TE Bvwg Erkenntnis 2018/10/22 W240 2194225-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.10.2018
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

22.10.2018

Norm

AsylG 2005 §5
B-VG Art.133 Abs4
FPG §61

Spruch

W240 2194225-2/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch Richterin Mag. FEICHTER über die Beschwerde des XXXX, festgestellte Volljährigkeit, geb. am XXXX, StA. Gambia gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.09.2018, Zahl: 1177235500/171410751, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 5 AsylG 2005 und § 61 FPG als

unbegründet abgewiesen.

B) Die ordentliche Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht

zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer reiste unrechtmäßig in das Bundesgebiet ein und stellte am 20.12.2017 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA) einen Antrag auf internationalen Schutz. Als Geburtsdatum gab er den XXXX an.

Eine EURODAC-Abfrage ergab eine erkennungsdienstliche Behandlung des Beschwerdeführers am 22.10.2016 und eine Asylantragstellung am 09.12.2016 in Italien.

Im Rahmen der Erstbefragung am 21.12.2017 gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, dass er in Gambia geboren sei. Er habe Schmerzen am rechten Ohr, nehme aber keine Medikamente. Er sei über Libyen nach Italien gereist, wo er vom 21.10.2016 bis 20.12.2017 aufhältig gewesen sei, bis er weiter nach Österreich gelangt sei. In Italien habe er in einem Camp gelebt. Die Menschen dort seien "schlecht gewesen" [sic], sie hätten ihn aus dem Camp schicken wollen. Er habe nur fragen wollen, was er brauche um in Italien bleiben zu können, die Leute hätten ihm aber keine Auskunft gegeben und ihn schlecht behandelt.

Am 08.01.2018 wurde der Beschwerdeführer vor dem BFA im Beisein der Rechtberaterin, die gleichzeitig als gesetzliche Vertreterin fungierte, einvernommen. Hiebei gab er im Wesentlichen an, dass er in der Lage sei die Befragung zu absolvieren, er habe aber Probleme mit seinen Ohren, habe Schmerzen im Ohr und höre Geräusche. Seine Eltern seien bereits verstorben, sein Vater im Jahr 2015, wann seine Mutter verstorben sei, wisse er nicht. Er habe noch eine ältere Schwester, die sich noch in Gambia aufhalten würde. Er habe keine Schule besucht, habe lediglich Elektrikerabreiten ausgeführt, habe dies aber nicht so gut beherrscht. Befragt, welches Geburtsdatum er in Italien angegeben habe, entgegnete der Beschwerdeführer, dass er sich nicht mehr erinnern könne.

Die gesetzliche Vertreterin stimmte dem "Familiy Tracing" zu.

Da das BFA aufgrund des äußeren Erscheinungsbildes und des reifen Auftretens des BF Zweifel an dessen Minderjährigkeit hatte, wurde zunächst eine Vorabklärung des Alters des Beschwerdeführers mittels Handwurzelröntgen vorgenommen und ergab eine diesbezügliche Untersuchung, dass beim Beschwerdeführer betreffend die Bestimmung des Knochenalters seiner linken Hand, FFA 76, das Ergebnis "Schmeling 4, GP 31" vorliegt.

Es wurde ein multifaktorielles medizinisches Sachverständigengutachten zur Frage des Alters des Beschwerdeführers eingeholt. Das Gutachten vom XXXX2018 kommt zum Ergebnis, dass zum Untersuchungszeitpunkt am selben Tag (XXXX2018) ein absolutes Mindestalter des Beschwerdeführers von 19 Jahren vorliegt, was dem fiktiven Geburtsdatum XXXX entspricht. Damit befand sich der Beschwerdeführer zum Datum des Asylantrages laut diesem Gutachten am 20.12.2017 jenseits seines vollendeten 18. Lebensjahres (festgestelltes Mindestalter dann 18,87 Jahre). Eine Minderjährigkeit des Antragstellers kann für diesen Zeitpunkt mit dem erforderlichen Beweismaß ausgeschlossen werden. Der Antragsteller hat das 18. Lebensjahr spätestens am XXXX vollendet.

Das BFA richtete unter Hinweis auf den Reiseweg des Beschwerdeführers ein auf Art. 18

Abs. 1 lit. b der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO) gestütztes Wiederaufnahmeersuchen an Italien. Unter einem wurde Italien mitgeteilt, dass sich der BF im Bundesgebiet als minderjährige Person ausgibt, dass jedoch ein Altersfeststellungsgutachten ergeben hat, er sei eine volljährige Person.

Am 15.02.2018 sendete das BFA der italienischen Dublin-Behörde das medizinische Sachverständigengutachten zur Altersfeststellung.

Mit Verfahrensanordnung vom 15.02.2018 stellte das BFA die Volljährigkeit des Beschwerdeführers und setzte das Geburtsdatum mit XXXX fest.

Mit Schreiben vom 05.03.2018 informierte das BFA die italienischen Behörden darüber, dass Italien aufgrund Verfristung gem. Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO für das Asylverfahren betreffend den Beschwerdeführer zuständig sei.

Am 15.03.2018 wurde der Beschwerdeführer erneut vor dem BFA einvernommen. Zu seinem Gesundheitszustand gab er wiederholt an, dass er Ohrenschmerzen habe und Geräusche höre. Er nehme auch Medikamente, die er in seiner Unterkunft habe, den Namen habe er vergessen. Seit wann er an diesen Beschwerden leide, wisse er nicht. Er sei diesbezüglich in Italien beim Arzt gewesen, habe aber keine Unterlagen erhalten. Ergänzend zu seiner Erstbefragung wolle er noch angeben, dass er eine Schwester habe, die im Senegal lebe. Nach Vorhalt des Altersfeststellungsgutachtens, wonach er bereits volljährig sei, gab der Beschwerdeführer an, dass das nicht wahr sei. Die Frage, ob er über Dokumente verfüge, die seine Identität bestätigen würden, verneinte der Beschwerdeführer. Es gebe auch keine Verwandten oder Personen in Österreich oder der EU, zu denen er ein besonderes Naheverhältnis habe. Nach Italien wolle er nicht zurück, er habe die meiste Zeit nichts zu essen bekommen, Vorfälle habe es aber keine gegeben. Zu seinem Asylverfahren habe er in Italien eine negative Entscheidung erhalten, eine Beschwerde habe er dagegen nicht eingebracht, da er kein Geld für einen Anwalt gehabt habe.

