TE Bvwg Beschluss 2018/10/22 W250 2146153-2

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Veröffentlicht am 22.10.2018
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Entscheidungsdatum

22.10.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §32 Abs1 Z2

Spruch

W250 2146153-2/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Michael BIEDERMANN als Einzelrichter über den Antrag von XXXX, geb. XXXX, StA. Afghanistan, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, auf Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 10.08.2018, Zl. W250 2146153-1/14E, abgeschlossenen Asylververfahrens beschlossen:

A)

Der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Der nunmehrige Antragstellter, ein männlicher Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 27.05.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2. Diesen Antrag wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Bescheid vom 05.01.2017 sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) ab und erteilte dem Antragsteller keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen. Gegen den Antragsteller wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).

3. Gegen diesen Bescheid erhob der Antragsteller fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

4. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 07.05.2018 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu und im Beisein des Rechtsvertreters des Antragstellers eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in welcher der Antragsteller u.a. ausführlich zu seinen persönlichen Umständen im Herkunftsstaat, seinen Fluchtgründen und seiner Integration in Österreich befragt wurde.

5. Mit Parteiengehör vom 27.07.2018 wurde dem Antragsteller die Möglichkeit gegeben zum Länderinformationsblatt betreffend Afghanistan vom 29.06.2018 Stellung zu nehmen. Mit Stellungnahme vom 03.08.2018 führte der Antragsteller aus, dass sich die Feststellungen im aktuellen Länderinformationsblatt - insbesondere betreffend die Rückkehrsituation - als einseitig, nicht ausgewogen und nicht objektiv darstellen würden. Er verwies auf weitere Länderberichte, wonach die Sicherheitslage in Afghanistan, darunter auch Kabul, sehr prekär sei. Das aktuelle Länderinformationsblatt bilde die verschlechterte Sicherheit- und Versorgungslage in Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif jedoch nur unzureichend ab. Dem Antragsteller sei eine Rückkehr in seine Herkunftsprovinz nicht möglich und eine interne Fluchtalternative nach Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif nicht zumutbar.

6. Mit Erkenntnis vom 10.08.2018, Zl. W250 2146153-1/14E, wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.01.2017 als unbegründet ab. Begründet wurde diese Entscheidung im Wesentlichen damit, dass der Antragsteller seine Fluchtgründe nicht habe glaubhaft machen können. Bei einer Rückkehr in seine Herkunftsprovinz drohe dem Antragsteller ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit, es sei dem Antragsteller jedoch bei einer Rückkehr nach Afghanistan möglich, nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedlung in der Stadt Kabul Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen.

Dieses Erkenntnis wurde sowohl der Rechtsvertreterin des Antragstellers als auch dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 14.08.2018 zugestellt.

7. Mit Schriftsatz vom 14.09.2018 stellte der Antragsteller durch seine ausgewiesene Rechtsvertreterin einen Antrag auf Wiederaufnahme des mit Erkenntnisses vom 10.08.2018, Zl. W250 2146153-1/14E, abgeschlossenen Asylverfahrens. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Rechtsvertretung des Antragstellers am 31.08.2018 die am 30.08.2018 erfolgte Veröffentlichung der UNHCR "Eligibility Guidelines für Assessing the International Protection Needs of Asylum-Seekers from Afghanistan" bekannt geworden sei und welche zum Schluss kämen, dass eine IFA Kabul derzeit generell ausgeschlossen sei. Es handle sich dabei um ein neu entstandenes Beweismittel, das eine Tatsache belege, die bereits zum Zeitpunkt des Erlasses des Erkenntnisses vorgelegen sei, weshalb die aktuelle Sicherheitslage nicht im Weg eines Folgeantrages geltend gemacht werden könne. Bezüglich der Hauptstadt Kabul bringe UNHCR klar und explizit zum Ausdruck, dass in Kabul generell keine interne Flucht- oder Schutzalternative zur Verfügung stehe. Die neuen UNHCR-Richtlinien stellten daher ein neues Beweismittel dar, welches jene Tatsachen in Zweifel ziehe, auf welche sich das Bundesverwaltungsgericht im Hinblick auf die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative tragend gestützt habe. Wären entsprechende Richtlinien bereits zum Zeitpunkt des ergangenen Erkenntnisses vorgelegen, so hätte das erkennende Gericht zum Schluss kommen müssen, dass dem Antragsteller mangels einer IFA der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzusprechen gewesen wäre, weshalb ein tauglicher Wiederaufnahmegrund vorliege, der geeignet sei, ein im Hauptinhalt des Spruchs der Entscheidung anderslautendes Erkenntnis herbeizuführen.

Gleichzeitig beantragte der Antragsteller die Erlassung einer einstweiligen Anordnung nach dem Unionsrecht auf Gewährung eines vorübergehenden Aufenthaltsrechtes bzw. auf Hintanhaltung der Abschiebung.

Dem Antrag sind die UNHCR Eligibility Guidelines for Assessing the international Protection Needs of Asylum-Seekers from Afghanistan vom 30.08.2018 nicht angeschlossen, es wird im Antrag jedoch daraus zitiert.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der unter I.1. bis I.7. geschilderte Verfahrensgang wird zur Feststellung erhoben.

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in den Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes sowie in das rechtskräftige Erkenntnis vom 10.08.2018, Zl. W250 2146153-1/14E.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, liegt Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist. Mit Fuchs (in Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren, 2013, § 32 VwGVG, Anm. 13) ist der Systematik des VwGVG folgend anzunehmen, dass sämtliche Entscheidungen über Wiederaufnahmeanträge - als selbstständige Entscheidungen - in Beschlussform zu erfolgen haben (ebenso Eder/Martschin/Schmid, das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte², 2017, § 32 VwGVG K29).

