Entscheidungsdatum
23.10.2018Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W183 2184984-1/5E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Dr. PIELER über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, alias XXXX, StA. Somalia, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.01.2018, Zl. 1101386903/ 160037621, zu Recht:
A)
I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.
II. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Die Beschwerdeführerin (BF) verließ im Jahr 2015 Somalia, stellte am 08.01.2016 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz und wurde am 09.01.2016 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Am 04.01.2018 wurde BF von der belangten Behörde, dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), zu ihren Fluchtgründen niederschriftlich einvernommen.
Im behördlichen Verfahren gab BF als Fluchtgrund im Wesentlichen an, ihre Familie sei als Minderheitenangehörige diskriminiert und ihr Vater getötet worden. Daraufhin sei sie mit ihrer Mutter umgezogen, allerdings habe al Shabaab dort versucht, sie zwangsweise zu verheiraten, woraufhin sie geflohen sei.
2. Mit dem angefochtenen Bescheid (zugestellt am 11.01.2018) wurde der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG 2005) bezüglich der Zuerkennung der Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.) und der BF gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.
Das BFA stellte der BF amtswegig einen Rechtsberater zur Seite.
3. Mit Schriftsatz vom 25.01.2018 (am selben Tag bei der belangten Behörde eingebracht) erhob die BF durch ihre Rechtsberatung binnen offener Frist das Rechtsmittel der Beschwerde und brachte darin im Wesentlichen vor, die belangte Behörde habe selbst ausgeführt, dass Zwangsehen weit verbreitet seien. Der somalische Staat sei nicht in der Lage, die BF vor dieser Verfolgung zu schützen. Auch sei die BF als Angehörige einer Minderheit besonders vulnerabel.
4. Mit Schriftsatz vom 29.01.2018 (eingelangt am 02.02.2018) legte die belangte Behörde die Beschwerde samt Bezug habenden Verwaltungsunterlagen dem Bundesverwaltungsgericht vor und verzichtete ausdrücklich auf die Durchführung und Teilnahme an einer mündlichen Verhandlung.
5. Aufgrund der Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 16.05.2018 wurde die Rechtssache der bis dahin zuständigen Gerichtsabteilung abgenommen und am 22.05.2018 der Gerichtsabteilung W183 zugewiesen.
6. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 19.10.2018 eine Strafregisterabfrage durch.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person der Beschwerdeführerin
BF ist eine zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjährige und nunmehr volljährige somalische Staatsangehörige muslimischen Glaubens und Angehörige der Jareer.
BF stellte am 08.01.2016 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. BF lebte zuletzt mit ihrer Mutter im ländlichen Umfeld von Afgooye, Region Shabeellaha Hoose. BF ist ledig, alleinstehend und ohne (männlichen) Schutz.
1.2. Zu den Familienangehörigen der BF im Herkunftsstaat
Der Vater der BF ist verstorben. Die Mutter und jüngeren Brüder der BF leben im ländlichen Umfeld von Afgooye. Es wird festgestellt, dass die BF in Somalia auf kein verlässliches, stabiles familiäres Netzwerk, das ihr ausreichenden Schutz bieten würde, zurückgreifen kann.
1.3. Zum Fluchtvorbringen
Der BF drohte in Somalia eine zwangsweise Verheiratung durch al Shabaab. Es wird festgestellt, dass BF kein Schutz durch männliche Verwandte, ihren Clan oder von staatlicher Seite zur Verfügung steht.
Eine geschlechtsspezifische Verfolgung im Falle ihrer Rückkehr ist damit mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in ganz Somalia gegeben.
Die BF gehört in Somalia der Gruppe der alleinstehenden, unverheirateten Frauen an, denen eine zwangsweise Verheiratung oder andere geschlechtsspezifische Gewalt droht.
