F: Mit welchem Dokument sind Sie gereist?

A: Ich bin ohne Dokument, also illegal gereist.

F: Haben Sie in einem anderen Land schon einmal einen Asylantrag gestellt?

A: Nein, nur hier in Österreich.

F: Warum sind Sie ausgerechnet nach Österreich gereist?

A: Ich wurde hier von der Polizei aufgegriffen. Ich wollte eigentlich nach Deutschland.

F: Möchten Sie zum Fluchtweg noch etwas angeben, was Ihnen wichtig ist?

A: Nein, das war alles.

Angaben zum Fluchtgrund:

F: Was war der konkrete Grund, warum Sie die Heimat verlassen haben? Erzählen Sie bitte möglichst chronologisch über alle Ereignisse, die Sie zum Verlassen der Heimat veranlasst haben (freie Erzählung)!

A: Der Fluchtgrund warum ich geflüchtet bin ist, dass ich einer Minderheit angehört habe.

Außerdem hatte ich Probleme mit der Gesellschaft. Vorher hatte uns mein Vater ernährt er arbeitete als Schmidt und Schuhmacher. Mein Vater schuldete jemandem Geld und konnte es nicht zurückgeben. Mein Vater ist dann nach Mogadischu geflüchtet. Mein Bruder hat die Arbeit des Vaters übernommen. Dann kam der Sohn eines anderen Stammes und verlangte die Schulden meines Vaters. Mein Bruder sagte, dass er das nicht zahlen kann, da der Vater schuld daran ist.

Mein Bruder wurde geschlagen. Mein Bruder hat diese Person schlussendlich getötet. Dann ist auch mein Bruder geflüchtet. Meine Schwester hat mir das erzählt. Sie sagte auch, dass unser Haus von bewaffneten attackiert wurde. Sie sagte, ich sollte nicht nach Hause kommen, sondern flüchten. Das ist mein Fluchtgrund. Ich bin ausschließlich wegen den Problemen meines Bruders geflüchtet. Andere Gründe gibt es nicht.

Mein Bruder sieht genauso aus wie ich. Wenn ich dort geblieben wäre würden sie Rache nehmen. Ich fühlte mich in Somalia nicht mehr sicher. Die allgemeine Sicherheitslage in Somalia hat mich zur Ausreise gezwungen.

(Ende der freien Erzählung)

F: Sie werden nochmals auf das Neuerungsverbot im Beschwerdeverfahren aufmerksam gemacht. Ich frage Sie daher jetzt nochmals, ob Sie noch etwas Asylrelevantes angeben möchten oder etwas vorbringen möchten, was Ihnen wichtig erscheint, ich jedoch nicht gefragt habe?

A: Nein, ich habe alles erzählt. Ich habe keine weiteren Gründe mehr vorzubringen.

F: Wann genau hat Ihr Bruder den Sohn eines anderen Stammes getötet?

A: Das war im Dezember 2015.

F: Wie war der Name dieser Person?

A: Das Opfer heißt XXXX .

F: Wie ist dieser Mord abgelaufen?

A: Er ist der Sohn von einem Geldgeber und wollte immer das Geld zurück.

Anmerkung: AW antwortet nicht auf die Frage

Anmerkung: Die Frage wird dem AW mehrmals wiederholt

Erneute Nachfrage: Wie ist dieser Mord abgelaufen?

A: Es war um 9 Uhr in der Früh und verlangte das Geld zurück und mein Bruder sagte, dass er nicht zahlen kann. Er hat meinen Bruder beleidigt und sagte, dass er einer Minderheit angehört und sie sind aufeinander losgegangen. Mein Bruder lag am Boden und er ist wieder aufgestanden und holte ein Messer und hat ihn abgestochen. Dann ist mein Bruder geflüchtet.

F: Ist an Sie jemals jemand von diesem Stamm herangetreten?

A: Nein, es ist niemals irgendwer an mich herangetreten.

F: Wo waren Sie zum Zeitpunkt des Mordes?

A: Ich war bei der Arbeit in XXXX . Meine Schwester hat mich dann darüber verständigt. Sie sagte, dass bewaffnete Menschen unser Haus attackiert haben und meinen Bruder verhaftet haben. Meine Schwester hat geweint.

F: Wann genau wurde Ihr Haus attackiert?

A: Das war am gleichen Tag.

F: Woher wusste dieser Stamm, dass Ihr Bruder diese Person getötet hat?

A: Das haben die Leute gesehen. Mehr kann ich dazu nicht sagen.

F: Wo genau wurde diese Person getötet?

A: Das war in einer kleinen Hütte im Gang.

F: Woher wissen Sie, wo dieser Mord stattgefunden hat?

A: Meine Schwester hat mir das gesagt.

