TE Bvwg Erkenntnis 2018/10/24 W127 2160000-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.10.2018
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Entscheidungsdatum

24.10.2018

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W127 2160000-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Dr. Fischer-Szilagyi über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH als Mitglieder der ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.04.2017, Zl. 1075961110-150776192, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer ist in die Republik Österreich eingereist und hat am 01.07.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

Bei der Erstbefragung am 03.07.2015 gab der Beschwerdeführer im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Paschtu zu seinem Fluchtgrund an, bei einem Grundstücksstreit zwischen seinem Vater und dessen Cousin sei der Vater des Beschwerdeführers getötet worden. Der Beschwerdeführer habe auch Angst gehabt, getötet zu werden, und habe daher Afghanistan verlassen.

Am 26.11.2016 wurde der Beschwerdeführer vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Paschtu niederschriftlich einvernommen. Befragt zu seinen Problemen in Afghanistan gab der Beschwerdeführer an, es habe sich um Grundstücksprobleme, einen Streit zwischen seinem Onkel und seinem Vater gehandelt. Sein Onkel habe seinen Vater getötet. Der Beschwerdeführer habe sich zu diesem Zeitpunkt in der Schule aufgehalten und sei, nachdem ihn seine Mutter angerufen habe, für fünf Tage zu seinem Schwiegervater gegangen. Dann hätten die Taliban bei seinem Schwiegervater nach ihm gesucht. Daraufhin sei der Beschwerdeführer weggelaufen, zu einem Freund gegangen und habe dann das Land verlassen. Über Nachfrage, warum der Beschwerdeführer Probleme habe, zumal es sich um einen Streit zwischen seinem Onkel und seinem Vater gehandelt habe, gab der Beschwerdeführer an, der Sohn seines Onkels sei bei den Taliban gewesen. Die Taliban hätten ihn auch umbringen wollen und dieser Cousin gehöre zu den Taliban. Der Beschwerdeführer verneinte die Frage nach sonstigen Problemen in Afghanistan und gab an, dass auch seine Eltern und Geschwister keine Probleme hätten. Über Befragen, warum der Beschwerdeführer seinem Onkel das Grundstück nicht verkaufe, gab der Beschwerdeführer an, sein Onkel habe bereits alles.

Im Rahmen der Einvernahme legte der Beschwerdeführer ein Konvolut von Unterlagen betreffend sein Leben und seine Integration in Österreich vor.

Mit Schreiben vom 21.02.2017 übermittelte die beschwerdeführende Partei dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl das Ergebnis einer Recherche zur Lage in Nangarhar.

Mit nunmehr angefochtenem Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) abgewiesen. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt.

In der Begründung führte die belangte Behörde aus, es sei dem Beschwerdeführer nicht gelungen, eine asylrelevante Verfolgung glaubhaft zu machen. Es könne aufgrund der Umstände des Falles aber nicht davon ausgegangen werden, dass sich der Beschwerdeführer (in Afghanistan) eine Existenz aufbauen und sich und seine Ehefrau versorgen könnte.

Hiegegen wurde Rechtsmittel erhoben und der Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl - ausschließlich hinsichtlich des Spruchpunktes I. - angefochten. Die belangte Behörde habe sich überwiegend auf veraltete Länderberichte gestützt, die überdies widersprüchlich seien. Ermittlungen zu Grundstücksstreitigkeiten in Afghanistan, deren Folgen und Art der Austragung sowie inwieweit das örtliche Rechtssystem - insbesondere auch die Volksversammlungen - tatsächlich imstande seien, diese Streitigkeiten beizulegen und ob tatsächlich Gewalttaten verhindert werden könnten, seien unterblieben. Das Bundesverwaltungsgericht habe in mehreren aktuellen Erkenntnissen entschieden, dass das Vorliegen von Grundstücksstreitigkeiten und die Gefahr von Blutrache asylrelevante Verfolgung im Sinne der GFK darstelle. Der Beschwerdeführer zitierte insbesondere im Zusammenhang mit Grundstücksstreitigkeiten aus mehreren Länderberichten und machte Ausführungen zu den Möglichkeiten der Taliban, individuelle Personen in Afghanistan zu finden und zur Schutzfähigkeit afghanischer Behörden. Das Vorbringen des Beschwerdeführers stehe im Einklang mit aktuellen Länderberichten und drohe ihm im Falle einer Rückkehr asylrelevante Verfolgung durch den Onkel väterlicherseits bzw. von Taliban, da der Cousin des Beschwerdeführers Mitglied der Taliban sei. Der Beschwerdeführer fürchte daher aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Personen, die an Grundstücksstreitigkeiten beteiligt seien, asylrelevante Verfolgung.

Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt langten am 01.06.2017 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Das Bundesverwaltungsgericht führte am 10.07.2018 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der das Bundesamt nicht teilnahm. Der Beschwerdeführer wurde im Beisein seiner Vertreterin, zweier Vertrauenspersonen und einer Dolmetscherin für die Sprache Paschtu zu seinen Fluchtgründen und zu seiner Situation in Österreich befragt und wurde ihm Gelegenheit gegeben, zu den aktuellen Feststellungen zur Situation in Afghanistan Stellung zu nehmen. Über Ersuchen der Beschwerdeführervertreterin wurde eine Frist von 14 Tagen für eine schriftliche Stellungnahme eingeräumt.

Mit Stellungnahme vom 23.07.2018 erstattete der Vertreterin des Beschwerdeführers weiteres Vorbringen insbesondere zu Blutrache bzw. Blutfehden, staatlicher Schutzfähigkeit in Afghanistan und Grundstücksstreitigkeiten. Durch den Mord am Vater des Beschwerdeführers sei die Ehre des Beschwerdeführers und seiner Familie verletzt worden. Unabhängig davon, ob der Beschwerdeführer Rache nehmen würde oder nicht, würden der Onkel väterlicherseits bzw. der Cousin den Beschwerdeführer töten, um eine mögliche Rachenahme zu verhindern. Der Beschwerdeführer befinde sich aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung aus Gründen seiner Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie außerhalb Afghanistans und sei nicht in der Lage bzw. im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt, sich des Schutzes des afghanischen Staates zu bedienen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan, der Volksgruppe der Paschtunen zugehörig und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben. Er ist in das Bundesgebiet eingereist und hat am 14.09.2015 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

Der Beschwerdeführer ist in Afghanistan in der Provinz Nangarhar im Distrikt XXXX geboren und hat dort bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan gelebt. Der Vater des Beschwerdeführers ist bereits verstorben, die Mutter, die Geschwister und die Ehefrau des Beschwerdeführers leben weiterhin in Afghanistan. Im Jahr 2015 hat der Beschwerdeführer Afghanistan verlassen und ist nach Österreich gereist.

Der Beschwerdeführer ist volljährig, unbescholten, verheiratet und hat keine Kinder. Die Familienangehörigen des Beschwerdeführers leben weiterhin in seinem Heimatdistrikt.

Der Vater des Beschwerdeführers wurde im Zuge von Grundstücksstreitigkeiten vom Onkel des Beschwerdeführers getötet. Der Beschwerdeführer war bei diesem Vorfall nicht anwesend und war persönlich nicht in die Auseinandersetzung involviert. Nachdem der Beschwerdeführer Afghanistan verlassen hat, hat der genannte Onkel die betreffenden Grundstücke in Besitz genommen.

Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer physische oder psychische Gewalt seitens seines Onkels oder Cousins droht. Es kann auch nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer in Afghanistan individuelle Verfolgung seitens der Taliban droht.

Ferner kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer in Afghanistan aufgrund seiner Volksgruppen- oder Religionszugehörigkeit Gewalt oder Diskriminierung von erheblicher Intensität droht. Weiters haben sich keine Anhaltpunkte ergeben, dass eine Asylantragstellung im Ausland oder eine rechtswidrige Ausreise zu Sanktionen oder Repressionen in Afghanistan führen würde.

Zur allgemeinen Lage in Afghanistan und der Situation des Beschwerdeführers bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat wird Folgendes festgestellt:

In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2016 mehr als 33,3 Millionen Menschen. Schätzungen zufolge sind 40 % Pashtunen, rund 30 % Tadschiken, ca. 10 % Hazara, 9 % Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnischen Minderheiten. Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen können allerdings weiterhin in Konflikten und Tötungen resultierten.

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren. Ausländische Streitkräfte und Regierungsvertreter sowie die als ihre Verbündeten angesehenen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte und Vertreter der afghanischen Regierung sind prioritäre Ziele der Aufständischen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen auf staatliche Einrichtungen aus.