3.1. Zu Spruchpunkt A) - Abweisung des Antrages

3.1.1. Gesetzliche Grundlagen

Der mit "Wiederaufnahme des Verfahrens" betitelte § 32 des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes - VwGVG lautet:

"§ 32. (1) Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn

1. das Erkenntnis durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist oder

2. neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anders lautendes Erkenntnis herbeigeführt hätten, oder

3. das Erkenntnis von Vorfragen (§ 38 AVG) abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. vom zuständigen Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde oder

4. nachträglich ein Bescheid oder eine gerichtliche Entscheidung bekannt wird, der bzw. die einer Aufhebung oder Abänderung auf Antrag einer Partei nicht unterliegt und die im Verfahren des Verwaltungsgerichtes die Einwendung der entschiedenen Sache begründet hätte.

(2) Der Antrag auf Wiederaufnahme ist binnen zwei Wochen beim Verwaltungsgericht einzubringen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, wenn dies jedoch nach der Verkündung des mündlichen Erkenntnisses und vor Zustellung der schriftlichen Ausfertigung geschehen ist, erst mit diesem Zeitpunkt. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann der Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden. Die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen.

(3) Unter den Voraussetzungen des Abs. 1 kann die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Z 1 stattfinden.

(4) Das Verwaltungsgericht hat die Parteien des abgeschlossenen Verfahrens von der Wiederaufnahme des Verfahrens unverzüglich in Kenntnis zu setzen.

(5) Auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes sind die für seine Erkenntnisse geltenden Bestimmungen dieses Paragraphen sinngemäß anzuwenden. Dies gilt nicht für verfahrensleitende Beschlüsse."

3.1.2. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 31.08.2015, Ro 2015/11/0012, ausgesprochen, dass die Gesetzesmaterialien erkennen lassen, dass die Wiederaufnahmsgründe des § 32 Abs. 1 VwGVG denjenigen des § 69 Abs. 1 AVG nachgebildet sind. Auf das bisherige Verständnis dieser Wiederaufnahmsgründe kann folglich zurückgegriffen werden.

3.1.3. Der Wiederaufnahmeantrag ist gemäß § 32 Abs. 2 VwGVG binnen zwei Wochen ab dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller vom Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, wenn dies jedoch nach der Verkündung des mündlichen Erkenntnisses und vor der Zustellung der schriftlichen Ausfertigung geschehen ist, erst ab diesem Zeitpunkt schriftlich (§ 17 VwGVG iVm § 13 Abs. 1 AVG; vgl. Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren, 2013, VwGVG § 32 Anm. 12) beim Verwaltungsgericht einzubringen. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann der Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden. Die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, sind vom Antragsteller gemäß § 32 Abs. 2 letzter Satz VwGVG glaubhaft zu machen.

Da seit der Erlassung des Erkenntnisses, mit dem jenes Verfahren abgeschlossen wurde, dessen Wiederaufnahme beantragt wurde, die Frist von drei Jahren noch nicht abgelaufen ist, kann grundsätzlich ein Antrag auf Wiederaufnahme gestellt werden.

Von den UNHCR Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Asylum-Seekers from Afghanistan vom 30.08.2018 hat die Rechtsvertreterin des Antragstellers entsprechend ihren Angaben am 31.08.2018 Kenntnis erlangt. Der Wiederaufnahmeantrag vom 14.09.2018, der noch an diesem Tag beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt ist, ist daher rechtzeitig und zulässig. Den Antragsteller trifft kein Verschulden an der Nichtvorlage im vorangegangenen Verfahren, da die UNHCR Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Asylum-Seekers from Afghanistan erst nach Abschluss des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens herausgegeben wurden und der Antragsteller daher nicht früher Kenntnis davon erlangen konnte.

3.1.4. Der Wiederaufnahmeantrag wurde auf § 32 Abs. 1 Z. 2 VwGVG gestützt und im Wesentlichen damit begründet, dass den UNHCR Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Asylum-Seekers from Afghanistan vom 30.08.2018 Umstände zu entnehmen seien, die ein anders lautendes Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes herbeigeführt hätten. Konkret werde in den UNHCR Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Asylum-Seekers from Afghanistan vom 30.08.2018 festgestellt, dass die afghanische Hauptstadt Kabul als innerstaatliche Fluchtalternative generell nicht (mehr) in Frage komme. Die UNHCR Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Asylum-Seekers from Afghanistan vom 30.08.2018 hätten zum Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts im wiederaufzunehmenden Verfahren noch nicht bestanden, weshalb es dem Antragsteller auch nicht möglich gewesen sei, diese im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorzubringen. Die Tatsachen, auf die sich die UNHCR Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Asylum-Seekers from Afghanistan vom 30.08.2018 stützen, wären bereits im zugrundeliegenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorgelegen, sodass sie nach Ansicht des Antragstellers keinen Folgeantrag iSd § 2 Abs. 1 Z. 23 AsylG 2005 zu begründen vermögen.

Nach ständiger - auf § 32 Abs. 1 Z. 2 VwGVG übertragbarer - Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kann der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG nur auf solche Tatsachen - Tatsachen sind dem realen Seinsbereich angehörende Gegebenheiten, die als solche (als Sachverhalt) für den eine Verwaltungssache abschließenden Bescheid eine Entscheidungsgrundlage bilden (vgl. VwGH vom 21.09.2009, 2008/16/0148) - oder Beweismittel gestützt werden, die erst nach Abschluss eines Verfahrens hervorgekommen sind und deshalb von der Partei ohne ihr Verschulden nicht geltend gemacht werden konnten.

Die Wiederaufnahme eines abgeschlossenen Verfahren setzt daher voraus, dass neue Tatsachen oder Beweise hervorgekommen sind, die im Zeitpunkt der Erlassung des Erkenntnisses bereits bestanden haben, aber nicht bekannt waren und im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten. Erst nach Abschluss des Verfahrens entstandene Tatsachen oder Beweismittel stellen keinen Grund für eine Wiederaufnahme des Verfahrens dar.

