TE Bvwg Erkenntnis 2018/11/2 W211 2161204-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.11.2018
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Entscheidungsdatum

02.11.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W211 2161204-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a SIMMA als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA. Somalia, gegen Spruchpunkt I. des Bescheids des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX zu Recht:

A) Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattgegeben und XXXX

gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status einer Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die beschwerdeführende Partei, eine weibliche Staatsangehörige Somalias, stellte am XXXX .2014 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich und gab im Rahmen ihrer Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am XXXX .2015 zusammengefasst an, aus Buaale zu stammen und 2014 aus Mogadischu ausgereist zu sein, weil sie wegen ihrer Arbeit bei einer Hilfsorganisation von Al Shabaab bedroht worden sei.

2. Am XXXX .2016 wurde die beschwerdeführende Partei von der belangten Behörde unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die somalische Sprache einvernommen und gab dabei soweit wesentlich an, dass sie seit 2008 in Kismayo gelebt habe. Ihre Eltern hätten getrennt gelebt; mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern im Norden habe sie lange keinen Kontakt mehr gehabt; sie habe bei ihrem Vater und der Großmutter gelebt. Ihr Vater sei 2011 eines natürlichen Todes gestorben. Sie gehöre dem Clan der XXXX an. Sie habe für eine Organisation gearbeitet und sei dabei zwischen 2012 und 2014 mehrmals von Al Shabaab in der einen oder anderen Form bedroht worden. 2014 habe sie in Uganda ein Fernsehinterview gegeben. Danach seien Al Shabaab in ihr Haus eingedrungen und hätten die Großmutter nach ihr befragt. Daraufhin habe sie Somalia verlassen.

3. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag der beschwerdeführenden Partei bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.), ihr gemäß § 8 Abs. 1 AsylG der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihr eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG erteilt (Spruchpunkt III.).

4. Gegen Spruchpunkt I. des Bescheides wurde rechtzeitig Beschwerde eingebracht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur beschwerdeführenden Partei:

1.1.1. Die beschwerdeführende Partei ist eine weibliche Staatsangehörige Somalias. Sie stellte am XXXX .2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

1.1.2 Die beschwerdeführende Partei stammt aus Kismayo in Somalia, gehört dem Clan der XXXX , Digil/Mirifle, an und muss in Somalia als alleinstehend, insbesondere ohne männlichen Schutz und ohne ausreichendes familiäres und clanbezogenes Netzwerk angesehen werden.

Der Vater der beschwerdeführenden Partei ist 2011 verstorben; in Kismayo lebt noch die Großmutter der beschwerdeführenden Partei, mit der auch noch Kontakt besteht.

Die beschwerdeführende Partei wuchs nicht mit ihrer Mutter und weiteren Halbgeschwistern auf, die in Las And leben. Mit diesen hatte die beschwerdeführende Partei lange Zeit keinen Kontakt; erst ihre Halbschwester, die sie in Österreich traf, stellte einen telefonischen Kontakt zur Mutter wieder her.

1.1.3. Die beschwerdeführende Partei ist gesund und strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zur relevanten Situation in Somalia wird festgestellt wie folgt:

Die aktuelle Verfassung betont in besonderer Weise die Rolle und die Menschenrechte von Frauen und Mädchen und die Verantwortung des Staates in dieser Hinsicht. Tatsächlich ist deren Lage jedoch weiterhin besonders prekär. Frauen und Mädchen bleiben den besonderen Gefahren der Vergewaltigung, Verschleppung und der systematischen sexuellen Versklavung ausgesetzt. Wirksamer Schutz gegen solche Übergriffe, insbesondere in den Lagern der Binnenvertriebenen, ist mangels staatlicher Autorität bisher nicht gewährleistet (AA 1.12.2015).

