TE Bvwg Beschluss 2018/10/22 W182 2207615-1

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Veröffentlicht am 22.10.2018
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Entscheidungsdatum

22.10.2018

Norm

AsylG 2005 §57
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

W182 2207615-1/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. PFEILER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA:

Königreich Thailand, vertreten durch ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.09.2018, Zl. 221957204/160773492, beschlossen:

A) In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 Satz 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I 2013/33 idgF, behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz

(B-VG), BGBl. I Nr. 1/1930 idgF, nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger des Königreichs Thailand, verfügte in Österreich seit Juni 2001 über eine unbefristete Niederlassungsbewilligung für jeglichen Aufenthaltszweck.

Dem BF wurde in einer Einvernahme bei einer Bundespolizeidirektion am 31.10.2006 mitgeteilt, dass beabsichtigt werde, gegen ihn ein Aufenthaltsverbot zu erlassen.

Mit Bescheid einer Bundespolizeidirektion vom 03.07.2007 wurde gegen den BF gemäß §§ 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 1, 63 Abs. 1, 64 Fremdenpolizeigesetz (FPG), BGBl I Nr. 100/2005 (a.F.) ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen. In der Begründung wurde u. a. ausgeführt, dass sich der BF laut eigener Angaben seit seinem 6. Lebensjahr durchgehend in Österreich aufhalte, nach dem Besuch der Volks- und Hauptschule sowie des Polytechnischen Lehrganges den Beruf des XXXX erlernt habe, wobei aktenkundig sei, dass er seit Februar 1990 im Bundesgebiet gemeldet gewesen sei, und ihm seitens einer BH im Juni 1991 ein unbefristeter Sichtvermerk ausgestellt worden sei. Weiters sei der BF seit September 1998 5 Mal mit Urteilen von Landesgerichten bzw. eines Jugendgerichtshofes zu unbedingten Freiheitsstrafen - darunter auch wegen des Verbrechens des Raubes - und zuletzt mit Urteil eines Landesgerichtes vom Mai 2007 wegen §§ 27 Abs. 1 und 2 Z 2 1 Fall (§ 15 StGB) SMG, § 27 Abs. 1 SMG, §§ 146, 147 Abs. 1 Z 1, Abs. 2, (15), 12, 3. Alt StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 12 Monaten rechtskräftig verurteilt worden. In Österreich würden sich die Mutter, bei der er seit 2006 gemeldet sei, sowie zwei Geschwister aufhalten. Sein Vater sei unbekannt.

Der Bescheid wurde dem BF am 10.09.2007 gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 23 ZustellG durch Hinterlegung bei der Behörde ohne vorausgegangenen Zustellversuch zugestellt. Laut der von der Behörde am 10.09.2007 eingeholten Auskunft beim Zentralen Melderegister war der BF seit 07.08.2007 von seiner letzten Meldeadresse abgemeldet, eine neue Meldeadresse wurde nicht bekannt gegeben. Am 26.09.2007 wurde der BF aufgrund einer Anzeige festgenommen und in weiterer Folge in Justizhaft überstellt. Der Bescheid vom 03.07.2007 ist mit 25.09.2007 in Rechtskraft erwachsen.

Mit Schriftsatz eines rechtsfreundlichen Vertreters vom 04.07.2008 für den BF wurde der Antrag vom 20.06.2008 auf Zustellung des Bescheides über das Aufenthaltsverbot einer Bundespolizeidirektion vom 03.07.2007 wiederholt und (in eventu) ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 71 AVG, sowie ein Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 71 Abs. 6 AVG gestellt und dem Wiedereinsetzungsantrag eine entsprechende Berufung beigefügt. In letzterer wurde u.a. angeführt, dass der BF der thailändischen Landessprache nicht hinreichend mächtig sei, um sich zu verständigen, und dort auch weder über Verwandte noch Bekannte verfüge und auch keine Beziehung zu seinem Herkunftsstaat habe, zumal er seit seiner Einreise nach Österreich nicht mehr dort gewesen sei. Hinsichtlich der Anträge findet sich - trotz mehrmaliger Urgenz des BF bis Mitte 2013 - im Akt kein Hinweis auf eine (formale) Erledigung.