Ergänzend gab der Beschwerdeführer noch an, dass seine Schwester ihm sein Geburtsdatum mitgeteilt habe. Seine Schwester habe es ihm gesagt. Er habe keine Ahnung, woher sie es wisse und ob seine Schwester in Gambia Dokumente habe. Er hätte mit der Schwester über die Familie gesprochen und im Zuge dessen habe diese ihm sein Geburtsdatum mitgeteilt.

Sodann wurde der Rechtsberatung die Möglichkeit eingeräumt eine Stellungnahme zur Altersfeststellung bis zum 22.03.2018 abzugeben.

Mit Schreiben vom 19.03.2018 wurde von der Betreuungsstelle des Beschwerdeführers mitgeteilt, dass dieser das Medikament "Norgesic 35mg" einnehmen würde (Anm. BVwG: muskelentspannendes und schmerzstillendes Medikament).

Die Stellungnahme zur Altersfeststellung langte am 20.03.2018 ein. Darin wurde zusammengefasst moniert, dass der Gutachter anhand des Panoramaröntgens keine Feststellungen über die Minderjährigkeit bzw. Volljährigkeit des Beschwerdeführers treffen habe können. Bei der Handröntgenuntersuchung und bei der körperlichen Untersuchung habe eine Minderjährigkeit nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden können bzw. sei das Ergebnis nicht beurteilbar gewesen. Somit sei nicht nachvollziehbar, wie der Gutachter in der Zusammenfassung zu einem "höchstmöglichen Mindestalter" von 19 Jahren zum Zeitpunkt der Antragstellung gekommen sei. Da bei der Altersdiagnose kein zweifelfreies Alter hätte festgestellt werden können, müsse zugunsten des Beschwerdeführers von seiner Minderjährigkeit ausgegangen werden. Es habe somit bei drei Untersuchungen nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine Minderjährigkeit ausgeschlossen werden können. Die Annahme eines höchstmöglichen Mindestalters sei daher rechtswidrig und es werde beantragt, entsprechend den Angaben des Beschwerdeführers sein Geburtsdatum festzusetzen. Dies entspreche der gesetzlichen Regelung im Sinne des § 13 Abs. 3 BFA-VG.

2. Mit Bescheid des BFA vom 16.03.2018 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß

§ 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Italien gemäß

Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-VO für die Prüfung dieses Antrages zuständig sei (Spruchpunkt I.). Unter Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wurde gegen den Beschwerdeführer die Außerlandesbringung gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 FPG angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gemäß § 61 Abs. 2 FPG die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Italien zulässig sei.

3. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Beschwerde, und gab an, dass der Beschwerdeführer das Original seiner Geburtsurkunde, welche er erst kürzlich erhalten habe, vorgelegt habe. Die Geburtsurkunde würde beweisen, dass der Beschwerdeführer noch minderjährig sei. Der Beschwerdeführer habe seine Minderjährigkeit im Laufe des Zulassungsverfahrens konsistent vorgebracht. Auch in der Stellungnahme zur durchgeführten Altersfeststellung vom 20.03.2018 sei das Gutachten in Zweifel gezogen worden, da die Minderjährigkeit unter anderem nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden könne. Daher bestehe Zweifel am Alter und sei deswegen laut Rechtsprechung des VfGH vom 07.03.2012 zu U1558/11 von der Minderjährigkeit des Beschwerdeführers auszugehen.

Auch die Länderberichte zu Italien seien mangelhaft und die Unterbringungssituation müsse als größtes Problem für Dublin-Rückkehrer betrachtet werden. Zudem sei der Beschwerdeführer als unbegleitetes minderjähriges Kind vulnerabel.

4. Mit Beschluss vom 07.05.2018 wurde der Beschwerde gegen nunmehr angefochtenen Bescheid gemäß § 17 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

Auf nochmalige Aufforderung wurde dem BVwG am 09.05.2018 die Geburtsurkunde (bzw. eine Bestätigung über das Geburtsdatum des Beschwerdeführers) übermittelt. In diesem Dokument wird angeführt, dass der Beschwerdeführer am XXXX geboren sei.

5. Mittels Beschluss vom 28.06.2018, Zahl: W240 2194225-1/7E, wurde gemäß § 21 Abs. 3 2. Satz BFA-VG der Beschwerde stattgegeben und der Bescheid des BFA vom 28.03.2018, behoben.

Zusammengefasst wurde darauf hingewiesen, es sei hinsichtlich der seitens des BFA im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen und Erörterungen zu den Altersangaben festzuhalten, dass die Bedenken des BFA hinsichtlich des vom Beschwerdeführers angeführten Lebensalters mittels medizinischem Sachverständigengutachten bestätigt wurde und der Beschwerdeführer laut diesem, entgegen seinen eigenen Angaben, zum Zeitpunkt der Asylantragstellung bereits volljährig gewesen wäre. Nach Vornahme einer multifaktoriellen Altersfeststellung wurde hinsichtlich der beschwerdeführenden Partei ein Mindestalter von 19 Jahren zum Zeitpunkt der Untersuchung am XXXX2018 und ein Mindestalter von 18,87 Jahren zum Zeitpunkt der Antragstellung in Österreich (am 20.12.2017) festgestellt. In der Beschwerde wurde auf die nunmehr an den Beschwerdeführer übermittelte Geburtsurkunde (bzw. die Bestätigung über das Geburtsdatum des Beschwerdeführers) betreffend den Beschwerdeführer verwiesen. In der Beschwerde wurde ausgeführt, dass dieses Dokument beweisen würde, dass der Beschwerdeführer minderjährig wäre. Es sei darauf hinzuweisen, dass das BFA nicht darauf hingewirkt hat, dass der Akt vollständig dem BVwG vorgelegt wird, sondern hat erst auf Nachfrage der zuständigen Richterin über den Verbleib der - sich nicht im Akt befindlichen - jedoch in der Beschwerde erwähnten Geburtsurkunde (bzw. der Bestätigung über das Geburtsdatum des Beschwerdeführers) eingescannt zukommen lassen. Auf nochmalige Aufforderung wurde dem BVwG am 09.05.2018 im Original die Geburtsurkunde (bzw. die Bestätigung über das Geburtsdatum des Beschwerdeführers) übermittelt. Im konkreten Einzelfall könne erst nach Nachholung dieser erforderlichen Ermittlungstätigkeiten, nämlich der Einbeziehung der Beurteilung der Geburtsurkunde (bzw. der Bestätigung über das Geburtsdatum des Beschwerdeführers) die Frage nach dem für die beschwerdeführende Partei zuständigen Dublinstaat geklärt werden, bzw. können erst im Anschluss daran die sich aus diesem Zusammenhang ergebenden Verfahrensfragen seitens der gerichtlichen Überprüfungsinstanz beurteilen und überprüft werden. Da im gegenständlichen Fall der entscheidungsrelevante Sachverhalt trotz bestehender Möglichkeiten nicht ausreichend ermittelt worden, weshalb gemäß § 21 Abs. 3 BFA-VG 2. Satz zwingend vorzugehen sei.