1.4. Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat
Der Bezirk Afgooye ist besonders hart von der Gewalt betroffen (DIS 03.2017), das Dreieck Afgooye-Mogadischu-Merka bildet das einsatztechnische Schwergewicht der al Shabaab (BFA 08.2017). (vgl. LIB 2018, S. 33)
Die Lage von Frauen und Mädchen ist weiterhin besonders prekär. Frauen und Mädchen bleiben den besonderen Gefahren der Vergewaltigung, Verschleppung und der systematischen sexuellen Versklavung ausgesetzt. Wirksamer Schutz gegen solche Übergriffe, insbesondere in den Lagern der Binnenvertriebenen, ist mangels staatlicher Autorität nicht gewährleistet. (AA 01.12.2015) (vgl. LIB 2017 S. 69 und ebenso LIB 2018 S. 101)
Häusliche (USDOS 13.04.2016; vgl. AA 01.12.2015) und sexuelle Gewalt gegen Frauen ist ein großes Problem und weit verbreitet (ÖB 10.2015; vgl. UNHRC 28.10.2015), besonders betroffen sind davon IDPs in Flüchtlingslagern, insbesondere in Mogadischu (ÖB 10.2015; vgl. UNHRC 28.10.2015; USDOS 13.04.2016). Auch Frauen und Mädchen von Minderheiten sind häufig unter den Opfern von Vergewaltigungen (UNHRC 28.10.2015; vgl. UKHO 03.02.2015; USDOS 13.04.2016). (vgl. LIB 2017 S. 69 und ebenso LIB 2018 S. 101f.)
Hinsichtlich geschlechtsspezifischer Gewalt herrscht weitgehend Straflosigkeit. Strafverfolgung oder Verurteilungen wegen Vergewaltigung oder anderer Formen sexueller Gewalt sind in Somalia rar (UKHO 03.02.2015; vgl. AA 01.12.2015; ÖB 10.2015; USDOS 13.04.2016). Bei der Strafjustiz herrscht Unfähigkeit (UNHRC 28.10.2015). Meist werden Vergewaltigungen oder sexuelle Übergriffe vor traditionellen Gerichten abgehandelt, welche entweder eine Kompensationszahlung vereinbaren oder aber eine Ehe zwischen Opfer und Täter erzwingen (UNHRC 28.10.2015; vgl. USDOS 13.04.2016). Von staatlichem Schutz kann nicht ausgegangen werden (ÖB 10.2015; vgl. UKHO 03.02.2015), für die am meisten vulnerablen Fälle ist er nicht existent (HRW 27.01.2016). Grundlage für eine Eheschließung ist die Scharia, Polygamie und Ehescheidung sind somit erlaubt (ÖB 10.2015). Die Kinderehe ist verbreitet. In ländlichen Gebieten verheiraten Eltern ihre Töchter manchmal schon im Alter von zwölf Jahren (USDOS 13.04.2016). Zwangsehen sind weit verbreitet (ÖB 10.2015). (vgl. LIB 2017 S. 70, vgl. ebenso LIB 2018 S. 102ff.)
Es mangelt den IDPs an Schutz (UNHRC 28.10.2015). Die Regierung und Regionalbehörden bieten den IDPs nur unwesentlichen Schutz und Unterstützung. Dies ist vor allem auf die beschränkten Ressourcen und Kapazitäten sowie auf eine schlechte Koordination zurückzuführen (USDOS 13.04.2016). So sehen sich IDPs der Diskriminierung sowie sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt (UNHRC 28.10.2015). In Mogadischu sind dafür Regierungs- und alliierte Kräfte sowie Zivilisten verantwortlich (HRW 27.01.2016). Viele der Opfer von Vergewaltigungen waren Frauen und Kinder in und um Mogadischu, im Afgooye-Korridor, in Bossaso, Galkacyo und Hargeysa (USDOS 13.4.2016). IDPs - und hier v.a. Frauen und Kinder - sind extrem vulnerabel. Humanitäre Hilfsorganisationen sehen sich Sicherheitsproblemen und Restriktionen ausgesetzt (HRW 27.01.2016). Viele IDPs leben in überfüllten und unsicheren Lagern und haben dort nur eingeschränkten Zugang zu Wasser, sanitären Einrichtungen und grundlegender Hygiene (UNHRC 28.10.2015). (vgl. LIB 2017 S. 85, vgl. ebenso LIB 2018 S. 120f.)