F: Wo war Ihre Schwester zu diesem Zeitpunkt?

A: Sie war zuhause.

F: Woher hat Ihre Schwester diese Information?

A: Als unser Haus überfallen wurde, teilten uns dies die Mitglieder des anderen Stammes mit.

F: Erklären Sie den Ablauf des Überfalles auf Ihr Haus genau! Können Sie das detailliert schildern?

A: Mein Bruder ist in die Arbeit gegangen um 9 Uhr. Die Söhne des Geldgebers sind zur Arbeit meines Bruders gekommen und verlangten das Geld.

Anmerkung: AW antwortet nicht auf die Frage

Erneute Nachfrage: Erklären Sie den Ablauf des Überfalles auf Ihr Haus genau!

A: Bewaffnete Menschen haben unser Haus attackiert es waren der Vater und der Onkel des Ermordeten dabei und auch die ganzen Verwandten. Es fielen Schüsse und sie sind gewaltsam ins Haus gekommen. Sie fragten nach mir und meinem Bruder. Meine Schwester sagte, sie weiß nicht, wo wir sind. Dann sagten sie, dass sie den ältesten Bruder töten und verhafteten zwei meiner Brüder. XXXX wurde verhaftet.

F: Wie viele Personen haben Ihr Haus überfallen?

A: Es waren ca. 20 Personen.

F: Wie heißt der Stamm?

A: Der Stamm heißt Marehan.

F: Wo waren Sie zum Zeitpunkt des Überfalles?

A: Ich war bei der Arbeit.

F: Wer hat Sie dann über die Details des Überfalles aufgeklärt?

A: Das war meine Schwester.

F: Warum wurde Ihr Haus und nicht Ihr Bruder direkt angegriffen?

A: Der Sohn des Geldgebers ist ja zu meinem Bruder gegangen. Mehr kann ich dazu nicht sagen.

F: Sind Sie nur auf Anraten Ihrer Schwester geflüchtet?

A: Ja, ich bin nur auf Anraten meiner Schwester ausgereist.

F: Sind Sie mit diesem Bruder, welcher diese Person getötet hat, noch in Kontakt?

A: Ja, ich bin mit ihm im Kontakt.

F: Wo befindet sich Ihr Bruder momentan?

A: Er ist in XXXX in Äthiopien. Die zwei Städte sind Nachbarstädte.

F: Wie geht es Ihrem Bruder dort?

A: Er sagte, dass er gesund ist und gut dort leben kann.

F: Warum sind Sie nicht dorthin geflüchtet?

A: Dort bekam ich keine Unterstützung und habe Asylwerber gesehen, deswegen bin ich einfach mitgeflüchtet.

F: Warum sind Sie weiter geflüchtet?

A: Ich bin von dort wegen der wirtschaftlichen Lage weggegangen.

F: Wann ist Ihr Vater nach Mogadischu geflüchtet?

A: Das war im September 2015.

F: Wo blieb Ihre Mutter derweil?

A: Meine Mutter ist gestorben als ich ein Kind war.

F: Wann genau ist Ihr Vater gestorben?

A: Das war im Oktober 2015.

F: Wo ist Ihr Vater gestorben?

A: Er ist in Mogadischu gestorben.

F: Woher wissen Sie das alles?

A: Mein Bruder hat es mir mitgeteilt.

F: Woher wusste Ihr Bruder davon?

A: Meine Schwester hat es meinem Bruder gesagt.

F: Woher wusste Ihre Schwester davon?

A: Mein Bruder ist nach Äthiopien geflüchtet und der Kontakt ist abgebrochen. Danach hat meine Schwester gesagt, dass mein Vater tot ist.

Anmerkung: AW antwortet nicht auf die Frage

Erneute Frage: Woher wusste Ihre Schwester vom Tod Ihres Vaters?

A: Die Nachbarin meines Vaters teilte dies meiner Schwester mit.

F: Wie heißt diese Nachbarin?

A: Sie heißt XXXX .

F: Wie konnte diese Nachbarin Ihre Schwester kontaktieren?

A: Sie suchte nach Kontakten und der Nummer und hat dann meine Schwester benachrichtigt.

F: Lebt Ihr Bruder noch in Äthiopien?

A: Ja, er lebt noch dort.

F: Wie viel Zeit war zwischen dem Überfall auf Ihr Haus und Ihrer Ausreise?

A: Das war am gleichen Tag. Ich bin sofort geflüchtet.

F: Sind Sie alleine geflüchtet?

A: Ja, ich bin alleine geflüchtet.

F: Sie haben den Überfall selbst nicht gesehen richtig?

A: Nein, ich habe den Überfall nicht gesehen oder miterlebt. Ich habe das nur aus Erzählungen meiner Schwester erfahren.