In weiterer Folge wurde der BF erneut 2 Mal mit Urteilen von Landesgerichten vom Februar 2008 bzw. August 2009 insbesondere wegen Drogendelikten zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren bzw. 10 Monaten rechtskräftig verurteilt, wobei ein Teil der Freiheitsstrafen bedingt nachgesehen wurde. Es folgten zwischen Jänner 2011 und Dezember 2012 4 rechtskräftige Verurteilungen durch Bezirksgerichte wegen insbesondere versuchten Diebstahl, Betrug und Drogendelikten zu Geldstrafen bzw. bedingten Freiheitsstrafen im Ausmaß von 8 und 4 Wochen.

Ein Antrag des BF vom November 2010 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels wurde mit Bescheid der Niederlassungsbehörde vom Februar 2014 abgewiesen.

Mit Urteil eines Landegerichtes vom November 2014 bzw. Oberlandesgerichtes vom März 2015 wurde der BF gemäß §§ 127, 130 Abs. 1, 15 StGB, §§ 88 Abs. 1, 229 Abs. 1, 198 Abs. 1 StGB wegen gewerbsmäßigen Diebstahl, fahrlässiger Körperverletzung, Verletzung der Unterhaltspflicht und Urkundenunterdrückung zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten rechtskräftig verurteilt. Mit Urteil eines Landesgerichts vom August 2015 wurde der BF gemäß § 15 StGB, §§ 127, 130 StGB wegen gewerbsmäßigen Diebstahl zu einer unbedingten Haftstrafe von 1 Jahr rechtskräftig verurteilt.

Dem BF wurde mit Schreiben des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt) vom 03.04.2018 mitgeteilt, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot gegen ihn sowie die Behebung des unbefristeten Aufenthaltsverbotes, da dieses nach derzeitiger Rechtslage höchsten für die Dauer von 10 Jahren zu erlassen wäre, beabsichtigt werde. Dazu wurde dem BF im Schreiben als Ergebnis der Beweisaufnahme seine bisherigen strafrechtlichen Verurteilungen sowie die §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 1 und 2, 76 Abs. 1 FPG zu Kenntnis gebracht und ein Fragenkatalog - im Wesentlichen zu seinen persönlichen Verhältnissen in Österreich - übermittelt. Dem BF wurde zur Abgabe einer Stellungnahme eine Frist bis zum 30.04.2018 eingeräumt und wurde er darauf hingewiesen, dass für den Fall, dass er zur beabsichtigten Vorgangsweise der Behörde nicht Stellung nehme, das Verfahren ohne nochmalige Anhörung aufgrund der Aktenlage durchgeführt werde, andernfalls der Bescheid auf der Grundlage der Ergebnisse der Beweisaufnahme erlassen werde, soweit seine Stellungnahme nichts anderes erfordere.

Am 27.04.2018 langte beim Bundesamt ein Schreiben des BF ein, worin dieser im Wesentlichen ausführte, dass er 1990 mit seiner Mutter nach Österreich gekommen und seither nicht mehr ins Herkunftsland gereist sei. Er habe hier die Volkschule, die Hauptschule, den polytechnischen Lehrgang sowie eine Facharbeiterprüfung abgeschlossen. Berufserfahrung habe er von 2004 bis 2005 und 2007 gesammelt. In Österreich würden sich zwei (Halb-) Schwestern, eine Cousine, 3 Kinder sowie eine Lebensgefährtin aufhalten, die alle die österreichische Staatsangehörigkeit haben. Weiters wurde vom BF um Fristerstreckung ersucht, um allfällige Beilagen nachzubringen.

