Entscheidungsdatum
30.10.2018Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W163 2000918-3/4E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Daniel LEITNER als Einzelrichter über die Beschwerde des Herrn XXXX, geboren am XXXX, Staatsangehörigkeit Indien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.10.2018, Zahl XXXX, zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs 2 VwGVG iVm § 68 Abs 1 AVG stattgegeben und der angefochtene Bescheid wird behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang und Sachverhalt
I.1. Erstes Verfahren
1.1.1. Der Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein indischer Staatsangehöriger aus dem Bundesstaat Punjab, Angehöriger der Glaubensgemeinschaft der Sikhs und ledig, reiste nach seinen Angaben am 30.11.2013 irregulär und schlepperunterstützt in Österreich ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG). Eine EURODAC-Abfrage ergab keine Übereinstimmung bezüglich der erkennungsdienstlichen Daten des BF.
1.1.2. In seiner Erstbefragung am 30.11.2013 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Polizeiinspektion (PI) Traiskirchen, Erstaufnahmestelle (EAST), gab der BF im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Punjabi im Wesentlichen zum Fluchtgrund Folgendes an: Der Cousin hätte in Indien jemanden getötet. Die Angehörigen des Getöteten hätten bei der Polizei insgesamt vier Namen von beschuldigten Familienmitgliedern angegeben, darunter auch den Namen des BF. Zwei der vier benannten Personen seien schon in Haft, weshalb der BF aus Furcht vor einer möglichen Haftstrafe Indien verlassen hätte. Es gebe diesbezüglich auch Beweise, nur habe er diese nicht mit.
1.1.3. Der BF wurde zum materiellen Asylverfahren zugelassen und am 04.12.2013 vor dem Bundesasylamt (in der Folge BAA), Außenstelle Traiskirchen, im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Punjabi einvernommen. Dabei gab er im Wesentlichen zum Fluchtgrund an, er sei mit drei Cousins im Dorf unterwegs gewesen, um einen Burschen zur Rede zu stellen, der eine Beziehung zu einer Cousine gehabt hätte. Es sei zu einem Streit gekommen und einer der Cousins hätte den Burschen umgebracht. Die Familie des Verstorbenen hätte Anzeige erstattet und die Familie seien Anhänger der Alkali Dal. Der BF und seine Familie seien Sympathisanten der Congress (Partei). Zwei Cousins seien festgenommen worden und der BF sei zu seinen Großeltern nach UP gefahren. Der Onkel hätte den Schlepper organsiert. Zu seinem Fluchtgrund machte der BF auf Nachfrage weitere - allerdings im Wesentlichen knappe und vage - Angaben.
1.1.4. Nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens wies das BAA mit Bescheid vom 09.12.2013, Zahl XXXX, den Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 30.11.2013 gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm den Status eines Asylberechtigten ebenso wie gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Indien nicht zu (Spruchpunkt II.) und verband diese Entscheidung gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG mit einer Ausweisung nach Indien (Spruchpunkt III.).
In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person des BF und zur Lage in seinem Herkunftsstaat. Eine asylrelevante Verfolgung liege nicht vor. Er habe keine Verfolgung im Sinne des AsylG glaubhaft gemacht, und es bestünden keine stichhaltigen Gründe gegen eine Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung des BF sowie gegen eine Ausweisung des BF nach Indien. Im Falle der Rückkehr drohe ihm keine Gefahr, die eine Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würde, Abschiebungshindernis läge keines vor.
Das BAA beurteilte das Fluchtvorbringen des BF als extrem vage, unsubstantiiert und widersprüchlich, weshalb er keine Glaubwürdigkeit erlangen hätte können.
Weiters lägen beim BF keine individuellen Umstände vor, die dafür sprächen, dass er bei einer Rückkehr nach Indien in eine extreme Notlage gerate, die eine unmenschliche Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK darstellen würde.
1.1.5. Gegen diesen Bescheid erhob der BF mit undatiertem Schreiben seines gewillkürten Vertreter am 23.12.2013 fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde, mit dem der Bescheid gesamtinhaltlich angefochten wurde.
