TE Bvwg Erkenntnis 2018/10/23 W185 2185781-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.10.2018
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Entscheidungsdatum

23.10.2018

Norm

AsylG 2005 §5
BFA-VG §21 Abs5 Satz1
B-VG Art.133 Abs4
FPG §61

Spruch

W185 2144824-2/7E

W185 2185781-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerhard PRÜNSTER als Einzelrichter über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX , 2.) XXXX , geb. XXXX , gesetzlich vertreten durch die Kindesmutter XXXX , beide StA. Irak, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.01.2018, Zlen. 1.) 1124779508-171185642, 2.) 1175551610-29100084, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerden werden gemäß § 5 AsylG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

Gemäß § 21 Abs. 5 Satz 1 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) wird festgestellt, dass die Anordnung zur Außerlandesbringung zum Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Bescheide rechtmäßig war.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

Die Erstbeschwerdeführerin (die Mutter und gesetzliche Vertreterin des am XXXX in Österreich geborenen Zweitbeschwerdeführers) stellte erstmals am 01.08.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Begründend führte sie hiezu im Zuge der damaligen Erstbefragung aus, dass in ihrer Heimat Krieg herrsche und ihr Verlobter seit etwa 10 Jahren in Österreich lebe. Sie wolle diesen heiraten und sich in Österreich ein neues Leben aufbauen. Sie könne der Einvernahme ohne gesundheitliche Probleme folgen und sei nicht schwanger. Außer in Österreich habe sie nirgends um Asyl angesucht.

Nachdem die Erstbeschwerdeführerin im Besitz eines vom 10.06.2016 bis 09.09.2016 gültigen Schengen-Visums der Kategorie C, ausgestellt vom deutschen Generalkonsulat XXXX , war, richtete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 12.09.2016 ein die Erstbeschwerdeführerin betreffendes Aufnahmeersuchen gemäß Art. 12 Abs. 2 oder 3 der Verordnung (EU) 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (im Folgenden: "Dublin III-VO") an Deutschland. Mit Schreiben vom 11.10.2016 stimmten die deutschen Behörden diesem Ersuchen gemäß Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO ausdrücklich zu.

In weiterer Folge wurde die Erstbeschwerdeführerin am 18.11.2016 sowie am 20.12.2016 einvernommen und gab hierbei - für das gegenständliche Verfahren wesentlich an - dass sie seit August 2016 mit dem seinerzeit als Lebensgefährten bezeichneten irakischen Staatsangehörigen, der in Österreich subsidiär schutzberechtigt sei, nach islamischem Recht verheiratet sei. Die Erstbeschwerdeführerin führte weiter aus, dass sie bei dem Genannten wohne und von diesem versorgt werde. Sie beziehe auch Leistungen der Grundversorgung. Sie habe nicht versucht, auf legalem Weg nach Österreich zu gelangen. Der Erstbeschwerdeführerin wurde zur Kenntnis gebracht, dass Deutschland die Zustimmung für die Führung ihres Asylverfahrens erteilt habe und daher beabsichtigt sei, ihre Außerlandesbringung nach Deutschland zu veranlassen. Die Erstbeschwerdeführerin erklärte hiezu, nicht nach Deutschland gehen zu wollen, sondern bei ihrem Lebensgefährten in Österreich bleiben zu wollen.

Am 20.12.2016 wurde der "Lebensgefährte" der Erstbeschwerdeführerin vor dem Bundesamt als Zeuge einvernommen und gab an, sich im August 2015 in der Türkei mit der Erstbeschwerdeführerin verlobt zu haben. Über die in Österreich im Juli oder August 2016 erfolgte Trauung nach muslimischem Ritus könne er keine Dokumente vorlegen. Der Zeuge habe die Erstbeschwerdeführerin seit der Verlobung im August 2015 finanziell unterstützt. In weiterer Folge legte der Zeuge u.a. die Heiratsurkunde einer islamischen Religionsgemeinde vom 05.08.2016 vor, aus der sich ergebe, dass er gemäß den islamischen Vorschriften mit der Erstbeschwerdeführerin die Ehe geschlossen habe.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.12.2016 wurde der Antrag der Erstbeschwerdeführerin auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und die Außerlandesbringung der Erstbeschwerdeführerin angeordnet, da eine Zuständigkeit Deutschlands für ihr Asylverfahren festgestellt wurde. Die Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG sei nicht erschüttert worden und es habe sich kein Anlass zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO ergeben. Die Außerlandesbringung sei auch in Hinblick auf Art. 8 EMRK zulässig, nachdem die Erstbeschwerdeführerin in Österreich nicht standesamtlich geheiratet habe und angesichts ihres unsicheren Aufenthaltsstatus in Österreich nicht von vornherein davon habe ausgehen können, dass ihr nur aufgrund der Anwesenheit ihres Partners, den sie nach islamischem Recht geheiratet habe, ein nicht auf das Asylgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht zukommen würde. Es bestehe die Möglichkeit der Aufrechterhaltung von Kontakten zu ihrem Partner auch von Deutschland aus, wobei aufgrund dessen aufenthaltsrechtlichen Status auch Reisen des Lebensgefährten nach Deutschland möglich seien.

Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben.

Am 23.02.2017 wurde die Erstbeschwerdeführerin auf dem Luftweg nach Deutschland überstellt.

Laut einem Schreiben der rechtsfreundlichen Vertretung der Erstbeschwerdeführerin vom 27.06.2017 habe diese am 24.01.2017 ihren Lebensgefährten, welchem hier subsidiärer Schutz gewährt worden sei, in Österreich standesamtlich geheiratet und sei diese mittlerweile schwanger. Im Sinne von Art. 9 der Dublin III-VO werde zum Ausdruck gebracht, dass die Erstbeschwerdeführerin den Wunsch habe, dass ihr Asylverfahren in Österreich durchgeführt werde.