Vom Bundesamt wurde hinsichtlich des BF eine elektronische Auskunft des Hauptverbands der österreichischen Sozialversicherung über die Arbeitszeiten des BF eingeholt. Weiters wurde eine Besucherliste für den seit Juli 2015 in Justizhaft befindlichen BF eingeholt, aus der im Wesentlichen hervorgeht, dass er von seiner Lebensgefährtin, einer Halbschwester sowie seiner Mutter besucht worden sei. Weiters wurden Auskünfte vom Zentralen Melderegister eingeholt.

2. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesamtes vom 11.09.2018 wurde dem BF ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, nicht erteilt und gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF erlassen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Thailand zulässig sei (Spruchpunkt II.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG wurde ein auf die Dauer von 10 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt III.) sowie gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt IV.). Dazu wurde begründend im Wesentlichen auf die bisherigen strafrechtlichen Verurteilungen des BF und dem Umstand verwiesen, dass er sich seit 25.07.2015 durchgehend in Strafhaft befinde und seine Haftentlassung für den 13.06.2019 in Aussicht gestellt sei. Die dem BF erteilte unbefristete Niederlassungsbewilligung sei mit der (rechtskräftigen) Erlassung des unbefristeten Aufenthaltsverbotes mit Bescheid einer Bundespolizeidirektion vom 03.07.2007 nichtig und sein Aufenthalt seither unrechtmäßig geworden. Der BF sei volljährig, gesund und arbeitsfähig. Zum Familien- und Privatleben des BF wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass er ledig sei, eigenen (unbelegten) Angaben zufolge 3 Kinder habe, welche bei den jeweiligen Kindesmüttern leben würden, wobei auch hinsichtlich der von ihm angegebenen Lebensgemeinschaft mit einer Inländerin laut Besucherliste der Justizanstalt der BF von dieser in der Zeit von 24.10.2017 bis 02.07.2018 nicht besucht worden sei. Er sei sonst bisher in der Justizanstalt, wo er eine Haftstrafe verbüße, drei Mal von seiner Mutter, einmal von einer Halbschwester und 7 Mal von einer anderen Halbschwester besucht worden. Von seinem ältesten Sohn und auch dessen Mutter sei er zu keinem Zeitpunkt besucht worden und habe er auch nie mit diesem zusammengewohnt. Von einem tatsächlich in Österreich bestehenden Familienleben könne jedenfalls schon aufgrund seiner zahlreichen Inhaftierungen nicht ausgegangen werden, wobei ein allfälliges Familienleben zudem zu einem Zeitpunkt entstanden sei, als er sich seines illegalen und somit unsicheren Aufenthaltes bewusst gewesen sei. Seit September 1997 sei der BF zudem lediglich insgesamt 17 Monate bei diversen Firmen arbeitstätig gewesen, was auch gegen eine nennenswerte Integration des BF spreche. Zur Lage im Herkunftsstaat wurden Feststellungen aufgrund des Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des Bundesamtes vom 22.06.2015 getroffen. Für die Behörde stehe fest, dass für die Rückkehr des BF in den Herkunftsstaat keine reale Gefahr einer Menschenrechtsverletzung bestehe.

Zugleich wurde mit Bescheid des Bundesamtes vom 11.09.2018, Zl. 221957204/180751906, das mit Bescheid einer Bundespolizeidirektion vom 03.07.2007 gegen den BF erlassene Aufenthaltsverbot gemäß § 69 Abs. 2 FPG von Amts wegen aufgehoben. Diese Entscheidung wurde im Wesentlichen mit einer Änderung der Rechtslage durch Art. 11 Abs. 2 Rückführungs-RL, die verspätet umgesetzt worden sei, begründet, wonach diese Bestimmung in Zusammenschau mit dem EuGH-Urteil, Nr. C-297/12 zur Folge habe, dass die Dauer von Aufenthaltsverboten, die vor dem 01.07.2011 nach der alten Rechtslage erlassen worden seien, auf 5 Jahre herabgesetzt gewesen seien, weshalb das Aufenthaltsverbot gegen den BF nicht mehr aufrecht erhalten werden könne.