Neu entstandene Tatsachen, also Änderungen des Sachverhalts nach Abschluss des Verfahrens, erübrigen eine Wiederaufnahme des Verfahrens, weil in diesem Fall einem Antrag auf der Basis des geänderten Sachverhalts die Rechtskraft des bereits erlassenen Bescheides nicht entgegensteht. Bei Sachverhaltsänderungen, die nach der Entscheidung über einen Asylantrag eingetreten sind, ist kein Antrag auf Wiederaufnahme, sondern ein neuer Antrag (auf internationalen Schutz) zu stellen (vgl. dazu VwGH 19.02.1992, 90/12/0224 ua; 25.10.1994, 93/08/0123; 25.11.1994, 94/19/0145; 18.12.1996, 95/20/0672; 07.04.2000, 96/19/2240; 20.06.2001, 95/08/0036; 17.02.2006, 2006/18/0031).

Sind Beweismittel erst nach Abschluss des Verfahrens (neu) entstanden, erfüllen sie die Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG generell nicht (vgl. VwGH 24.4.1986, 86/02/0048 zu § 69 Abs. 1 Z 2 AVG). Die UNHCR Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Asylum-Seekers from Afghanistan vom 30.08.2018 stellen zwar ein Beweismittel dar; da dieses Beweismittel allerdings erst nach rechtskräftigem Abschluss des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens entstanden ist, ist es grundsätzlich nicht geeignet, eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu begründen, es sei denn, es bezieht sich auf Tatsachen, die nicht erst nach Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens entstanden sind (vgl. VwGH 08.09.2015, Ra 2014/18/0089, mwN).

Dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 10.08.2018, Zl. W250 2146153-1/14E, wurden unter anderem das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018 sowie die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016 zu Grunde gelegt.

Im gegenständlichen Fall brachte der Antragsteller mit Stellungnahme vom 03.08.2018 unter Verweis auf weitere Länderberichte im Verfahren vor, dass ihm eine Rückkehr in seine Heimatprovinz nicht möglich und eine interne Fluchtalternative nach Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif nicht zumutbar sei. Im Verfahren war daher die auf Berichte zur Sicherheitslage in Afghanistan gestützte Behauptung des Antragstellers, nirgends in Afghanistan leben zu können, bereits bekannt. Auch die bis zum Entscheidungsdatum vorliegenden Tatsachen betreffend die Sicherheitslage in Afghanistan, die auch den vom Antragsteller zur Begründung des Wiederaufnahmeantrages genannten UNHCR Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Asylum-Seekers from Afghanistan vom 30.08.2018 zugrundeliegen, waren im Entscheidungszeitpunkt bekannt, da sie etwa auch im laufend aktualisierten Länderinformationsblatt der Staatendokumentation berücksichtigt bzw ausgewertet werden. Es liegen daher keine neu hervorgekommenen Tatsachen ("nova reperta") iSd § 32 Abs. 1 Z. 2 VwGVG vor, die im Zeitpunkt der Erlassung des Erkenntnisses vom 10.08.2018 bereits vorgelegen wären, die aber der Antragsteller im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ohne sein Verschulden nicht vorbringen hätte können.

Wie der Verwaltungsgerichtshof wiederholt festgestellt hat, unterscheidet § 11 AsylG 2005 nach seinem klaren Wortlaut zwei getrennte und selbständig zu prüfende Voraussetzungen der innerstaatlichen Fluchtalternative. Zum einen ist zu klären, ob in dem als innerstaatliche Fluchtalternative ins Auge gefassten Gebiet Schutz vor asylrechtlich relevanter Verfolgung und vor Bedingungen, die nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 die Gewährung von subsidiärem Schutz rechtfertigen würden, gegeben ist. Demgemäß verbietet sich die Annahme, der Schutz eines Asylwerbers sei innerstaatlich zumindest in einem Teilgebiet gewährleistet, jedenfalls dann, wenn in dieser Region Verhältnisse herrschen, die Art. 3 MRK widersprechen. Zum anderen setzt die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative voraus, dass dem Asylwerber der Aufenthalt in diesem Gebiet zugemutet werden kann. Die Zumutbarkeit des Aufenthalts ist daher von der Frage der Schutzgewährung in diesem Gebiet zu trennen. Selbst wenn in dem betreffenden Gebiet also keine Verhältnisse herrschen, die Art. 3 MRK widersprechen (oder auf Grund derer andere Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 für die Zuerkennung von subsidiärem Schutz erfüllt wären), wäre eine innerstaatliche Fluchtalternative bei Unzumutbarkeit des Aufenthaltes in diesem Gebiet zu verneinen (vgl. etwa VwGH 05.04.2018, Ra 2018/19/0154).

Dass es sich sowohl bei der Frage, ob im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan in Kabul die reale Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK besteht, als auch bei der Frage der Zumutbarkeit einer in Betracht kommenden innerstaatlichen Fluchtalternative jeweils um eine rechtliche Beurteilung handelt, welche freilich in den Feststellungen Deckung finden muss, hat der Verwaltungsgerichtshof bereits klargestellt (vgl. etwa VwGH 27.06.2017, Ra 2016/18/0277; 21.03.2018, Ra 2017/18/0372; 02.08.2018, Ra 2017/19/0229).

Bei der nunmehr in den UNHCR Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Asylum-Seekers from Afghanistan vom 30.08.2018 vertretenen Ansicht, dass in der Hauptstadt Kabul generell keine zumutbare Fluchtalternative zur Verfügung stehe, handelt es sich nicht um eine Tatsache iSd § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG, sondern um eine rechtliche Beurteilung.

Schon aufgrund der bisherigen Überlegungen ist der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens abzuweisen, da weder neu hervorgekommene Tatsachen geltend gemacht werden, die der Antragsteller im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht hätte vorbringen können, noch ein Beweismittel neu hervorgekommen ist.