Am 04.07.2018 wurde seitens des BFA an die Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl herangetreten und gebeten zu beantworten,

-

welche Möglichkeiten bestehen zur Dokumentenbeschaffung im Herkunftsstaat bzw. ist es möglich persönliche Dokumente, zB. Geburtsurkunden, durch Dritte sich ausstellen zu lassen?

-

besteht hinsichtlich der Dokumentenbeschaffung auch die Möglichkeit am Schwarzmarkt sich Originaldokumente ausstellen zu lassen?

Mit Anschreiben vom 09.07.2018 übermittelte die Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl folgende Information:

-

"E-Mail vom 08.2015 der österreichischen Botschaft in Dakar:

‚[...] dass es im Amtsbereich von 9 Ländern so etwas wie eine Dokumentensicherheit nicht gibt. Speziell bei Geburtsurkunden, die in allen diesen Ländern nicht automatisch bei der Geburt ausgestellt werden, dass jede (Bezirks) Behörde jedem Landsmann eine Geburtsurkunde ausstellt ohne zu überprüfen, ob dieser auch in deren örtliche Zuständigkeit fällt. Geburtsdaten, welche den Antragstellern oft nicht bekannt sind, werden dann willkürlich gewählt.'

-

‚E-Mail vom 28.02.2018 der österreichischen Botschaft in Dakar bestätigen die Aussagen des ehemaligen Konsuls von 2015 wie folgt:

Der ÖB sind diverse Fälle bekannt, bei dem senegalesische, gambische, malischen und anderen Staatsangehörigen, die über drei, vier oder mehr Pässe verfügen. Offenbar ist von Seiten der Heimatländer nicht einschätzbar, wer über wie viele Pässe verfügt.

Auch Geburtsurkunden, ‚Meldeauskünften', Heiratsurkunden kann man hier nur sehr bedingt eine Aussagekraft zusprechen, weil die jeweiligen Regierungen schlicht keinen Überblick über ihre Staatsangehörigen haben.'

Wie der ehemalige Konsul richtig ausgeführt hat, werden die Urkunden auf Wunsch ausgestellt, ohne die Angaben zu verifizieren."

Mit Anschreiben vom 23.07.2018 teilte das Bundeskriminalamt im Wesentlichen mit, dass hinsichtlich der für den Beschwerdeführer vorgelegten Geburtsurkunde (bzw. Bestätigung über das Geburtsdatum des Beschwerdeführers) entsprechendes authentisches Vergleichsmaterial fehlt. Über die Authentizität und die autorisierte Ausstellung des fraglichen Asservats könne daher keine qualifizierende Aussage gemacht werden.

Mit 06.09.2018 wurde dem Beschwerdeführer die aktuellen Länderfeststellungen zu Italien und die Ladung zum Parteiengehör am 13.09.2018 zugestellt.

6. Am 13.09.2018 wurde der Beschwerdeführer neuerlich bei der Erstaufnahmestelle West einvernommen. Der Beschwerdeführer gab im Wesentlichen an, er leide derzeit unter Schmerzen am rechten Ohr, weshalb er behandelt werde. Weitere Krankheiten verneinte er, er fühle sich gut und sei gesund.

Befragt zu seinem Geburtsdatum gab der Beschwerdeführer folgende Angaben:

"(...)

F: Wann sind Sie geboren?

A: Ich bin am XXXX geboren.

F: Wo sind Sie in Gambia geboren?

A: In Gambia, inXXXX.

F: Woher wissen Sie Ihr Geburtsdatum?

A: Meine Schwester hat mir das gesagt.

F: Was hat den Ihre Schwester genau gesagt.

A: Wir haben am Telefon gesprochen. Meine Schwester war im Senegal und ich war in Mauretanien. Wir haben über unsere Familie gesprochen, ich habe meiner Schwester damals viele Fragen gestellt. Ich habe Ihr gesagt, dass ich mein Geburtsdatum nicht kenne und habe Sie daher danach gefragt.

F: Wann war dieses Gespräch?

A: Es ist schon über Jahre her, das war im Jahr 2016.

F: Warum wollten Sie gerade da Ihr Geburtsdatum erfahren?

A: Viele Leute haben mich gefragt und daher wollte ich es erfahren.

F: Wo lebt denn Ihr Schwester gegenwärtig?

A: Sie lebt im Senegal.

F: Woher weiß Ihre Schwester das Geburtsdatum?

A: Das weiß ich nicht, das habe ich Sie nicht gefragt.

F: Seit wann befanden Sie sich im Besitz der Geburtsurkunde die Sie im Beschwerdeverfahren vorgelegt haben?

A: Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, es war aber im Jahr 2018.

F: Wissen Sie vielleicht noch die Jahreszeit?

A: Es war ca. im Frühling.

F: Wie haben Sie Ihre Geburtsurkunde erhalten?