Mit Verfahrensanordnung des Bundesamtes vom 11.09.2018 wurde dem BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG eine Rechtsberatung amtswegig zur Seite gestellt.

Die Bescheide wurden dem BF am 13.09.2018 zugestellt.

3. Gegen den Bescheid vom 11.09.2018, mit dem dem BF kein Aufenthaltstitel aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt worden sei, eine Rückkehrentscheidung erlassen worden sei und festgestellt worden sei, dass eine Abschiebung (nach Thailand) zulässig sei und ein Einreiseverbot von 10 Jahren erlassen worden sei, wurde in vollem Umfang Beschwerde erhoben und die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung beantragt. Darin wurde insbesondere geltend gemacht, dass das Bundesamt den Grundsatz des Parteiengehörs und der Ermittlungspflicht verletzt habe und mangelnde Feststellungen getroffen habe. Insbesondere wurden dabei die getroffenen Länderfeststellungen bemängelt, wobei die Behörde keine Feststellungen zur abschiebungsrelevanten Lage in Thailand bzw. mangelhafte Feststellungen bezüglich des thailändischen Justizsystems getroffen habe und dem BF die Länderfeststellungen nicht zu Kenntnis gebracht habe, sodass er sich auch nicht dazu äußern habe können. Auch habe die Behörde dadurch ihre Ermittlungspflicht und das Parteiengehör verletzt, dass sie den BF nicht persönlich einvernommen habe. Zwar habe sich der BF in einer schriftlichen Stellungnahme äußern können, jedoch sei es ihm als juristischen Laien nicht möglich gewesen, alle relevanten Tatsachen anzugeben. Mit seiner aktuellen Lebensgefährtin habe der BF zwei Kinder, welche die Schule und den Kindergarten besuchen würden, sowie einen Stiefsohn im Alter von 16 Jahren. Er habe mit seiner Familie zusammengewohnt. Besuche des BF würden sich auf Grund von Sorgepflichten schwierig gestalten. Der BF arbeite in der Haft als Schlosser und mache eine Therapie, um seine ehemalige Drogensucht zu überwinden. Der BF habe nie länger in Thailand gelebt. Seine Mutter befinde sich in Österreich und unterstütze ihn. Er habe keine Freunde und Verwandte in Thailand, mit denen er in Kontakt stehe. Er sei auch nicht ausreichend in der Lage, sich auf Thailändisch zu verständigen. In Österreich erhalte er Unterstützung von dem Großvater seiner Halbschwester. Weiters wurde inhaltliche Rechtswidrigkeit geltend gemacht und dies damit begründet, dass die Rechtsansicht, wonach der rechtmäßige Aufenthalt der Fremden in Österreich aufgrund ihrer strafrechtlichen Verurteilung unrechtmäßig geworden sei, keine gesetzliche Deckung finde und nur gegen nicht rechtmäßig aufhältige Drittstaatsangehörige eine Rückkehrentscheidung nach § 52 FPG getroffen werden könne. Dazu wurde auf eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 22.05.2013, Zl. 2013/18/0009, verwiesen. Zudem seien die §§ 52 ff FPG in Umsetzung der Rückführungsrichtlinie 2008/115/EG unionsrechtskonform auszulegen. Hinsichtlich des Einreiseverbotes und der Dauer desselben habe die Behörde es u.a. unterlassen, die privaten und familiären Interessen des BF in ausreichender Weise miteinzubeziehen.