3.1.5. Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass die Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 32 VwGVG neben den bisher genannten Erfordernissen auch die Eignung der neuen Tatsachen oder Beweismittel voraussetzt, dass diese allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anders lautendes Ergebnis herbeigeführt hätten. Ob diese Eignung vorliegt, ist eine Rechtsfrage, die im Wiederaufnahmeverfahren zu beantworten ist; ob tatsächlich ein anderes Ergebnis des Verfahrens zustande kommt, ist sodann eine Frage, die im wiederaufgenommenen Verfahren zu klären ist (vgl. VwGH vom 19. April 2007, 2004/09/0159). Das Verwaltungsgericht hat im Wiederaufnahmeverfahren nicht abschließend darüber zu entscheiden, ob es tatsächlich im wiederaufzunehmenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu einer anderslautenden Entscheidung kommen wird. Ist für das Verwaltungsgericht aber erkennbar, dass es zu keiner anderslautenden Entscheidung kommen wird (kommen kann), dann ist die Wiederaufnahme nicht zu bewilligen (Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahren der Verwaltungsgerichte², 2017, § 32 VwGVG K 17).

Tauglich ist ein Beweismittel als Wiederaufnahmegrund - abgesehen davon, dass es neu hervorgekommen sein muss - also nur dann, wenn es nach seinem objektiven Inhalt und unvorgreiflich der Bewertung seiner Glaubwürdigkeit die abstrakte Eignung besitzt, jene Tatsachen in Zweifel zu ziehen, auf welche das Bundesverwaltungsgericht entweder die den Gegenstand des Wiederaufnahmeverfahrens bildende Entscheidung oder zumindest die zum Ergebnis dieser Entscheidung führende Beweiswürdigung tragend gestützt hat (vgl. VwGH vom 19. April 2007, 2004/09/0159).

Das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 10.08.2018, W250 2146153-1/14E, stützt sich nicht allein auf die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016. Die darin getroffenen Feststellungen zur maßgeblichen Situation in Afghanistan beruhen auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen, die ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten. Angesichts der Seriosität der Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht für das Bundesverwaltungsgericht nach wie vor kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, sodass sie den Feststellungen zur Situation in Afghanistan zu Grunde gelegt werden konnten.

Das dem Erkenntnis W250 2146153-1/14E zugrundgelegte Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018 kommt hinsichtlich der Sicherheitslage in Afghanistan und insbesondere in der Stadt Kabul nach einer qualitätsgesicherten Analyse unterschiedlichster Quellen zu folgendem Ergebnis:

"Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.2.2018).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.).

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 6.6.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.2.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.2.2018).

Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.2.2018). Historisch gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder. Der Rückgang der Vorfälle im letzten Quartal 2017 war also im Einklang mit vorangegangenen Schemata (LIGM 15.2.2018).

Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vgl. SBS 28.2.2018, NZZ 21.3.2018, UNGASC 27.2.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.3.2018).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht (USDOD 12.2017). In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt (AJ 24.2.2018; vgl. Slate 22.4.2018). Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden (BBC 21.3.2018); auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (WSJ 21.3.2018).

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.1.2018; vgl. BBC 29.1.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.1.2018).

Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (AJ 22.5.2018; AD 20.5.2018).

Zivilist/innen

Im Jahr 2017 registrierte die UNAMA 10.453 zivile Opfer (3.438 Tote und 7.015 Verletzte) - damit wurde ein Rückgang von 9% gegenüber dem Vergleichswert des Vorjahres 2016 (11.434 zivile Opfer mit 3.510 Toten und 7.924 Verletzen) festgestellt. Seit 2012 wurde zum ersten Mal ein Rückgang verzeichnet: im Vergleich zum Jahr 2016 ist die Anzahl ziviler Toter um 2% zurückgegangen, während die Anzahl der Verletzten um 11% gesunken ist. Seit 1.1.2009-31.12.2017 wurden insgesamt 28.291 Tote und 52.366 Verletzte von der UNAMA registriert. Regierungsfeindliche Gruppierungen waren für 65% aller zivilen Opfer im Jahr 2017 verantwortlich; Hauptursache dabei waren IEDs, gefolgt von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken (UNAMA 2.2018). Im Zeitraum 1.1.2018 - 31.3.2018 registriert die UNAMA

2.258 zivile Opfer (763 Tote und 1.495 Verletzte). Die Zahlen reflektieren ähnliche Werte wie in den Vergleichsquartalen für die Jahre 2016 und 2017. Für das Jahr 2018 wird ein neuer Trend beobachtet: Die häufigste Ursache für zivile Opfer waren IEDs und komplexe Angriffe. An zweiter Stelle waren Bodenoffensiven, gefolgt von gezielten Tötungen, Blindgängern (Engl. UXO, "Unexploded Ordnance") und Lufteinsätzen. Die Bewohner der Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kandahar waren am häufigsten vom Konflikt betroffen (UNAMA 12.4.2018).

Regierungsfeindlichen Gruppierungen wurden landesweit für das Jahr 2017 6.768 zivile Opfer (2.303 Tote und 4.465 Verletzte) zugeschrieben - dies deutet auf einen Rückgang von 3% im Vergleich zum Vorjahreswert von 7.003 zivilen Opfern (2.138 Tote und 4.865 Verletzte). Der Rückgang ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben werden, ist auf einen Rückgang ziviler Opfer, die durch Bodenkonfrontation, IED und ferngezündete Bomben zu Schaden gekommen sind, zurückzuführen. Im Gegenzug dazu hat sich die Anzahl ziviler Opfer aufgrund von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken erhöht. Die Anzahl ziviler und nicht-ziviler Opfer, die aufgrund gezielter Tötungen durch regierungsfeindliche Elemente zu Schaden gekommen sind, ist ähnlich jener aus dem Jahr 2016 (UNAMA 2.2018).

Im Jänner 2018 waren 56.3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14.5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29.2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.4.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

Terroristische und aufständische Gruppierungen stellen Afghanistan und die Koalitionskräfte vor erhebliche Herausforderungen. Derzeit sind rund 20 terroristische Organisationen in Afghanistan zu finden:

das von außen unterstützte Haqqani-Netzwerk stellt nach wie vor die größte Gefährdung für afghanische und internationale Kräfte dar. Die Verflechtung von Taliban und Haqqani-Netzwerk ist so intensiv, dass diese beiden Gruppierungen als Fraktionen ein und derselben Gruppe angesehen werden. Wenn auch die Taliban öffentlich verkündet haben, sie würden zivile Opfer einschränken, so führt das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin Angriffe in bevölkerungsreichen Gegenden aus (USDOD 12.2017).