Die Provinz Nangarhar ist eine überwiegend von Paschtunen bewohnte Provinz im Osten Afghanistans. Die Sicherheitslage hat sich in den letzten Jahren verschlechtert und es kommt zu zahlreichen sicherheitsrelevanten Vorfällen insbesondere mit Aufständischen der Taliban, aber auch mit dem IS. Anhänger sowohl der Taliban als auch des IS verfügen in mehreren Distrikten - insbesondere im Süden der Provinz - über eine Präsenz. Nangarhar war im Jahr 2017 die Provinz mit den meisten registrierten Anschlägen.

Das afghanische Justizwesen beruht sowohl auf dem islamischen als auch auf dem nationalen Recht. Einerseits sieht die Verfassung das Gesetzlichkeitsprinzip und die Wahrung der völkerrechtlichen Abkommen, einschließlich Menschenrechtsverträge, vor, andererseits formuliert sie einen unwiderruflichen Scharia-Vorbehalt. Das Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren ist in der Verfassung verankert, wird aber in der Praxis selten umgesetzt. Die Umsetzung der rechtlichen Bestimmungen ist innerhalb des Landes uneinheitlich. Obwohl das islamische Gesetz in Afghanistan üblicherweise akzeptiert wird, stehen traditionelle Praktiken nicht immer mit diesem in Einklang; oft werden die Bestimmungen des islamischen Rechts zugunsten des Gewohnheitsrechts missachtet, welches den Konsens innerhalb der Gemeinschaft aufrechterhalten soll. Unter den religiösen Führern in Afghanistan bestehen weiterhin tiefgreifende Auffassungsunterschiede darüber, wie das islamische Recht tatsächlich zu einer Reihe von rechtlichen Angelegenheiten steht. Die mangelnde Präsenz eines formellen Rechtssystems in ruralen Gebieten führt zur Nutzung lokaler Schlichtungsmechanismen wie Schuras und Jirgas. In einigen Gebieten außerhalb der Regierungskontrolle setzen die Taliban ein paralleles auf der Scharia basierendes Rechtssystem um. Korruption stellt weiterhin ein Problem innerhalb des Gerichtswesens dar; Richter und Anwälte sind oftmals Ziel von Bedrohung oder Bestechung durch lokale Anführer oder bewaffnete Gruppen, um Entlassungen oder Reduzierungen von Haftstrafen zu erwirken. Wegen der Langsamkeit, der Korruption, der Ineffizienz und der politischen Prägung des afghanischen Justizwesens hat die Bevölkerung wenig Vertrauen in die Judikative.

Gemäß althergebrachter Verhaltens- und Ehrvorstellungen töten bei einer Blutfehde die Mitglieder einer Familie als Vergeltungsakte die Mitglieder einer anderen Familie. In Afghanistan sind Blutfehden in erster Linie eine Tradition der Paschtunen und im paschtunischen Gewohnheitsrechtssystem Paschtunwali verwurzelt, kommen jedoch Berichten zufolge auch unter anderen ethnischen Gruppen vor. Blutfehden können durch Morde ausgelöst werden, aber auch durch andere Taten wie die Zufügung dauerhafter, ernsthafter Verletzungen, Entführung oder Vergewaltigung verheirateter Frauen oder ungelöster Streitigkeiten um Land, Zugang zu Wasser oder Eigentum. Blutfehden können zu langanhaltenden Kreisläufen aus Gewalt und Vergeltung führen. Nach dem Paschtunwali muss die Rache sich grundsätzlich gegen den Täter selbst richten, unter bestimmten Umständen kann aber auch der Bruder des Täters oder ein anderer Verwandter, der aus der väterlichen Linie stammt, zum Ziel der Rache werden. Im Allgemeinen werden Berichten zufolge Racheakte nicht an Frauen und Kindern verübt. Wenn die Familie des Opfers nicht in der Lage ist, sich zu rächen, dann kann, wie aus Berichten hervorgeht, die Blutfehde erliegen, bis die Familie des Opfers sich für fähig hält, Racheakte auszuüben. Daher kann sich die Rache Jahre oder sogar Generationen nach dem eigentlichen Vergehen ereignen. Die Bestrafung des Täters im Rahmen des formalen Rechtssystems schließt gewaltsame Racheakte durch die Familie des Opfers nicht notwendigerweise aus. Sofern die Blutfehde nicht durch eine Einigung mit Hilfe traditioneller Streitbeilegungsmechanismen beendet wurde, kann Berichten zufolge davon ausgegangen werden, dass die Familie des Opfers auch dann noch Rache gegen den Täter verüben wird, wenn dieser seine offizielle Strafe bereits verbüßt hat.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers sowie zu seiner Herkunft und seinen Familienangehörigen beruhen auf seinen plausiblen, im Wesentlichen gleichbleibenden Angaben im Laufe des Asylverfahrens.