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 03.08.2017 (W192 2144824-1/8E) wurde die Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 29.12.2016 gem. § 5 AsylG und § 61 FPG als unbegründet abgewiesen. Darüber hinaus wurde die angeordnete Außerlandesbringung für rechtmäßig befunden. Die Erstbeschwerdeführerin habe keine auf sich selbst bezogenen besonderen Gründe, welche für eine reale Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK sprechen würden, glaubhaft machen können, weshalb die Rechtsvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG zur Anwendung komme. In Hinblick auf den Partner der Erstbeschwerdeführerin wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass sich die gering ausgeprägte Intensität der familiären Bindungen aus dem Umstand ergebe, dass der Aufenthalt der Erstbeschwerdeführerin nur von kurzer Dauer gewesen sei und während des Aufenthaltes auch kein Abhängigkeitsverhältnis zum Lebensgefährten und nunmehrigen Ehegatten bestanden habe, da die Erstbeschwerdeführerin Leistungen des Grundversorgungssystems bezogen habe. Daneben habe die Erstbeschwerdeführerin durch die Art ihrer Einreise versucht, die gesetzlichen Bestimmungen über die Familienzusammenführung zu umgehen. Sowohl der Erstbeschwerdeführerin als auch ihrem nunmehrigen Ehegatten habe bewusst gewesen sein müssen, dass die Erstbeschwerdeführerin nicht mit der Gestattung des weiteren Aufenthaltes in Österreich habe rechnen können.

Am 18.10.2017 stellte die Erstbeschwerdeführerin nach illegaler erneuter Einreise in das Bundesgebiet den vorliegenden, zweiten Antrag auf internationalen Schutz in Österreich und wurde hiezu am selben Tag einer Befragung unterzogen. Zur neuerlichen Asylantragstellung gab die Genannte zusammengefasst an, ihren Ehemann in Österreich nunmehr auch "offiziell" geheiratet zu haben und bereits im neunten Monat schwanger zu sein. Sie sei damals nach Deutschland zurückgeschoben worden und habe danach versucht, über ein "Familienzusammenführungsvisum" wieder nach Österreich zu gelangen. Sie wolle mit ihrem Mann leben und das gemeinsame Kind zusammen betreuen. Im Zuge der Befragung legte die Erstbeschwerdeführerin ein Konvolut an Unterlagen vor. Es handelt sich hierbei um die Heiratsurkunde vom 24.01.2017 über die standesamtliche Hochzeit in Österreich, eine Niederschrift des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge in Deutschland, eine Kopie ihres Personalausweises, eine Kopie des Konventionspasses des Ehegatten und eine Kopie des Mutter-Passes aus Deutschland.

Eine Eurodac-Abfrage ergab, dass die Erstbeschwerdeführerin nach ihrer Abschiebung am 23.02.2017 in Deutschland um Asyl angesucht hat

(DE1 ... 23.02.2017).

Am 23.10.2017 stellte das Bundesamt ein Wiederaufnahmeersuchen gem. Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-VO an Deutschland. Letztlich stimmten die deutschen Behörden mit Schreiben vom 30.10.2017 ausdrücklich zu, die Erstbeschwerdeführerin gem. Art. 18 Abs. 1 lit. d der Dublin-III-VO zu übernehmen (AS 141ff).

Am XXXX wurde der Zweitbeschwerdeführer in Österreich geboren und wurde für diesen am 05.12.2017 ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Im Zuge einer am selben Tag durchgeführten Einvernahme gab der Vater des Zweitbeschwerdeführers zu Protokoll, dass Letztgenannter derzeit wegen Lungenproblemen in Behandlung sei und keine eigenen Fluchtgründe habe.

Im Zuge der Einvernahme vor dem Bundesamt vom 05.12.2017 gab die Erstbeschwerdeführerin im Wesentlichen an, sich psychisch und physisch in der Lage zu fühlen, Angaben zu ihrem Asylverfahren zu machen. Über Vorhalt der beabsichtigen Überstellung nach Deutschland erklärte die Erstbeschwerdeführerin, dass ihr Ehemann und ihr Sohn in Österreich aufhältig seien und sie mit diesen zusammenbleiben wolle. Sie lebe mit ihren Familienangehörigen im gemeinsamen Haushalt. Ihr Mann sei in Österreich subsidiär schutzberechtigt, arbeite hier seit 10 Jahren und sorge für sie und das Kind. Die standesamtliche Trauung habe am 24.01.2017 in Österreich stattgefunden. Die Familie ihres Gatten habe um die Hand der Erstbeschwerdeführerin angehalten. Die Erstbeschwerdeführerin könne nicht nach Deutschland zurückkehren, da sie hier ein Eheleben mit ihrem Mann führe. Die Erstbeschwerdeführerin legte die Geburtsurkunde ihres Sohnes, den Bescheid des Bundesamtes vom 10.05.2016 ihren Mann betreffend (wonach ihm bis zum 25.05.2018 eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt worden sei), erneut den Auszug aus dem Heiratseintrag eines Standesamtes in Österreich, die Kopie der ersten Seite des österreichischen Mutter-Kind-Passes sowie einen ärztlichen Kurzbericht vom 20.11.2017 den Zweitbeschwerdeführer betreffend vor. Diesem zufolge habe sich der Genannte 15 Tage in stationärer Behandlung befunden. Die Diagnosen lauten wie folgt: "Peripartale Asphyxie; Fruchtwasseraspiration Curosurf 2xig; Respiratorische Insuffizienz, maschinelle Beatmung;

PDA, Spontanverschluss; PFO; Perikarderguss; Infektion; Pulmonale Hypertension, Therapie mit NO; Arterielle Hypertonie - Katecholamine; Anämie - EK am XXXX ; Medikamentenentzug (latrogen);

MRSA Besiedelung tracheal; Sectio bei Schädel-Becken-Missverhältnisse".

Mit Schreiben vom 06.12.2017 informierte das Bundesamt die deutsche Dublin-Behörde über die Geburt des Zweitbeschwerdeführers und die sich daraus ergebende Zuständigkeit Deutschlands gemäß Art. 20 Abs. 3 der Dublin III-VO. Dem Schreiben wurden die Zustimmungserklärung der deutschen Behörden hinsichtlich der Mutter sowie die Geburtsurkunde des Zweitbeschwerdeführers beigefügt. Deutschland stimmte mit Schreiben vom 12.12.2017 der Übernahme des Zweitbeschwerdeführers ausdrücklich zu.