Im August 2017 wurde berichtet, dass regierungsfeindliche bewaffnete Gruppierungen - insbesondere die Taliban - ihre Aktivitäten landesweit verstärkt haben, trotz des Drucks der afghanischen Sicherheitskräfte und der internationalen Gemeinschaft, ihren Aktivitäten ein Ende zu setzen (Khaama Press 13.8.2017). Auch sind die Kämpfe mit den Taliban eskaliert, da sich der Aufstand vom Süden in den sonst friedlichen Norden des Landes verlagert hat, wo die Taliban auch Jugendliche rekrutieren (Xinhua 18.3.2018). Ab dem Jahr 2008 expandierten die Taliban im Norden des Landes. Diese neue Phase ihrer Kampfgeschichte war die Folge des Regierungsaufbaus und Konsolidierungsprozess in den südlichen Regionen des Landes. Darüber hinaus haben die Taliban hauptsächlich in Faryab und Sar-i-Pul, wo die Mehrheit der Bevölkerung usbekischer Abstammung ist, ihre Reihen für nicht-paschtunische Kämpfer geöffnet (AAN 17.3.2017).

Teil der neuen Strategie der Regierung und der internationalen Kräfte im Kampf gegen die Taliban ist es, die Luftangriffe der afghanischen und internationalen Kräfte in jenen Gegenden zu verstärken, die am stärksten von Vorfällen betroffen sind. Dazu gehören u.a. die östlichen und südlichen Regionen, in denen ein Großteil der Vorfälle registriert wurde. Eine weitere Strategie der Behörden, um gegen Taliban und das Haqqani-Netzwerk vorzugehen, ist die Reduzierung des Einkommens selbiger, indem mit Luftangriffen gegen ihre Opium-Produktion vorgegangen wird (SIGAR 1.2018).

Außerdem haben Militäroperationen der pakistanischen Regierung einige Zufluchtsorte Aufständischer zerstört. Jedoch genießen bestimmte Gruppierungen, wie die Taliban und das Haqqani-Netzwerk Bewegungsfreiheit in Pakistan (USDOD 12.2017). Die Gründe dafür sind verschiedene: das Fehlen einer Regierung, das permissive Verhalten der pakistanischen Sicherheitsbehörden, die gemeinsamen kommunalen Bindungen über die Grenze und die zahlreichen illegalen Netzwerke, die den Aufständischen Schutz bieten (AAN 17.10.2017).

Taliban

Die Taliban führten auch ihre Offensive "Mansouri" weiter; diese Offensive konzentrierte sich auf den Aufbau einer "Regierungsführung" der Taliban (Engl. "governance") bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Gewalt gegen die afghanische Regierung, die ANDSF und ausländische Streitkräfte. Nichtsdestotrotz erreichten die Taliban, die Hauptziele dieser "Kampfsaison" laut US-Verteidigungsministerium nicht (USDOD 12.2017). Operation Mansouri sollte eine Mischung aus konventioneller Kriegsführung, Guerilla-Angriffen und Selbstmordattentaten auf afghanische und ausländische Streitkräfte werden (Reuters 28.4.2017). Auch wollten sich die Taliban auf jene Gegenden konzentrieren, die vom Feind befreit worden waren (LWJ 28.4.2017). Laut NATO Mission Resolute Support kann das Scheitern der Taliban-Pläne für 2017 auf aggressive ANDSF-Operationen zurückgeführt, aber auch auf den Umstand, dass die Taliban den IS und die ANDSF gleichzeitig bekämpfen müssen (USDOD 12.2017).

Schätzungen von SIGAR zufolge kontrollierten im Oktober 2017 und im Jänner 2018 die Taliban 14% der Distrikte Afghanistans (SIGAR 30.4.2018). Die Taliban selbst verlautbarten im März 2017, dass sie beinahe 10% der afghanischen Distrikte kontrollierten (ODI 6.2018). Die Taliban halten auch weiterhin großes Territorium in den nördlichen und südlichen Gegenden der Provinz Helmand (JD News 12.3.2018; vgl. LWJ 20.4.2018). Die ANDSF haben, unterstützt durch US-amerikanische Truppen, in den ersten Monaten des Jahres 2018 an Boden gewonnen, wenngleich die Taliban nach wie vor die Hälfte der Provinz Helmand unter Kontrolle halten (JD News 12.3.2018; vgl. LWJ 20.4.2018). Helmand war lange Zeit ein Hauptschlachtfeld - insbesondere in der Gegend rund um den Distrikt Sangin, der als Kernstück des Taliban-Aufstands erachtet wird (JD News 12.3.2018; vgl. Reuters 30.3.2018). Die Taliban haben unerwarteten Druck aus ihrer eigenen Hochburg in Helmand erhalten: Parallel zu der Ende März 2018 abgehaltenen Friendens-Konferenz in Uzbekistan sind hunderte Menschen auf die Straße gegangen, haben eine Sitzblockade abgehalten und geschworen, einen langen Marsch in der von den Taliban kontrollierten Stadt Musa Qala abzuhalten, um die Friedensgespräche einzufordern. Unter den protestierenden Menschen befanden sich auch Frauen, die in dieser konservativen Region Afghanistans selten außer Hauses gesehen werden (NYT 27.3.2018).