Zuvor wurden dem Bundesamt am 18.09.2018 seitens des BF Dokumente in Kopie, darunter u.a. ein 2005 ausgestellter, abgelaufener thailändischer Reisepass, eine Meldebestätigung des BF vom Mai 2014, die u.a. auch einen Hinweis auf einen 2012 ausgestellten thailändischen Reisepass des BF enthält, Geburtsurkunden, wonach der BF der Vater von zwei Kindern im Alter von 4 und 6 Jahren mit einer österreichischen Staatsangehörigen, seiner Lebensgefährtin sei, sowie von einem 11-jährigen Kind sei, vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr 33/2013 idgF, geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft. Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu Spruchteil A):

2.1. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat. Zur Anwendung des § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG durch die Verwaltungsgerichte hat der Verwaltungsgerichtshof ausgehend von einem prinzipiellen Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht durch das Verwaltungsgericht präzisierend wie folgt festgehalten (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063):

"Das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, verlangt, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht, vgl Holoubek, Kognitionsbefugnis, Beschwerdelegitimation und Beschwerdegegenstand, in: Holoubek/Lang (Hrsg), Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, erster Instanz, 2013, Seite 127, Seite 137; siehe schon Merli, Die Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte erster Instanz, in: Holoubek/Lang (Hrsg), Die Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz, 2008, Seite 65, Seite 73 f)."

Gemäß § 18 Abs. 1 AsylG haben das Bundesamt und das Bundesverwaltungsgericht in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von Amts wegen beizuschaffen.

Mit § 18 Abs. 1 AsylG 2005 (wie auch schon mit der nahezu wortgleichen Vorgängerbestimmung des § 28 AsylG 1997) wurde die aus § 37 iVm § 39 Abs. 2 AVG hervorgehende Verpflichtung der Verwaltungsbehörden, den maßgebenden Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln und festzustellen, speziell für das Asylverfahren weiter konkretisiert (vgl. dazu VwGH 08.04.2003, Zl. 2002/01/0522). So verpflichtet § 18 Abs. 1 AsylG 2005 idgF das Bundesamt (zuvor Bundesasylamt), in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt werden, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt oder überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von Amts wegen beizuschaffen (zum Umfang der Ermittlungspflichten vgl. VwGH 14.12.2000, Zl. 2000/20/0494; VwGH 06.10.1999, Zl. 98/01/0311; VwGH 14.10.1998, Zl. 98/01/0222; VwGH vom 21.09.2000, Zl. 98/20/0361; VwGH 04.05.2000, Zl. 99/20/0599).

2.2. Im gegenständlichen Fall liegt eine Mangelhaftigkeit im Sinne des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vor.

Das Bundesamt hat keinerlei Feststellungen hinsichtlich der Bindung des BF zum Herkunftsstaat bzw. seiner persönlichen Situation bei einer Rückkehr dorthin getroffen oder diesbezüglich irgendwelche Ermittlungen angestellt. Der BF machte in der Beschwerde in diesem Zusammenhang insbesondere mangelnde Bezugspersonen und Verständigungsmöglichkeiten im Herkunftsland geltend (vgl. dazu auch VwGH 03.07.2018, Zl. Ra 2018/21/0099). Hinzu kommt, dass es das Bundesamt auch völlig verabsäumt hat, aktuelle Länderberichte zum Herkunftsstaat des BF ins Verfahren einzuführen, zumal selbst die aktuellsten Informationen im bekämpften Bescheid zum Erlassungszeitpunkt bereits über drei Jahre veraltet waren und zudem in der Beschwerde bekämpft wurden. Allein schon die erkannte Notwendigkeit zur Situation im Herkunftsstaat aktuelle Länderberichte einzuholen und die Feststellungen des Bundesamtes zu ergänzen, macht die Durchführung einer mündlichen Verhandlung erforderlich (vgl. etwa VwGH 01.03.2018, Zl. Ra 2017/19/0418, Rz 15).