F: Wurde Ihre Familie seit diesem Vorfall jemals bedroht?

A: Das weiß ich nicht. Mehr kann ich dazu nicht sagen.

F: Starb Ihr Vater eines natürlichen Todes?

A: Mein Vater ist bei einem zufälligen Anschlag ums Leben gekommen.

F: Sie haben angegeben, dass Sie Halbgeschwister haben, wo befinden sich diese bzw. was ist mit Ihrer Stiefmutter?

A: Wo sich meine Halbgeschwister befinden weiß ich nicht. Der Aufenthaltsort meiner Stiefmutter ist XXXX .

V: Also haben Sie sicher auch weitere Verwandten in Somalia?

A: Nein, mein Vater war ein Einzelkind, seine Geschwister sind alle gestorben. Ich habe sonst keine weiteren Verwandten mehr.

V: Bei der Erstbefragung haben Sie von den Problemen Ihres Bruders nichts erwähnt. Ihre Angaben sind somit nicht glaubhaft. Nehmen Sie dazu Stellung!

A: Ich habe meine Fluchtgeschichte nur kurz erzählt. Mehr kann ich dazu nicht sagen.

V: Sie haben einen komplett anderen Sachverhalt geschildert. Nehmen Sie dazu Stellung!

A: Ich wurde nach meinem Fluchtgrund nicht gefragt. Mehr kann ich dazu nicht sagen.

V: Sie wurden sehr wohl nach Ihrem Fluchtgrund befragt und gaben einen völlig anderen Fluchtgrund an. Nehmen Sie dazu Stellung!

A: Das stimmt, diesen Grund habe ich angegeben. Ich habe aber nur kurz erzählt. Ich war bei der Erstbefragung krank und mir war kalt.

F: Sind Sie in Ihrer Heimat oder in einem anderen Land vorbestraft bzw. haben Sie im Herkunftsland, oder hier Strafrechtsdelikte begangen?

A: Ich habe eine Anzeige bekommen, weil ich in einem Wettladen versehentlich einen Fernseher eingeschlagen habe mit einem Aschenbecher. Ich musste 820 € Schadensersatz zahlen.

F: Werden Sie in der Heimat von der Polizei, einer Staatsanwaltschaft, einem Gericht oder einer sonstigen Behörde gesucht?

A: Nein, ich werde nirgends gesucht.

F: Wurden Sie in Ihrer Heimat jemals von den Behörden angehalten, festgenommen oder verhaftet?

A: Nein, das ist nie passiert.

F: Hatten Sie in Ihrer Heimat Probleme mit den Behörden?

A: Nein, niemals.

F: Waren Sie in Ihrer Heimat jemals Mitglied einer politischen Gruppierung oder Partei?

A: Nein, ich war politisch nie tätig.

F: Wurden Sie in Ihrer Heimat von staatlicher Seite jemals wegen Ihrer politischen Gesinnung verfolgt?

A: Nein, ich wurde niemals verfolgt.

F: Wurden Sie in Ihrer Heimat von staatlicher Seite jemals wegen Ihrer Rasse verfolgt?

A: Nein, ich wurde niemals verfolgt.

F: Wurden Sie in Ihrer Heimat von staatlicher Seite jemals wegen Ihrer Religion verfolgt?

A: Nein, niemals.

F: Wurden Sie in Ihrer Heimat von staatlicher Seite jemals wegen Ihrer Nationalität, Volksgruppe oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verfolgt?

A: Nein, das ist nie passiert.

F: Gab es jemals auf Sie irgendwelche Übergriffe oder ist an Sie persönlich jemals irgendwer herangetreten?

A: Ja.

Aufforderung: Schildern Sie, was passiert ist!

A: Ich wurde allgemein wegen der Volksgruppe diskriminiert. Als ich ein Kind war, bekam ich Probleme, wenn ich mit anderen Kindern Fußball gespielt habe. Das war aber nur als ich ein Kind war. Danach hatte ich keine Probleme mehr. Aber niemals von staatlicher Seite.

F: Was ist da konkret passiert?

A: Die Eltern der anderen Kinder haben mich als Angehörigen einer Minderheit "beschimpft".

F: Was hätten Sie im Falle einer eventuellen Rückkehr in Ihre Heimat konkret zu befürchten?

A: Ich würde Probleme mit dem anderen Stamm bekommen.

F: Hätten Sie Probleme mit der Polizei oder anderen Behörden im Falle Ihrer Rückkehr?

A: Nein, sicher nicht.

F: Warum sind Sie nicht in eine andere Stadt oder in einen anderen Landesteil gezogen?

A: Den Stamm des Opfers gibt es in ganz Somalia. Ich wäre nirgends sicher.

F: Welchem Stamm gehören Sie an?

