Entscheidungsdatum
24.10.2018Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W153 2181507-1/7E
W153 2181508-1/6E
W153 2181501-1/6E
W153 2181496-1/6E
W153 2181504-1/6E
W153 2181509-1/6E
W153 2181506-1/6E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Christoph KOROSEC als Einzelrichter über die Beschwerden von 1.) XXXX , 2.)
XXXX , 3.) XXXX , gesetzlich vertreten durch die Kindesmutter XXXX ,
4.) XXXX , gesetzlich vertreten durch die Kindesmutter XXXX , 5.)
XXXX , gesetzlich vertreten durch die Kindesmutter XXXX , 6.) XXXX ,
gesetzlich vertreten durch die Kindesmutter XXXX , 7.) XXXX ,
gesetzlich vertreten durch die Kindesmutter XXXX , alle StA. aus Afghanistan, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.11.2017 (den Erstbeschwerdeführer, die Zweitbeschwerdeführerin und den Drittbeschwerdeführer betreffend) sowie vom 01.12.2017 (die Viertbeschwerdeführerin, den Fünftbeschwerdeführer, die Sechstbeschwerdeführerin, die Siebtbeschwerdeführerin betreffend), Zlen 1.) 1110628104-160491815,
2.) 1110628202-160491802, 3.) 1110622503-160491853, 4.) 1110622405-160491861-150714804, 5.) 1110622710-160491837, 6.) 1110622906-160491829 und 7.) 1110622307-160491870, beschlossen:
A) In Erledigung der Beschwerden werden die angefochtenen Bescheide
behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG idgF zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang:
Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind Ehegatten, die minderjährigen Dritt- bis Siebtbeschwerdeführer sind ihre gemeinsamen Kinder. Am 06.04.2016 stellten der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin für sich und ihre Kinder die vorliegenden Anträge auf internationalen Schutz in Österreich und wurden am selben Tag erstbefragt. Hierbei gaben sie übereinstimmend an, dass der Erstbeschwerdeführer in Afghanistan als Polizist gearbeitet und sowohl er als auch seine ganze Familie von den Taliban mit dem Tod bedroht worden sei.
Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 18.08.2016 wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz zunächst gem. § 5 AsylG wegen der festgestellten Zuständigkeit Ungarns abgewiesen und gem. § 61 Abs. 1 Z 1 FPG ihre Außerlandesbringung angeordnet. Dagegen erhoben die Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde und mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 07.11.2016 wurde den Beschwerden gem. § 21 Abs. 3 BFA-VG stattgegeben. Die Verfahren über die Anträge auf internationalen Schutz wurden zugelassen und die bekämpften Bescheide wurden behoben, da die Überstellungsfrist gem. Art. 29 Abs. 2 der Dublin-III-VO abgelaufen und keine Fristverlängerung erfolgt sei.
Nach Zulassung des Verfahrens wurden der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin am 28.11.2017 erneut einer Einvernahme durch das BFA unterzogen, in welcher sie auch integrationsbestätigende Unterlagen vorlegten.
Hierbei gab der Erstbeschwerdeführer an, in Badachshan/Afghanistan geboren worden und Tadschike und Sunnit zu sein. Er habe zuletzt mit seiner Familie in einem Mietshaus in Kabul gelebt. Seine Mutter sei bereits verstorben; sein Vater und seine Schwester hätten in Kandahar gelebt, als er noch dort aufhältig gewesen sei; seine beiden Brüder hätten zuletzt auch bei den Eltern in Kandahar gelebt und seien noch zur Schule gegangen; er wisse aber nicht, was sie derzeit machen würden. Der Erstbeschwerdeführer habe auch noch weitere Verwandte, jedoch wisse er nicht, ob diese noch leben würden. Er habe keinen Kontakt zu seinen Verwandten, weil er ihnen keine Probleme bereiten wolle. Der Erstbeschwerdeführer sei - genauso wie sein Vater - bei der Polizei gewesen und habe in dieser Tätigkeit telefonische Drohungen bekommen, wobei fluchtauslösend ein Drohbrief der Taliban gewesen sei. Laut diesem hätte man den Erstbeschwerdeführer und seine Familie töten wollen. Der Erstbeschwerdeführer sei wegen der Sicherheit und seiner Kinder sowie ihrer Zukunft nach Österreich gekommen. Sie würden schon Deutsch sprechen und hier in die Schule gehen. In Afghanistan könne man die Kinder aus Angst nicht in die Schule schicken, weil sie dort immer wieder Kinder von Regierungsangehörigen entführen und Lösegeld fordern würden. Darüber werde aber nicht immer - weder in Kabul noch in den Medien - berichtet; die Polizei wisse darüber aber Bescheid.