Kabul

Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul-Stadt. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan, im Nordosten an Kapisa, im Osten an Laghman, an Nangarhar im Südosten, an Logar im Süden und an (Maidan) Wardak im Südwesten. Kabul ist mit den Provinzen Kandahar, Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden. Die Provinz Kabul besteht aus folgenden Einheiten (Pajhwok o.D.z): Bagrami, Chaharasyab/Char Asiab, Dehsabz/Deh sabz, Estalef/Istalif, Farza, Guldara, Kabul Stadt, Kalakan, Khak-e Jabbar/Khak-i-Jabar, Mirbachakot/Mir Bacha Kot, Musayi/Mussahi, Paghman, Qarabagh, Shakardara, Surobi/Sorubi (UN OCHA 4-2014; vgl. Pajhwok o.D.z).

In der Hauptstadt Kabul leben unterschiedliche Ethnien: Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus. Ein Großteil der Bevölkerung gehört dem sunnitischen Glauben an, dennoch lebt eine Anzahl von Schiiten, Sikhs und Hindus nebeneinander in Kabul Stadt (Pajhwok o.D.z). Menschen aus unsicheren Provinzen, auf der Suche nach Sicherheit und Jobs, kommen nach Kabul - beispielsweise in die Region Shuhada-e Saliheen (LAT 26.3.2018). In der Hauptstadt Kabul existieren etwa 60 anerkannte informelle Siedlungen, in denen 65.000 registrierte Rückkehrer/innen und IDPs wohnen (TG 15.3.2018).

Kabul verfügt über einen internationalen Flughafen: den Hamid Karzai International Airport (HKIR) (Tolonews 25.2.2018; vgl. Flughafenkarte der Staatendokumentation; Kapitel 3.35). Auch soll die vierspurige "Ring Road", die Kabul mit angrenzenden Provinzen verbindet, verlängert werden (Tolonews 10.9.2017; vgl. Kapitel 3.35.).

Allgemeine Information zur Sicherheitslage

Einst als relativ sicher erachtet, ist die Hauptstadt Kabul von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen der Taliban betroffen (Reuters 14.3.2018), die darauf abzielen, die Autorität der afghanischen Regierung zu untergraben (Reuters 14.3.2018; vgl. UNGASC 27.2.2018). Regierungsfeindliche, bewaffnete Gruppierungen inklusive des IS versuchen in Schlüsselprovinzen und -distrikten, wie auch in der Hauptstadt Kabul, Angriffe auszuführen (Khaama Press 26.3.2018; vgl. FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018). Im Jahr 2017 und in den ersten Monaten des Jahres 2018 kam es zu mehreren "high-profile"-Angriffen in der Stadt Kabul; dadurch zeigte sich die Angreifbarkeit/Vulnerabilität der afghanischen und ausländischen Sicherheitskräfte (DW 27.3.2018; vgl. VoA 19.3.2018 SCR 3.2018, FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018).

Im gesamten Jahr 2017 wurden 1.831 zivile Opfer (479 getötete Zivilisten und 1.352 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Selbstmordanschläge, gefolgt von IEDs und gezielte Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 4% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016. Für Kabul-Stadt wurden insgesamt 1.612 zivile Opfer registriert; dies bedeutet eine Steigerung von 17% im Gegensatz zum Vorjahr 2016 (440 getötete Zivilisten und 1.172 Verletzte) (UNAMA 2.2018).

Im Jahr 2017 war die höchste Anzahl ziviler Opfer Afghanistans in der Provinz Kabul zu verzeichnen, die hauptsächlich auf willkürliche Angriffe in der Stadt Kabul zurückzuführen waren; 16% aller zivilen Opfer in Afghanistan sind in Kabul zu verzeichnen.

Selbstmordangriffe und komplexe Attacken, aber auch andere Vorfallsarten, in denen auch IEDs verwendet wurden, erhöhten die Anzahl ziviler Opfer in Kabul. Dieser öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriff im Mai 2017 war alleine für ein Drittel ziviler Opfer in der Stadt Kabul im Jahr 2017 verantwortlich (UNAMA 2.2018).

Militärische Operationen und Maßnahmen der afghanischen Regierung in der Provinz Kabul

Regelmäßig werden in der Hauptstadt Sicherheitsoperationen durch die Regierung in unterschiedlichen Gebieten ausgeführt (Tolonews 31.1.2018; vgl. AT 18.3.2018, RS 28.2.2018; vgl. MF 18.3.2018). Im Rahmen des neuen Sicherheitsplanes sollen außerdem Hausdurchsuchungen ausgeführt werden (MF 18.3.2018). Um die Sicherheitslage in Kabul-Stadt zu verbessern, wurden im Rahmen eines neuen Sicherheitsplanes mit dem Namen "Zarghun Belt" (der grüne Gürtel), der Mitte August 2017 bekannt gegeben wurde, mindestens 90 Kontrollpunkte in den zentralen Teilen der Stadt Kabul errichtet. Die afghanische Regierung deklarierte einen Schlüsselbereich der afghanischen Hauptstadt zur "Green Zone" - dies ist die Region, in der wichtige Regierungsinstitutionen, ausländische Vertretungen und einige Betriebe verortet sind (Tolonews 7.2.2018). Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt (Reuters 6.8.2017). Die neue Strategie beinhaltet auch die Schließung der Seitenstraßen, welche die Hauptstadt Kabul mit den angrenzenden Vorstädten verbinden; des Weiteren, werden die Sicherheitskräfte ihre Präsenz, Personenkontrollen und geheimdienstlichen Aktivitäten erhöhen (Tolonews 7.2.2018). Damit soll innerhalb der Sicherheitszone der Personenverkehr kontrolliert werden. Die engmaschigen Sicherheitsmaßnahmen beinhalten auch eine erhöhte Anzahl an Sicherheitskräften und eine Verbesserung der Infrastruktur rund um Schlüsselbereiche der Stadt (Tolonews 1.3.2018). Insgesamt beinhaltet dieser neue Sicherheitsplan 52 Maßnahmen, von denen die meisten nicht veröffentlicht werden (RFE/RL 7.2.2018). Auch übernimmt die ANA einige der porösen Kontrollpunkte innerhalb der Stadt und bildet spezialisierte Soldaten aus, um Wache zu stehen. Des Weiteren soll ein kreisförmiger innerer Sicherheitsmantel entstehen, der an einen äußeren Sicherheitsring nahtlos anschließt - alles dazwischen muss geräumt werden (Reuters 14.3.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen in der Provinz Kabul