A: Ich gehöre dem Madiban Stamm an.

F: Mit welchem Stamm hätten Sie Probleme?

A: Ich hatte Probleme mit den Marehan.

F: Für was ist der Madiban Stamm berühmt?

A: Sie essen tote Tiere und machen Schuhe und sind oft Schmiede.

AW wirkt sehr angespannt

F: Wie lauten die Namen der bekanntesten Führer des Clans?

A: Einer heißt und einer heißt XXXX .

F: Wie heißt der Hauptclan der Madiban?

A: Der Hauptclan heißt Midgan.

F: Darf man als Madiban eine Frau aus einem anderen Stamm heiraten?

A: Nein, das darf man nicht. Wir sind eine Minderheit.

F: Kennen Sie die Frau XXXX ?

A: Nein, die kenne ich nicht.

Anmerkung: Diese Frau ist eine sehr bekannte somalische Politikerin welche Ihrem Stamm angehört.

F: Wie genau hat die von Ihnen behauptete Diskriminierung ausgesehen?

A: Ich durfte nicht in die Schule. Ich wurde diskriminiert.

V: Die von Ihnen vorgebrachten Asylgründe wurden von Ihnen zu vage, allgemein gehalten und durch keine Beweismittel gestützt und war es Ihnen in keinster Weise möglich, gerade zu jenen Vorfällen, welche letztlich zu Ihrer Ausreise und Asylantragstellung geführt haben, auch nur ansatzweise ein klares und fundiertes Bild der Ereignisse zu bieten. Ihre gesamten vorgebrachten Erklärungen stützten sich lediglich auf vage Aussagen und Vermutungen Ihrerseits und vermitteln so den Eindruck, dass Sie das Geschilderte nicht selbst erlebt haben. Sie konnten nicht glaubhaft machen, dass Sie das von Ihnen Geschilderte tatsächlich selbst erlebt haben. Möchten Sie etwas dazu sagen?

A: Ja ich möchte sagen, dass ich nicht in die Schule gehen konnte, ich hatte keine Arbeit und ich durfte als Angehöriger eines Minderheitenstammes keine Medikamente kaufen.

F: Also sind das Ihre eigentlichen Fluchtgründe?

A: Ja, das sind meine Fluchtgründe.

F: Sie haben Somalia also aufgrund der allgemeinen Lage verlassen?

A: Ja, und auch wegen der Blutrache.

F: Wissen Sie über die aktuelle politische Lage und über die Sicherheitslage in Ihrer Heimat Bescheid?

A: Ja, darüber weiß ich Bescheid.

Anmerkung: Ihnen wird nun die Möglichkeit eingeräumt, in die in die vom Bundesamt zur Beurteilung Ihres Falles herangezogenen allgemeinen Länderfeststellungen des BFA zu Ihrem Heimatland samt den darin enthaltenen Quellen Einsicht und gegebenenfalls schriftlich Stellung zu nehmen. Diese Quellen berufen sich vorwiegend unter anderem auf Berichte von EU-Behörden von Behörde von EU-Ländern aber auch Behörden anderer Länder, aber auch Quellen aus Ihrer Heimat wie auch zahlreichen NGOs und auch Botschaftsberichten, die im Einzelnen auch eingesehen werden können.

Sie haben die Möglichkeit dazu im Rahmen des Parteiengehörs schriftlich Stellung zu nehmen. Möchten Sie die Erkenntnisse des BFA Ihr Heimatland betreffend in Kopie mitnehmen und eine schriftliche Stellungnahme innerhalb einer Frist von zwei Wochen dazu abgeben?

A: Nein, ich kenne die allgemeine Situation in meiner Heimat. Ich verzichte darauf. Ich möchte keine schriftliche Stellungnahme dazu abgeben.

Angaben zum Privat- und Familienleben:

F: Wann sind Sie nach Österreich eingereist?

A: Ich bin im Jahr 2016 hier eingereist und seither durchgehend aufhältig.

F: Hatten Sie in Österreich jemals einen gültigen Aufenthaltstitel zur Begründung eines legalen Aufenthaltes?

(...)

F: Haben Sie Freunde oder Bekannte, die Sie bereits aus Ihrem Heimatland her kennen, in Österreich?

A: Nein, ich kenne hier niemanden.

F: Haben Sie nahe Verwandte oder Familienangehörige in Österreich?

A: Nein, ich habe niemanden.

F: Waren Sie jemals Zeuge oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel?

A: Nein, niemals.

F: Wurden Sie in Österreich jemals Opfer von Gewalt und haben Sie sich diesbezüglich an die örtlichen Sicherheitsbehörden bzw. an ein Gericht (§382e EO - Allgemeiner Schutz vor Gewalt) gewandt?

