Entscheidungsdatum
22.10.2018Norm
AsylG 2005 §7Spruch
1) W215 1254743-2/10E
2) W215 1268140-2/10E
3) W215 1268141-2/10E
4) W215 1268142-2/11E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. STARK über die Beschwerden von XXXX, alle Staatsangehörigkeit Russische Föderation, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.05.2017, Zahlen 1) 740977401-170592550, 2) 752054100-170592657, 3) 752054405-170592720 und 4) 752054710-170592681, beschlossen:
A)
In Erledigung der Beschwerden werden die Bescheide behoben und die Angelegenheit jeweils gemäß § 28 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 (VwGVG), zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 (B-VG), in der Fassung BGBl. I Nr. 51/2012, nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang:
1. Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin (P1 und P2) sind die Eltern der minderjährigen Dritt- und Viertbeschwerdeführer (P3 und P4).
P1 reiste zu einem nicht feststellbaren Zeitpunkt illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 03.05.2004 einen Asylantrag. Dieser wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 22.10.2004, Zahl 04 09.774-BAE, gemäß § 7 AsylG 1997 abgewiesen, gemäß
§ 8 Abs. 1 AsylG 1997 die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation für zulässig erklärt und gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 1997 P1 aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen.
P2 bis P4 reisten zu einem nicht feststellbaren Zeitpunkt illegal in das Bundesgebiet ein und P2 stellte für sich sowie für P3 und P4 am 06.12.2005 Asylanträge, welcher mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom 01.02.2006, Zahlen 05 20.541-BAE, 05 20.544-BAE und
05 20.547-BAE, inhaltsgleich wie jener von P1 entschieden wurden.
P1 und P2 hatten jeweils fristgerecht gegen die erstinstanzlichen Bescheide Berufungen erhoben und diese wurden mit Bescheiden des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 03.12.2007, Zahlen 1) 254.743/0/7E-IV/11/04, 2) 268.140/0/8E-IV/11/06,
3) 268.141/0/7E-IV/11/06 und 4) 268.142/0/6E-IV/11/06, jeweils in Spruchpunkt 1. gemäß
§ 7 AsylG 1997 abgewiesen, in Spruchpunkt 2. gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 1997 festgesellt das die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation nicht zulässig ist und in Spruchpunkt 3. gemäß § 8 Abs. 3 iVm § 15 AsylG 1997 befristete Aufenthaltsberechtigungen bis zum 03.12.2008 erteilt.
Die befristeten Aufenthaltsberechtigungen wurden danach antragsgemäß verlängert; zuletzt mit Bescheiden vom 14.12.2009, Zahlen 1) Zahl 04 09.774/2-BAE, 2) 05 20.541/2-BAE,
3) 05 20.544/2-BAE und 4) 05 20.547/2-BAE, bis 14.12.2010.
2. P1 war ab XXXX und P2 bis P4 ab XXXX nicht mehr im Bundesgebiet gemeldet bzw. unbekannten Aufenthaltes.
3. P1 und P2 meldeten sich sowie P3 und P4 am XXXX in Österreich an und brachten am 27.02.2017 Anträge auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigungen für P1 bis P4 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein.
P1 und P2 wurden am 06.04.2017 im Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl von einem männlichen Referenten, in Gegenwart eines männlichen Dolmetschers, zum Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigungen und Prüfung, ob eine Aberkennung gemäß § 9 AsylG zulässig ist, befragt.
Mit Bescheiden vom 24.05.2017, Zahlen 1) 740977401-170592550, 2) 752054100-170592657, 3) 752054405-170592720 und 4) 752054710-170592681, wurde jeweils in Spruchpunkt I. der mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 03.12.2007, Zahlen
1) 254.743/0/7E-IV/11/04, 2) 268.140/0/8E-IV/11/06, 3) 268.141/0/7E-IV/11/06 und 4) 268.142/0/6E-IV/11/06, zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen aberkannt. In Spruchpunkt II. wurden die mit Bescheiden vom 14.12.2009, Zahlen
1) 04 09.774/2-BAE, 2) 05 20.541/2-BAE, 3) 05 20.544/2-BAE und 4) 05 20.547/2-BAE, erteilten befristeten Aufenthaltsberechtigungen gemäß § 9 abs. 4 AsylG entzogen. In Spruchpunkt III. wurden Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß
§ 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 Asyl iVm § 9 BFA-VG wurden gegen P1 bis P4 Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung von P1 bis P4 in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig ist. In Spruchpunkt IV. wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen festgesetzt.