Die Feststellungen zur Einreise und Antragstellung des Beschwerdeführers in Österreich ergeben sich aus dem Inhalt des Verwaltungsaktes und dem damit in Einklang stehenden Vorbringen des Beschwerdeführers.

Die Feststellung der Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus einer aktuellen Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich.

Die Länderfeststellungen beruhen auf den ins Verfahren eingebrachten Länderberichten, insbesondere dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018, das basierend auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger unbedenklicher Quellen einen in den Kernaussagen schlüssigen Überblick über die aktuelle Lage in Afghanistan gewährleistet.

Ergänzend wurden hinsichtlich der Feststellungen zu Blutfehden in Afghanistan die auch vom Beschwerdeführer im Schriftsatz vom 23.07.2018 ins Treffen geführten UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016 herangezogen.

Angesichts der Seriosität der genannten Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, sodass sie den Feststellungen zur Situation in Afghanistan zugrunde gelegt werden konnten. Im Ergebnis ist auch nicht zu erkennen, dass sich seit der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht in Afghanistan allgemein und für den gegenständlichen Fall relevant eine entscheidende Lageveränderung ergeben hätte.

Die beschwerdeführende Partei ist den im Rahmen der Beschwerdeverhandlung ins Verfahren eingebrachten Länderberichten nicht konkret entgegengetreten und hat im Rahmen ihrer Stellungnahme vom 23.07.2018 im Wesentlichen lediglich ergänzend weitere Berichte ins Treffen geführt. Auch die darin enthaltenen Informationen sind allerdings nicht geeignet, die in den Feststellungen zur Situation in Afghanistan enthaltenen Kernaussagen zu widerlegen, sondern sind überwiegend mit diesen in Einklang zu bringen.

Zu den Feststellungen betreffend die Fluchtgründe des Beschwerdeführers ist Folgendes auszuführen:

Der Beschwerdeführer hat sowohl in der Erstbefragung als auch vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und vor dem Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen gleichbleibend angegeben, dass bei einer Rückkehr nach Afghanistan sein Leben aufgrund eines Grundstücksstreits, bei dem bereits sein Vater getötet worden sei, durch seinen Onkel bzw. durch dessen Sohn (den Cousin des Beschwerdeführers) bedroht sei. Das dahingehende Vorbringen des Beschwerdeführers war plausibel, mit den Länderberichten in Einklang zu bringen und daher als glaubhaft zu beurteilen.

Soweit der Beschwerdeführer allerdings eine Bedrohung durch Taliban, denen der Cousin des Beschwerdeführers angehöre, behauptet hat, haben sich Ungereimtheiten in seinem Vorbringen ergeben:

Im Rahmen der freien Erzählung seiner Ausreisegründe bei der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 28.11.2016 hat der Beschwerdeführer angegeben, als er sich nach dem Tode seines Vaters bei seinem Schwiegervater versteckt habe, hätten ihn "die Taliban" gesucht und seien "Taliban" zu seinem Schwiegervater gekommen. In der mündlichen Verhandlung am 10.07.2018 führte der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang hingegen aus, sein Cousin väterlicherseits sei zu seinem Schwiegervater gekommen und habe dessen Haus nach dem Beschwerdeführer durchsuchen wollen. Der Beschwerdeführer steigerte sein Vorbringer zwar insoweit, als er nunmehr angegeben hat, der Schwiegervater habe die Durchsuchung verweigert und sei daraufhin geschlagen worden, eine Bedrohung durch Taliban wurde vom Beschwerdeführer jedoch aus Eigenem nicht ins Treffen geführt. Erst über dahingehenden Vorhalt gab der Beschwerdeführer an, dass sein Cousin bei den Taliban sei und diese mitgebracht habe. Die Erklärung des Beschwerdeführers vermag allerdings im Ergebnis nicht zu überzeugen, zumal der Beschwerdeführer in seiner Erzählung vor dem Bundesverwaltungsgericht betreffend den genannten Vorfall (zunächst) nur von seinem Cousin und nicht von weiteren Personen gesprochen hat. Die Behauptung des Beschwerdeführers, er habe das "genauso vor dem BFA ausgeführt", dass sein Cousin bei den Taliban sei und in Begleitung der Taliban zu seinem Schwiegervater gekommen sei, ist mit den im Rahmen der Beschwerdeverhandlung protokollierten Angaben, die der Beschwerdeführer über Aufforderung, seine Fluchtgründe zu schildern, gemacht hat (vgl. Verhandlungsprotokoll S. 4), nicht in Einklang zu bringen.