Gewalt gegen Frauen - insbesondere sexuelle Gewalt - ist laut Berichten der UNO und internationaler NGOs in der gesamten Region weit verbreitet (ÖB 10.2015; vgl. UNHRC 28.10.2015). Besonders betroffen sind davon IDPs in Flüchtlingslagern, insbesondere in Mogadischu (ÖB 10.2015; vgl. UNHRC 28.10.2015; USDOS 13.4.2016). Auch Frauen und Mädchen von Minderheiten sind häufig unter den Opfern von Vergewaltigungen. Dabei gibt es aufgrund der mit einer Vergewaltigung verbundenen Stigmatisierung der Opfer eine hohe Dunkelziffer (UNHRC 28.10.2015; vgl. UKHO 3.2.2015; USDOS 13.4.2016). Die Täter sind bewaffnete Männer, darunter auch Regierungssoldaten, Milizionäre (HRW 27.1.2016; vgl. UNHRC 28.10.2015; USDOS 13.4.2016), Polizisten und Mitglieder der al Shabaab (UNHRC 28.10.2015).

Vergewaltigung ist zwar gesetzlich verboten (AA 1.12.2015; vgl. ÖB 10.2015), die Strafandrohung beträgt 5-15 Jahre, vor Militärgerichten auch den Tod (USDOS 13.4.2016). Hinsichtlich geschlechtsspezifischer Gewalt herrscht aber weitgehend Straflosigkeit. Strafverfolgung oder Verurteilungen wegen Vergewaltigung oder anderer Formen sexueller Gewalt sind in Somalia rar (UKHO 3.2.2015; vgl. AA 1.12.2015; ÖB 10.2015; USDOS 13.4.2016). Bei der Strafjustiz herrscht Unfähigkeit (UNHRC 28.10.2015). Manchmal verlangt die Polizei von den Opfern, die Untersuchungen selbst zu tätigen (Suche nach Zeugen, Lokalisierung von Schuldigen) (USDOS 13.4.2016; vgl. UKHO 3.2.2015).

Zwangsehen sind weit verbreitet (ÖB 10.2015). Zwangsehen durch al Shabaab kommen in der Regel nur dort vor, wo die Gruppe die Kontrolle hat (C 18.6.2014; vgl. USDOS 13.4.2016; UKHO 3.2.2015; DIS 9.2015). Dort sind Frauen und Mädchen einem ernsten Risiko ausgesetzt, von al Shabaab entführt, vergewaltigt und zu einer Ehe gezwungen zu werden (UKHO 3.2.2015; vgl. USDOS 13.4.2016). Eine Verweigerung kann für das Mädchen oder ihre Familie den Tod bedeuten (DIS 9.2015; vgl. NOAS 4.2014). Aus Städten unter Kontrolle von AMISOM und somalischer Armee gibt es keine Berichte hinsichtlich Zwangsehen mit Kämpfern der al Shabaab; wohl aber gibt es Berichte über diesbezügliche Drohungen via SMS (DIS 9.2015). Hingegen zwingen auch Angehörige bewaffneter Milizen und Clanmilizen Mädchen zur Eheschließung (UNHRC 28.10.2015).

Für alleinstehende Frauen und Alleinerzieherinnen ohne männlichen Schutz - vor allem für Minderheitenangehörige - ist eine innerstaatliche Relokationsmöglichkeit nicht gegeben. Dies gilt in Anbetracht der Umstände, dass weder relevante Unterstützungsnetzwerke noch eine Aussicht auf einen ausreichenden Lebensunterhalt gegeben sind (UKHO 3.2.2015).

Es mangelt den IDPs an Schutz (UNHRC 28.10.2015). Die Regierung und Regionalbehörden bieten den IDPs nur unwesentlichen Schutz und Unterstützung. Dies ist vor allem auf die beschränkten Ressourcen und Kapazitäten sowie auf eine schlechte Koordination zurückzuführen (USDOS 13.4.2016). So sehen sich IDPs der Diskriminierung sowie sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt (UNHRC 28.10.2015). In Mogadischu sind dafür Regierungs- und alliierte Kräfte sowie Zivilisten verantwortlich (HRW 27.1.2016). Viele der Opfer von Vergewaltigungen waren Frauen und Kinder in und um Mogadischu, im Afgooye-Korridor, in Bossaso, Galkacyo und Hargeysa (USDOS 13.4.2016).