Die Zweitbeschwerdeführerin gab im Zuge der Einvernahme an, in Kabul geboren worden und Tadschikin und Sunnitin zu sein. Ihr Mann habe die Familie in Afghanistan versorgt; sie habe sich um die Kinder und die Hausarbeit gekümmert. Sie habe die Kinder zu Hause unterrichtet. Entweder sei der Sohn ihres Vermieters oder ihr Mann einkaufen gegangen, da sich Frauen in Afghanistan nicht frei bewegen könnten. Ihre Eltern seien bereits verstorben; sie habe noch einen in London wohnhaften Bruder, zu dem kein Kontakt bestehe; Tanten, die nicht in Afghanistan leben würden und auch Onkel, deren Aufenthalt sie nicht kenne. Zum Fluchtgrund führte die Zweitbeschwerdeführerin aus, wegen ihres Mannes und ihrer Kinder hier zu sein, damit sie in Sicherheit leben könnten. Zunächst sei nur ihr Mann telefonisch bedroht worden, dann aber auch die Zweitbeschwerdeführerin und die Kinder. Ihr Leben sei in Afghanistan in Gefahr. Im Gegensatz zu Afghanistan, wo die Kinder Analphabeten geblieben wären oder nur ein wenig von ihr hätten lernen können, würden sie hier zur Schule gehen. Das wäre schon allein aufgrund der Arbeit ihres Mannes in Afghanistan nicht möglich bzw. gerade für die Mädchen gefährlich gewesen. Die Zweitbeschwerdeführerin könne in Österreich arbeiten; ihr gehe es um die Zukunft ihrer Kinder.
Das BFA hat mit den angefochtenen Bescheiden die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.), als auch bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde den Beschwerdeführern gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) wurde gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt V.) und dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt VI.).
Zusammengefasst führte das BFA aus, dass dem Fluchtvorbringen des Erstbeschwerdeführers keine Glaubwürdigkeit zukomme, da er eine konkret drohende Bedrohung durch die Taliban nicht glaubhaft hätte machen können. Es habe nicht festgestellt werden können, dass die Beschwerdeführer im Falle ihrer Rückkehr nach Kabul oder Herat von den Taliban bedroht würden. Ihnen stehe somit eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul oder Herat offen. In Hinblick auf die Zweitbeschwerdeführerin wurde festgehalten, dass eine drohende Verfolgung aufgrund eines unislamischen Verhaltens oder westlich orientierter Einstellung weder aktuell noch für die Zukunft habe festgestellt werden könne. In Zusammenhang mit der Lage der Kinder in Afghanistan wurde lediglich festgestellt, dass Kinder in normalen familiären Umständen grundsätzlich unter den, nicht mit westlichen Standards vergleichbaren Umständen, beispielsweise in Bezug auf Bildung, zu leben hätten. Diese Einschränkungen würden jedoch alle Kinder in Afghanistan gleichermaßen betreffen und daher auch keinen asylrelevanten Fluchtgrund darstellen. Tatsächliche asylrelevante Bedrohungssituationen für die Dritt- bis Siebtbeschwerdeführer könnten aufgrund der stabilen Familiensituation nicht festgestellt werden. Ebenso wenig habe eine den Kindern konkret drohende Gefährdung, beispielsweise durch Entführung zum Zwecke der Lösegeldforderung festgestellt werden können, da die vom Erstbeschwerdeführer angegebene Bedrohung durch die Taliban als nicht glaubhaft festgestellt worden sei. Die Behörde verkenne nicht die allgemeine Gefährdung für Kinder wohlhabender Eltern oder von Eltern in Regierungsanstellung, die sich aus der Gefahr einer potentiellen Entführung ergebe, jedoch gelte diese Gefährdung für viele Kinder gleichermaßen und der Staat unternehme eindeutige Anstrengungen, um solche Entführungen hintanhalten zu können, wie