Nicht nachvollziehbar ist weiters, warum der Beschwerdeführer die in der mündlichen Verhandlung ins Treffen geführte Jirga, die nach mehrmaliger Verletzung seines Vaters im Zuge des Grundstücksstreits mit dem Onkel einberufen worden sei, nicht bereits vor der belangten Behörde angegeben hat. Die dahingehende Erklärung des Beschwerdeführers, er sei vom Bundesamt nicht danach gefragt worden, geht ins Leere, zumal der Beschwerdeführer auch vom Bundesverwaltungsgericht nicht nach einer Jirga gefragt wurde, sondern im Rahmen der freien Erzählung von sich aus davon berichtet hat.

Im Gesamtzusammenhang betrachtet weisen die Angaben des Beschwerdeführers sohin Widersprüche und Ungereimtheiten in zentralen Teilen seines Fluchtvorbringens auf, welche der Beschwerdeführer nicht nachvollziehbar zu klären vermochte. Im Zuge des Verfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht hat sich der Eindruck verstärkt, dass der Beschwerdeführer hinsichtlich einer gegen ihn gerichteten Bedrohung eine konstruierte Geschichte wiedergegeben hat, und war daher sein diesbezügliches Vorbringen als unglaubhaft zu werten. Somit war nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan einer konkret gegen ihn gerichteten Bedrohung ausgesetzt war bzw. ist.

Zu der erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vorgebrachten Bedrohung des Beschwerdeführers durch eine Zwangsrekrutierung durch Taliban ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer diesbezüglich keinerlei konkrete Anhaltpunkte angegeben und sich lediglich auf eine dahingehende Befürchtung seiner Mutter gestützt hat, ohne diese näher zu begründen.

Die Feststellungen hinsichtlich einer nicht bestehenden Gefährdung des Beschwerdeführers aufgrund seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seiner Asylantragstellung sowie seiner rechtswidrigen Ausreise beruhen auf den ins Verfahren eingebrachten Länderberichten bzw. wurde auch keine über die oben dargestellten Fluchtgründe hinausgehende drohende Verfolgung substantiiert vorgebracht.

Der Beschwerdeführer hat insbesondere auch hinsichtlich eines ihm bei einer Rückkehr allenfalls unterstellten Glaubensabfalls kein hinreichend konkretes Vorbringen erstattet, zumal er weiterhin der sunnitischen Glaubensgemeinschaft angehört und im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan bei einer Teilnahme an religiösen Aktivitäten keine Zweifel am Glauben des Beschwerdeführers zu erwarten sind. Auch den aktuellen Länderberichten sind - ohne Hinzutreten weiterer, gefahrenerhöhender Umstände - keine Anhaltspunkte für eine politisch oder religiös motivierte Verfolgung von Rückkehrern aus Europa bzw. aus dem "Westen" zu entnehmen (vgl. auch das Gutachten von Dr. Rasuly vom 15.02.2017: BVwG 24.04.2017, W119 2142462-1/10E).

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet über Beschwerden Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl das Bundesverwaltungsgericht.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt Einzelrichterzuständigkeit vor.

Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen (§ 28 Abs. 1 VwGVG).

Zu A)

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Artikel 9 der Statusrichtlinie verweist).

Flüchtling im Sinne des Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074 uva.). Verlangt wird eine "Verfolgungsgefahr", wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (vgl. VwGH 10.06.1998, 96/20/0287). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten (VwGH 24.02.2015, Ra 2014/18/0063); auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. VwGH 28.01.2015, Ra 2014/18/0112 mwN). Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).

Die Voraussetzung der "wohlbegründeten Furcht" vor Verfolgung wird in der Regel aber nur erfüllt, wenn zwischen den Umständen, die als Grund für die Ausreise angegeben werden, und der Ausreise selbst ein zeitlicher Zusammenhang besteht (vgl. VwGH 17.03.2009, 2007/19/0459). Relevant kann nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. u.a. VwGH 20.06.2007, 2006/19/0265 mwN).