1.1.6. Mit Erkenntnis vom 10.11.2014, Zahl XXXX, wies das BVwG die Beschwerde hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides gemäß §§ 3 Abs. 1 und 8 Abs. 1 Z 1 AsylG als unbegründet ab (Asyl und subsidiärer Schutz). Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides (Ausweisung bzw. Rückkehrentscheidung) wurde aufgehoben und das Verfahren insoweit gemäß § 75 Abs. 20 AsylG zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das nunmehr zuständige Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA) zurückverwiesen.
1.1.7. Mit Bescheid vom 04.08.2016, Zl. 831761110-1760984, erließ das BFA gemäß § 10 Abs. 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG wurde ihm nicht erteilt. Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Indien zulässig sei und gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.
1.1.8. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 07.11.2016, GZ: XXXX, gemäß §§ 10, 55 und 57 AsylG 2005 in Verbindung mit § 9 BFA-VAG sowie §§ 46, 52 und 55 Fremdenpolizeigesetz als unbegründet ab.
I.2. Beschwerdegegenständliches Zweitverfahren
1.2.1. Am 30.04.2018 stellte der BF den gegenständlichen zweiten Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005.
1.2.2. In seiner Erstbefragung am 30.04.2018 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der BF auf konkrete Frage an, dass er Österreich nach Abschluss seines ersten Asylverfahrens verlassen hätte. Er sei aus Österreich im Mai 2017 in die Ukraine gereist, dann nach Nepal und nach Indien, wo er sich bis Februar 2018 aufgehalten hätte. Im Februar sei er nach Russland gereist und am 24./25. April sei er in Österreich eingereist. Zu den Gründen der neuerlichen Antragstellung befragt gab der BF zusammengefasst an, es hätten sich neue Verfolgungsgründe ergeben. Ein Verwandter namens XXXX sei ein "Gangster" und sei von der Polizei am 26.01.2018 erschossen worden. Danach sei der BF von der Polizei schikaniert worden, weil dieser Verwandte auch oft mit dem BF telefoniert hätte. Die Polizei hätten den BF oft mitgenommen und ihn sowie andere Personen beschuldigt, Mittäter zu sein. XXXX sei kriminell gewesen und hätte viele Leute umgebracht. Aus diesem Grund hätte der BF Indien wieder verlassen, weil er eine Inhaftierung durch die Polizei befürchte.
1.2.3. Bei der Einvernahme vor dem BFA am 11.05.2018 wiederholte der BF die Angaben zu seiner Ausreise nach Abweisung seines ersten Asylantrages sowie seine Angaben zur neuerlichen Einreise ins Bundesgebiet. Auf konkrete Fragen gab er an, er hätte sich nach seiner Rückkehr ca. 10 Monate in Indien aufgehalten und er sei am
21. oder 22. Februar 2018 aus Indien ausgereist. Auf konkrete Frage gab er an, er besitze keinen Reisepass und hätte vom Schlepper einen Fremdenpass gehabt. Auf die Frage, ob er Beweise hätte, dass er in Indien gewesen wäre, verwies der BF auf Unterlagen zu einem Aufenthalt in einem Krankenhaus im Jahr 2017 sowie auf einen Haftbefehl gegen ihn, die er sich schicken lassen könne.
Zu den Gründen, warum er Indien neuerlich verlassen hätte gab der BF zusammengefasst an, er hätte wieder Probleme gehabt. Am 26.01.2018 sei XXXX, ein Gangsterboss, von der Polizei erschossen worden. Die Polizei hätte die Telefone ausgewertet und "seine Kontakte belästigt". XXXX sei ein Verwandter des BF gewesen und hätte sie (die Familie des BF) öfters besucht, deshalb sei die Polizei hinter ihm her gewesen. Auch die Gegner des XXXX hätten den BF verfolgt. Auf konkrete Fragen gab der BF an, dass XXXXder Sohn der Tochter seines Onkels mütterlicherseits wäre. Befragt, ob er Beweise darüber hätte, dass er von der Polizei "belästigt", bzw. von den Gegner XXXXverfolgt worden wäre, verwies der BF auf Dokumente zu den Ermittlungen der Polizei. Der BF wurde vom BFA aufgefordert, die angesprochenen Dokumente binnen bestimmter Frist vorzulegen. Der BF legte ein in Punjabi verfasster Schreiben vor, zudem das BFA eine Übersetzung veranlasste. Zudem legte der BF eine in English verfasste Bestätigung eines Krankenhauses vor.