IDPs - und hier v.a. Frauen und Kinder - sind extrem vulnerabel. Humanitäre Hilfsorganisationen sehen sich Sicherheitsproblemen und Restriktionen ausgesetzt (HRW 27.1.2016). Viele IDPs leben in überfüllten und unsicheren Lagern und haben dort nur eingeschränkten Zugang zu Wasser, sanitären Einrichtungen und grundlegender Hygiene (UNHRC 28.10.2015).

1.3. Festgestellt wird, dass der beschwerdeführenden Partei im Falle einer Rückkehr nach Kismayo kein Schutz durch männliche Verwandte, ihren Clan oder von staatlicher Seite zur Verfügung steht. Sie verfügt in Kismayo über kein verlässliches familiäres oder clanbezogenes Netzwerk.

Damit besteht für die beschwerdeführende Partei die Gefahr, als alleinstehende Frau ohne männlichen Schutz im Falle einer Rückkehr nach Kismayo Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt zu werden.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Aufgrund der im Verfahren unterlassenen Vorlage eines unbedenklichen nationalen Identitätsdokuments bzw. sonstigen Bescheinigungsmittels konnte die Identität der beschwerdeführenden Partei nicht festgestellt werden.

Das Datum der Antragstellung und Ausführungen zum Verfahrenslauf ergeben sich aus dem Akteninhalt.

2.2. Die Feststellung zur Clanzugehörigkeit beruht auf den diesbezüglich glaubhaften Angaben der beschwerdeführenden Partei im Verfahren und wurde außerdem bereits durch die belangte Behörde getroffen (S. 9 des angefochtenen Bescheids). Das Bundesverwaltungsgericht hat keinen Grund, an diesen Angaben zu zweifeln.

Ebenso hat das Bundesverwaltungsgericht keinen Zweifel an einer Herkunft aus Kismayo. Die belangte Behörde trifft zwar keine Feststellung zu einer Herkunft aus Kismayo; es deutet aber ihre Begründung des subsidiären Schutzes damit, dass die beschwerdeführende Partei als (wohl in Hinblick auf zur Verfügung stehenden Schutz) alleinstehend angesehen werden muss (vgl. S. 73 des angefochtenen Bescheids), darauf hin, dass die belangte Behörde nicht von einer Herkunft aus der Wohnregion der Mutter, Las And, ausgeht.

Die Feststellungen zu den Familienangehörigen in Somalia beruhen auf den glaubhaften Angaben der beschwerdeführenden Partei im Laufe des Verfahrens.

Dass die beschwerdeführende Partei strafgerichtlich unbescholten ist, ergibt sich aus einem Auszug aus dem Strafregister vom XXXX .2018. Hinweise auf eine Erkrankung kamen im Laufe des Verfahrens nicht hervor.

2.3. Die Feststellungen zu 1.2. beruhen auf den im angefochtenen Bescheid rezipierten Länderinformationen, die nicht bestritten wurden. Sie fußen auf dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation aus 2017 und beruhen auf den folgenden

Detailquellen:

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (1.12.2015): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia

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C - Experte C (18.6.2014): Dieser Experte arbeitet seit mehreren Jahren zu Somalia.

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DIS - Danish Immigration Service (9.2015): Country of Origin Information for Use in the Asylum Determination Process; Report from the Danish Immigration Service's fact finding mission to Nairobi, Kenya and Mogadishu, Somalia; 2-12 May 2015, http://www.ecoi.net/file_upload/1788_1443181235_somalia-ffm-report-2015.pdf, Zugriff 4.4.2016

-

HRW - Human Rights Watch (27.1.2016): World Report 2016 - Somalia, http://www.ecoi.net/local_link/318350/443530_en.html, Zugriff 22.3.2016