A: Nein, das ist nie passiert.

F: Sind Sie mit eventuellen amtswegigen Erhebungen vor Ort unter Wahrung Ihrer Anonymität, eventuell unter Beiziehung der Österreichischen Botschaft und eines Vertrauensanwaltes einverstanden bzw. damit einverstanden, dass Ihre Daten an die Österreichische Botschaft/Vertrauensanwalt weitergegeben werden?

A: Ja, damit bin ich einverstanden.

F: Die Befragung wird hiermit beendet. Wollen Sie zu Ihrem Asylverfahren sonst noch etwas vorbringen, was Ihnen von Bedeutung erscheint?

A: Nein, ich habe alles gesagt.

F: Hatten Sie die Gelegenheit alles zu sagen, was Sie wollten?

A: Ja, das hatte ich. Ich hatte die Gelegenheit alles vorzubringen, was mir wichtig war."

(...)"

2. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.01.2018 wurde unter Spruchteil I. der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen, unter Spruchpunkt II. dieser Antrag auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia abgewiesen, unter Spruchpunkt III. ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung nach Somalia zulässig sei und unter Spruchteil IV. eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen eingeräumt.

In der Begründung des Bescheides wurden die oben bereits im wesentlichen Inhalt wiedergegebenen Einvernahmen dargestellt und Feststellungen zu Somalia getroffen. Festgestellt wurde, dass der Beschwerdeführer somalischer Staatsbürger und muslimischen Glaubens sei, seine Identität habe nicht festgestellt werden können.

Beweiswürdigend wurde ausgeführt, der Beschwerdeführer sei nicht in der Lage gewesen, die Behörde davon zu überzeugen, dass er in seinem Heimatland einer Gefahr einer Verfolgung ausgesetzt gewesen sei oder nunmehr sei. Das BFA hielt fest, dass es die Auffassung vertrete, es ergebe sich für den Beschwerdeführer gegenwärtig kein Abschiebungshindernis nach Somalia, weil eine landesweite allgemeine, extreme Gefährdungslage, in der jeder Beschwerdeführer im Fall seiner Abschiebung dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert werden würde, nicht gegeben sei.

3. Gegen den Bescheid des BFA wurde fristgerecht Beschwerde erhoben. Zusammengefasst wurde darin ausgeführt, der Beschwerdeführer sei aus Somalia einerseits auf Grund der prekären Sicherheitslage geflüchtet, andererseits auch deshalb, da sein Vater jemandem Geld geschuldet habe und sein Bruder sowie er selbst deshalb massive Probleme mit der Familie des Gläubigers bekommen habe. Ein Widerspruch zwischen den Angaben bei der Erstbefragung sowie bei der Einvernahme würde nicht vorliegen, da lediglich der Fluchtgrund erweitert worden sei. Aus Somalia sei der Beschwerdeführer auf Grund der derzeit volatilen Lage geflüchtet. Hinzu seien die Bedrohungen seitens der Familie des Gläubigers gekommen. Die Behörde missachte, dass sich der Beschwerdeführer als Clanzugehöriger der Madhiban nicht an den Schutz des somalischen Staates wehren könne. Auch die Feststellungen der Behörde in Bezug auf die Dürrekatatstrophe seien völlig verfehlt, ganz Somalia sei von der Dürrekatastrophe betroffen.

4. Das Bundesverwaltungsgericht beraumte für den 11.07.2018 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung an, in der der Beschwerdeführer, vertreten durch seinen Rechtsvertreter, einvernommen wurde. Der Beschwerdeführer wurde zu seinem Fluchtvorbringen, seiner Herkunft, der Lage in Somalia und zu seiner Integration befragt und ihm wurde die Möglichkeit eingeräumt alle seine Gründe für die Ausreise aus Somalia sowie seine Rückkehrbefürchtungen darzulegen.

Ergänzend zu dem bereits übermittelten Länderinformationsblatt wurde dem Beschwerdevorbringen entsprechend folgende Dokumente zur Kenntnis gebracht und eine Frist zur Abgabe einer Stellungnahme von zwei Wochen eingeräumt.

Es langte keine Stellungnahme ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsbürger von Somalia, stammt aus XXXX und hat dort bis zu seiner Ausreise gewohnt. Er gehört dem Clan der Madhiban- XXXX an. Seine Identität konnte nicht festgestellt werden. Seine Identität konnte nicht festgestellt werden.

Der Beschwerdeführer ist sunnitischer Moslem. Die angegebene örtliche Herkunft und seine Schulbildung erscheinen glaubhaft. Zu den konkreten Fluchtgründen können mangels glaubhafter Angaben keine Feststellungen getroffen werden.