Am 22.12.2017 wurde die Erstbeschwerdeführerin einer weiteren Befragung vor dem Bundesamt unterzogen und gab hierbei an, für ihren minderjährigen Sohn (Zweitbeschwerdeführer) zu sprechen. Dieser sei krank und habe Probleme mit der Lunge, da er bei der Geburt Fruchtwasser geschluckt habe. Die Erstbeschwerdeführerin habe 15 Tage, ihr Sohn 21 Tage im Krankenhaus verbringen müssen. Operationen seien zwar nicht geplant, jedoch müsse die Erstbeschwerdeführerin mit ihrem Sohn nochmal zum Arzt gehen, da dieser "schlecht atmen" würde. Ihr Sohn müsse keine Medikamente nehmen. Über Vorhalt der beabsichtigten Überstellung nach Deutschland gab die Erstbeschwerdeführerin an, nicht nach Deutschland zurückkehren zu können, weil sich ihr Ehemann hier in Österreich aufhalte. Sie würden gemeinsam leben und wolle sie dies auch in Zukunft tun. Ihr Ehemann sei schon länger in Österreich, habe eine geregelte Arbeit und sorge für sie. In Deutschland hingegen habe die Erstbeschwerdeführerin niemanden. Sie wäre dort mit einem kranken Kind alleine. Am Ende der Einvernahme beantragte der Rechtsberater die Zulassung des Verfahrens nach Art. 9 Dublin III-VO sowie nach Art. 3 und 8 EMRK. Zudem wurden einige - zum Teil bereits bekannte - Unterlagen in Vorlage gebracht; vorgelegt wurde u.a. eine Aufenthaltsbestätigung sowie ein ärztliches Schreiben die Erstbeschwerdeführerin betreffend. Demnach sei diese am XXXX zur Einleitung bei fetaler Makrosomie stationär aufgenommen worden. Bei einem eingeschränkten CTG sei die Indikation zur Durchführung einer sekundären Sectio gestellt worden. Diese habe am XXXX komplikationslos durchgeführt werden können. Der postoperative Verlauf habe sich unauffällig gestaltet. Am XXXX habe die Erstbeschwerdeführerin in gutem Allgemeinzustand nach Hause entlassen werden können.

Mit den angefochtenen Bescheiden vom 05.01.2018 wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Deutschland für die Prüfung ihrer Anträge gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. d Dublin III-VO zuständig sei (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gegen die Beschwerdeführer gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge eine Abschiebung nach Deutschland gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II.).

Die Sachverhaltsfeststellungen zur Lage in Deutschland wurden in den angefochtenen Bescheiden im Wesentlichen folgendermaßen zusammengefasst (unkorrigiert und gekürzt durch das Bundesverwaltungsgericht):

Allgemeines zum Asylverfahren

In Deutschland existiert ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit gerichtlichen Beschwerdemöglichkeiten (AIDA 16.11.2015; für ausführliche Informationen siehe dieselbe Quelle). Im Jahr 2016 hat das deutsche Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 695.733 Asylanträge entschieden. Das ist ein Anstieg von ca. 146% gegenüber 2015 (282.726 Entscheidungen). 2016 wurden 745.545 Asylanträge entgegengenommen, 268.869 mehr als im Vorjahr. Insgesamt 256.136 Personen erhielten 2016 internationalen Schutz (36,8% der Antragsteller), 153.700 Personen (22,1%) erhielten subsidiären Schutz und 24.084 Personen (3,5%) Abschiebeschutz (BAMF 11.1.2017).

Quellen:

-

AIDA - Asylum Information Database (European Council on Refugees and Exiles and Informationsverbund Asyl und Migration) (16.11.2015):

National Country Report Germany, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_de_update.iv__0.pdf, Zugriff 3.2.2017

-

BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (11.1.2017):

Jahresbilanz 2016,

http://www.bamf.de/SharedDocs/Meldungen/DE/2017/20170111-asylgeschaeftsstatistik-dezember.html, Zugriff 6.2.2017

Dublin-Rückkehrer

Es gibt keine Berichte, dass Dublin-Rückkehrer in Deutschland Schwierigkeiten beim Zugang zum Asylverfahren hätten (AIDA 16.11.2015).

Quellen:

-

AIDA - Asylum Information Database (European Council on Refugees and Exiles and Informationsverbund Asyl und Migration) (16.11.2015):

National Country Report Germany, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_de_update.iv__0.pdf, Zugriff 3.2.2017

Unbegleitete minderjährige Asylwerber (UMA) / Vulnerable

Gemäß Gesetz zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher werden unbegleitete Kinder und Jugendliche auf Grundlage einer bundes- und landesweiten Aufnahmepflicht gleichmäßig in Deutschland verteilt. Das Mindestalter zur Begründung der Handlungsfähigkeit im Asylverfahren wurde von 16 auf 18 Jahre hinaufgesetzt (BR 26.10.2015).