Auch wenn in einem Staat allgemein schlechte Verhältnisse bzw. sogar bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen sollten, so liegt in diesem Umstand für sich alleine noch keine Verfolgungsgefahr im Sinne der Flüchtlingskonvention. Um asylrelevante Verfolgung erfolgreich geltend zu machen, bedarf es daher einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Heimatstaates treffenden Unbilligkeiten hinausgeht (vgl. hiezu VwGH 21.01.1999, 98/18/0394; 19.10.2000, 98/20/0233 mwH). Eine allgemeine desolate wirtschaftliche und soziale Situation kann nach ständiger Judikatur nicht als hinreichender Grund für eine Asylgewährung herangezogen werden (vgl. VwGH 17.06.1993, 92/01/1081; 14.03.1995, 94/20/0798).

Die vom Beschwerdeführer vorgebrachte Bedrohung beruht überwiegend auf einem langjährigen Grundstücksstreit zwischen seinem Vater und dessen Bruder. Da der Onkel des Beschwerdeführers das dem Streit zugrundeliegende Grundstück nach der Tötung des Vaters des Beschwerdeführers bereits in Besitz genommen hat, sind dem festgestellten Sachverhalt keine konkreten Anhaltspunkte für eine dem Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang drohende Gefahr zu entnehmen und ist daher nicht von einer begründeten Furcht vor Verfolgung auszugehen.

Eine konkrete Bedrohung des Beschwerdeführers durch seinen Onkel bzw. seinen Cousin konnte nicht festgestellt werden, und auch wenn der Onkel bzw. der Cousin den Beschwerdeführer aufgrund einer möglichen Geltendmachung seiner Erbansprüche bedrohen würde, mangelt es diesem Sachverhalt an einem hinreichenden Zusammenhang mit einem Konventionsgrund: Insbesondere kommt auch eine drohende Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (der Familie) diesbezüglich nicht in Betracht, da der Grund für mögliche Verfolgungshandlungen nicht in der Familienzugehörigkeit des Beschwerdeführers läge, sondern durch sein Erbrecht begründet wäre, das eine weitere Inanspruchnahme des Grundes durch den Onkel verhindern könnte. Private Grundstücksstreitigkeiten sind grundsätzlich nicht asylrelevant (vgl. VwGH 14.01.2003, 2001/01/0432).

Zu der in der Rechtsmittelschrift ins Treffen geführten "sozialen Gruppe der Personen, die an Grundstücksstreitigkeiten beteiligt sind" ist festzuhalten, dass eine soziale Gruppe nicht ausschließlich dadurch definiert werden kann, dass sie Zielscheibe von Verfolgung ist (vgl. VwGH 22.03.207, Ra 2016/19/0350, mwH).

Soweit erstmals in der mündlichen Verhandlung - lediglich auf Vermutungen gestützt - eine dem Beschwerdeführer drohende "vorbeugende" Verfolgung wegen befürchteter Blutrache vorgebracht wurde, konnten hierfür keine konkreten Hinweise festgestellt werden. Das Vorbringen des Beschwerdeführers betreffend eine individuelle Bedrohung vor seiner Abreise - auch durch Taliban - hat sich als unglaubhaft erwiesen und auch sonst sind unter Berücksichtigung seiner Ausreise aus Afghanistan und der mehrjährigen Abwesenheit keine hinreichenden Anhaltspunkte erkennbar, warum die Personen, die für die Tötung seines Vaters verantwortlich sind, eine von Seiten des Beschwerdeführers drohende Blutrache befürchten sollten.

Es kann somit nicht davon ausgegangen werden, dass dem Beschwerdeführer asylrelevante Verfolgung in Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit droht.

Da sich weder aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers noch aus internationalen Länderberichten hinreichende Anhaltspunkte für eine Verfolgung des Beschwerdeführers ergeben haben, ist kein unter

Artikel 1 Abschnitt A Ziffer 2 der Genfer Flüchtlingskonvention zu subsumierender Sachverhalt ableitbar.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Artikel 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab noch fehlt es an einer Rechtsprechung (siehe die oben zitierte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, aber auch des Verfassungsgerichtshofes und des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Blutrache, Glaubwürdigkeit, individuelle Gefährdung, mangelnde
Asylrelevanz, private Streitigkeiten, private Verfolgung, soziale
Gruppe, Zwangsrekrutierung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W127.2160000.1.00

Zuletzt aktualisiert am

10.01.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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