Sowohl die Taliban als auch der IS verüben öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriffe in der Stadt Kabul (UNGASC 27.2.2018; vgl. RFE/RL 17.3.2018, Dawn 31.1.2018), auch dem Haqqani-Netzwerk wird nachgesagt, Angriffe in der Stadt Kabul zu verüben (RFE/RL 30.1.2018; vgl. NYT 9.3.2018, VoA 1.6.2017). So existieren in der Hauptstadt Kabul scheinbar eine Infrastruktur, Logistik und möglicherweise auch Personal ("terrorists to hire"), die vom Haqqani-Netzwerk oder anderen Taliban-Gruppierungen, Splittergruppen, die unter der Flagge des IS stehen, und gewaltbereiten pakistanischen sektiererischen (anti-schiitischen) Gruppierungen verwendet werden (AAN 5.2.2018).

Zum Beispiel wurden zwischen 27.12.2017 und 29.1.2018 acht Angriffe in drei Städten ausgeführt, zu denen neben Jalalabad und Kandahar auch Kabul zählte - fünf dieser Angriffe fanden dort statt. Nichtsdestotrotz deuten die verstärkten Angriffe - noch - auf keine größere Veränderung hinsichtlich des "Modus Operandi" der Taliban an (AAN 5.2.2018).

Internationaler Flughafen Kabul

Der Flughafen in Kabul ist ein internationaler Flughafen (Tolonews 18.12.2017; vgl. HKA o.D.). Ehemals bekannt als internationaler Flughafen Kabul, wurde er im Jahr 2014 in "Internationaler Flughafen Hamid Karzai" umbenannt. Er liegt 16 km außerhalb des Stadtzentrums von Kabul. In den letzten Jahren wurde der Flughafen erweitert und modernisiert. Ein neues internationales Terminal wurde hinzugefügt und das alte Terminal wird nun für nationale Flüge benutzt (HKA o. D.). Projekte zum Ausbau des Flughafens sollen gemäß der Afghanistan's Civil Aviation Authority (ACAA) im Jahr 2018 gestartet werden (Tolonews 18.12.2017)."

Aus den vorliegenden Länderinformationen ist abzuleiten, dass die Lage in Afghanistan generell nach wie vor weder sicher noch stabil ist, dass jedoch hinsichtlich der Sicherheitslage zwischen den verschiedenen Provinzen und innerhalb der Provinzen zwischen den einzelnen Distrikten differenziert werden muss. Auch in der Hauptstadt Kabul sind hauptsächlich Bezirke, in denen sich Einrichtungen mit Symbolcharakter befinden, von der vermehrten Anschlagstätigkeit regierungsfeindlicher Gruppierungen betroffen, während in reinen Wohngebieten für die Allgemeinbevölkerung eine drastisch erhöhte Anschlagsgefahr aus dem vorliegenden Berichtsmaterial nicht abgeleitet werden kann.

Soweit UNHCR in den Richtlinien vom 30.08.2018 die Auffassung vertritt, dass angesichts der gegenwärtigen Sicherheitslage in Kabul eine relevante interne Flucht- und Neuansiedlungsalternative in dieser Stadt allgemein nicht zur Verfügung stehe (Abschnitt III. C.4.a] iVm III. C.4.c]), ist festzuhalten, dass sich die Ausführungen zur Sicherheitslage von jenen des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts vom 10.08.2018 im Wesentlichen nur dadurch unterscheiden, dass die Richtlinien vom 30.08.2018 (auch im Unterschied zu jenen vom 19.04.2016) ausdrücklich auf das nicht quantifizierte Risiko hinweisen, Opfer von generalisierter Gewalt im Zuge der Teilnahme an tagtäglichen sozialen oder wirtschaftlichen Aktivitäten zu werden. Es ergibt sich aus den Richtlinien vom 30.08.2018 allerdings nicht, dass die Beurteilung im Erkenntnis des Bundesverwaltungsgericht vom 10.08.2018 unzutreffend sei, dass sich die in der Stadt Kabul verzeichneten Anschläge hauptsächlich im Nahebereich staatlicher Einrichtungen ereigneten und sich mehrheitlich gezielt gegen die Regierung und internationale Organisationen sowie Restaurants, Hotels oder ähnliche Einrichtungen richteten, in denen vorwiegend ausländische Personen verkehren. Somit waren diese Gefährdungsquellen in reinen Wohngebieten nicht in einem solchen Ausmaß anzunehmen, dass die Lage in der Stadt Kabul nicht insgesamt als ausreichend sicher bewertet werden konnte.

Nach den aktualisierten Richtlinien vom 30.08.2018 ist UNHCR vor dem näher dargestellten Hintergrund weiters der Ansicht, dass eine vorgeschlagene innerstaatliche Flucht- und Neuansiedlungsalternative nur zumutbar ist, wenn die Person Zugang zu Unterkünften, grundlegenden Dienstleistungen wie Sanitärversorgung, Gesundheitsversorgung und Bildung sowie Möglichkeiten für den Lebensunterhalt oder nachgewiesene und nachhaltige Unterstützung für den Zugang zu einem angemessenen Lebensstandard hat. Darüber hinaus hält UNHCR eine innerstaatliche Flucht- und Neuansiedlungsalternative nur für zumutbar, wenn die Person Zugang zu einem Unterstützungsnetzwerk von Mitgliedern ihrer (erweiterten) Familie oder Mitgliedern ihrer größeren ethnischen Gemeinschaft in der Gegend der potenziellen Umsiedlung hat, die beurteilt wurden, bereit und in der Lage zu sein, dem Antragsteller in der Praxis echte Unterstützung zu leisten.