beispielsweise das Einrichten von Sicherheitszonen um Schulen. Trotz einiger in der Heimat bestehender Schwierigkeiten seien keine konkreten Rückkehrhindernisse für die Beschwerdeführer zu erkennen, weshalb die Ausweisung der Beschwerdeführer in das als sicher angesehene und als sicher zu erreichende Kabul zulässig sei. Diesbezüglich wurde in Hinblick auf die Zweitbeschwerdeführerin insbesondere ausgeführt, dass sie in Österreich keinen westlichen Lebensstil pflege, sondern auch hier nach afghanischen Verhältnissen lebe, weshalb sie sich problemlos wieder in die afghanische Gesellschaft einfügen könne und dahingehend somit keinerlei Schwierigkeiten zu befürchten habe. Mangels Erfüllung der Voraussetzungen sei keine Erteilung eines Aufenthaltstitels gem. § 57 AsylG vorgesehen. Die Rückkehrentscheidung werde gegenüber der gesamten Familie erlassen. Eine Interessenabwägung habe ergeben, dass die öffentlichen Interessen an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung gegenüber den privaten Interessen der Beschwerdeführer am Verbleib in Österreich überwiegen würden. Die Abschiebung der Beschwerdeführer nach Afghanistan sei auch unter Berücksichtigung des § 50 FPG zulässig.
Dagegen erhoben die Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde. Darin wurde zunächst gerügt, dass die Zweitbeschwerdeführerin in Bezug auf die mj. Dritt- bis Siebtbeschwerdeführer nicht ausreichend manuduziert und von Seiten des Verhandlungsleiters nicht versucht worden sei, durch entsprechende Belehrung und Anleitung abzuklären, ob sie GFK-relevante Fluchtgründe für die mj. Beschwerdeführer vorbringen könne. Hätte das BFA aktuelle Länderberichte zur Situation von Kindern, Mädchen und Frauen in Afghanistan herangezogen bzw. die angeführten Länderberichte im Rahmen der Beweiswürdigung zumindest entsprechend gewürdigt, so wäre es zu dem Schluss gekommen, dass die mj. Dritt- bis Siebtbeschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan jedenfalls Gefahr liefen, Opfer von Gewalt, weitrechenden Diskriminierungen und Menschenrechtsverletzungen zu werden. Die Behörde hätte bei richtiger Beweiswürdigung zum Schluss kommen müssen, dass das Fluchtvorbringen des Erstbeschwerdeführers glaubwürdig sei und ihm in Afghanistan eine asylrechtlich relevante Verfolgung drohe. Nicht nachvollziehbar sei jedenfalls die Ansicht der belangten Behörde, dass die Zweitbeschwerdeführerin nicht westlich orientiert sei und auch in Österreich ihre afghanische Lebensweise fortgesetzt habe. Bei der Zweitbeschwerdeführerin handle es sich nämlich um eine sehr westlich orientierte, die islamische Werteorientierung ablehnende Frau. Sie habe in ihrer Zeit in Österreich die Bedeutung von Frauenrechten kennengelernt und einen neuen Zugang zu ihrer weiblichen Identität gefunden, zumal Frauen in Afghanistan mit weitreichenden Diskriminierungen und Gewalt konfrontiert seien. Aus diesem Grund wolle sie auch, dass ihre Töchter ein eigenständiges und selbstbestimmtes Leben ohne männliche Bevormundung und Gewaltexzesse sowie mit Zugang zu Bildung in Österreich führen können. Richtigerweise wäre den Beschwerdeführer internationaler Schutz bzw. zumindest subsidiärer Schutz zu gewähren gewesen. Darüber hinaus wäre die Erlassung einer Rückkehrentscheidung bei richtiger rechtlicher Beurteilung für unzulässig zu erklären gewesen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Zu Spruchteil A):
Zur Zurückverweisung der Angelegenheit an das BFA:
Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen, in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.
Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenen des § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung der mündlichen Verhandlung voraus. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwVGV (vgl. VwGH 19.11.2009, 2008/07/0167:
Tatsachenbereich; Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsverfahren, Manz, Anmerkung 2 und 11, Seiten 150 und 153f).
Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat. Diese Vorgangsweise setzt voraus, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet, welche er seitdem in ständiger Rechtsprechung bestätigt hat (vgl. VwGH 12.11.2014, Ra 2014/20/0019; 06.07.2016, Ra 2015/01/0123):
Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht komme nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststehe. Dies werde jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergebe.
Der Verfassungsgesetzgeber habe sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I 51, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden hätten, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen sei.
Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stelle die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis stehe diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlange das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck finde, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht würde. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen komme daher insbesondere dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen habe, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt habe. Gleiches gelte, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen ließen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterlassen habe, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen würden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht (vgl. VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063).
Ebenso hat der Verfassungsgerichtshof, zuletzt in seinem Erkenntnis vom 7.11.2008, Zl. U 67/08-9, ausgesprochen, dass willkürliches Verhalten einer Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, dann anzunehmen ist, wenn in einem entscheidenden Punkt jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen wird oder ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren gar nicht stattfindet, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteienvorbringens oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhalts (vgl. VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001). Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (vgl. VfSlg. 13.302/1992 m. w. N., 14.421/1996, 15.743/2000).
Im vorliegenden Fall sind die seitens der Höchstgerichte gestellten Anforderungen an ein rechtsstaatliches Verfahren in qualifizierter Weise unterlassen worden, dies aus folgenden Erwägungen:
Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde das Vorbringen des Erstbeschwerdeführers für unglaubwürdig befunden und aufbauend darauf auch eine (in allen Spruchpunkten) negative Entscheidung in Hinblick auf die anderen Beschwerdeführer getroffen. Zusätzlich wurde betreffend die Zweitbeschwerdeführerin festgehalten, dass bei ihr eine drohende Verfolgung aufgrund eines unislamischen Verhaltens oder einer westlich orientierten Einstellung weder aktuell noch zukünftig habe festgestellt werden können. In Zusammenhang mit den mj. Dritt- bis Siebtbeschwerdeführern wurde im Wesentlichen lediglich ausgeführt, dass sie wie alle anderen Kinder in Afghanistan allgemeinen Einschränkungen unterliegen würden, jedoch bei ihnen keine asylrelevanten Fluchtgründe vorliegen würden.
So können nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Frauen Asyl beanspruchen, die aufgrund eines gelebten "westlich" orientierten Lebensstils bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat verfolgt würden (vgl. zu alldem, auch zum Verständnis bzw. zu der Bedeutung des "westlich orientierten" Lebensstils, etwa VwGH vom 28. Mai 2014; Ra 2014/20/0017; VwGH vom 22.03.2017; Ra 2016/18/0388, oder jüngst VwGH vom 23.01.2018, Ra 2017/18/0301, VwGH vom 22.02.2018, Ra 2017/18/0357 mwN).
Zur "westlichen Gesinnung" hat der Verwaltungsgerichtshof bereits in seiner Entscheidung vom 16.01.2008, 2006/19/0182, ausgeführt, dass "nach der Stellungnahme des UNHCR vom Juli 2003 unter anderem afghanische Frauen, von denen angenommen werde, dass sie soziale Normen verletzen (oder die dies tatsächlich tun), bei einer Rückkehr nach Afghanistan als gefährdet angesehen werden sollten. Diese Kategorie könnte Frauen einschließen, die westliches Verhalten oder westliche Lebensführung angenommen haben, was als Verletzung der sozialen Normen angesehen werde und ein solch wesentlicher Bestandteil der Identität dieser Frauen geworden sei, dass es für diese eine Verfolgung bedeuten würde, dieses Verhalten unterdrücken zu müssen."