A: Die Familie eines Freundes lebt in Wien und ist von dort nach Gambia gereist und brachte mir die Geburtsurkunde.

F: Wie haben Sie dann die Geburtsurkunde erhalten?

A: Ich habe die Familie meines Freundes angerufen. Ein anderer Freund dieser Familie hat dann mir die Geburtsurkunde nach Klagenfurt gebracht. Ich kannte diese Person aber nicht.

F: Warum sollte eine fremde Person Ihnen ihre Geburtsurkunde bringen?

A: Die Familie meines Freundes, kennt diese Person sehr gut und Sie haben Ihn gebeten, dass er mir diese überreicht.

F: Kennen Sie die Familie ihres Freundes?

A: Nein, diese kenne ich nicht.

F: Warum sollte dann jemand von dieser Familie, die Sie gar nicht kennen extra nach Gambia reisen und Ihnen die Geburtsurkunde holen?

A: Sie waren in Gambia, aber nicht wegen meiner Geburtsurkunde. Aber als Sie dort waren habe ich meinen Freund gefragt ob Sie mir die Geburtsurkunde mitnehmen können.

F: Wann haben Sie ihren Freund gebeten, dass die Familie die Geburtsurkunde mitnehmen soll?

A: Das war die Zeit zwischen Winter und Sommer.

F: Wo hat die Familie in Gambia die Geburtsurkunde bekommen?

A: Sie haben diese von meinem Onkel bekommen.

F: Woher wusste die Familie dass sich die Geburtsurkunde bei Ihrem Onkel befindet?

A: Ich habe Ihnen das gesagt. Meine Schwester hat mir das gesagt, dass die Urkunde sich dort befindet. Es war eine alte Urkunde aber der Staat hat dann eine neue ausgedruckt.

F: Warum hat der Staat eine neue ausgedruckt, die Familie Ihres Freundes hätte doch auch die alte mitnehmen können?

A: Die alte war schon in einem schlechten Zustand, daher hat der Staat eine neue ausgestellt.

F: Wann hat der Staat die Urkunde ausgetauscht?

A: Ich weiß nicht wann genau das war.

F: Wann hat Ihre Schwester Ihnen erzählt, dass Ihr Onkel die Geburtsurkunde von Ihnen hat?

A: Das war im Jahr 2016 als wir gesprochen haben.

F: In der ersten Einvernahme vor dem BFA haben Sie erzählt, dass Ihre Schwester Ihnen das Geburtsdatum im Mai 2017 erzählte und dass Sie nicht wissen, ob Ihre Schwester Dokumente von Ihnen hat?

A: Ich bin verwirrt, mit den Jahren wann genau Sie mir das gesagt hat weiß ich nicht.

(...)

F: Wie hat Ihr Onkel diese Geburtsurkunde erhalten?

A: Das weiß ich nicht.

F: Woher wusste die Schwester, dass sich dieses Dokument bei Ihrem Onkel befindet?

A: Ich weiß es nicht, vielleicht haben Sie darüber gesprochen.

F: Wie und wann wurde das alte Dokument ausgetauscht, wurde das durch Ihren Onkel oder durch die Familie Ihres Freundes beantragt?

A: Ich weiß nicht, wer das gemacht hat. Wann das passiert ist, weiß ich auch nicht.

(...)

F: Auf der Geburtsurkunde ist als Ihr GeburtsortXXXX eingetragen, Sie sind jedoch in XXXX geboren. Wie passt das zusammen?

A: Für mich ist alles gleich, weil meine Mutter aus XXXX stammt.

F: Hatten Sie jemals Kontakt mit Ihrem Onkel?

A: Seit ich meine Heimat verlassen habe, hatte ich keinen Kontakt zu meinem Onkel.

F: Warum sollte dann Ihr Onkel Personen, die er gar nicht kennt und die Sie nicht kennen, diese Geburtsurkunde fremden Personen mitgeben.

A: Vielleicht hat mein Freund mit meinem Onkel gesprochen.

F: Woher kennt Ihr Freund Ihren Onkel bzw. woher hatte er die Telefonnummer?

A: Er kannte meine Familie schon vorher, wie er zu dieser Nummer gekommen sei, weiß ich nicht. Ich habe auch nicht gefragt.

Ich hatte bevor ich Gambia verlassen habe, Probleme mit meinem Onkel.

F: Welche Probleme haben Sie mit Ihm gehabt?

A: Er hat mich geschlagen. Deswegen habe ich auch Ohrenschmerzen.

F: Wenn Sie Probleme mit Ihm hatten, warum sollte er Ihnen dann helfen?

A: Das verstehe ich auch nicht, es kann sein das er nicht mehr wütend auf mich ist.

(...)"

Die Frage, ob er in Österreich, im Bereich der Europäischen Union, in Norwegen, Island, Liechtenstein oder der Schweiz, Verwandte, zu denen ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis bzw. eine besonders enge Beziehung besteht, habe, verneinte er. Auch andere Personen, von denen er abhängig wäre oder zu denen ein besonders enges Verhältnis bestehe, gebe es nicht.

Er verfüge über keine Dokumente, die seine Identität bestätigen.

Zu den aktuellen Länderberichten zu Italien wolle er keine Stellungnahme abgeben.

Der Beschwerdeführer gab an, er verfüge in Afrika über keine Unterkunft. Er wolle, dass er in Österreich eine Chance erhalte, damit er etwas lernen könne. Wenn er nach Italien zurückkehre, werde er eingesperrt, dies habe ihm seine Rechtsberaterin so erklärt.

7. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 21.09.2018 wurde I. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Italien gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-VO zur Prüfung des Antrages zuständig sei und II. gemäß § 61 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF die Außerlandesbringung des Beschwerdeführers angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gem. § 61 Abs. 2 FPG die Abschiebung nach Italien zulässig sei

Die Sachverhaltsfeststellungen zur Lage in Italien wurden im angefochtenen Bescheid im Wesentlichen folgendermaßen zusammengefasst (unkorrigiert, gekürzt durch das Bundesverwaltungsgericht):

1. Allgemeines zum Asylverfahren

In Italien existiert ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit gerichtlichen Beschwerdemöglichkeiten (AIDA 2.2017; für ausführliche Informationen siehe dieselbe Quelle).