In diesem Zusammenhang kommt aber noch wesentlich erschwerend hinzu, dass auch insgesamt auf eine Einvernahme des BF zur Sache völlig verzichtet wurde. Die letzte Einvernahme des BF hinsichtlich einer konkreten aufenthaltsbeendenden Maßnahme (hier: Aufenthaltsverbot nach § 60 FPG in der alten vor 01.01.2010 gültigen Fassung) fand dem Akteninhalt zufolge Ende Oktober 2006 statt. Eine letzte Einvernahme zu fremdenrechtlichen Inhalten erfolgte laut Akteninhalt im September 2008, also vor mehr als 10 Jahren. Allein angesichts des Umstandes, dass sich der BF seit zumindest über 25 Jahren im Bundesgebiet aufhält, wobei eine genaue Aufenthaltsdauer und insbesondere der Frage, in welchem Alter der BF - mit 6 oder 8 Jahren- tatsächlich nach Österreich gekommen ist, bislang nicht geklärt wurde, sowie des Umstandes, dass der BF seit dem Aufenthaltsverbot offenbar Vater von drei Kindern, wovon zumindest zweien die österreichische Staatsbürgerschaft zukommt, geworden ist, hätte zumindest einer entsprechenden Befragung des BF im Rahmen einer Einvernahme bedurft. Nach der Judikatur des EGMR hinsichtlich auch straffälliger Personen, die im Kindesalter in den Aufenthaltsstaat eingewandert sind, kommt bei einer Interessensabwägung nach Art. 8 EMRK ebenso dem Bezug zum Herkunftsstaat sowie den familiären Bindungen zum Aufenthaltsstaat bzw. Schwierigkeiten, die einer Fortführung des Familienlebens im Herkunftsstaat entgegenstehen, ein entsprechendes Gewicht zu und sind diese sohin jedenfalls zu prüfen (vgl. dazu etwa EGMR 23.09.2010, Bousarra gg. Frankreich, Nr. 25672/07; EGMR 22.04.2004, Radovanovic gg. Österreich, Nr. 42703/98; EGMR 10.07.2003 Benhebba gg. Frankreich, Nr. 53441/99; aber auch EGMR 16.04.2013, Udeh gg. Schweiz, Nr. 12020/09). Dies gilt umso mehr hinsichtlich der Verhängung eines Einreiseverbotes und dessen Dauer (vgl. etwa VwGH 20.12.2016, Zl. Ra 2016/21/0109, Rz 11, mit Verweis auf VwGH 15.12.2011, Zl. 2011/21/0237).

Hierbei wird auch nicht verkannt, dass aufgrund des kontinuierlich rückfälligen straffälligen Verhaltens des BF, der seit 1998 über 10 Mal wegen Verbrechen und Vergehen gerichtlich rechtskräftig verurteilt wurde, ein massives öffentliches Interesse an einer zügigen Umsetzung einer gegen ihn gerichteten aufenthaltsbeendenden Maßnahme besteht. Dies entbindet die Behörde aber nicht davon, im Hinblick auf ihrer Ermittlungspflicht ein angemessenes und mangelfreies Verfahren durchzuführen, wobei a priori auch nicht ausgeschlossen werden kann, dass bei Vermeidung der genannten Verfahrens- bzw. Ermittlungsmängel in der Sache ein anderes, für den BF günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können.

Der Vollständigkeit halber ist noch festzuhalten, dass der Bescheid vom 03.07.2007, mit dem gegen den BF ein Aufenthaltsverbot nach § 60 FPG in der alten vor 01.01.2010 gültigen Fassung ausgesprochen wurde, sich nach Akteninhalt als rechtskonform zugestellt erweist. Ungeachtet dessen wurde bereits im Juli 2008 ein entsprechender Antrag auf Zustellung des Bescheides bzw. ein Wiedereinsetzungsantrag mit beigefügter Berufung des BF gestellt. Diesbezüglich konnte dem Akteninhalt nicht entnommen werden, dass diese Anträge inzwischen erledigt wurden, wobei diesbezüglich auch nicht erkennbar eine Vorlage erfolgt ist. Fest steht aber auch, dass diesen Anträgen nunmehr mit Bescheid des Bundesamtes vom 11.09.2018 nach § 69 Abs. 2 FPG faktisch die Grundlage entzogen wurde.