Im deutschen Asylverfahren gelten Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren ohne Begleitung als Unbegleitete Minderjährige. Unbegleitete Minderjährige, die nach dem 1. November 2015 in Deutschland eingereist sind, werden zunächst durch das vor Ort zuständige Jugendamt in Obhut genommen. Im Rahmen dieser vorläufigen Inobhutnahme werden sie bei einer geeigneten Person (Verwandte oder Pflegefamilien) oder in einer geeigneten Einrichtung (sogenannte Clearinghäuser, die auf die Betreuung von Unbegleiteten Minderjährigen spezialisiert sind, oder Jugendhilfeeinrichtungen) untergebracht. Im Zuge der vorläufigen Inobhutnahme findet auch das sogenannte Erstscreening des Gesundheitszustands statt und stellt auch das Alter der Minderjährigen fest. Die dafür verwendeten Methoden reichen von einer reinen Altersschätzung über körperliche Untersuchungen bis hin zu radiologischen Untersuchungen, der Handwurzel, des Gebisses oder des Schlüsselbeins. Darüber hinaus schätzt das zuständige Jugendamt ein, ob die Durchführung des späteren Verteilungsverfahrens in physischer oder psychischer Hinsicht das Kindeswohl gefährden könnte. In diesem Zusammenhang wird auch die Möglichkeit einer Familienzusammenführung mit in Deutschland lebenden Verwandten geprüft. Bestehen enge soziale Bindungen zu anderen Unbegleiteten Minderjährigen, prüft das Jugendamt, ob eine gemeinsame Unterbringung sinnvoll ist. Um eine dem Kindeswohl entsprechende Unterbringung, Versorgung, Betreuung und Unterstützung der Unbegleiteten Minderjährigen sicherzustellen, gibt es ein bundesweites Verteilungsverfahren, das innerhalb von 14 Tagen durchgeführt wird. Nach dieser Verteilung ist neue Jugendamt für die weitere Inobhutnahme zuständig. Die Unterbringung erfolgt wieder bei einer geeigneten Person oder in einer geeigneten Einrichtung (siehe oben). Im Anschluss daran werden die Beantragung einer Vormundschaft, weitere medizinische Untersuchungen, die Ermittlung des Erziehungsbedarfs sowie eine Klärung des Aufenthaltsstatus veranlasst. Für Unbegleitete Minderjährige muss vom Familiengericht ein Vormund oder Pfleger bestellt werden. Eine Vormundschaft besteht in der Regel bis zur Volljährigkeit. Dabei orientiert sich die Volljährigkeit an dem Recht im Herkunftsland des Minderjährigen und nicht am deutschen Recht. Tritt also nach diesem Recht die Volljährigkeit erst nach Vollendung des 18. Lebensjahrs ein, endet die Vormundschaft auch erst zu diesem Zeitpunkt. Im anschließenden Clearingverfahren werden weitere Schritte im Bereich des Jugendhilferechts oder des Aufenthaltsrechts eingeleitet. Es umfasst unter anderem die Klärung des Aufenthaltsstatus. Auf dessen Basis wird entschieden, ob ein Asylantrag gestellt wird. Ist ein Asylverfahren nicht erfolgversprechend, kann die zuständige Ausländerbehörde auch eine Duldung ausstellen. Kommt auch dies nicht in Frage, berät die Ausländerbehörde über andere aufenthaltsrechtliche Möglichkeiten. Falls ein Asylantrag gestellt werden soll, ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BMF) die Durchführung des Asylverfahrens zuständig. Innerhalb des Asylverfahrens gelten für die Bestimmung der Volljährigkeit die nationalen Vorschriften. Das heißt: Asylwerber müssen mit Vollendung des 18. Lebensjahrs ihren Asylantrag selbst stellen. Ein etwaiger Vormund kann in diesem Fall aber weiterhin das Asylverfahren begleiten. Asylwerber unter 18 Jahren sind im Asylverfahren nicht handlungsfähig und ein Asylantrag muss vom Jugendamt oder Vormund schriftlich gestellt werden. Da Unbegleitete Minderjährige als besonders schutzbedürftige Personengruppe mit besonderen Garantien für ihr Asylverfahren gelten, werden ihre Asylverfahren von Sonderbeauftragten betreut, die für eine sensibilisierte Herangehensweise geschult wurden. Anhörungen finden grundsätzlich in Anwesenheit des Vormunds statt. Zusätzlich kann auch ein Beistand, z. B. eine Betreuerin oder ein Betreuer bei den Anhörungen anwesend sein. Unterbringung, Versorgung - hierzu gehört auch die sozialpädagogische Begleitung und Betreuung, Gesundheitsversorgung sowie Rechtsberatung - sind gesetzlich sichergestellt (BAMF 1.8.2016a; vgl. IAM 30.5.2016).

In Deutschland wurden 2015 42.309 UM in staatliche Obhut genommen,

22.255 davon stellten Asylanträge. 2016 gab es rund 50.300 Inobhutnahmen und 35.939 Asylanträge von UM (BAMF 31.12.2016; vgl. FRA 1.2017). Vergleicht man die Zahl der Inobhutnahmen von UM mit der Anzahl der von ihnen gestellten Asylanträge, wird deutlich, dass ein relevanter Teil der Minderjährigen auf einen Asylantrag verzichtet und sie (bzw. ihre gesetzlichen Vertreter) einen anderen aufenthaltsrechtlichen Weg suchen (BAMF 31.12.2016).

Es gibt keine gesetzliche Vorschrift zur Identifizierung Vulnerabler, mit Ausnahme von unbegleiteten Minderjährigen. Alle AW durchlaufen eine medizinische Untersuchung, die aber mehr dem Aufspüren ansteckender Krankheiten dient. Manchmal melden medizinisches Personal oder andere Mitarbeiter in den Unterbringungszentren, dass sie Anzeichen von Traumata entdeckt haben, das ist aber keine systematische Prüfung. Einige Bundesländer haben Pilotprojekte für die Identifizierung vulnerabler Asylwerber eingeführt. Vom BAMF erlassene Richtlinien sehen vor, dass insbesondere UM, Opfer geschlechtsspezifischer Verfolgung sowie Opfer von Folter und traumatisierte Asylwerber besonders sensibel und bei Bedarf von speziell ausgebildeten Referenten behandelt werden sollen. Die Einführung dieser Spezialisten (80 für UMA, 40 für Traumatisierte und 40 für Opfer geschlechtsspezifischer Verfolgung) hat die Handhabung derartiger Verfahren etwas verbessert, wobei es aber auch Beispiele gibt, wonach Hinweise auf Traumata bzw. sogar Folter nicht zur Konsultierung solcher Spezialisten geführt haben (AIDA 16.11.2015; vgl. FRA 1.2017).

Medizinische Spezialbehandlung für Traumatisierte und Folteropfer kann durch einige Spezialisten und Therapeuten in verschiedenen Behandlungszentren für Folteropfer gewährleistet werden. Da die Plätze in diesen Zentren begrenzt sind, ist der Zugang nicht immer garantiert. Da die Behandlungskosten von den Behörden nur teilweise übernommen werden (Übersetzerkosten werden etwa nicht gedeckt), sind die Zentren zu einem gewissen Grad auf Spenden angewiesen. Große geographische Distanzen zwischen Unterbringung und Behandlungszentrum sind in der Praxis auch oft ein Problem (AIDA 16.11.2015).