Aus aktuellen Statistiken des italienischen Innenministeriums geht hervor, dass es im Jahre 2016 insgesamt 123.600 Asylanträge gegeben hat, was einer Steigerung von 47% gegenüber 2015 entspricht (MdI 10.3.2017, vgl. Eurostat 16.3.2017). 4.808 Personen haben 2016 Flüchtlingsstatus zuerkannt bekommen, 12.873 subsidiären Schutz und

18.979 internationalen humanitären Schutz. 54.254 Anträge (60%) wurden abgewiesen (MdI - 10.3.2017).

Die Asylverfahren nehmen je nach Region sechs bis fünfzehn Monate in Anspruch. Wenn Rechtsmittel ergriffen werden, kann sich diese Dauer auf bis zu zwei Jahren erstrecken (USDOS 3.3.2017).

Aus Statistiken des italienischen Innenministeriums geht hervor, dass es in Italien 2017 mit Stand 21. April 46.225 Asylanträge gab.

(VB 26.4.2017)

Quellen:

-

AIDA - Asylum Information Database (ASGI - Association for Legal Studies on Immigration; ECRE - European Council on Refugees and Exiles) (2.2017): National Country Report Italy, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2016update.pdf, Zugriff 23.3.2017

-

MdI - Ministero dell'Interno (10.3.2017): Dati e statistiche, http://www.libertaciviliimmigrazione.dlci.interno.gov.it/it/documentazione/statistica/i-numeri-dellasilo; Zugriff 23.3.2017

-

USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Italy,

http://www.ecoi.net/local_link/337159/479923_de.html, Zugriff 30.3.2017

-

VB des BM.I Italien (26.4.2017): Statistik des ital. Innenministeriums, per E-Mail

2. Dublin-Rückkehrer

Die meisten Dublin-Rückkehrer landen auf den Flughäfen Rom-Fiumicino und Mailand-Malpensa. Ihnen wird am Flughafen von der Polizei eine Einladung (verbale di invito) ausgehändigt, der zu entnehmen ist, welche Quästur für ihr Asylverfahren zuständig ist. Die Situation von Dublin-Rückkehrern hängt vom Stand ihres Verfahrens in Italien ab:

1. Wenn ein Rückkehrer noch keinen Asylantrag in Italien gestellt hat, kann er dies nun tun, so wie jede andere Person auch (AIDA 2.2017).

2. Ist das Verfahren des Rückkehrers noch anhängig, wird es fortgesetzt und er hat dieselben Rechte wie jeder andere Asylwerber auch (AIDA 2.2017).

3. Wenn ein Verfahren vor endgültiger Entscheidung unterbrochen wurde, etwa weil sich der Antragsteller diesem entzogen hat, und der Betreffende wird von Italien im Rahmen von Art. 18(1)(c) zurückgenommen, wird das Verfahren auf Antrag wieder aufgenommen (EASO 12.2015).

4. Bei Rückkehrern, die unter Art. 18(1)(d) und 18(2) fallen und welche Italien verlassen haben, bevor sie über eine negative erstinstanzliche Entscheidung informiert werden konnten, beginnt die Rechtsmittelfrist erst zu laufen, wenn der Rückkehrer von der Entscheidung in Kenntnis gesetzt wurde (EASO 12.2015; vgl. AIDA 2.2017).

5. Wurde der Rückkehrer beim ersten Aufenthalt in Italien von einer negativen Entscheidung in Kenntnis gesetzt und hat dagegen nicht berufen, kann er zur Außerlandesbringung in ein CIE (Schubhaftlager) gebracht werden. Wurde ihm die Entscheidung nicht zur Kenntnis gebracht, steht dem Rückkehrer der Beschwerdeweg offen, sobald er informiert wurde (AIDA 2.2017).

6. Hat sich der Rückkehrer dem persönlichen Interview nicht gestellt und sein Antrag wurde daher negativ beschieden, kann er nach Rückkehr ein neues Interview beantragen (AIDA 2.2017).

(Für weitere Informationen, siehe Kapitel 6.3 Dublin-Rückkehrer.)

Quellen:

-

AIDA - Asylum Information Database (ASGI - Association for Legal Studies on Immigration; ECRE - European Council on Refugees and Exiles) (2.2017): National Country Report Italy, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2016update.pdf, Zugriff 23.3.2017

-

EASO - European Asylum Support Office (12.2015): Quality Matrix Report: Dublin procedure, per E-Mail

3. Unbegleitete minderjährige Asylwerber (UMA) / Vulnerable

Legislativdekret (LD) 142/2015 definiert folgende Personenkreise als vulnerabel: Minderjährige, unbegleitete Minderjährige, Schwangere, alleinstehende Eltern mit minder-jährigen Kindern, Opfer von Menschenhandel, Opfer von Genitalverstümmelung und ernsthaft physisch oder psychisch Kranke sowie Alte, Behinderte, und Opfer von Folter, Vergewaltigung oder anderen Formen physischer, psychischer oder sexueller Gewalt. In Italien ist kein eigener Identifizierungsmechanismus für Vulnerable vorgesehen. Wenn im Zuge des Interviews ein Vertreter der Behörde den Verdacht hat, es mit einer vulnerablen Person zu tun zu haben, kann er diese speziellen Diensten zuweisen. Legislativdekret (LD) 142/2015 sieht auch vor, dass Opfern von Gewalt Zugang zu geeigneter medizinischer und psychologischer Betreuung zu gewähren ist (AIDA 2.2017).

Beim Schutz von Minderjährigen sind Reifegrad und Entwicklung des Minderjährigen zu berücksichtigen und es ist im besten Interesse des Kindes zu handeln. Stellt ein unbegleiteter Minderjähriger einen Asylantrag, wird das Verfahren sofort ausgesetzt und es werden das Jugendgericht und der Vormundschaftsrichter informiert. Letzterer muss binnen 48 Stunden einen Vormund ernennen, der dann bei der Quästur die Wiederaufnahme des Verfahrens bewirkt und die Maßnahmen zu Unterbringung und Versorgung des UMA überwacht (AIDA 2.2017).