2.3. Im gegenständlichen Fall erweist sich der angefochtene Bescheid des Bundesamtes und das diesem zugrunde liegende Verfahren in besonders gravierender Weise als mangelhaft. Der maßgebliche Sachverhalt stellt sich mangels entsprechender Ermittlungen - auch in Verbindung mit der Beschwerde - als ungeklärt dar. Die Durchführung einer Einvernahme des BF erscheint unvermeidlich. Der Umstand, dass der BF im Verfahren zur Sache bisher überhaupt nicht persönlich befragt wurde, kann unter Miteinbeziehung der angeführten Ermittlungslücken auch nicht mehr dahingehend interpretiert werden, dass seitens des Bundesverwaltungsgerichtes in Relation zu den Ermittlungsanstrengungen des Bundesamtes lediglich ergänzende Ermittlungen vorzunehmen wären (vgl. dazu VwGH 10.09.2018, Zl. Ra 2018/19/0172, Rz 15). Vielmehr ist im Ergebnis davon auszugehen, dass die Behörde bloß ansatzweise ermittelt hat, sodass vom Vorliegen besonders gravierender Ermittlungslücken auszugehen ist.

Besondere Gesichtspunkte, die aus der Sicht des Verwaltungsgerichts gegen eine Kassation des angefochtenen Bescheides sprechen würden, sind im vorliegenden Fall nicht erkennbar. So können keine Anhaltspunkte dafür erkannt werden, dass eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtes in der Sache im Interesse der Raschheit gelegen wäre. Das Verfahren würde durch eine Entscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht keine Beschleunigung erfahren, zumal es auch nicht als asyl- und fremdenrechtliche Spezialbehörde anzusehen ist und die Verwaltungsbehörde durch die bei ihr eingerichtete Staatendokumentation wesentlich rascher und effizienter die notwendigen Ermittlungen nachholen kann. Aus der Aktenlage ergeben sich weiters auch keine Hinweise, wonach die Entscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre. Vielmehr ist angesichts der Einrichtung und Ausstattung des Bundesamtes als asyl- und fremdenrechtliche Spezialbehörde vom Gegenteil auszugehen.

Unter Beachtung des unter Punkt II.2.2. Ausgeführten wird der BF erstmals unter Einführung aktueller Länderinformationen persönlich zur Sache und allenfalls auch zeugenschaftlich die Lebensgefährtin und die Mutter des BF zu dessen familiären, verwandtschaftlichen und privaten Bindungen zum Aufenthalts- sowie Herkunftsland zu befragen sein.

2.4. Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 leg. cit. kann eine Verhandlung entfallen, wenn u.a. bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs.1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs.4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Im gegenständlichen Fall sind beim erkennenden Gericht hinsichtlich der Aufhebung des Bescheids und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde mangels hinreichender Ermittlungen keinerlei Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung aufgekommen. Wie der oben dargelegten rechtlichen Beurteilung zu entnehmen ist (vgl. dazu die unter den Punkten II.2.1. f. zitierte Judikatur), weicht die gegenständliche Entscheidung weder von der bisherigen und auch auf die nunmehr geltende Rechtslage übertragbaren Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es zu irgendeinem Aspekt des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes an einer relevanten Rechtsprechung. Auch ist die im gegenständlichen Fall maßgebende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Im Übrigen liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der gegenständlich zu lösenden Rechtsfragen vor.

Die Revision ist sohin gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Schlagworte

aktuelle Länderfeststellungen, Behebung der Entscheidung,
Ermittlungspflicht, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W182.2207615.1.00

Zuletzt aktualisiert am

10.01.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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