Quellen:

-

AIDA - Asylum Information Database (European Council on Refugees and Exiles and Informationsverbund Asyl und Migration) (16.11.2015):

National Country Report Germany, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_de_update.iv__0.pdf, Zugriff 3.2.2017

-

BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (1.8.2016a):

Unbegleitete Minderjährige,

http://www.bamf.de/DE/Fluechtlingsschutz/UnbegleiteteMinderjaehrige/unbegleitete-minderjaehrige-node.html, Zugriff 26.1.2017

-

BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (31.12.2016):

Unbegleitete Minderjährige (UM), http://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Downloads/Infothek/Asyl/um-zahlen-entwicklung.pdf?__blob=publicationFile, Zugriff 26.1.2017

-

BR - Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland (26.10.2015):

Effektive Verfahren, frühe Integration, http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/2015/10/2015-10-15-asyl-fluechtlingspolitik.html, Zugriff 3.2.2017

-

FRA - European Union Agency for Fundamental Rights (1.2017):

Monthly data collection: January 2017, http://fra.europa.eu/en/theme/asylum-migration-borders/overviews/january-2017, Zugriff 3.2.2017

-

IAM - Informationsverbund Asyl und Migration (30.5.2016): Die Rechte und Pflichten von Asylsuchenden. Aufenthalt, soziale Rechte und Arbeitsmarktzugang während des Asylverfahrens, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1464681466_basisinf-3-160415fin.pdf, Zugriff 26.1.2017

Non-Refoulement

Im Oktober 2015 wurden Albanien, Montenegro und Kosovo der Liste sicherer Herkunftsstaaten hinzugefügt, was auch Kritik hervorrief, besonders im Hinblick auf Personen aus der Gruppe der Roma. Deutschland gewährt Personen, die sich nicht für internationalen Schutz qualifizieren mitunter auch subsidiären oder humanitären Schutz. Freiwilligen Rückkehrern wird Hilfe gewährt (USDOS 13.4.2016).

Kann weder Asyl noch Flüchtlingsschutz gewährt werden, dann prüft das BAMF im Asylverfahren auch, ob subsidiärer Schutz gewährt wird oder ein Abschiebungsverbot vorliegt. Außerhalb eines Asylverfahrens werden mögliche Abschiebungsverbote durch die zuständige Ausländerbehörde, die eine fachliche Stellungnahme des BAMF einholt, geprüft (BMdI o.D.).

Quellen:

-

BMdI - Bundesministerium des Innern (o.D.): Asyl- und Flüchtlingspolitik in Deutschland, http://www.bmi.bund.de/DE/Themen/Migration-Integration/Asyl-Fluechtlingsschutz/Asyl-Fluechtlingspolitik/asyl-fluechtlingspolitik_node.html, Zugriff 1.2.2017

-

USDOS - US Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices 2015 - Germany, http://www.ecoi.net/local_link/322521/461998_de.html, Zugriff 1.2.2017

Versorgung

Bei einer Unterbringung in Aufnahmeeinrichtungen erhalten AW Verpflegung, Unterkunft, Krankenversorgung und Verbrauchsartikel. Der notwendige Bedarf wird durch Sachleistungen gedeckt. Wenn das nicht möglich ist werden Wertgutscheine oder ähnliches bis hin zu Geldleistungen gewährt. Werden alle notwendigen persönlichen Bedarfe durch Geldleistungen gedeckt, so beträgt der Geldbetrag zur Deckung aller notwendigen persönlichen Bedarfe monatlich:

...

Bei einer Unterbringung außerhalb von Aufnahmeeinrichtungen werden vorrangig Geldleistungen gewährt. Der notwendige Bedarf beträgt monatlich:

...

Anstelle der Geldleistungen können auch Leistungen in Form von unbaren Abrechnungen, Wertgutscheinen oder Sachleistungen gewährt werden. Der Bedarf für Unterkunft, Heizung und Hausrat wird gesondert als Geld- oder Sachleistung erbracht. Es gibt Leistungen für Bildung etc. (AsylbLG 23.12.2016, §3).

In Deutschland gibt es grundsätzlich 3 verschiedene Arten der Unterbringung: Erstaufnahmezentren, Gemeinschaftsunterkünfte und dezentralisierte Unterbringung in Wohnungen. Der Betrieb dieser Einrichtungen ist Ländersache. In den Jahren 2014 und 2015 waren aufgrund der zahlreichen Migranten auch Notunterkünfte gebräuchlich (AIDA 16.11.2015; vgl. USDOS 13.4.2016). Zum Teil sind Notunterkünfte immer noch in Verwendung (Pro Asyl 10.1.2017).

Asylwerber müssen bis zu 6 Monate in den Erstaufnahmezentren bleiben. Wenn die Pflicht zum Aufenthalt im Erstaufnahmezentrum endet, werden AW normalerweise in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht, das sind generell Unterbringungszentren im selben Bundesland. AW müssen während des gesamten Asylverfahrens in der Gemeinde aufhältig sein, die von der Behörde festgelegt wurde. Die Verantwortung für diese Art der Unterbringung wurde von den Bundesländern oftmals den Gemeinden und von diesen wiederum auf NGOs oder Privatunternehmen übertragen. Manche Gemeinden bevorzugen dezentralisierte Unterbringung in Wohnungen (AIDA 16.11.2015; vgl. auch BAMF 10.2016)

Deutschland verfügt mittlerweile bundesweit über 24 Ankunftszentren. Dort werden viele, bis dahin auf mehrere Stationen verteilte Schritte im Asylverfahren, gebündelt. Nach Möglichkeit findet das gesamte Asylverfahren unter dem Dach des Ankunftszentrums statt - von der ärztlichen Untersuchung, über die Aufnahme der persönlichen Daten und der Identitätsprüfung, der Antragstellung und Anhörung bis hin zur Entscheidung über den Asylantrag. Bei Menschen mit sehr guter Bleibeperspektive sowie Antragstellenden aus sicheren Herkunftsländern mit eher geringen Bleibeaussichten kann in der Regel vor Ort innerhalb von 48 Stunden angehört und über den Asylantrag entschieden werden (BAMF o.D,a). Neben der Bearbeitung von neuen Anträgen, werden in den Ankunftszentren seit Sommer 2016 auch ältere Verfahren bearbeitet und Anhörungen durchgeführt. Somit werden die BAMF-Außenstellen in der jeweiligen Region entlastet. Asylsuchende werden schon während der Bearbeitung ihres Antrags über die Teilnahme an Integrationskursen des Bundesamtes am jeweiligen Wohnort informiert. Sie erhalten ebenfalls eine Beratung zum möglichen Arbeitsmarktzugang durch die örtliche Bundesagentur für Arbeit (BAMF 1.8.2016b).