Gerade in Hinblick auf diese als hinreichend bekannt vorauszusetzende Judikatur ist es evident, dass die belangte Behörde es unterlassen hat, sich mit den frauenspezifischen Problemen in Afghanistan hinreichend auseinanderzusetzen bzw. spezifischen Ermittlungen zur Situation der Zweitbeschwerdeführerin durchzuführen. Es fehlen jedenfalls ausreichende Ermittlungen bezüglich der Haltung der Zweitbeschwerdeführerin zur Führung eines freibestimmten Lebens nach westlichen Normen, um basierend darauf das Vorliegen einer möglichen vorliegenden Gefährdung der Zweitbeschwerdeführerin bezüglich einer geschlechtsspezifischen Verfolgung - allenfalls bezüglich des Vorliegens eines subjektiven Nachfluchtgrundes - ausschließen zu können. Eine entsprechende Befragung ist vor dem Hintergrund der höchstgerichtlichen Judikatur in Zusammenhang mit der notorischen Lage in Afghanistan von Amts wegen vorzunehmen.
Darüber hinaus wurde im Ermittlungsverfahren nicht darauf hingewirkt, das Fluchtvorbringen des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin hinsichtlich ihrer minderjährigen Kinder zu konkretisieren und sich insbesondere ausreichend mit der allgemeinen Lage von Kindern in Afghanistan sowie der konkreten Lage der Drittbis Siebtbeschwerdeführer in Afghanistan auseinanderzusetzen.
Auch in diesem Zusammenhang wird auf die bereits zum Entscheidungszeitpunkt der Behörde als bekannt vorauszusetzende umfangreiche Judikatur der Höchstgerichte verwiesen.
So hat der Verfassungsgerichtshof bereits mehrfach die Notwendigkeit zum Ausdruck gebracht, auf die Minderjährigkeit von Beschwerdeführern aus Afghanistan sowie ihre allgemeine Gefährdungslage ausreichend einzugehen und hat Entscheidungen ohne eine entsprechende, ausführliche Ermittlungstätigkeit bzw. ohne fundierte Länderfeststellungen hierzu behoben (siehe etwa VfGH vom 21.09.2017, E 2130-2132/2017-14; VfGH vom 11.10.2017, E 1734-1738/2017; VfGH vom 11.10.2017, E 1803-1805/2017-17, oder jüngst VfGH vom 11.06.2018, E1815/2018-10).
Auch der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung immer wieder betont, dass man sich im Fall von Familien mit minderjährigen Kindern in erforderlicher Art und Weise mit den aufgrund der Minderjährigkeit von Kindern bestehenden besonderen Schwierigkeiten bei der Niederlassung in Kabul auseinanderzusetzen habe. In einer aktuellen Entscheidung vom 06.09.2018, Ra 2018/18/0315 hat der Verwaltungsgerichtshof in Hinblick auf die besondere Vulnerabilität von mj. Kindern eine konkrete Auseinandersetzung dazu verlangt, welche Rückkehrsituation diese tatsächlich vorfinden würden. Diesbezüglich befand der Verwaltungsgerichtshof allgemeine Ausführungen zur Lage in Kabul als zu wenig (und verwies in diesem Zusammenhang auf den Umstand, dass die Mission der Vereinten Nationen in Afghanistan im Jahr 2016 die höchste Zahl an minderjährigen Opfern seit Aufzeichnungsbeginn verzeichnet habe); es sei eine konkrete Beurteilung der Versorgungslage (insbesondere der Unterkunftsmöglichkeiten) notwendig.