Er gelangte unter Umgehung der Grenzkontrolle nach Österreich und stellte am 26.04.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Er gibt an, keinerlei Kontakte mehr mit seiner Familie zu haben und auch nicht zu wissen, wo sich diese derzeit aufhält. Der Beschwerdeführer verfügt in Somalia nicht mehr über ein kleines Grundstück mit Wellblechhaus und hat auch keine sozialen Anknüpfungspunkte in Somalia.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

Der Beschwerdeführer verneint jegliche aktuellen gesundheitlichen oder psychischen Probleme.

Zu Somalia wird folgendes verfahrensbezogen festgestellt.

2. Politische Lage

Das Gebiet von Somalia ist de facto in drei unterschiedliche administrative Einheiten unterteilt: a) Somaliland, ein 1991 selbstausgerufener unabhängiger Staat, der von der internationalen Gemeinschaft nicht anerkannt wird; b) Puntland, ein 1998 selbstausgerufener autonomer Teilstaat Somalias; c) das Gebiet südlich von Puntland, das Süd-/Zentralsomalia genannt wird (EASO 8.2014). Im Hinblick auf fast alle asylrelevanten Tatsachen ist Somalia in diesen drei Teilen zu betrachten (AA 1.1.2017).

Im Jahr 1988 brach in Somalia ein Bürgerkrieg aus, der im Jahr 1991 im Sturz von Diktator Siyad Barre resultierte. Danach folgten Kämpfe zwischen unterschiedlichen Clans, Interventionen der UN sowie mehrere Friedenskonferenzen (EASO 8.2014). Seit Jahrzehnten gibt es keine allgemeinen Wahlen auf kommunaler, regionaler oder zentralstaatlicher Ebene. Politische Ämter wurden seit dem Sturz Siad Barres 1991 entweder erkämpft oder unter Ägide der internationalen Gemeinschaft, hilfsweise unter Einbeziehung nicht demokratisch legitimierter traditioneller Strukturen (v.a. Clan-Strukturen) vergeben (AA 1.1.2017).

Im August 2012 endete die Periode der Übergangsregierung (BS 2016). Seit damals gibt es eine politische Entwicklung, die den Beginn einer Befriedung und Stabilisierung sowie eines Wiederaufbaus staatlicher Strukturen markiert. Am 1.8.2012 wurde in Mogadischu eine vorläufige Verfassung angenommen. Seitdem ist die Staatsbildung kontinuierlich vorangeschritten. Das im Dezember 2016 gewählte Parlament stellt dabei auch einen deutlichen demokratischen Fortschritt gegenüber dem 2012 gewählten Parlament dar. Während 2012 135 Clanälteste die Zusammensetzung bestimmten (AA 4.2017a; vgl. UNSC 5.9.2017), waren es 2016 über 14.000 Clan-Repräsentanten (UNHRC 6.9.2017) bzw. 13.000. Während die 54 Mitglieder des Oberhauses von den Parlamenten der Bundesstaaten gewählt wurden, wählten die o.g. Clan-Repräsentanten die 275 auf Clan-Basis ausgewählten Abgeordneten des Unterhauses (UNSC 9.5.2017).

Auch wenn es sich um keine allgemeine Wahl gehandelt hat, ist diese Wahl im Vergleich zu vorangegangenen Wahlen ein Fortschritt gewesen (DW 10.2.2017). Allerdings war auch dieser Wahlprozess problematisch, es gibt zahlreiche Vorwürfe von Stimmenkauf und Korruption (SEMG 8.11.2017). Im Februar 2017 wählte das neue Zweikammerparlament Mohamed Abdullahi Mohamed "Farmaajo" zum Präsidenten; im März bestätigte es Hassan Ali Kheyre als Premierminister (AA 4.2017a; vgl. UNSC 5.9.2017, SEMG 8.11.2017). Das Parlament bestätigte am 29.3.2017 dessen 69-köpfiges Kabinett (UNSC 9.5.2017).

Die Macht wurde friedlich und reibungslos an die neue Regierung übergeben (WB 18.7.2017). Somalia hat den Zustand eines failed state überwunden, bleibt aber ein fragiler Staat (AA 1.1.2017). Die Regierung stellt sich den Herausforderungen, welche Dürre und Sicherheit darstellen. Überhaupt hat die Regierung seit Amtsantritt gezeigt, dass sie dazu bereit ist, die Probleme des Landes zu beheben (UNSC 5.9.2017). Dabei mangelt es der Bundesregierung an Einkünften, diese sind nach wie vor von den wenigen in Mogadischu erzielten Einnahmen abhängig (SEMG 8.11.2017).