1.2.4. Mit Verfahrensanordnung vom 20.07.2018 wurde das Verfahren gemäß § 28 AsylG zugelassen.
1.2.5. Am 02.08.2018 wurde der BF neuerlich vor dem BFA einvernommen. Auf konkrete Fragen wiederholte der BF die Angaben zu seiner Ausreise nach Abschluss des ersten Asylverfahren sowie zu seiner neuerlichen Einreise ins Bundesgebiet. Auf konkrete Fragen zu seinen Fluchtgründen gab der BF an, dass XXXX am 26.01.2018 erschossen worden wäre und ein Mann aus dem Dorf Anzeige gegen den BF erstattet hätte. Mit diesem Mann hätte es einen "alten Streit" gegeben und er hätte den Großvater des BF getötet. Dieser Mann namens XXXX hätte behauptet, dass er mit dem Gangster XXXX, der ein Großcousin des BF sei, zusammen sei.
1.2.6. Mit dem im Spruch genannten Bescheid, zugestellt am 12.10.2018, wurde der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt I.).
Dem BF wurde gemäß § 57 AsylG 2005 wurde ein ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz (FPG) erlassen und weiters gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Indien zulässig sei (Spruchpunkt II.). Weiters wurde innerhalb des Spruches ausgeführt, dass gem. § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt III.) und gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG ein auf die Dauer von 2 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.
Das BFA stellte im Wesentlichen fest, dass der BF keinen glaubhaften Sachverhalt vorgebracht hat, der nach rechtskräftigem Abschluss des Erstverfahrens entstanden sei und es könne insgesamt kein glaubhafter, neuer entscheidungsrelevanter Sachverhalt festgestellt werden. Die im gegenständlichen Verfahren dargestellten Angaben hinsichtlich seines Fluchtgrundes, dass der Großcousin von der Polizei ermordet worden wäre und dass der BF in Indien von einem Nachbar angezeigt worden wäre, reiche für die Begründung des neuerlichen Antrages nicht aus, einen neuen, gegenüber dem früheren Asylantrag wesentlich geänderten entscheidungsrelevanten Sachverhalt entstehen zu lassen. Der BF hätte seine Aussage auch auf keinerlei Beweise stützen können und hätte auch keine nachvollziehbaren Gründe für das bisherige Verschweigen dieser Gründe glaubhaft machen können. Der BF hätte angegeben, das Bundesgebiet selbständig verlassen zu haben, hätte sich aber weder an die Reiseroute noch an "eine genaue Uhrzeit" seiner Reise erinnern können. Er hätte keine Flugtickets vorgelegt und als einziges Beweismittel einen Arztbrief auf Englisch und eine Anzeige vorgelegt. Nach der Wiedergabe der eingebrachten Länderfeststellungen zu Dokumenten unwahren Inhalts und zum Zugang zu gefälschten Dokumenten führte das Bundesamt aus, dass der BF keinen glaubhaften und neu entstanden Sacherhalt vorgebracht hat, welcher nach Abschluss seines vorherigen Asylverfahrens entstanden wäre. Das Bundesamt könne sohin nur zum zwingenden Schluss kommen, dass der objektive und entscheidungsrelevante Sachverhalt unverändert sei.
1.2.7. Gegen den unter I.2.6. genannten Bescheid des BFA richtet sich die fristgerecht beim BFA eingebachte und mit 15.10.2018 datiere Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG).
1.2.8. Die Beschwerde und die bezughabenden Verwaltungsakten wurden dem BVwG am 19.10.2018 vom BFA vorgelegt.
II. Beweiswürdigung
Der Verfahrensgang und der oben festgestellte Sachverhalt ergeben sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA und des Gerichtsakts des BVwG.
III. Rechtliche Beurteilung
III.1. Anzuwendendes Recht
Mit 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 in der geltenden Fassung) und ist auf die ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, anzuwenden.
Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013 in der geltenden Fassung, entscheidet das BVwG durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes - AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.