Insbesondere aufgrund des jungen Alters der fünf Kinder und des Geschlechts der Viert-, Sechst- und Siebtbeschwerdeführerin in Verbindung mit der allgemein bekannten, sehr schlechten Situation für Kinder (die aufgrund ihrer besonderen Vulnerabilität einer Vielzahl von Risiken ausgesetzt sind) und speziell für Mädchen wäre die erstinstanzliche Behörde zur Einholung zusätzlicher Kinder betreffender Länderberichte amtswegig verpflichtet gewesen. In diesem Zusammenhang hat der Verfassungsgerichtshof in einer Entscheidung vom Juni 2018 ausgeführt, dass bei der Behandlung der Anträge auf internationalen Schutz von Minderjährigen, unabhängig davon, ob diese unbegleitet sind oder gemeinsam mit ihren Eltern oder anderen Angehörigen leben, zur Beurteilung der Sicherheitslage einschlägige Herkunftsländerinformationen, in die auch die Erfahrungen der Kinder Eingang finden, bei entsprechend schlechter allgemeiner Sicherheitslage jedenfalls erforderlich sind. Dementsprechend hat der Verfassungsgerichtshof wiederholt die Bedeutung entsprechender und aktueller Länderfeststellungen in Hinblick auf Minderjährige als besonders vulnerable Antragsteller hervorgehoben (vgl. VfGH vom 11.06.2018, E1815/2018-10 mwN).
Im fortgesetzten Verfahren wird das BFA die Zweitbeschwerdeführerin näher zu befragen und abzuklären zu haben, inwieweit sich ihr Leben in Österreich vom Leben in Afghanistan unterscheidet und ob eine oder mehrere Verletzungen afghanischer sozialer Normen vorliegen. Weiters ist festzustellen, inwieweit die neuen Rechte für die Zweitbeschwerdeführerin bereits zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer Identität geworden sind, sodass deren Unterdrückung im Sinne der oben wiedergegebenen Judikatur asylrelevant wäre. Ebenso wird sich das BFA näher mit der spezifischen Situation der mj. Dritt- bis Siebtbeschwerdeführer in Afghanistan auseinanderzusetzen haben. Insbesondere wird zu klären sein, ob die minderjährigen Beschwerdeführer konkreten, unzumutbaren Gefahren und die Viert-, Sechst- und Siebtbeschwerdeführerin allfälligen geschlechtsspezifischen Verfolgungshandlungen ausgesetzt sind bzw. ob sie einen gesicherten Zugang zu angemessener Bildung mit ausreichenden Garantien beim Schulbesuch hätten (siehe an dieser Stelle: VfGH vom 30.11.2017, E2528-2532/2017-24 zur mangelhaften Auseinandersetzung mit den Bildungsmöglichkeiten von drei minderjährigen Mädchen im schulpflichtigen Alter) und sie auch eine adäquate Versorgungslage vorfinden können (vgl. hierzu nochmals VwGH vom 06.09.2018, Ra 2018/18/0315).
Zur Zurückverweisung an die Behörde wird festgestellt, dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, - angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - im konkreten Fall nicht ersichtlich ist. Das Verfahren würde durch eine Entscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht keine Beschleunigung erfahren, zumal die Verwaltungsbehörde durch die bei ihr eingerichtete Staatendokumentation wesentlich rascher und effizienter die notwendigen Ermittlungen nachholen kann.
Da der maßgebliche Sachverhalt aufgrund der Unterlassung notwendiger Ermittlungen seitens der belangten Behörde im gegenständlichen Fall noch nicht feststeht, hat das Bundesverwaltungsgericht in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen und auch vor dem Hintergrund verwaltungsökonomischer Überlegungen und den Effizienzkriterien des § 39 Abs. 2 AVG von dem ihm in § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG eingeräumten Ermessen Gebrauch gemacht und die Angelegenheit zur Erlassung neuer Bescheide an das BFA zurückverwiesen.
Im fortgesetzten Verfahren wird das BFA unter Wahrung des Grundsatzes des Parteiengehörs die dargestellten Mängel zu verbessern haben.
Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:
Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.
Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG entfallen, zumal aufgrund der Aktenlage feststeht, dass die mit den Beschwerden angefochtenen Bescheide aufzuheben sind.
Zu Spruchteil B):
Gemäß § 25 Absatz 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF., hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht vorgekommen.
Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar teilweise zur früheren Rechtslage ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, Kassation, mangelndeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:W153.2181501.1.00Zuletzt aktualisiert am
11.01.2019