Bei Zweifeln bezüglich des Alters eines Antragstellers kann jederzeit eine medizinische Altersfeststellung durchgeführt werden

Zu den Methoden der Altersfeststellung gibt es keine spezifischen Vorgaben, außer dass sie nicht invasiv sein sollen und in öffentlichen Gesundheitseinrichtungen mit pädiatrischen Abteilungen durchzuführen sind. Für medizinische Untersuchungen ist jedenfalls die Zustimmung des Minderjährigen bzw. dessen Vormunds einzuholen. Die Ablehnung einer Altersfeststellung durch den Asylwerber hat keinen Einfluss auf das Asylverfahren. Altersfeststellungen werden oft auch von nicht-spezialisierten Medizinern anhand von Röntgenbildern vorgenommen. Im Zweifel ist jedenfalls die Minderjährigkeit anzunehmen (AIDA 2.2017).

Tatsächlich dauert es bis zur Bestimmung eines Vormunds oftmals bis zu mehreren Monaten. Hierdurch ergibt sich ein Vakuum in Bezug auf den Schutz des Minderjährigen. Ohne Erziehungsberechtigten bzw. Vormund können Verwaltungsverfahren nicht abgeschlossen werden; auch verzögern sich Anträge auf Standortwechsel und Familienzusammenführung. Dies führt dazu, dass viele Minderjährige, die nicht in Italien bleiben wollen, untertauchen und versuchen in andere EU-Länder zu gelangen (CoE 2.3.2017).

In manchen Fällen erschwert das Fehlen eines Vormunds sogar die Möglichkeit, überhaupt um Asyl anzusuchen, da einige Quästuren bei Nichtvorhandensein eines Vormunds das formale Asylverfahren nicht einleiten. Das Gesetz sieht zwar vor, dass Vertreter der Aufnahmeeinrichtungen vorübergehend als Vormund fungieren können; diesen sind die diesbezüglichen rechtlichen Bestimmungen aber oft nicht ausreichend bekannt oder die Quästuren erlauben ihnen unter Verweis auf den vorübergehenden Charakter des Vormundes nicht, Ansuchen von Kindern auf internationalen Schutz zu bestätigen. Das kann zur Folge haben, dass unbegleitete Minderjährige oftmals sogar später ins Asylverfahren eintreten können als Erwachsene (AIDA 2.2017).

Der Vormund kümmert sich während des gesamten Verfahrens um den unbegleiteten Minderjährigen (UMA), im Falle einer negativen Entscheidung auch darüber hinaus. Vor allem während des Interviews ist seine Anwesenheit unerlässlich. Beschwerden gegen negative Entscheidungen sind selten, weil entweder ein anderer Schutztitel oder eine Aufenthaltserlaubnis bis zum 18. Geburtstag gewährt wird. Der Vormund ist für das Wohlergehen des Minderjährigen verantwortlich. In der Praxis wird der Bürgermeister jener Gemeinde, in welcher der UMA untergebracht ist, zum Vormund ernannt. Aufgrund der hohen Anzahl unbegleiteter Minderjähriger delegiert er die Vormundschaft häufig an andere Personen innerhalb der Gemeinde, die meist wiederum selbst zahlreiche andere Personen, wie etwa Behinderte, zu betreuen haben. Daher sind die ernannten Vormunde oft nicht in der Lage, ihren Schützlingen das erforderliche Maß an Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. In der Folge sehen Vormunde ihre Schützlinge daher oft nur bei der formalen Registrierung des Asylantrags und dann beim Interview, wozu sie gesetzlich verpflichtet sind. Auch die Ernennung eines freiwilligen Vormunds ist möglich, wird aber kaum angewendet. Es gibt keine Bestimmungen, die ein spezielles Training oder eine besondere Expertise des Vormunds im Bereich Asyl vorsehen (AIDA 2.2017; vgl. CoE 2.3.2017).

Laut italienischen Gesetzen ist bei der Unterbringung auf spezifische Bedürfnisse der Asylwerber Rücksicht zu nehmen. Dies gilt insbesondere für Vulnerable. LD 142/2015 sieht einen Gesundheitscheck in der Erstaufnahme vor, um auch spezielle Unterbringungsbedürfnisse erkennen zu können. PD 21/2015 führt die speziellen Unterbringungsvorkehrungen für Vulnerable näher aus. Diese speziellen Unterbringungsmöglichkeiten sind auch in den SPRAR-Strukturen sicherzustellen. Die Erhebung spezieller Bedürfnisse wird in den Unterbringungseinrichtungen vorgenommen, allerdings nicht systematisch und je nach Qualität und Finanzlage des jeweiligen Zentrums unterschiedlich. Es kann in der Praxis passieren, dass Folteropfer aus Platzmangel nicht in SPRAR transferiert werden. Bei Familien ist in jeder Unterbringungsstufe die Familieneinheit zu berücksichtigen. In der Praxis kann es vorkommen, dass der Familienvater bei den Männern untergebracht wird und die Mutter mit den Kindern bei den Frauen. Familien können aus temporären Strukturen auf freie Plätze in SPRAR transferiert werden, da diese besser für Familien geeignet sind. Solche Transfers sind abhängig von der Zusammensetzung der Familie, Vorliegen von Vulnerabilität bzw. Gesundheitsproblemen und der Warteliste für SPRAR-Plätze. Bei UMA ist bei der Unterbringung auf das beste Interesse des Kindes Rücksicht zu berücksichtigen. In Erstaufnahmeeinrichtungen dürfen sie nur für begrenzte Zeit untergebracht werden. In dieser Zeit soll die Feststellung des Altes und der individuellen Bedürfnisse geschehen. Danach sind UMA zur Unterbringung in SPRAR-Strukturen berechtigt. Ist dort kein Platz frei, kann der UMA temporär in der zuständigen Gemeinde untergebracht werden. Unbegleitete Minderjährige, die nicht Asyl beantragen, haben ein Recht auf Unterbringung ohne Unterschied zu asylwerbenden UM. UMA dürfen nicht in Zentren für Erwachsene oder Schubhaftzentren untergebracht werden. Ersteres ist im Jahre 2016 jedoch vorgekommen. Für UM gibt es, zum Unterschied von erwachsenen AW, keinen zentralen Verteilungsmechanismus. Der Transfer in SPRAR ist daher in der Verantwortlichkeit der Ankunftsgemeinde. UM konzentrieren sich daher besonders in einigen Grenzregionen. 2016 waren dies vor allem Sizilien usw. 25.772 UM kamen im Jahre 2016 in Italien an (AIDA 2.2017).