§ 28 VwGVG lautet:
(1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
§ 1 BFA-Verfahrensgesetz - BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012 in der geltenden Fassung, bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem BVwG gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG 2005 und Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG bleiben unberührt.
§ 21 Abs. 3 BFA-VG in der geltenden Fassung lautet:
(3) Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.
Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-VG entscheidet über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA das BVwG.
§ 16 Abs. 6 und § 18 Abs. 7 BFA-VG bestimmen für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, dass §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden sind.
Gemäß § 18 AsylG hat die Behörde in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Bescheinigungsmittel für die Angaben bezeichnet oder die angebotenen Bescheinigungsmittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Bescheinigungsmittel auch von Amts wegen beizuschaffen.
§ 75 Abs. 23 AsylG lautet:
Ausweisungen, die gemäß § 10 in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 87/2012 erlassen wurden, bleiben binnen 18 Monaten ab einer Ausreise des Fremden aufrecht. Diese Ausweisungen gelten als aufenthaltsbeendende Maßnahmen gemäß dem 1. oder 3. Abschnitt des 8. Hauptstückes des FPG in der Fassung nach dem Bundesgesetz BGBl. I Nr.87/2012.
III.2. Rechtlich folgt daraus:
III.2.1. Die gegenständliche zulässige und rechtzeitige Beschwerde wurde am 17.10.2018 beim BFA eingebracht und ist nach Vorlage am 19.10.2018 beim BVwG eingegangen. Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des BVwG zuständigen Einzelrichter.
Zu Spruchteil A):
Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids:
III.2.2. Gegenstand des Verfahrens ist ein Bescheid des BFA, mit dem der Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 30.04.2018 gemäß § 68 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen worden ist.
Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 AVG die Abänderung eines der Beschwerde nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, wenn die Behörde nicht Anlass zu einer Verfügung gemäß § 68 Abs. 2 bis 4 AVG findet. Diesem ausdrücklichen Begehren auf Abänderung steht ein Ansuchen gleich, das bezweckt, eine Sache erneut inhaltlich zu behandeln, die bereits rechtskräftig entschieden ist (VwGH 30.09.1994, 94/08/0183; VwGH 30.05.1995, 93/08/0207; VwGH 09.09.1999, 97/21/0913; VwGH 07.06.2000, 99/01/0321).
"Entschiedene Sache" im Sinne des § 68 Abs. 1 AVG liegt vor, wenn sich gegenüber dem Vorbescheid weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt (VwGH 09.09.1999, 97/21/0913; VwGH 27.09.2000, 98/12/0057; VwGH 25.04.2002, 2000/07/0235). Einem zweiten Asylantrag, der sich auf einen vor Beendigung des Verfahrens über den ersten Asylantrag verwirklichten Sachverhalt stützt, steht die Rechtskraft des Vorbescheides entgegen (VwGH 10.06.1998, 96/20/0266).
III.2.3. Bei einer Überprüfung einer gemäß § 68 Abs. 1 AVG bescheidmäßig abgesprochenen Zurückweisung eines Antrages auf internationalen Schutz hat es lediglich darauf anzukommen, ob sich die Zurückweisung auf ein rechtskräftig abgeschlossenes Verfahren bei gleich bleibender Sach- und Rechtslage stützen durfte. Dabei hat die Prüfung der Zulässigkeit der Durchbrechung der Rechtskraft auf Grund geänderten Sachverhaltes nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH ausschließlich anhand jener Gründe zu erfolgen, die von der Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens auf neuerliche Entscheidung geltend gemacht worden sind. Derartige Gründe können in der Berufung (hier: Beschwerde) nicht neu geltend gemacht werden (VwGH 06.10.1961, VwSlg. 5642 A; 28.11.1968, Zl. 0571/68; 30.06.1992, Zl. 89/07/0200; 20.04.1995, Zl. 93/09/0341; 23.05.1995, Zl. 94/04/0081; zur Frage der Änderung der Rechtslage während des anhängigen Berufungsverfahrens siehe VwSlg. 12.799 A). Dies bezieht sich auf Sachverhaltsänderungen, die in der Sphäre des Antragstellers gelegen sind. Allgemein bekannte Tatsachen sind dagegen jedenfalls auch von Amts wegen zu berücksichtigen (VwGH 29.06.2000, Zl. 99/01/0400; 07.06.2000, Zl. 99/01/0321).