Für alleinstehende Frauen und Alleinerzieherinnen ohne männlichen Schutz - vor allem für Minderheitenangehörige - ist eine innerstaatliche Relokationsmöglichkeit nicht gegeben. Dies gilt in Anbetracht der Umstände, dass weder relevante Unterstützungsnetzwerke noch eine Aussicht auf einen ausreichenden Lebensunterhalt gegeben sind (UKHO 03.02.2015). (vgl. LIB 2017 S. 81f.) Eine schwache Person mit wenigen Ressourcen ist auf die Unterstützung von Angehörigen, Verwandten oder einem engen Netzwerk angewiesen, um Unterkunft und Einkünfte zu erlangen (DIS 09.2015). Eine übersiedelnde Person wird sich in einem IDP-Lager wiederfinden und sich keinen Lebensunterhalt sichern können, wenn sie in einer Stadt weder über Kern- oder erweiterte Familie mit entsprechenden Ressourcen verfügt (DIS 09.2015; vgl. UKUT 05.11.2015) noch auf Rimessen zurückgreifen kann. Diese Person ist auf humanitären Schutz angewiesen (UKUT 05.11.2015). Auch für alleinstehende Frauen oder Alleinerzieherinnen hängt der zu erwartende Lebensunterhalt vom Status und von den Ressourcen der Familienangehörigen im Aufnahmegebiet ab (DIS 09.2015). (vgl. LIB 2017 S. 92, ebenso LIB 2018 S. 135f.)
Viele Minderheitengemeinden leben in tiefer Armut und leiden an zahlreichen Formen der Diskriminierung und Exklusion (USDOS 13.04.2016). Einzelne Minderheiten wie die Jareer oder Bantu leben unter besonders schwierigen sozialen Bedingungen und sehen sich, da sie nicht in die Clan-Strukturen eingebunden sind, in vielfacher Weise von der übrigen Bevölkerung - nicht aber systematisch von staatlichen Stellen - wirtschaftlich, politisch und sozial ausgegrenzt (AA 01.12.2015; vgl. ÖB 10.2015). Minderheitengemeinden sind auch überproportional von der im Land herrschenden Gewalt betroffen (Tötungen, Folter, Vergewaltigungen etc.) (USDOS 13.04.2016). (vgl. LIB 2017 S. 67, ebenso LIB 2018 S. 93)
Bantu werden aufgrund ihrer Ethnie diskriminiert (UNHRC 28.10.2015). (vgl. LIB 2017 S. 67, ebenso LIB 2018 S. 97)
Quellenverzeichnis
AA - Auswärtiges Amt (01.12.2015): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia
BFA Staatendokumentation (08.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM
DIS - Danish Immigration Service (09.2015): Country of Origin Information for Use in the Asylum Determination Process; Report from the Danish Immigration Service's fact finding mission to Nairobi, Kenya and Mogadishu, Somalia; 02-12 May 2015
DIS - Danish Immigration Service/Danish Refugee Council (03.2017):
South and Central Somalia Security Situation, al-Shabaab Presence, and Target Groups. Report based on interviews in Nairobi, Kenya, 03 to 10 December 2016
HRW - Human Rights Watch (27.01.2016): World Report 2016 - Somalia
ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi (10.2015): Asylländerbericht Somalia
SEMG - Somalia and Eritrea Monitoring Group (08.11.2017): Report of the SEMG on Somalia
UKHO - UK Home Office (03.02.2015): Country Information and Guidance - Somalia: Women fearing gender-based harm / violence
UKUT - United Kingdom Upper Tribunal (Immigration and Asylum Chamber) (05.11.2015): AAW (expert evidence - weight) Somalia v. Secretary of State for the Home Department, [2015] UKUT 00673 (IAC)
UNHRC - UN Human Rights Council (28.10.2015): Report of the independent expert on the situation of human rights in Somalia, Bahame Tom Nyanduga
USDOS - US Department of State (13.04.2016): Country Report on Human Rights Practices 2015 - Somalia
1.5. BF ist in Österreich strafrechtlich unbescholten und hat keinen Asylausschlussgrund verwirklicht.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Die Feststellungen ergeben sich aus den von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsunterlagen sowie den Aktenbestandteilen des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens. Als Beweismittel insbesondere relevant sind die Niederschriften der Einvernahmen durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und durch das BFA, das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation - Somalia vom 25.04.2016 (aktualisiert am 27.06.2017 - "LIB 2017") bzw. vom 12.01.2018 (aktualisiert am 17.09.2018 - "LIB 2018") mit den darin enthaltenen, bei den Feststellungen näher zitierten Berichten, und der Strafregisterauszug vom 19.10.2018.