-

NOAS - Norwegian (4.2014): Persecution and protection in Somalia,

A fact-finding report by NOAS,

http://www.noas.no/wp-content/uploads/2014/04/Somalia_web.pdf, Zugriff 14.4.2016

-

ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi (10.2015):

Asylländerbericht Somalia,

http://www.ecoi.net/file_upload/1729_1445329855_soma-oeb-bericht-2015-10.pdf, Zugriff 25.2.2016

-

UKHO - UK Home Office (3.2.2015): Country Information and Guidance

-

Somalia: Women fearing gender-based harm / violence, http://www.refworld.org/docid/54d1daef4.html, Zugriff 14.4.2016

-

UNHRC - UN Human Rights Council (28.10.2015): Report of the independent expert on the situation of human rights in Somalia, Bahame Tom Nyanduga,

http://www.ecoi.net/file_upload/1930_1451399567_a-hrc-30-57-en.docx, Zugriff 23.3.2016

-

USDOS - US Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices 2015 - Somalia, http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2015&dlid=252727, Zugriff 14.4.2016

Das Bundesverwaltungsgericht hat keinen Grund, an der Ausgewogenheit und Verlässlichkeit der Länderinformationen zu zweifeln.

Zwischenzeitlich wurden diese Länderinformationen jedoch aktualisiert; das Länderinformationsblatt zur Gänze am 12.01.2018; die Versorgungssituation zuletzt am 17.09.2018. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich nach einer Einschau in die aktualisierten Länderberichte jedoch davon versichern, dass sich die relevante Situation von Frauen und IDPs nicht geändert, insbesondere nicht verbessert, hat (vgl. dazu die S. 101 ff des LIB 2018 betreffend Frauen und S. 120 f LIB 2018 betreffend IDPs und Flüchtlinge).

2.4. Zur Feststellung unter 1.3., die der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt werden soll, ist schließlich zu sagen, dass bereits die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid in Bezug auf die Zuerkennung des subsidiären Schutzes davon ausgeht, dass die beschwerdeführende Partei eine alleinstehende Frau ohne männlichen Schutz darstellt (vgl. S. 73 des angefochtenen Bescheids). Das Bundesverwaltungsgericht übersieht nicht, dass die beschwerdeführende Partei angegeben hat, in Kismayo über eine Großmutter zu verfügen und mittlerweile wieder telefonischen Kontakt zu ihrer Mutter und zu Halbgeschwistern in Las And zu haben. Dazu ist aber auszuführen, dass eine allfällige Rückkehr in Hinblick auf die rechtskräftige Zuerkennung des subsidiären Schutzes grundsätzlich an den Ort zu prüfen ist, an dem die beschwerdeführende Partei einen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, und das ist gegenständlich Kismayo. Und dort ist der belangten Behörde beizupflichten, dass die beschwerdeführende Partei in Kismayo zwar noch über ihre Großmutter, aber nicht über insbesondere männliche weitere Verwandte verfügt, die ihr den nach den Länderberichten notwendigen Schutz angedeihen lassen würden. Zum fehlenden Clanschutz gab die beschwerdeführende Partei außerdem im Rahmen ihrer Einvernahme an, dass sie von den Digil noch nie Schutz erhalten hätte (vgl. S. 5 des Einvernahmeprotokolls vom XXXX .2016).

Die Feststellung zur Gefährdung der beschwerdeführenden Partei, im Falle einer Rückkehr Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt zu werden, ergibt sich aus der Zusammenschau der Feststellungen zur persönlichen Situation der beschwerdeführenden Partei als alleinstehende Frau ohne männlichen Schutz und den unter 1.2. festgestellten Länderinformationen. Aus diesen ergibt sich auch, dass staatlicher Schutz nicht gewährleistet ist. Daher war die entsprechende Feststellung zu einer Gefährdung zu treffen.