III.2.4. Dem geänderten Sachverhalt muss nach der ständigen Judikatur des VwGH Entscheidungsrelevanz zukommen (vgl. VwGH 15.12.1992, 91/08/0166; ebenso VwGH 16.12.1992, 92/12/0127; VwGH 23.11.1993, 91/04/0205; VwGH 26.04.1994, 93/08/0212; VwGH 30.01.1995, 94/10/0162). Die Verpflichtung der Behörde zu einer neuen Sachentscheidung wird nur durch eine solche Änderung des Sachverhalts bewirkt, die für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgebend erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die seinerzeit den Grund für die Abweisung des Parteienbegehrens gebildet haben, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann (VwSlg. 7762 A; VwGH 29.11.1983, 83/07/0274; VwGH 21.02.1991, 90/09/0162; VwGH 10.06.1991, 89/10/0078; VwGH 04.08.1992, 88/12/0169; VwGH 18.03.1994, 94/12/0034; siehe auch VwSlg. 12.511 A, VwGH 05.05.1960, 1202/58; VwGH 03.12.1990, 90/19/0072). Dabei muss die neue Sachentscheidung - obgleich auch diese Möglichkeit besteht - nicht zu einem anderen von der seinerzeitigen Entscheidung abweichenden Ergebnis führen. Die behauptete Sachverhaltsänderung muss zumindest einen glaubhaften Kern aufweisen, dem Asylrelevanz zukommt und an den oben erwähnte positive Entscheidungsprognose anknüpfen kann (VwGH 24.02.2000, 99/20/0173-6).
Wie sich aus § 69 Abs. 1 Z 2 AVG ergibt, ist eine neue Sachentscheidung auch im Fall desselben Begehrens aufgrund von Tatsachen und Beweismitteln, die schon vor Abschluss des vorangegangenen Verfahrens bestanden haben, ausgeschlossen, sodass einem Asylfolgeantrag, der sich auf einen vor Beendigung des Verfahrens über den ersten Asylantrag verwirklichten Sachverhalt stützt, die Rechtskraft des über den Erstantrag absprechenden Bescheides entgegensteht (VwGH vom 10.06.1998, Zl. 96/20/0266; vom 15.10.1999, Zl. 96/21/0097; vom 25.04.2007, Zl. 2004/20/0100; vom 17.09.2008, Zl. 2008/23/0684).
III.2.5. Im rechtskräftig abgeschlossenen Erstverfahren wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen und der BF aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Indien ausgewiesen. Daher ist in der gegenständlichen Rechtssache der Umstand relevant, ob vor dem BFA neue, mit einem glaubwürdigen Kern versehene Tatsachen vorgebracht wurden, die eine andere Entscheidung sowohl im Hinblick auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch des subsidiär Schutzberechtigten indizieren können.
III.2.6. Dem im gegenständlichen Verfahren bekämpften Bescheid des BFA wurde hinsichtlich der Beurteilung des Vorliegens einer entschiedenen Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG der im rechtskräftig abgeschlossenen Erstverfahren festgestellte Sachverhalt zugrunde gelegt. Der im rechtskräftigen Erstverfahren festgestellte Sachverhalt gilt daher auch für das gegenständliche Beschwerdeverfahren als maßgebend.