Gegen diese Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl 24.05.2017, Zahlen
1) 740977401-170592550, 2) 752054100-170592657, 3) 752054405-170592720 und
4) 752054710-170592681, zugestellt am 26.05.2017, erhob P1 und P2 für sich sowie P3 und P4 fristgerecht am 08.06.2017 gegenständliche Beschwerden an das Bundesverwaltungsgericht.
4. Die Beschwerdevorlagen vom 12.06.2017 langten am 19.06.2017 im Bundesverwaltungsgericht ein und wurden der Gerichtsabteilung W117 zur Erledigung zugewiesen.
Am 16.10.2018 erfolgte eine Unzuständigkeitseinrede dieser Gerichtsabteilung mit Hinweis auf § 20 AsylG im Verfahren von P2 sowie Annexität der Verfahren von P1, P3 und P4. Die Beschwerdeverfahren wurden daher der nunmehr zur Entscheidung berufenen Gerichtsabteilung zugewiesen wurden.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Zu A) Behebung der Bescheide und Zurückverweisung zur Erlassung neuer Bescheide
1. Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (§ 28 Abs. 2 VwGVG).
Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist (§ 28 Abs. 3 VwGVG).
§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.
2. Im Fall von P2 erweist sich der angefochtene Bescheid in Bezug auf den ermittelten Sachverhalt aus den folgenden Gründen als mangelhaft:
Gründet ein Asylwerber seine Furcht vor Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) auf Eingriffe in seine sexuelle Selbstbestimmung, ist er von einem Organwalter desselben Geschlechts einzuvernehmen, es sei denn, dass er anderes verlangt. Von dem Bestehen dieser Möglichkeit ist der Asylwerber nachweislich in Kenntnis zu setzen (§ 20 Abs. 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 [AsylG]).
Die Zuständigkeit wird bereits durch die entsprechende Behauptung vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl bzw. in der Beschwerde begründet, ohne dass dabei eine nähere Prüfung der Glaubwürdigkeit oder ein Zusammenhang mit dem konkreten Fluchtvorbringen zu erfolgen hat (VfGH 20.06.2018, E 1273/2018).
P2 wurde im gegenständlichen Verfahren am 06.04.2017 im Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl von einem männlichen Referenten, in Gegenwart eines männlichen Dolmetschers, befragt und gab dabei unter anderem an, dass sie, im Fall ihrer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat, vor den Männern Angst habe, die sie vergewaltigt hätten. § 20 Abs. 1 AsylG macht gemäß der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes eine ergänzende niederschriftliche Befragung von P2 durch eine Referentin in Gegenwart einer Dolmetscherin unentbehrlich, zumal diese Bestimmung der ordnungsgemäßen Sachverhaltsermittlung dient und besondere Schutzmaßnahmen hinsichtlich Personen enthält, damit diese Eingriffe in ihre sexuelle Selbstbestimmung geltend machen können.
Eine ernsthafte Prüfung eines Antrages und Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes sollte jedenfalls nicht erst bei der Beschwerdebehörde beginnen, da dies nicht nur eine "Delegierung" der Aufgaben des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl an das Bundesverwaltungsgericht bedeuten, sondern auch den in der Rechtsordnung bewusst vorgesehenen Instanzenzug zur bloßen Formsache degradieren würde.
3. Gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018, ist im Sinne dieses Bundesgesetzes Familienangehöriger: wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise bestanden hat, sowie der gesetzliche Vertreter der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, wenn diese minderjährig und nicht verheiratet ist, sofern dieses rechtserhebliche Verhältnis bereits vor der Einreise bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise bestanden hat.
Gemäß § 34 Abs. 4 1. Satz AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 135/2009, hat die Behörde Anträge von Familienangehörigen gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen.
P1 ist der Ehegatte, P3 und P4 sind die minderjährigen Kinder von P2. Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass auch in Hinblick auf § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG das Ergebnis der Beschwerden dieser Familienangehörigen das Gleiche zu sein hat und die Angelegenheiten aus diesem Grund ebenfalls gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zu beheben und zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen sind.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985, BGBl. Nr. 10/1985 (VwGG), in der Fassung BGBl. I Nr. 33/2013, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
In den konkreten Fällen ist die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG, in der Fassung BGBl. I Nr. 51/2012, nicht zulässig, weil diese Beschlüsse nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängen, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Diese Beschlüsse beschäftigen sich mit der Tatsache, dass im erstinstanzlichen Verfahren von P2 § 20 Abs. 1 AsylG missachtet wurde bzw. im Hinblick auf § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG das Ergebnis der Beschwerden von P1, P3 und P4 das Gleiche zu sein hat.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, Familienangehöriger,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:W215.1268141.2.00Zuletzt aktualisiert am
09.01.2019