3. Rechtliche Beurteilung:

A) Spruchpunkt I.:

3.1. Rechtsgrundlagen

3.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einer Fremden, die in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihr im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

Flüchtling im Sinne der Bestimmung ist demnach, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb ihres Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

3.1.2. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation der Asylwerberin unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre der Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH, 05.08.2015, Ra 2015/18/0024 und auch VwGH, 12.11.2014, Ra 2014/20/0069). Für eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (vgl. VwGH, 26.02.1997, Zl. 95/01/0454), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl. VwGH, 18.04.1996, Zl. 95/20/0239), sondern erfordert eine Prognose. Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob die Asylwerberin mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 19.10.2000, Zl. 98/20/0233). Besteht für die Asylwerberin die Möglichkeit, in einem Gebiet ihres Heimatstaates, in dem sie keine Verfolgung zu befürchten hat, Aufenthalt zu nehmen, so liegt eine inländische Fluchtalternative vor, welche die Asylgewährung ausschließt.

3.1.3. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat zurechenbar sein (vgl. VwGH, 18.02.1999, Zl. 98/20/0468). Einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung kommt Asylrelevanz dann zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten. Auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat der Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. unter vielen anderen mwN VwGH, 20.05.2015, Ra 2015/20/0030 und 08.09.2015, Ra 2015/18/0010).

3.2. Anwendung der Rechtsgrundlagen auf die gegenständliche Beschwerde:

3.2.1. Die beschwerdeführende Partei muss zur Zeit als alleinstehende Frau ohne männlichen Schutz angesehen werden, die in Kismayo über keine relevanten familiären oder clanbezogenen Anknüpfungspunkte verfügt. Sie unterliegt damit einer ausreichend wahrscheinlichen und aktuellen Verfolgungsgefahr als Mitglied der sozialen Gruppe der alleinstehenden Frauen Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt zu werden.

3.2.2. Von einer Schutzfähigkeit und -willigkeit der somalischen Sicherheitsbehörden kann nach der aktuellen Berichtslage nicht ausgegangen werden.

3.2.3. Aus den Länderberichten ergibt sich zur Frage nach einer innerstaatlichen Fluchtalternative, dass für alleinstehende Frauen ohne männlichen Schutz eine innerstaatliche Relokationsmöglichkeit nicht gegeben ist. Eine Prüfung der innerstaatlichen Fluchtalternative kann außerdem vor dem Hintergrund entfallen, dass die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative im Widerspruch zum gewährten subsidiären Schutz stehen würde, weil § 11 AsylG 2005 die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nur erlaubt, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten nicht gegeben sind (vgl. VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0011 bis 0016).

3.2.4. Da sich im Verfahren auch keine Hinweise auf Ausschlussgründe des § 6 AsylG ergeben haben, ist der beschwerdeführenden Partei nach dem oben Gesagten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG ist diese Entscheidung mit der Aussage zu verbinden, dass ihr damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz vor dem 15.11.2015 gestellt wurde, wodurch insbesondere die §§ 2 Abs. 1 Z 15 und 3 Abs. 4 AsylG 2005 idF des Bundesgesetzes BGBl. I 2016/24 ("Asyl auf Zeit") gemäß § 75 Abs. 24 leg. cit. im konkreten Fall nicht Anwendung finden.

4. Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012, kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint; im Übrigen gilt § 24 VwGVG. Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteienantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entgegenstehen. Im vorliegenden Fall geht der Sachverhalt eindeutig aus den Akten hervor und lässt die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten. Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist. Die belangte Behörde hat in den Länderfeststellungen in ihrem Bescheid selbst auf die prekäre, von Gewalt bedrohte Lage junger, alleinstehender Frauen Bezug genommen. Die Behörde hat diese Feststellungen lediglich rechtlich falsch beurteilt.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei der erheblichen Rechtsfrage betreffend die Zuerkennung des Status einer Asylberechtigten auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu Spruchpunkt A. wiedergegeben.

Schlagworte

asylrechtlich relevante Verfolgung, geschlechtsspezifische
Verfolgung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W211.2161204.1.00

Zuletzt aktualisiert am

09.01.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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