Gerade für unbegleitete Minderjährige (UM) bzw. geistig oder körperlich Behinderte gibt es eigene SPRAR-Projekte mit spezialisierten Leistungen. Da die Kosten für die Unterbringung dieses Personenkreises aber weit über die staatlichen Unterstützungszahlungen hinausgehen, bieten nur wenige Gemeinden solche Plätze an. Derzeit beläuft sich das Angebot für unter 18-Jährige auf rund 2.000 Plätze. Aufgrund dieses Mangels an SPRAR-Plätzen verbringen bis dato viele unbegleitete Minderjährige über sechs Monate in den großen Erstaufnahmezentren, die aber nicht auf die speziellen Bedürfnisse von Minderjährigen eingerichtet sind (CoE 2.3.2017).

Am 6.5.2017 trat ein neues Gesetz zum Schutz unbegleiteter Minderjähriger in Kraft, das diesen nunmehr dieselben Rechte und denselben Schutz wie europäischen Minderjährigen zugesteht. Es reduziert u.a. die Aufenthaltsdauer für UM in Erstaufnahmezentren von 60 auf 30 Tage und besagt, dass UM binnen 10 Tagen identifiziert werden müssen. Außerdem sieht das neue Gesetz im Wesentlichen folgende weitere Verbesserungen vor:

• Die unbegleiteten oder getrennten Minderjährigen dürfen - ohne jede Ausnahme - an den Grenzen nicht zurückgewiesen bzw. abgeschoben werden.

• Die Maßnahmen zur Altersfeststellung werden verbessert und vereinheitlicht.

• Es wird ein strukturiertes und gestrafftes nationales Aufnahmesystem aufgebaut, das entsprechenden Mindeststandards für unbegleitete Minderjährige in allen Aufnahmezentren vorsieht.

• Es wird der Einsatz qualifizierter Kulturmediatoren ausgeweitet, um den Bedürfnissen besonders schutzbedürftiger Minderjähriger gerecht zu werden.

• Es werden für die Minderjährigen das Institut der Pflegefamilie und die zeitgerechte Bestellung eines freiwilligen Vormunds gefördert.

• Einige Rechte Minderjähriger werden gestärkt, beispielsweise bezüglich Gesundheitsfürsorge und Ausbildung.

• Es wird im Ministerium für Arbeit und Soziales ein nationales Informationssystem zur Erfassung der unbegleiteten Minderjährigen aufgebaut

(UNICEF 29.3.2017; vgl. PI 30.3.2017; UNHCR 30.3.2017; ECRE 12.5.2017).

Quellen:

-

AIDA - Asylum Information Database (ASGI - Association for Legal Studies on Immigration; ECRE - European Council on Refugees and Exiles) (2.2017): National Country Report Italy, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2016update.pdf, Zugriff 23.3.2017

-

CoE - Council of Europe Secretary General (2.3.2017): Bericht zu Fact-Finding-Mission zur Lage von MigrantInnen und Flüchtlingen von 16. bis 21. Oktober 2016 (Aufnahmebedingungen; unbegleitete Kinder;

internationale Schutzverfahren; MigrantInnen im Transit;

Integration; etc.),

https://search.coe.int/cm/Pages/result_details.aspx?ObjectId=09000016806f9d70, Zugriff 7.4.2017

-

ECRE - European Council on Refugees and Exiles (12.5.2017): ELENA Weekly Legal Update, per E-Mail

-

PI - Parlamento Italiano, Camera dei Deputati (30.3.2017):

Cittadinanza e immigrazione; Minori stranieri non accompagnati, http://www.camera.it/leg17/465?tema=minori_stranieri_non_accompagnati#m, Zugriff 3.4.2017

-

UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (30.3.2017): Approvata legge su accoglienza e protezione dei minori stranieri non accompagnati in Italia,

https://www.unhcr.it/news/aggiornamenti/approvata-legge-accoglienza-protezione-dei-minori-stranieri-non-accompagnati-italia.html, Zugriff 31.3.2017

-

UNICEF - United Nations Children's Fund (29.3.2017): Approvata la "Legge Zampa": più tutele e inclusione per i minori stranieri non accompagnati,

http://www.unicef.it/doc/7324/approvata-la-legge-zampa-per-minori-stranieri-non-accompagnati.htm, Zugriff 3.4.2017

4. Non-Refoulement

Grundsätzlich bietet Italien Schutz gegen Abschiebung oder Rückkehr von Flüchtlingen in Länder, in denen ihr Leben oder ihre Freiheit aufgrund Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder politischer Gesinnung bedroht wäre (USDOS 25.6.2015).

Hinsichtlich unbegleiteter Minderjähriger besteht ein absolutes Rückschiebeverbot an der Grenze (UNICEF 29.3.2017).

Das italienische Innenministerium hat ausdrücklich darauf verwiesen, dass der Zugang zu Asylverfahren und Grundrechten Personen nicht verweigert werden kann, für die willkürlich angenommen wird, dass sie des internationalen Schutzes nicht bedürfen. Außerdem wurde explizit bestätigt, dass alle Migranten das Recht haben, vor Refoulement geschützt zu werden. Es würden laut Innenministerium keine Ausweisungsbefehle erlassen, wenn Migranten zuvor nicht korrekt informiert wurden (AIDA 2.2017).