Außerdem wird die Autorität der Zentralregierung vom nach Unabhängigkeit strebenden Somaliland im Nordwesten sowie von der die Regierung aktiv bekämpfenden, radikal-islamistischen al Shabaab-Miliz in Frage gestellt. Außerdem gibt es aber keine flächendeckende effektive Staatsgewalt. Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind fragil und schwach (AA 1.1.2017). Die föderale Regierung hat es bislang kaum geschafft, sich außerhalb Mogadischus durchzusetzen (ÖB 9.2016).

Allgemeine Wahlen sind für das Jahr 2020 (UNSC 9.5.2017) bzw. 2021 vorgesehen (UNSC 5.9.2017; vgl. UNNS 13.9.2017). Deren Durchführung wird aber maßgeblich davon abhängen, wie sich die Sicherheitslage entwickelt, ob sich Wahlkommissionen auch in den Bundesstaaten etablieren können und ob ein Verfassungsgericht eingerichtet wird (UNSC 5.9.2017).

Neue föderale Teilstaaten (Bundesstaaten)

Generell befindet sich das föderalistische System Somalias immer noch in einer frühen Phase und muss in den kommenden Jahren konsolidiert werden (UNSC 9.5.2017). Zwar gibt es in manchen Gebieten Verbesserungen bei der Verwaltung und bei der Sicherheit. Es ist aber ein langsamer Prozess. Die Errichtung staatlicher Strukturen ist das größte Problem, hier versucht die internationale Gemeinschaft zu unterstützen (BFA 8.2017).

Kaum ein Bundesstaat ist in der Lage, das ihm zugesprochene Gebiet tatsächlich unter Kontrolle zu haben. Bei den neu etablierten Entitäten reicht die Macht nur wenige Kilometer über die Städte hinaus (BFA 8.2017; vgl. NLMBZ 11.2017).

Während im Norden bereits die Gliedstaaten Somaliland und Puntland etabliert waren, begann mit dem international vermittelten Abkommen von Addis Abeba von Ende August 2013 der Prozess der Gliedstaatsgründung im weiteren Somalia, der nach der Gründung der Bundesstaaten Jubaland, South West State (SWS), Galmudug und Hirshabelle 2016 seinen weitgehenden Abschluss fand (AA 4.2017a). Offen ist noch der finale Status der Hauptstadtregion Benadir/Mogadischu (AA 4.2017a; vgl. UNSC 5.9.2017, BFA 8.2017).

Die Bildung der Bundesstaaten erfolgte im Lichte der Clan-Balance.

Rein technisch bedeutet dies: Galmudug und HirShabelle für die Hawiye; Puntland und Jubaland für die Darod; der SWS für die Rahanweyn; Somaliland für die Dir (BFA 8.2017).

Die Beziehungen zwischen der Bundesregierung und den Regierungen der Bundesstaaten sind angespannt, da es bei der Sicherheitsarchitektur und bei der Ressourcenverteilung nach wie vor Unklarheiten gibt (SEMG 8.11.2017). Außerdem hat der Schritt zur Föderalisierung zur Verschärfung von lokalen Clan-Spannungen beigetragen und eine Reihe gewalttätiger Konflikte ausgelöst. Die Föderalisierung hat zu politischen Kämpfen zwischen lokalen Größen und ihren Clans geführt (BS 2016). Denn in jedem Bundesstaat gibt es unterschiedliche Clankonstellationen und überall finden sich Clans, die mit der Zusammensetzung ihres Bundesstaates unzufrieden sind, weil sie plötzlich zur Minderheit wurden. Sie fühlen sich marginalisiert (BFA 8.2017).

Im Zuge der Föderalisierung Somalias wurden mehrere Teilverwaltungen (Bundesstaaten) neu geschaffen: Galmudug Interim Administration (GIA); die Jubaland Interim Administration (JIA); Interim South West State Administration (ISWA). Keine dieser Verwaltungen hat die volle Kontrolle über die ihr unterstehenden Gebiete (USDOS 3.3.2017). Außerdem müssen noch wichtige Aspekte geklärt und reguliert werden, wie etwa die Machtverteilung zwischen Bund und Ländern, die Verteilung der Einkünfte oder die Verwaltung von Ressourcen. Internationale Geber unterstützen den Aufbau der Verwaltungen in den Bundesstaaten (UNSC 5.9.2017).

1) Jubaland (Gedo, Lower Juba, Middle Juba): Im Jahr 2013 kam es zu einem Abkommen zwischen der Bundesregierung und Delegierten von Jubaland über die Bildung des Bundesstaates Jubaland. Im gleichen Jahr wurde Ahmed Mohamed Islam "Madobe" zum Präsidenten gewählt (USDOS 3.3.2017). Der JIA ist es gelungen, zumindest in Kismayo eine Verwaltung zu etablieren. Die Machtbalance in Jubaland wurde verbessert, seit die Ogadeni auch mit anderen Clans kooperieren und diese in Strukturen einbinden (BFA 8.2017).