III.2.7. Fallbezogen handelt es sich bei den Angaben des BF um ein neues Vorbringen. Der BF hat im rechtskräftig abgeschlossenen Erstverfahren seine Verfolgungsgefahr damit begründet, dass er mit drei seiner Cousins einen Burschen hätte zur Rede stellen wollen und dieser Bursche durch einen seiner Cousins getötet worden wäre, weshalb die Familie des Getöteten und die Polizei den BF verfolgen würden. Im verfahrensgegenständlichen Zweitverfahren behauptet der BF, einer Verfolgungsgefahr ausgesetzt zu sein, weil ein namentlich genannter Cousin als "Gangster", mit dem der BF nach seiner Rückkehr nach Indien in Kontakt gewesen wäre, von der Polizei erschossen worden wäre und der BF aufgrund dieses Kontaktes von der Polizei verfolgt werde. Zudem hätte ein Mann, mit dem die Familie des BF in Streit stünde eine Anzeige gegen den BF wegen des Kontakts mit dem Kriminellen erstattet. In diesem Zusammenhang ist das Vorbringen des BF von Bedeutung, dass er in seinen Herkunftsstaat zurückgekehrt sei und während seines Aufenthalts diese nun vorgebrachten Gründe für eine Verfolgung entstanden wären. Zudem hat der BF Unterlagen vorgelegt, die einerseits seinen neuerlichen Aufenthalt in Indien und den in dieser Zeit entstandenen Grund für die Verfolgung belegen sollen. In Hinblick auf das neue Vorbringen des BF ist es im gegenständlichen Verfahren von zentraler Bedeutung, ob der BF, wie behauptet, in seinen Herkunftsstaat zurückgekehrt ist, zumal nur unter dieser Voraussetzung der neu vorgebrachte Verfolgungsgrund hätte entstehen können. Die belangte Behörde hat sich mit dieser Frage unzureichend auseinandergesetzt. Sie trifft keine konkreten Ausführungen zu den vorgelegten Dokumenten, sondern beschränkt sich darauf, die Länderfeststellungen zu Dokumenten wiederzugeben. Dass der BF zudem die Reiseroute und Aufenthalte im Rahmen der Erstbefragung dargelegt hat und zudem den Tag seiner Ausreise aus Indien im Verfahren wiederholt übereinstimmend angegeben hat, lässt die belangte Behörde unberücksichtigt.
III.2.8. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist eine Änderung nur dann wesentlich, wenn sie für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgeblich erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die der angefochtenen Entscheidung zu Grunde lagen, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann und daher die Erlassung eines inhaltlich anders lautenden Bescheides zumindest möglich ist (VwGH 24.03.2011, 2007/07/0155; Hengstschläger/Leeb, AVG2 § 68, Rz 26 mit Judikaturnachweisen; vlg iZm auch VwGH 05.05.2015, Ra 2014/22/0115:
"Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes liegt ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht erst dann vor, wenn der vorgebrachte Sachverhalt auch konkret dazu führt, dass nunmehr der begehrte Aufenthaltstitel erteilt werden müsste"; oder etwa in Bezug auf die Änderung der allgemeinen Lage VwGH 12.10.2016, Ra 2015/18/0221).
III.2.9. Nach den bisherigen Ausführungen liegt ein solcher Fall gegenständlich vor.
III.2.10. Hat die belangte Behörde einen Antrag zurückgewiesen, so ist Sache des Beschwerdeverfahrens lediglich die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung. Eine erstmalige inhaltliche Entscheidung über den zugrunde liegenden Antrag hätte demgegenüber den Gegenstand des Beschwerdeverfahrens überschritten (VwGH 12.10.2015, Ra 2015/22/0115).
III.2.11. Der Beschwerde war daher stattzugeben und der angefochtene Bescheid war zu beheben. Für das vom BFA in weiterer Folge fortzusetzende Verfahren ergibt sich, dass durch die im vorliegenden Fall gebotene Aufhebung des angefochtenen Bescheides in der Sache der verfahrensgegenständliche Antrag des Beschwerdeführers wieder unerledigt ist.
III.2.12. Damit liegen auch die Voraussetzungen für die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gem § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG und § 52 Abs. 2 FPG, für einen Abspruch zur Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs 1a FPG sowie für die Erlassung eines befristeten Einreiseverbotes nicht vor, weshalb die Spruchpunkte II., III. und IV. mangels einer gesetzlichen Grundlage keinen Bestand mehr haben können und diese ebenso zu beheben sind.
Entfall der mündlichen Verhandlung
3.12. Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte im gegenständlichen Fall gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG unterbleiben, da einerseits der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei zum Teil zurückzuweisen war und andererseits der angefochtene Bescheid zum Teil aufzuheben war.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Die für den vorliegenden Fall relevante Rechtslage ist durch die zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geklärt, weshalb die Revision nicht zulässig ist.
Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
Ausreise, Begründungsmangel, Beweismittel, ersatzlose Behebung,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:W163.2000918.3.00Zuletzt aktualisiert am
08.01.2019