Quellen:

-

AIDA - Asylum Information Database (European Council on Refugees and Exiles and Informationsverbund Asyl und Migration) (16.11.2015):

National Country Report Germany, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_de_update.iv__0.pdf, Zugriff 10.01.2017

-

AsylbLG - Asylbewerberleistungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. August 1997 (BGBl. I S. 2022), das durch

Artikel 20 Absatz 6 des Gesetzes vom 23. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3324) geändert worden ist (23.12.2016): § 3 Grundleistungen, https://www.gesetze-im-internet.de/asylblg/BJNR107410993.html, Zugriff 2.2.2017

-

BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (10.2016): Ablauf des deutschen Asylverfahrens,

http://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Publikationen/Broschueren/das-deutsche-asylverfahren.pdf?__blob=publicationFile, Zugriff 2.2.2017

-

BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (o.D.a):

Ankunftszentren,

http://www.bamf.de/DE/DasBAMF/Aufbau/Standorte/Ankunftszentren/ankunftszentren-node.html, Zugriff 2.2.2017

-

BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (1.8.2016b):

Ankunftszentren,

http://www.bamf.de/DE/Fluechtlingsschutz/Ankunftszentren/ankunftszentren-node.html, Zugriff 2.2.2017

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Pro Asyl (10.1.2017): Ein Leben ohne Privatsphäre? Sammelunterbringung darf nicht zum Dauerzustand werden, https://www.proasyl.de/news/ein-leben-ohne-privatsphaere-sammelunterbringung-darf-nicht-zum-dauerzustand-werden/, Zugriff 2.2.2017

-

USDOS - US Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices 2015 - Germany, http://www.ecoi.net/local_link/322521/461998_de.html, Zugriff 1.2.2017

Medizinische Versorgung

NGOs kritisieren dass die medizinische Versorgung von Asylwerbern nur bei akuten Erkrankungen oder Schmerzen kostenlos ist. Einige Gemeinden und private Gruppen initiierten zusätzliche Gesundheitsprojekte. Einige Bundesländer stellen Krankenversicherungskarten zur Verfügung (USDOS 13.4.2016).

Die Gesetze sehen medizinische Versorgung für AW in Fällen akuter Erkrankung oder Schmerzen vor, welche Behandlung (auch Zahnbehandlung), Medikation etc. umfasst. Schwangere und Wöchnerinnen sind eigens im Gesetz erwähnt. Deutsche Gerichte haben sich in verschiedenen Fällen der Sichtweise angeschlossen, dass von diesen Bestimmungen auch chronische Erkrankungen abgedeckt werden, da auch diese Schmerzen verursachen können. Krankenscheine bekommen AW beim medizinischen Personal der Erstaufnahmeeinrichtung oder später auf dem zuständigen Sozialamt. Bei letzteren wird von Problemen aufgrund von Inkompetenz des Personals berichtet. Unabdingbare medizinische Behandlung steht auch Personen zu, die - aus welchen Gründen auch immer - kein Recht auf Sozialunterstützung mehr haben. Nach 15 Leistungsmonaten im Rahmen des Asylbewerberleistungsgesetzes haben AW Zugang zu Versorgung nach dem Sozialgesetzbuch. Das beinhaltet auch Zugang zu Gesundheitsversorgung nach denselben Bedingungen wie für deutsche Staatsbürger (AIDA 16.11.2015).

Deutschland garantiert allen AW ein Mindestmaß an Gesundheitsversorgung. Das gilt auch für zurückgewiesene AW bis zum Tag ihres Transfers. Die Bundesländer können autonom die elektronische Gesundheitskarte für Asylwerber einführen. Die gesetzlichen Krankenkassen können demnach von den Ländern verpflichtet werden, gegen Kostenerstattung die Krankenbehandlungen bei Asylwerbern zu übernehmen. Der Leistungsumfang und die Finanzierung der medizinischen Versorgung erfolgt unverändert im Rahmen des Asylbewerberleistungsgesetzes (BMdI 29.9.2015; vgl. BMG 3.11.2015).

Die medizinische Versorgung von Asylwerbern ist zwischen den verschiedenen Kommunen und Bundesländern unterschiedlich organisiert. Während in manchen Ländern fast alle Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung für Antragsteller zur Verfügung stehen, muss in anderen Ländern vor vielen Untersuchungen beim Amt um Kostenübernahme angefragt werden. In dringenden Notfällen dürfen Ärzte immer behandeln, unabhängig von den Papieren. Meistens aber müssen Asylsuchende ins zuständige Sozialamt, bevor sie einen Arzt aufsuchen dürfen. Dort erhalten sie einen Behandlungsschein, mit dessen Hilfe Ärzte ihre Kosten abrechnen können. Hinzu kommt, dass der Behandlungsschein in manchen Kommunen nur für den Hausarzt gültig ist. Wollen die Betroffenen zum Facharzt, müssen sie vor jeder Überweisung die Zustimmung des Amts einholen. In manchen Ländern erhalten Asylwerber eine elektronische Gesundheitskarte einer Krankenkasse, mit der sie direkt zum Arzt gehen können. Die Krankenkasse organisiert nur die medizinische Versorgung der Antragsteller, die Kosten tragen trotzdem die Behörden. Wenn Asylwerber länger als 15 Monate in Deutschland sind, können sie sich eine gesetzliche Krankenversicherung aussuchen, die Behörden bezahlen die Beiträge. Bis auf wenige Ausnahmen (z.B. freiwillige Zusatzleistungen der Krankenkassen) werden sie dann behandelt wie alle gesetzlich Versicherten. Erst wenn die Antragsteller eine Arbeit finden und selbst einzahlen, klinkt sich der Staat aus ihrer medizinischen Versorgung aus (SO 22.3.2016; vgl. BMG 6.2016).