UNHCR ist allerdings weiterhin der Ansicht, dass die einzige Ausnahme von der Anforderung der externen Unterstützung alleinstehende, leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im erwerbsfähigen Alter sind, soweit keine spezifischen Vulnerabilitäten (wie näher beschrieben) vorliegen. Unter bestimmten Umständen können diese Personen ohne familiäre und soziale Unterstützung in urbaner und semi-urbaner Umgebung leben, soweit diese Umgebung über die notwendige Infrastruktur und Lebensgrundlagen verfügt, um die Grundbedürfnisse des Lebens zu decken und soweit diese einer wirksamen staatlichen Kontrolle unterliegt (Abschnitt III.C.2.c], S.110).

Insoweit ist keine maßgebliche Änderung im Vergleich zu den dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes u.a. zugrunde gelegten UNHCR-Richtlinien vom 19.04.2016 zu sehen.

EASO hält in seinem Länderleitfaden Afghanistan nach einer Beurteilung aus Juni 2018 eine innerstaatliche Fluchtalternative in den Städten Mazar-e-Sharif, Herat und Kabul für zumutbar für alleinstehende Männer, auch wenn es in dem Neuansiedlungsgebiet kein Unterstützungsnetzwerk gibt. So brächte die Situation der Neuansiedlung gewisse Härten mit sich, allerdings kann EASO zufolge der Schluss gezogen werden, dass derartige Personen in der Lage sind, ihre Grundbedürfnisse, Unterkunft und Hygiene sicherzustellen; dies sofern nicht aus deren persönlichen Umständen auf zusätzliche Vulnerabilitäten zu schließen ist. Die folgenden Umstände, die im gegenständlichen Fall im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geprüft wurden, wären in Betracht zu ziehen: Alter, Geschlecht, Familienstand, Gesundheitszustand, sozialer und wirtschaftlicher Hintergrund, Kenntnisse der lokalen Bedingungen, Unterstützungsnetzwerk und Religion. Die UNHCR Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Asylum-Seekers from Afghanistan vom 30.08.2018 vermögen lediglich zu beweisen, dass UNHCR - im Gegensatz etwa zu EASO - eine innerstaatliche Fluchtalternative in der Hauptstadt Kabul derzeit generell nicht (mehr) annimmt. Dass der Antragsteller in allen Teilen seines Herkunftsstaats die Verletzung seiner Rechte nach Art. 2 und/oder 3 EMRK zu befürchten hätte, ist mit den neuen UNHCR Richtlinien jedoch nicht unter Beweis gestellt. Vielmehr geht UNHCR auch in den neuen Richtlinien davon aus, dass für junge, arbeitsfähige, gesunde Männer ohne festgestellte besondere Vulnerabilitäten eine Ansiedlung in den größeren afghanischen Städten, die unter staatlicher Kontrolle stehen und die über die notwendige Infrastruktur und Möglichkeiten zur Sicherung des Lebensunterhalts verfügen, sogar ohne bestehendes familiäres oder soziales Netzwerk unter gewissen Voraussetzungen möglich und auch zumutbar ist.

Selbst wenn man daher mit dem Antragsteller - entgegen etwa der Einschätzung von EASO - eine innerstaatliche Fluchtalternative in der Hauptstadt Kabul nicht annehmen möchte, wäre selbst nach den vom Antragsteller angeführten UNHCR Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Asylum-Seekers from Afghanistan vom 30.08.2018 eine Ansiedlung in anderen afghanischen urbanen und semi-urbanen Umgebungen, die unter tatsächlicher staatlicher Kontrolle stehen und die über die notwendige Infrastruktur und Möglichkeiten zur Sicherung des Lebensunterhalts verfügen (insbesondere trifft das nach den im Entscheidungszeitpunkt herangezogenen, aber auch nach den aktuellen Länderinformationen, die im Fall der Wiederaufnahme des Verfahrens heranzuziehen wären, auf die Städte Herat und Mazar-e Sharif zu), aufgrund der persönlichen Umstände des Antragstellers, die im zugrundeliegenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren geprüft wurden, möglich und zumutbar. Auch wenn die UNHCR Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Asylum-Seekers from Afghanistan vom 30.08.2018 bereits im Zeitpunkt der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung existent und bekannt gewesen wären, hätten sie daher nicht zur Zuerkennung des Status des Asylberechtigten oder zur Zuerkennung subsidiären Schutzes geführt, sodass die Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 Z. 2 VwGVG im gegenständlichen Fall auch diesbezüglich nicht erfüllt sind.

Die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 10.08.2018, Zl. W250 2146153-1/14E, abgeschlossenen Verfahrens liegen daher nicht vor, sodass der Wiederaufnahmeantrag abzuweisen war.

3.1.6. Da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit dem Antrag auf Wiederaufnahme geklärt erschien und es sich bei der Beurteilung, ob die Eignung eines vorgebrachten Wiederaufnahmegrundes vorliegt, um eine Rechtsfrage handelt (vgl. VwGH 19.04.2007, 2004/09/0159; Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013) § 32 VwGVG Anm. 9), konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben (vgl. VwGH 28.05.2014, Ra 2014/20/0017 und 0018; VfGH 14.03.2012, U 466/11 ua.).

3.1.7. Mit der Abweisung des gegenständlichen Antrags auf Wiederaufnahme des Verfahrens erübrigt sich ein Abspruch über den Antrag auf "Erlassung einer einstweiligen Anordnung nach dem Unionsrecht auf Gewährung eines vorübergehenden Aufenthaltsrechts bzw. auf Hintanhaltung der Abschiebung bis zur Entscheidung über den gegenständlichen Antrag auf Wiederaufnahme gem. § 32 VwGVG".

3.2. Zu Spruchpunkt B) - Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

In der Beschwerde findet sich kein schlüssiger Hinweis auf das Bestehen von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren und sind solche auch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht gegeben.

Die Revision war daher nicht zuzulassen.

Schlagworte

Voraussetzungen, Wiederaufnahme, Wiederaufnahmeantrag,
Wiederaufnahmegrund

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W250.2146153.2.00

Zuletzt aktualisiert am

10.01.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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