2.2.1. Zur Person der Beschwerdeführerin und den Familienangehörigen der BF in Somalia
Die Identität konnte mangels Vorlage (unbedenklicher) Dokumente nicht bewiesen werden, weshalb hinsichtlich Name und Geburtsdatum Verfahrensidentität vorliegt. Hinsichtlich des Geburtsdatums wurde von der belangten Behörde mittels Verfahrensanordnung das fiktive Geburtsdatum der BF auf der Grundlage eines medizinischen Gutachtens mit XXXX festgestellt. Die BF gab an, am XXXX geboren zu sein.
Das Bundesverwaltungsgericht erachtet BF - betreffend ihre Person (Staatsangehörigkeit, Volksgruppenzugehörigkeit, Herkunftsregion und Familienstand) sowie die Familienverhältnisse - für persönlich glaubwürdig, weil sie im Verfahren im Wesentlichen gleichbleibende Angaben dazu machte. Es gibt keine Gründe, an der Richtigkeit dieser Angaben zu zweifeln.
Die Feststellung, wonach die BF alleinstehend und ohne männlichen Schutz ist, ergibt sich aus deren glaubwürdigem Vorbringen. BF hat gleichbleibend angegeben, dass ihr Vater getötet worden sei und sie von keinen anderen männlichen Verwandten Schutz zu erwarten habe.
2.2.2. Zum Fluchtvorbringen
Das Bundesverwaltungsgericht erachtet BF für persönlich glaubwürdig, weil sie im Verfahren klar auf die an sie gerichteten Fragen antwortete. Auch ist zu berücksichtigen, dass die BF zum Zeitpunkt des fluchtauslösenden Moments, der Asylantragstellung und der Erstbefragung minderjährig war. Die BF konnte nachvollziehbar darlegen, dass sie bei einer Rückkehr nach Somalia ernstlich Gefahr liefe, zwangsverheiratet zu werden oder andere geschlechtsspezifische Verfolgung oder sexualisierte Gewalt zu erleiden.
Abgesehen von der individuell glaubwürdig vorgebrachten Verfolgungsgefahr ist eine drohende Verfolgung insbesondere vor dem Hintergrund der festgestellten aktuellen Situation im Herkunftsstaat objektiv wahrscheinlich. So sind Zwangsverheiratungen in Somalia weit verbreitet und werden insbesondere auch von al Shabaab in den Gebieten, die unter ihrer Kontrolle stehen, vorgenommen. Staatlicher Schutz ist nicht gewährleistet und sind insbesondere alleinstehende Frauen ohne männlichen Schutz oder Minderheitenangehörige besonders vulnerabel. Darüber hinaus sind Binnenvertriebene oder IDPs, wie die BF im Fall ihrer Rückkehr mangels familiärer Unterstützung eine wäre, extrem vulnerabel und von (sexueller) Gewalt besonders betroffen. Personen mit wenigen Ressourcen sind auf die Unterstützung von Angehörigen angewiesen, auf diese kann BF jedoch nicht zurückgreifen.
2.2.3. Zur Situation in Somalia:
Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat ergeben sich aus den im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation - Somalia vom 25.04.2016 (aktualisiert am 27.06.2017 - "LIB 2017") bzw. vom 12.01.2018 (aktualisiert am 17.09.2018 - "LIB 2018") wiedergegebenen und zitierten Berichten. Hinsichtlich der Länderfeststellungen hat ein Vergleich der beiden genannten Versionen des Länderinformationsblatts ergeben, dass bei den für den gegenständlichen Fall relevanten Informationen - insbesondere hinsichtlich der Situation von Frauen und Mädchen, Minderheiten und IDPs - zwar die Quellen aktualisiert wurden, der Inhalt aber gleichgeblieben ist. Bereits die belangte Behörde hat diese Länderinformationen ihrem Bescheid zugrundegelegt bzw. diese festgestellt.
Die aktuellen Länderberichte beruhen auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von staatlichen und nichtstaatlichen Stellen und bieten dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche, weshalb im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass besteht, an der Richtigkeit dieser Berichte zu zweifeln. All diese Dokumente sind dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl amtsbekannt. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.
2.2.4 Die Feststellungen, dass BF in Österreich strafrechtlich unbescholten ist und keinen Asylausschlussgrund verwirklicht hat, ergeben sich aus dem Strafregisterauszug vom 19.10.2018, wonach BF unbescholten ist sowie daraus, dass keine Asylausschlussgründe hervorgekommen sind.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. zu A)
3.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (in Folge: AsylG 2005), ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht. Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.
Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren."
Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 26.11.2003, 2003/20/0389, ausführte, ist das individuelle Vorbringen eines Asylwerbers ganzheitlich zu würdigen und zwar unter den Gesichtspunkten der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit und der objektiven Wahrscheinlichkeit des Behaupteten.
Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an (vgl. jüngst etwa VwGH vom 24. Juni 2014, Ra 2014/19/0046, mwN, vom 30. September 2015, Ra 2015/19/0066, und vom 18. November 2015, Ra 2015/18/0220, sowie etwa VwGH vom 15. Mai 2003, 2001/01/0499, VwSlg. 16084 A/2003). Es ist demnach für die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass BF bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung ("Vorverfolgung") für sich genommen nicht hinreichend. Selbst wenn daher BF im Herkunftsstaat bereits asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt war, ist entscheidend, dass sie im Zeitpunkt der Entscheidung (der Behörde bzw. des VwG) weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (vgl. VwGH 13.12.2016, Ro 2016/20/0005); die entfernte Gefahr einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074).
Dass eine Verfolgung der Beschwerdeführerin auf Grund von "Zwangsverheiratung" unter dem Gesichtspunkt einer geschlechtsspezifischen Verfolgung als Angehörige einer bestimmten sozialen Gruppe nach Art. 1 Abschnitt A Z. 2 Genfer Flüchtlingskonvention asylrelevant sein kann, entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. (vgl. VwGH Ra 15.10.2015, 2015/20/0181; 15.09.2010, 2008/23/0463)
Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe ist einer der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK festgelegten Gründe, an die die asylrelevante Verfolgungsgefahr anknüpft.
Die Angehörigen einer bestimmten sozialen Gruppe haben ein gemeinsames soziales Merkmal, ohne dessen Vorliegen sie nicht verfolgt würden (VwGH 20.10.1999, 99/01/0197). Auch eine alleine auf das Geschlecht bezugnehmende Verfolgung ist als Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe zu werten (VwGH 31.01.2001, 99/20/0497).
3.1.2. Umgelegt auf den gegenständlichen Fall ergibt sich vor diesem Hintergrund, dass die BF glaubhaft darlegen konnte, dass ihr im Falle einer Rückkehr nach Somalia mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure, nämlich al Shabaab, drohen würde. Glaubhaft ist die drohende Verfolgung aufgrund der im Rahmen der Beweiswürdigung näher begründeten persönlichen Glaubwürdigkeit der BF sowie der vor dem Hintergrund der Länderberichte gegebenen objektiven Plausibilität ihres Vorbringens. Weiters würde BF als alleinstehende Rückkehrerin, die auf kein Netzwerk zurückgreifen kann und zusätzlich einer Minderheitengruppe angehört, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit auch geschlechtsspezifische Gewalt von anderen nichtstaatlichen Akteuren drohen, wie sich aus den Länderberichten ergibt.
Die BF ist noch jung und nicht verheiratet. Weiters gehört sie einer Minderheitengruppe an. Im Falle ihrer Rückkehr könnte sie auf keinerlei Verwandten- bzw. Clanschutz oder sonstiges soziales Netz zurückgreifen, das ihr Unterstützung bieten könnte. Aus den Länderberichten ergibt sich, dass BF aufgrund dessen im Falle ihrer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit von geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen wäre. Schutz durch den Staat ist, wie sich aus den Länderberichten ergibt, nicht zu erwarten. BF droht damit geschlechtsspezifische Gewalt von hoher Intensität.
Bei den Verfolgern handelt es sich um nichtstaatliche Akteure, doch ist nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes eine mangelnde Schutzfähigkeit des Staates zu berücksichtigen (vgl. VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0119). Angesichts der Berichtslage bzw. der nur äußerst schwach ausgeprägten staatlichen Strukturen in Somalia kann nicht davon ausgegangen werden, dass die staatlichen Sicherheitsbehörden ausreichend schutzfähig und schutzwillig wären, um die die BF treffende Verfolgungsgefahr genügend zu unterbinden.
Im Ergebnis ist es objektiv nachvollziehbar, dass BF im Falle ihrer Rückkehr nach Somalia Verfolgung aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der alleinstehenden jungen Frauen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit droht.
3.1.3. Zu der Frage, ob für die BF eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht, ergibt sich aus den Länderberichten, dass für alleinstehende Frauen ohne männlichen Schutz eine innerstaatliche Relokationsmöglichkeit nicht gegeben ist. Die BF hat daher keine innerstaatliche Fluchtalternative, da sie wie festgestellt alleinstehend und ohne männlichen Schutz ist. Kontakt zu Familienangehörigen besteht nicht bzw. würden sie diese selbst verfolgen. Sie kann sich der Verfolgungsgefahr (bzw. der Gefahr, aufgrund ihrer persönlichen Eigenschaften als alleinstehende, schutzlose Frau geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt zu sein) auch nirgendwo in Somalia entziehen. Die Länderberichte für Somalia beschreiben die Versorgungslage von Binnenflüchtlingen auch als besonders schlecht, was eine innerstaatliche Fluchtalternative erheblich erschwert. Eine innerstaatliche Fluchtalternative steht BF darüber hinaus auch nicht offen, zumal die prekäre Sicherheitslage in Süd- und Zentralsomalia eine solche ebenso wie eine Ansiedlung in Somaliland oder Puntland mangels dortiger familiärer oder sozialer Verwurzelung nicht in Frage erscheinen lässt (siehe EGMR, 05.09.2013, K.A.B./Schweden, Nr. 886/11, Abs. 82ff).
Außerdem ist auf Grund der rechtskräftigen Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten davon auszugehen, dass der BF mangels hinreichender Sachverhaltsänderung eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht zur Verfügung steht (vgl. VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0011 bis 0016).
3.1.4. Da sich im Verfahren auch keine Hinweise auf Ausschlussgründe des § 6 AsylG 2005 ergeben haben, kommt das Bundesverwaltungsgericht nach dem oben Gesagten somit abschließend zu dem Ergebnis, dass der Beschwerde stattzugeben und der BF gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen war. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 war diese Entscheidung mit der Feststellung zu verbinden, dass der BF damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
3.2. Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012, kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint; im Übrigen gilt § 24 VwGVG. Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteienantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entgegenstehen. Im vorliegenden Fall geht der Sachverhalt eindeutig aus den Akten hervor und lässt die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten. Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist. Die belangte Behörde hat in den Länderfeststellungen in ihrem Bescheid selbst auf die prekäre, von Gewalt bedrohte Lage junger, alleinstehender Frauen Bezug genommen. Die Behörde hat diese Feststellungen lediglich rechtlich falsch beurteilt. Darüber hinaus hat die belangte Behörde selbst explizit auf die Durchführung einer Verhandlung verzichtet.
3.3. Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985, BGBl. Nr. 10/1985, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (siehe die unter Punkt 3.1. zitierte Judikatur); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schließlich war auch eine auf die Umstände des Einzelfalls bezogene Prüfung vorzunehmen.
Es war somit insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
asylrechtlich relevante Verfolgung, geschlechtsspezifischeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:W183.2184984.1.00Zuletzt aktualisiert am
09.01.2019