Quellen:

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AIDA - Asylum Information Database (European Council on Refugees and Exiles and Informationsverbund Asyl und Migration) (16.11.2015):

National Country Report Germany, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_de_update.iv__0.pdf, Zugriff 10.01.2017

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BMdI - Bundesministerium des Innern (29.9.2015): Änderung und Beschleunigung von Asylverfahren beschlossen, http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Kurzmeldungen/DE/2015/09/kabinett-beschliesst-asylverfahrensbeschleunigungsgesetz.html, Zugriff 3.2.2017

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BMG - Bundesministerium für Gesundheit (3.11.2015): Verbesserung der medizinischen Versorgung von Flüchtlingen, http://www.bmg.bund.de/ministerium/meldungen/2015/asylverfahrensbeschleunigungsgesetz.html, Zugriff 3.2.2017

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BMG - Bundesministerium für Gesundheit (6.2016): Ratgeber Gesundheit für Asylwerber in Deutschland, http://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/5_Publikationen/Gesundheit/Broschueren/Ratgeber_Asylsuchende_DE_web.pdf, Zugriff 3.2.2017

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SO - Spiegel Online (22.3.2016): So werden Flüchtlinge medizinisch versorgt,

http://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/fluechtlinge-so-laeuft-die-medizinische-versorgung-a-1081702.html, Zugriff 3.2.2017

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USDOS - US Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices 2015 - Germany, http://www.ecoi.net/local_link/322521/461998_de.html, Zugriff 1.2.2017

Hinsichtlich der Erstbeschwerdeführerin wurde festgestellt, dass deren Identität nicht feststehe und diese nicht an schweren psychischen Störungen oder schweren Krankheiten leide. Sie sei in Besitz eines deutschen Visums und habe Deutschland ihrer Wiederaufnahme zugestimmt. Am 23.02.2017 sei die Erstbeschwerdeführerin dann nach Deutschland überstellt worden und habe dort um Asyl angesucht. Am 15.10.2017 sei die Erstbeschwerdeführerin erneut illegal nach Österreich eingereist. In Österreich befinde sich ihr Ehegatte, welcher in Österreich subsidiär schutzberechtigt sei. Es bestehe ein gemeinsamer Haushalt der Genannten. Hinsichtlich des mj Zweitbeschwerdeführers wurde festgestellt, dass dieser nicht an schweren psychischen Störungen oder schweren Krankheiten leide; er habe Lungenprobleme und sei drei Wochen in stationärer Behandlung gewesen; er sei in gebessertem Zustand entlassen worden und habe Kontrollen beim Kinderarzt. Zusammengefasst wurde weiters festgehalten, dass aus den Angaben der Beschwerdeführer keine stichhaltigen Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht worden seien, dass diese tatsächlich konkret Gefahr liefen, in Deutschland Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden oder dass ihnen eine Verletzung ihrer durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte dadurch drohen könnte. Deutschland habe sich ausdrücklich bereit erklärt, die Beschwerdeführer im Rahmen der Verpflichtungen aus der Dublin-VO zur Prüfung ihres Asylantrages zu übernehmen und es könne daher nicht erkannt werden, dass ihnen der Zugang zum Asylverfahren in Deutschland verweigert werde. Im vorliegenden Fall handle es sich um ein Familienverfahren (Anm: Erstbeschwerdeführerin und mj Zweitbeschwerdeführer) und habe sich für die Beschwerdeführer dieselbe aufenthaltsbeende Maßnahme ergeben. Dadurch bleibe die Einheit der Familie gewahrt und stelle die im gegenständlichen Verfahren getroffene Ausweisungsentscheidung daher keinen Eingriff in das in Art. 8 EMRK gewährleistete Recht auf Familienleben dar. Hinsichtlich des Ehegatten der Erstbeschwerdeführerin bzw. Vaters des Zweitbeschwerdeführers wurde noch festgehalten, dass die Ehe zu einem Zeitpunkt eingegangen worden sei, als den beiden Betroffenen ihr unsicherer Aufenthaltsstatus in Österreich habe bewusst gewesen sein müssen. Die Erstbeschwerdeführerin habe nicht von vornherein davon ausgehen dürfen, dass ihr nur aufgrund der Anwesenheit ihres Ehegatten in Österreich ein nicht auf das Asylgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht zukommen werde. Die Möglichkeit der Aufrechterhaltung von Kontakten bestehe - wenn auch in eingeschränkter Form - auch von Deutschland aus. Im vorliegenden Fall würden keine im Sinne eines schützenswerten Privatlebens relevante Sachverhalte vorliegen. Zusammengefasst sei daher davon auszugehen, dass die Anordnung der Außerlandesbringung nicht zu einer relevanten Verletzung der Dublin-III-VO sowie von Art. 7 GRC bzw. Art. 8 EMRK führe und die Zurückweisungsentscheidung daher unter diesen Aspekten zulässig sei. Die Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG habe bei Abwägung aller Umstände nicht erschüttert werden können. Es habe sich kein zwingender Anlass für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts des Art. 17 der Dublin-III-VO ergeben.