Quellen:

-

AIDA - Asylum Information Database (ASGI - Association for Legal Studies on Immigration; ECRE - European Council on Refugees and Exiles) (2.2017): National Country Report Italy, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2016update.pdf, Zugriff 23.3.2017

-

UNICEF - United Nations Children's Fund (29.3.2017): Approvata la "Legge Zampa": più tutele e inclusione per i minori stranieri non accompagnati,

http://www.unicef.it/doc/7324/approvata-la-legge-zampa-per-minori-stranieri-non-accompagnati.htm, Zugriff 3.4.2017

-

USDOS - US Department of State (25.6.2015): Country Report on Human Rights Practices 2014 - Italy, http://www.ecoi.net/local_link/306380/443655_de.html, Zugriff 14.4.2016

5. Versorgung

5.1. Unterbringung

Grundsätzlich sind Fremde zur Unterbringung in Italien berechtigt, sobald sie den Willen erkennbar machen, um Asyl ansuchen zu wollen und eine entsprechende Bedürftigkeit besteht. Das Unterbringungsrecht gilt bis zur erstinstanzlichen Entscheidung bzw. dem Ende der Rechtsmittelfrist. Bei Rechtsmitteln mit automatisch aufschiebender Wirkung besteht dieses Recht auch bis zur Entscheidung des Gerichts. Gemäß der Praxis in den Jahren 2015 und 2016 erfolgt der tatsächliche Zugang zur Unterbringung erst mit der formellen Registrierung des Antrags (verbalizzazione) anstatt sofort nach der erkennungsdienstlichen Behandlung (fotosegnalamento). Zwischen diesen beiden Schritten sind, abhängig von Region und Antragszahlen, Wartezeiten von Wochen oder gar Monaten möglich, in denen Betroffene Probleme beim Zugang zu alternativer Unterbringung haben können. Betroffene Asylwerber ohne ausreichende Geldmittel sind daher auf Freunde oder Notunterkünfte angewiesen, oder es droht ihnen Obdachlosigkeit. Zum Ausmaß dieses Phänomens gibt es allerdings keine statistischen Zahlen. Tatsächlich ist diese Problematik durch die Erweiterung der SPRAR-Kapazitäten und Einführung der temporären Unterbringungsstrukturen (CAS) nur für Personen relevant, die ihren Antrag im Land stellen, nicht für auf See geretteten Asylwerber (AIDA 2.2017).

Wie die untenstehende Statistik des italienischen Innenministeriums zeigt, wurden die Unterbringungskapazitäten in den letzten 3 Jahren massiv gesteigert.

(MdI - 31.3.2017)

Mit Stand 31.3.2017 waren in Italien laut offiziellen Statistiken des italienischen Innenministeriums 137.599 Personen in Flüchtlingsunterkünften untergebracht, davon 2.204 in den sogenannten Hotspots (dienen nur der Registrierung der Flüchtlinge; nach max. 72 Stunden Weiterverbringung in Flüchtlingsunterkünfte in ganz Italien), 13.835 in Erstaufnahmezentren, 137.599 in temporären Strukturen (meist durch NGOs und Private mit staatlicher Förderung zur Verfügung gestellt) und 23.867 in staatlicher Betreuung (SPRAR):

(VB 19.4.2017)

Grundsätzlich lässt sich die Struktur der Unterkünfte wie folgt grafisch darstellen.

(AIDA 2.2017)

CPSA - (Centri di primo soccorso e accoglienza) / Hotspots

Menschen, die - vor allem auf dem Seeweg - illegal nach Italien kommen, erhalten zunächst Unterstützung in den großen Einwanderungszentren bzw. Hotspots (AIDA 2.2017, vgl: MdI 28.7.2015). Die ursprünglichen CPSA in Lampedusa und Pozzallo bilden seit 2016 zusammen mit den Zentren Taranto und Trapani die sogenannten Hotspots. Dieses Hotspot-Konzept wurde von der Europäischen Kommission entwickelt, um jene Mitgliedsstaaten zu unterstützen, die an den EU-Außengrenzen einem besonderen Migrationsdruck ausgesetzt sind. Nähere Informationen sind weiter unten dem Abschnitt "Hotspots" zu entnehmen (AIDA 2.2017, vgl. EC o. D.). Nach dieser Phase der ersten Hilfe unmittelbar nach Ankunft in den CPSA bzw. Hotspots werden die Fremden, je nach Status, entweder rückgeführt oder in andre Unterkünfte verlegt (AIDA 2.2017, vgl. MdI 28.7.2015). (Für weitere Informationen siehe Kapitel 6.2 Hotspots.)

CDA, CARA und CAS

CDA, CARA und CAS sind Erstaufnahmezentren und bieten eine eher grundlegende Versorgung mit Essen, Kleidung, Basisinformation, Rechtsberatung und medizinischer Notversorgung. Es handelt sich um große Erstaufnahmezentren mit sehr vielen Unterbringungsplätzen (AIDA 2.2017).

Die CDA (centri di accoglienza) sind allgemeine Aufnahmezentren, in denen insbesondere die auf dem Staatsgebiet aufgegriffenen Fremden zur Identitätsfeststellung und Statusbestimmung untergebracht werden, während CARA (Centri d'Accoglienza Richiedenti Asilo) Zentren für die Aufnahme von Asylwerbern sind. CDA und CARA umfassen derzeit 15 Erstaufnahmezentren mit ca. 14.694 Plätzen (AIDA 2.2017). Asylwerber sollen dort einige Wochen oder Monate untergebracht werden, bis die administrativen Formalitäten bezüglich eines Asylantrags abgeschlossen und ein neuer Unterkunftspatz gefunden ist. Sprachtraining oder andere Integrationsmaßnahmen finden in diesen Zentren nicht statt (CoE 2.3.2017).

CARA, CDA und CPSA sollen sukzessive in den durch das Gesetz 142/2015 eingeführten sogenannten "hub regionali" aufgehen. Jede Region soll über einen solchen hub verfügen. Migranten, die in den Hotspots um internationalen Schutz ansuchen, sollen dann an diese "hub regionali" als Erstaufnahmezentren weitergeleitet werden. Ziel ist es, die Strukturen zu straffen und die Schutzsuchenden in Zentren unterzubringen, die in der Nähe von Einwande

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten