Entscheidungsdatum
23.10.2018Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W183 2179296-1/7E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Dr. PIELER über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Somalia, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.10.2017, Zl. XXXX, zu Recht:
A)
I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.
II. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Die Beschwerdeführerin (BF) verließ im Jahr 2015 Somalia, stellte am 14.07.2015 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz und wurde am 15.07.2015 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Am 12.07.2017 wurde BF von der belangten Behörde, dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), zu ihren Fluchtgründen niederschriftlich einvernommen.
Im behördlichen Verfahren gab BF als Fluchtgrund im Wesentlichen an, ihr Ehemann, zwei ihrer Kinder und ihr Vater seien bei einem Anschlag von al Shabaab getötet worden, als eine Moschee explodiert sei. Auch ihr Haus sei bei dieser Explosion zerstört worden, sie habe Narben und Verletzungen davongetragen. Ihre Mutter sei ein Jahr zuvor gestorben. Nach dem Tod ihres Mannes habe al Shabaab sie zwangsverheiraten sowie dazu zwingen wollen, eine Burka zu tragen. Sie sei mit dem Tod bedroht worden.
2. Mit dem angefochtenen Bescheid (zugestellt am 18.10.2017) wurde der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG 2005) bezüglich der Zuerkennung der Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.) und der BF gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.
Das BFA stellte der BF amtswegig einen Rechtsberater zur Seite.
3. Mit Schriftsatz vom 25.10.2017 (am 02.11.2017 bei der belangten Behörde eingebracht) erhob die BF durch ihre Rechtsberatung binnen offener Frist das Rechtsmittel der Beschwerde und brachte darin im Wesentlichen vor, dass die belangte Behörde das Vorbringen und die Situation der BF in ihrer Entscheidung nicht ausreichend berücksichtigt habe. Der BF drohe asylrelevante Verfolgung aufgrund ihrer Zugehörigkeit zum religiösen Minderheitenclan der Ashraf, aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Frau sowie aufgrund ihrer religiös-politischen Gesinnung, welche in Hinblick auf die Ideologie von al Shabaab als oppositionell einzustufen sei.
4. Mit Schriftsatz vom 05.12.2017 (eingelangt am 11.12.2017) legte die belangte Behörde die Beschwerde samt Bezug habenden Verwaltungsunterlagen dem Bundesverwaltungsgericht vor und verzichtete ausdrücklich auf die Durchführung und Teilnahme an einer mündlichen Verhandlung.
5. Aufgrund der Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 16.05.2018 wurde die Rechtssache der bis dahin zuständigen Gerichtsabteilung abgenommen und am 22.05.2018 der Gerichtsabteilung W183 zugewiesen.
6. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 17.10.2018 eine Strafregisterabfrage durch.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person der Beschwerdeführerin
BF ist eine volljährige somalische Staatsangehörige muslimischen Glaubens und Angehörige der Ashraf.
BF stellte am 14.07.2015 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. BF stammt aus einem Dorf in der Region Gedo, Bundesstaat Jubaland, und lebte dort bis 2015. BF ist verwitwet, alleinstehend und ohne (männlichen) Schutz.
BF nimmt täglich Medikamente (Euthyrox) wegen Schilddrüsenbeschwerden ein.
1.2. Zu den Familienangehörigen der BF im Herkunftsstaat
Die Eltern, der Ehemann und zwei Kinder der BF sind tot. Zwei Söhne der BF leben bei einer Tante der BF in Somalia. BF hat keinen Kontakt zu ihren Familienangehörigen in Somalia. Es wird festgestellt, dass die BF in Somalia auf kein verlässliches, stabiles familiäres Netzwerk, das ihr ausreichenden Schutz bieten würde, zurückgreifen kann.
1.3. Zum Fluchtvorbringen
Der BF drohte in Somalia geschlechtsspezifische Gewalt durch al Shabaab. Es wird festgestellt, dass BF kein Schutz durch männliche Verwandte oder von staatlicher Seite zur Verfügung steht.
Eine geschlechtsspezifische Verfolgung im Falle ihrer Rückkehr ist damit mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in ganz Somalia gegeben.
Die BF gehört in Somalia der Gruppe der alleinstehenden, unverheirateten Frauen an, denen eine zwangsweise Verheiratung oder andere geschlechtsspezifische Gewalt droht.
1.4. Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat
Agro-pastorale Teile und das Juba-Tal in Gedo sind Hotspots in Somalia für schwere akute Unterernährung, wo Interventionen als dringend erachtet werden (FSNAU 01.09.2018) (vgl. LIB 2018 S. 6). Aus Gedo wurden auch Hungertote gemeldet (SMN 15.01.2017), in der Region wird sogar eine Verschlechterung erwartet (UNSC 05.09.2017) (vgl. LIB 2017 S. 10 und LIB 2018 S. 128).
Der Großteil von Jubaland wird von al Shabaab verwaltet, in der Region Gedo verfügt die nominell für die Region zuständige Jubaland Interim Administration (JIA) nur über schwachen Einfluss, weite Teile der Region Gedo befinden sich im Bereich der al Shabaab (BFA 08.2017) (vgl. LIB 2018 S. 30f.), vor allem auch der ländliche Raum (AI 22.2.2017; vgl. BFA 8.2017) (vgl. LIB 2018 S. 50).
Die Lage von Frauen und Mädchen ist weiterhin besonders prekär. Frauen und Mädchen bleiben den besonderen Gefahren der Vergewaltigung, Verschleppung und der systematischen sexuellen Versklavung ausgesetzt. Wirksamer Schutz gegen solche Übergriffe, insbesondere in den Lagern der Binnenvertriebenen, ist mangels staatlicher Autorität nicht gewährleistet. (AA 01.12.2015) (vgl. LIB 2017 S. 69 und ebenso LIB 2018 S. 101)
Häusliche (USDOS 13.04.2016; vgl. AA 01.12.2015) und sexuelle Gewalt gegen Frauen ist ein großes Problem und weit verbreitet (ÖB 10.2015; vgl. UNHRC 28.10.2015), besonders betroffen sind davon IDPs in Flüchtlingslagern, insbesondere in Mogadischu (ÖB 10.2015; vgl. UNHRC 28.10.2015; USDOS 13.04.2016). Auch Frauen und Mädchen von Minderheiten sind häufig unter den Opfern von Vergewaltigungen (UNHRC 28.10.2015; vgl. UKHO 03.02.2015; USDOS 13.04.2016). (vgl. LIB 2017 S. 69 und ebenso LIB 2018 S. 101f.)
Hinsichtlich geschlechtsspezifischer Gewalt herrscht weitgehend Straflosigkeit. Strafverfolgung oder Verurteilungen wegen Vergewaltigung oder anderer Formen sexueller Gewalt sind in Somalia rar (UKHO 03.02.2015; vgl. AA 01.12.2015; ÖB 10.2015; USDOS 13.04.2016). Bei der Strafjustiz herrscht Unfähigkeit (UNHRC 28.10.2015). Meist werden Vergewaltigungen oder sexuelle Übergriffe vor traditionellen Gerichten abgehandelt, welche entweder eine Kompensationszahlung vereinbaren oder aber eine Ehe zwischen Opfer und Täter erzwingen (UNHRC 28.10.2015; vgl. USDOS 13.04.2016). Von staatlichem Schutz kann nicht ausgegangen werden (ÖB 10.2015; vgl. UKHO 03.02.2015), für die am meisten vulnerablen Fälle ist er nicht existent (HRW 27.01.2016). Grundlage für eine Eheschließung ist die Scharia (ÖB 10.2015). Zwangsehen sind weit verbreitet (ÖB 10.2015). Zu von al Shabaab herbeigeführten Zwangsehen kommt es auch weiterhin (SEMG 08.11.2017), allerdings nur in den von al Shabaab kontrollierten Gebieten (DIS 03.2017; vgl. USDOS 03.03.2017). (vgl. LIB 2017 S. 70, vgl. ebenso LIB 2018 S. 102ff.)
Es mangelt den IDPs an Schutz (UNHRC 28.10.2015). Die Regierung und Regionalbehörden bieten den IDPs nur unwesentlichen Schutz und Unterstützung. Dies ist vor allem auf die beschränkten Ressourcen und Kapazitäten sowie auf eine schlechte Koordination zurückzuführen (USDOS 13.04.2016). So sehen sich IDPs der Diskriminierung sowie sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt (UNHRC 28.10.2015). In Mogadischu sind dafür Regierungs- und alliierte Kräfte sowie Zivilisten verantwortlich (HRW 27.01.2016). Viele der Opfer von Vergewaltigungen waren Frauen und Kinder in und um Mogadischu, im Afgooye-Korridor, in Bossaso, Galkacyo und Hargeysa (USDOS 13.4.2016). IDPs - und hier v.a. Frauen und Kinder - sind extrem vulnerabel. Humanitäre Hilfsorganisationen sehen sich Sicherheitsproblemen und Restriktionen ausgesetzt (HRW 27.01.2016). Viele IDPs leben in überfüllten und unsicheren Lagern und haben dort nur eingeschränkten Zugang zu Wasser, sanitären Einrichtungen und grundlegender Hygiene (UNHRC 28.10.2015). (vgl. LIB 2017 S. 85, vgl. ebenso LIB 2018 S. 120f.)
Für alleinstehende Frauen und Alleinerzieherinnen ohne männlichen Schutz - vor allem für Minderheitenangehörige - ist eine innerstaatliche Relokationsmöglichkeit nicht gegeben. Dies gilt in Anbetracht der Umstände, dass weder relevante Unterstützungsnetzwerke noch eine Aussicht auf einen ausreichenden Lebensunterhalt gegeben sind (UKHO 03.02.2015). (vgl. LIB 2017 S. 81f.) Eine schwache Person mit wenigen Ressourcen ist auf die Unterstützung von Angehörigen, Verwandten oder einem engen Netzwerk angewiesen, um Unterkunft und Einkünfte zu erlangen (DIS 09.2015). Eine übersiedelnde Person wird sich in einem IDP-Lager wiederfinden und sich keinen Lebensunterhalt sichern können, wenn sie in einer Stadt weder über Kern- oder erweiterte Familie mit entsprechenden Ressourcen verfügt (DIS 09.2015; vgl. UKUT 05.11.2015) noch auf Rimessen zurückgreifen kann. Diese Person ist auf humanitären Schutz angewiesen (UKUT 05.11.2015). Auch für alleinstehende Frauen oder Alleinerzieherinnen hängt der zu erwartende Lebensunterhalt vom Status und von den Ressourcen der Familienangehörigen im Aufnahmegebiet ab (DIS 09.2015). (vgl. LIB 2017 S. 92, ebenso LIB 2018 S. 135f.)
Quellenverzeichnis
AA - Auswärtiges Amt (01.12.2015): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia
AI - Amnesty International (22.02.2017): Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - Somalia
BFA Staatendokumentation (08.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM
DIS - Danish Immigration Service (09.2015): Country of Origin Information for Use in the Asylum Determination Process; Report from the Danish Immigration Service's fact finding mission to Nairobi, Kenya and Mogadishu, Somalia; 02-12 May 2015
DIS - Danish Immigration Service/Danish Refugee Council (03.2017):
South and Central Somalia Security Situation, al-Shabaab Presence, and Target Groups. Report based on interviews in Nairobi, Kenya, 03 to 10 December 2016
FSNAU - Food Security and Nutrition Analysis Unit / Famine Early Warning System Network (01.09.2018): FSNAU-FEWS NET 2018 Post Gu Technical Release
HRW - Human Rights Watch (27.01.2016): World Report 2016 - Somalia
ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi (10.2015): Asylländerbericht Somalia
SEMG - Somalia and Eritrea Monitoring Group (08.11.2017): Report of the SEMG on Somalia
SMN - Shabelle Media Network (15.01.2017): A Mother and her kids die of hunger in Gedo
UKHO - UK Home Office (03.02.2015): Country Information and Guidance - Somalia: Women fearing gender-based harm / violence
UKUT - United Kingdom Upper Tribunal (Immigration and Asylum Chamber) (05.11.2015): AAW (expert evidence - weight) Somalia v. Secretary of State for the Home Department, [2015] UKUT 00673 (IAC)
UNHRC - UN Human Rights Council (28.10.2015): Report of the independent expert on the situation of human rights in Somalia, Bahame Tom Nyanduga
UNSC - UN Security Council (05.09.2017): Report of the Secretary-General on Somalia
USDOS - US Department of State (13.04.2016): Country Report on Human Rights Practices 2015 - Somalia
USDOS - US Department of State (03.03.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Somalia
1.5. BF ist in Österreich strafrechtlich unbescholten und hat keinen Asylausschlussgrund verwirklicht.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Die Feststellungen ergeben sich aus den von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsunterlagen sowie den Aktenbestandteilen des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens. Als Beweismittel insbesondere relevant sind die Niederschriften der Einvernahmen durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und durch das BFA, das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation - Somalia vom 25.04.2016 (aktualisiert am 27.06.2017 - "LIB 2017") bzw. vom 12.01.2018 (aktualisiert am 17.09.2018 - "LIB 2018") mit den darin enthaltenen, bei den Feststellungen näher zitierten Berichten, und der Strafregisterauszug vom 17.10.2018.
2.2.1. Zur Person der Beschwerdeführerin und den Familienangehörigen der BF in Somalia
Die Identität konnte mangels Vorlage (unbedenklicher) Dokumente nicht bewiesen werden, weshalb hinsichtlich Name und Geburtsdatum Verfahrensidentität vorliegt.
Das Bundesverwaltungsgericht erachtet BF - betreffend ihre Person (Alter, Staatsangehörigkeit, Volksgruppenzugehörigkeit, Herkunftsregion und Familienstand) sowie die Familienverhältnisse - für persönlich glaubwürdig, weil sie im Verfahren im Wesentlichen gleichbleibende Angaben dazu machte. Es gibt keine Gründe, an der Richtigkeit dieser Angaben zu zweifeln. Darüber hinaus hat auch die belangte Behörde schon festgestellt, dass die BF verwitwet und Angehörige der Ashraf ist sowie aufgrund ihrer Schilddrüse Medikamente einnehmen muss und haben sich für das Bundesverwaltungsgericht keine Anhaltspunkte ergeben, von diesen Feststellungen abzugehen.
Anhaltspunkte, wonach BF über verlässliche familiäre Kontakte in Somalia verfügen würde, sind im Verfahren nicht hervorgekommen. Die Feststellung, wonach die BF alleinstehend und ohne männlichen Schutz ist, ergibt sich aus deren glaubwürdigem Vorbringen. BF hat gleichbleibend angegeben, dass ihr Ehemann und ihr Vater getötet worden sind.
2.2.2. Zum Fluchtvorbringen
Das Bundesverwaltungsgericht erachtet BF für persönlich glaubwürdig, weil sie im Verfahren klar auf die an sie gerichteten Fragen antwortete. Die BF konnte nachvollziehbar darlegen, dass sie bei einer Rückkehr nach Somalia ernstlich Gefahr liefe, zwangsverheiratet zu werden oder andere geschlechtsspezifische Verfolgung oder sexualisierte Gewalt zu erleiden.
Abgesehen von der individuell glaubwürdig vorgebrachten Verfolgungsgefahr ist eine drohende Verfolgung insbesondere vor dem Hintergrund der festgestellten aktuellen Situation im Herkunftsstaat objektiv wahrscheinlich. So sind Zwangsverheiratungen in Somalia weit verbreitet und werden insbesondere auch von al Shabaab in den Gebieten, die unter ihrer Kontrolle stehen, vorgenommen. Staatlicher Schutz ist nicht gewährleistet und sind insbesondere alleinstehende Frauen ohne männlichen Schutz oder Minderheitenangehörige besonders vulnerabel. Darüber hinaus sind Binnenvertriebene oder IDPs, wie die BF im Fall ihrer Rückkehr mangels familiärer Unterstützung eine wäre, extrem vulnerabel und von (sexueller) Gewalt besonders betroffen. Personen mit wenigen Ressourcen sind auf die Unterstützung von Angehörigen angewiesen, auf diese kann BF jedoch nicht zurückgreifen. Auch stammt BF aus einer Region, die nicht nur stark unter dem Einfluss von al Shabaab steht, sondern auch besonders von der Hungersnot/Dürre betroffen war und ist.
2.2.3. Zur Situation in Somalia:
Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat ergeben sich aus den im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation - Somalia vom 25.04.2016 (aktualisiert am 27.06.2017 - "LIB 2017") bzw. vom 12.01.2018 (aktualisiert am 17.09.2018 - "LIB 2018") wiedergegebenen und zitierten Berichten. Hinsichtlich der Länderfeststellungen hat ein Vergleich der beiden genannten Versionen des Länderinformationsblatts ergeben, dass bei den für den gegenständlichen Fall relevanten Informationen - insbesondere hinsichtlich der Situation von Frauen und Mädchen, Minderheiten und IDPs - zwar die Quellen aktualisiert wurden, der Inhalt aber gleichgeblieben ist. Bereits die belangte Behörde hat diese Länderinformationen ihrem Bescheid zugrundegelegt bzw. diese festgestellt.
Die aktuellen Länderberichte beruhen auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von staatlichen und nichtstaatlichen Stellen und bieten dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche, weshalb im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass besteht, an der Richtigkeit dieser Berichte zu zweifeln. All diese Dokumente sind dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl amtsbekannt. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.
2.2.4 Die Feststellungen, dass BF in Österreich strafrechtlich unbescholten ist und keinen Asylausschlussgrund verwirklicht hat, ergeben sich aus dem Strafregisterauszug vom 17.10.2018, wonach BF unbescholten ist sowie daraus, dass keine Asylausschlussgründe hervorgekommen sind.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. zu A)
3.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (in Folge: AsylG 2005), ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht. Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.
Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren."
Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 26.11.2003, 2003/20/0389, ausführte, ist das individuelle Vorbringen eines Asylwerbers ganzheitlich zu würdigen und zwar unter den Gesichtspunkten der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit und der objektiven Wahrscheinlichkeit des Behaupteten.
Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an (vgl. jüngst etwa VwGH vom 24. Juni 2014, Ra 2014/19/0046, mwN, vom 30. September 2015, Ra 2015/19/0066, und vom 18. November 2015, Ra 2015/18/0220, sowie etwa VwGH vom 15. Mai 2003, 2001/01/0499, VwSlg. 16084 A/2003). Es ist demnach für die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass BF bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung ("Vorverfolgung") für sich genommen nicht hinreichend. Selbst wenn daher BF im Herkunftsstaat bereits asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt war, ist entscheidend, dass sie im Zeitpunkt der Entscheidung (der Behörde bzw. des VwG) weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (vgl. VwGH 13.12.2016, Ro 2016/20/0005); die entfernte Gefahr einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074).
Dass eine Verfolgung der Beschwerdeführerin auf Grund von "Zwangsverheiratung" unter dem Gesichtspunkt einer geschlechtsspezifischen Verfolgung als Angehörige einer bestimmten sozialen Gruppe nach Art. 1 Abschnitt A Z. 2 Genfer Flüchtlingskonvention asylrelevant sein kann, entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. (vgl. VwGH Ra 15.10.2015, 2015/20/0181; 15.09.2010, 2008/23/0463)
Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe ist einer der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK festgelegten Gründe, an die die asylrelevante Verfolgungsgefahr anknüpft.
Die Angehörigen einer bestimmten sozialen Gruppe haben ein gemeinsames soziales Merkmal, ohne dessen Vorliegen sie nicht verfolgt würden (VwGH 20.10.1999, 99/01/0197). Auch eine alleine auf das Geschlecht bezugnehmende Verfolgung ist als Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe zu werten (VwGH 31.01.2001, 99/20/0497).
3.1.2. Umgelegt auf den gegenständlichen Fall ergibt sich vor diesem Hintergrund, dass die BF glaubhaft darlegen konnte, dass ihr im Falle einer Rückkehr nach Somalia mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung durch nicht staatliche Akteure (al Shabaab) drohen würde. Glaubhaft ist die drohende Verfolgung aufgrund der im Rahmen der Beweiswürdigung näher begründeten persönlichen Glaubwürdigkeit der BF sowie der vor dem Hintergrund der Länderberichte gegebenen objektiven Plausibilität ihres Vorbringens. Weiters würde BF als alleinstehende Rückkehrerin, die auf kein Netzwerk zurückgreifen kann und zusätzlich einer Minderheitengruppe angehört, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit auch geschlechtsspezifische Gewalt von anderen nicht-staatlichen Akteuren drohen, wie sich aus den Länderberichten ergibt.
BF ist nicht verheiratet (verwitwet). Im Falle ihrer Rückkehr könnte sie auf keinerlei Verwandtenschutz oder sonstiges soziales Netz zurückgreifen, das ihr Unterstützung bieten könnte. Aus den Länderberichten ergibt sich, dass BF aufgrund dessen im Falle ihrer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit von geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen wäre. Schutz durch den Staat ist, wie sich aus den Länderberichten ergibt, nicht zu erwarten. BF droht damit geschlechtsspezifische Gewalt von hoher Intensität.
Bei den Verfolgern handelt es sich um nicht-staatliche Akteure, doch ist nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes eine mangelnde Schutzfähigkeit des Staates zu berücksichtigen (vgl. VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0119). Angesichts der Berichtslage bzw. der nur äußerst schwach ausgeprägten staatlichen Strukturen in Somalia kann nicht davon ausgegangen werden, dass die staatlichen Sicherheitsbehörden ausreichend schutzfähig und schutzwillig wären, um die die BF treffende Verfolgungsgefahr genügend zu unterbinden.
Im Ergebnis ist es objektiv nachvollziehbar, dass BF im Falle ihrer Rückkehr nach Somalia Verfolgung aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der alleinstehenden Frauen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit droht.
3.1.3. Zu der Frage, ob für die BF eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht, ergibt sich aus den Länderberichten, dass für alleinstehende Frauen ohne männlichen Schutz eine innerstaatliche Relokationsmöglichkeit nicht gegeben ist. Die BF hat daher keine innerstaatliche Fluchtalternative, da sie wie festgestellt alleinstehend und ohne männlichen Schutz ist. Kontakt zu Familienangehörigen besteht nicht. Sie kann sich der Verfolgungsgefahr (bzw. der Gefahr, aufgrund ihrer persönlichen Eigenschaften als alleinstehende, schutzlose Frau geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt zu sein) auch nirgendwo in Somalia entziehen. Die Länderberichte für Somalia beschreiben die Versorgungslage von Binnenflüchtlingen auch als besonders schlecht, was eine innerstaatliche Fluchtalternative erheblich erschwert. Eine innerstaatliche Fluchtalternative steht BF darüber hinaus auch nicht offen, zumal die prekäre Sicherheitslage in Süd- und Zentralsomalia eine solche ebenso wie eine Ansiedlung in Somaliland oder Puntland mangels dortiger familiärer oder sozialer Verwurzelung nicht in Frage erscheinen lässt (siehe EGMR, 05.09.2013, K.A.B./Schweden, Nr. 886/11, Abs. 82ff).
Darüber hinaus wurde BF bereits rechtskräftig der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.
3.1.4. Da sich im Verfahren auch keine Hinweise auf Ausschlussgründe des § 6 AsylG 2005 ergeben haben, kommt das Bundesverwaltungsgericht nach dem oben Gesagten somit abschließend zu dem Ergebnis, dass der Beschwerde stattzugeben und der BF gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen war. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 war diese Entscheidung mit der Feststellung zu verbinden, dass der BF damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
3.2. Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012, kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint; im Übrigen gilt § 24 VwGVG. Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteienantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entgegenstehen. Im vorliegenden Fall geht der Sachverhalt eindeutig aus den Akten hervor und lässt die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten. Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist. Die belangte Behörde hat in ihrem Bescheid selbst festgestellt, dass die BF eine verwitwete Frau ist und hat in den Länderfeststellungen auf die prekäre, von Gewalt bedrohte Lage von alleinstehenden Frauen Bezug genommen. Die Behörde hat diese Feststellungen jedoch lediglich rechtlich falsch beurteilt. Die belangte Behörde hat selbst explizit auf die Durchführung einer Verhandlung verzichtet.
3.3. Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985, BGBl. Nr. 10/1985, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (siehe die unter Punkt 3.1. zitierte Judikatur); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schließlich war auch eine auf die Umstände des Einzelfalls bezogene Prüfung vorzunehmen.
Es war somit insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
asylrechtlich relevante Verfolgung, geschlechtsspezifischeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:W183.2179296.1.00Zuletzt aktualisiert am
09.01.2019