Gegen die Bescheide richten sich die am 06.02.2018 fristgerecht eingebrachten, für beide Beschwerdeführer gleichlautenden Beschwerden, in welchen gerügt wird, dass die belangte Behörde auf die konkret von der Erstbeschwerdeführerin vorgebrachten Befürchtungen bezüglich einer Abschiebung und die menschenrechtswidrigen Aufnahmebedingungen sowie insbesondere ihre persönliche Situation in Österreich, nicht nachvollziehbar eingegangen sei. Es sei auch nicht verständlich, weshalb der minderjährige Zweitbeschwerdeführer nicht den Schutzstatus von seinem Vater, der in Österreich dauerhaft aufenthaltsberechtigt sei, ableiten könne, in Anbetracht dessen, dass seine Eltern verheiratet seien und der Vater auch in der Geburtsurkunde eingetragen sei. Die Erstbeschwerdeführerin sei ein Flüchtling aus dem Irak, die außer ihrem in Österreich lebenden Ehegatten keine engeren Familienangehörigen mehr habe, und auf dessen Unterstützung und Hilfe angewiesen sei. Sie sei daher als Person, die glaubwürdig eine asylrelevante Verfolgung bezüglich ihres Heimatlandes als auch bezüglich Deutschlands vorgebracht habe, besonders vulnerabel. Im Übrigen sei in der aktuellen Entscheidung des EGMR im Fall Tarakhel gegen die Schweiz vom 04.11.2014 festgestellt worden, dass eine Überstellung gem. der Dublin-VO nicht zulässig sei, wenn eine adäquate Versorgung nicht garantiert werde. Dies hätte vom Bundesamt auf die spezifische Person der Beschwerdeführer untersucht werden müssen. Auch hinsichtlich des Privat- und Familienlebens der Erstbeschwerdeführerin sei nur eine unzureichende Behandlung mit ihrem Vorbringen erfolgt. So wäre festzustellen gewesen, dass diese bereits große Anstrengungen hinsichtlich einer Integration unternommen habe. Aufgrund der dargestellten Tatsachen sei festzustellen, dass eine Abschiebung der Beschwerdeführer nach Deutschland eine Verletzung von Art. 2, 3 und auch 8 EMRK darstellen würde, weshalb um den Eintritt Österreichs in das Verfahren ersucht werde; allenfalls aus humanitären Gründen, da im Fall der Beschwerdeführer ein außergewöhnlicher humanitärer Bedarf gegeben sei. Es bestehe eine tatsächliche Gefahr, dass sie in Deutschland in menschenrechtswidriger Weise behandelt würde und es drohe ihr in ihrer Heimat Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, weshalb ihr Asyl zu gewähren gewesen wäre.

Am 07.03.2018 wurden die Beschwerdeführer auf dem Luftweg nach Deutschland überstellt.

Am 16.10.2018 langten Berichte des Bundesamtes ein, wonach die von den Beschwerdeführern am 08.05.2018 gestellten Anträge auf Erteilung eines Erstaufenthaltstitels nach § 46 Abs 1 Z 2 lit c NAG rechtskräftig abgewiesen worden seien.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Erstbeschwerdeführerin reiste im Jahre 2016 mit einem deutschen Schengenvisum nach Österreich ein und suchte in Österreich am 01.08.2016 (erstmals) um die Gewährung internationalen Schutzes an. Am 05.08.2016 erfolgte eine Eheschließung nach islamischem Recht mit ihrem in Österreich subsidiär Schutzberechtigten "Verlobten"; am 24.01.2017 erfolgte die standesamtliche Eheschließung der Erstbeschwerdeführerin mit ihrem "Lebensgefährten" in Österreich. Es bestand bis zur Überstellung der Beschwerdeführer ein gemeinsamer Haushalt mit dem Genannten.

Die Erstbeschwerdeführerin wurde in weiterer Folge nach einem negativen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und einer negativen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, am 23.02.2017 nach Deutschland überstellt, wo die Genannte am selben Tag um Asyl ansuchte.

Am 18.10.2017 suchte Erstbeschwerdeführerin nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet erneut um internationalen Schutz in Österreich an. Das Bundesamt richtete in der Folge am 23.10.2017 ein Wiederaufnahmegesuch gem. Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-VO an Deutschland, welchem die deutschen Behörden mit Schreiben vom 30.10.2017 gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. d Dublin III-VO ausdrücklich zustimmten.

Am XXXX kam der Zweitbeschwerdeführer in Österreich zur Welt und wurde für diesen hier am 05.12.2017 ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Am 06.12.2017 informierte das Bundesamt die deutsche Dublin-Behörde über die Geburt des Zweitbeschwerdeführers und die sich daraus ergebende Zuständigkeit Deutschlands gemäß Art. 20 Abs. 3 der Dublin III-VO. Mit Schreiben vom 12.12.2017 stimmten die deutschen Behörden einer Übernahme des Zweitbeschwerdeführers ausdrücklich zu.

Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden vom 05.01.2018 wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Deutschland für die Prüfung ihrer Anträge gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. d Dublin III-VO zuständig sei (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gegen die Beschwerdeführer gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge eine Abschiebung nach Deutschland gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II.).

Am 07.03.2018 kam es zur Überstellung der Beschwerdeführer nach Deutschland. Die von den Beschwerdeführern am 08.05.2018 gestellten Anträge auf Erteilung eines Erstaufenthaltstitels wurden mit Bescheiden des Bundesamtes vom 13.08.2018, rechtskräftig seit 10.10.2018, abgewiesen.

Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich den oben wiedergegebenen Feststellungen der angefochtenen Bescheide zur Allgemeinsituation im Mitgliedstaat Deutschland an.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer im Falle einer Überstellung nach Deutschland Gefahr liefen, einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe bzw. einer sonstigen konkreten individuellen Gefahr unterworfen zu werden.

Konkrete, in den Personen der Beschwerdeführer gelegene Gründe, welche für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, liegen nicht vor.

Die Beschwerdeführer leiden an keinen lebensbedrohenden Krankheiten. Die Erstbeschwerdeführerin ist gesund. Der Zweitbeschwerdeführer befand sich 15 Tage in stationärer Behandlung in einem Krankenhaus.

Die Diagnosen lauteten: "Peripartale Asphyxie;

Fruchtwasseraspiration Curosurf 2xig; Respiratorische Insuffizienz, maschinelle Beatmung; PDA, Spontanverschluss; PFO; Perikarderguss;

Infektion; Pulmonale Hypertension, Therapie mit NO; Arterielle Hypertonie - Katecholamine; Anämie - EK am XXXX ; Medikamentenentzug (latrogen); MR

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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