2) South West State (SWS; Bay, Bakool, Lower Shabelle): Nach einer Gründungskonferenz im Jahr 2014 formierte sich im Dezember 2015 das Parlament des Bundesstaates South West State. Dieses wählte Sharif Hassan Sheikh Adam zum Übergangspräsidenten (USDOS 3.3.2017). Insgesamt befindet sich der SWS immer noch im Aufbau, die Regierungsstrukturen sind schwach, Ministerien bestehen nur auf dem Papier. Es gibt kaum Beamte, und in der Politik kommt es zu Streitigkeiten. Die Region Bakool ist besser an den SWS angebunden, als dies bei Lower Shabelle der Fall ist. Die Beziehungen von Lower Shabelle zur Bundesregierung und zum SWS sind kompliziert, der SWS hat dort kaum Mitsprache (BFA 8.2017).

3) HirShabelle (Hiiraan, Middle Shabelle): Bei der Bildung des Bundesstaates HirShabelle wurde längere Zeit über gestritten. Beide Regionen (Hiiraan und Middle Shabelle) haben erklärt, dass sie genügend Einwohner hätten, um jeweils einen eigenen Bundesstaat gründen zu können. Trotzdem wurden die Regionen fusioniert (BFA 8.2017). Im Jänner 2016 fand eine Konferenz zur Bildung eines Bundesstaates aus Hiiraan und Middle Shabelle statt. In der Folge wurde im Oktober 2016 der Bundesstaat Hirshabelle eingerichtet: Ein Parlament wurde zusammengestellt und ein Präsident - Ali Abdullahi Osoble - gewählt. Anführer der Hawadle haben eine Teilnahme verweigert (USDOS 3.3.2017). Das Kabinett wurde Mitte März 2017 vom Parlament bestätigt (BFA 8.2017; vgl. UNSC 9.5.2017). Der Großteil der Regierung von HirShabelle befindet sich in Mogadischu. Die Bildung des Bundesstaates scheint alte Clan-Konflikte neu angeheizt zu haben, die Hawadle fühlen sich marginalisiert (BFA 8.2017).

4) Galmudug (Galgaduud, Teile von Mudug): 2015 wurde eine Regionalversammlung gebildet und Abdikarim Hussein Guled als Präsident gewählt hat (EASO 2.2016). Die Regionalversammlung war von der Bundesregierung eingesetzt worden. Ausgewählt wurden die 89 Mitglieder von 40 Ältesten, welche wiederum 11 Clans repräsentierten. Die Gruppe Ahlu Sunna wal Jama'a (ASWJ), die Teile der Region Galgaduud kontrolliert, hat den Prozess boykottiert und eine eigene Verwaltung eingerichtet (USDOS 3.3.2017). Die GIA wird von Hawiye/Habr Gedir/Sa'ad dominiert (EASO 2.2016). Am 25.2.2017 trat der Präsident von Galmudug, Abdikarim Hussein Guled, zurück (UNSC 9.5.2017). Am 3.5.2017 wurde Ahmed Duale Geele "Xaaf" vom Regionalparlament von Galmudug zum neuen Präsidenten gewählt (UNSC 5.9.2017). Auch der neue Präsident hat noch keine Lösung mit der ASWJ herbeigeführt (UNSOM 13.9.2017).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (1.1.2017): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia

-

AA - Auswärtiges Amt (4.2017a): Somalia - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Somalia/Innenpolitik_node.html, Zugriff 13.9.2017

-

BFA - BFA Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, http://www.bfa.gv.at/files/berichte/FFM%20Report_Somalia%20Sicherheitslage_Onlineversion_2017_08_KE_neu.pdf, Zugriff 13.9.2017

-

BS - Bertelsmann Stiftung (2016): BTI 2016 - Somalia Country Report,

https://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2016/pdf/BTI_2016_Somalia.pdf, Zugriff 20.11.2017

-

DW - Deutsche Welle (10.2.2017): Kommentar: Farmajo, der neue Präsident Somalias - Wie viele Löcher hat der Käse? http://www.dw.com/de/kommentar-farmajo-der-neue-pr%C3%A4sident-somalias-wie-viele-l%C3%B6cher-hat-der-k%C3%A4se/a-37496267, Zugriff 24.11.2017

-

EASO - European Asylum Support Office (2.2016): Somalia Security Situation,

http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1457606427_easo-somalia-security-feb-2016.pdf, Zugriff 21.12.2017

-

EASO - European Asylum Support Office (8.2014): South and Central Somalia: Country Overview,

http://www.ecoi.net/file_upload/90_1412334993_easo-2014-08-coi-report-somalia.pdf, Zugriff 21.11.2017

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten