TE Bvwg Erkenntnis 2018/11/6 W220 2208176-1

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Veröffentlicht am 06.11.2018
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Entscheidungsdatum

06.11.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §15b Abs1
AsylG 2005 §57
AVG §68 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2 Z6
FPG §55

Spruch

W220 2208176-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Daniela UNTERER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, geboren am XXXX, Staatsangehörigkeit Indien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.10.2018, Zl. 810658805-180874255, zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides gemäß § 68 Abs. 1 AVG idgF als unbegründet abgewiesen.

II. Die Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte III. bis VII. gemäß §§ 10 Abs. 1 Z 3, 57 AsylG 2005 idgF, § 9 BFA-VG idgF und §§ 52, 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6, 55 FPG idgF als unbegründet abgewiesen.

III. Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt VIII. gemäß §§ 15b Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

1. Verfahrensgang:

1.1. Erstes vorangegangenes Verfahren:

1.1.1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Indiens, stellte nach illegaler Einreise unter dem Namen XXXX, geb. XXXX, am 01.07.2011 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.

Als Fluchtgrund gab der Beschwerdeführer in diesem Verfahren im Rahmen der Erstbefragung am 02.07.2011 an, sein Freund habe eine Affäre gehabt und die Brüder des Mädchens hätten den Freund ermordet. Daraufhin hätten die Brüder den Beschwerdeführer des Mordes beschuldigt und sei er von den Brüdern, den Angehörigen seines Freundes und auch von der Polizei verfolgt und mit dem Umbringen bedroht worden.

1.1.2. Am 06.07.2011 wurde der Beschwerdeführer zu seinem Antrag auf internationalen Schutz niederschriftlich einvernommen. Dabei hielt er im Wesentlichen sein Fluchtvorbringen aufrecht, gab jedoch ergänzend an, außer ihm seien noch zwei weitere Freunde des Mordes bezichtigt worden und hätte ihn die Familie des Freundes auch bei seinem Onkel in Delhi gesucht, wo er zwischenzeitig hin geflohen sei.

1.1.3. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 07.07.2011, Zl. 11 06.588-BAT, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 01.07.2011 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 und hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Indien gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I. und Spruchpunkt II.). Weiters wurde der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Indien ausgewiesen (Spruchpunkt III.).

1.1.4. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer am 16.07.2011 fristgerecht Beschwerde.

1.1.5. Diese Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 30.09.2011, Zl. C12 420.289-1/2011/3E als unbegründet abgewiesen.

In den Entscheidungsgründen führte der Asylgerichtshof im Wesentlichen aus, es könne nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Heimatland von den Angehörigen des Mordopfers oder den Brüdern von dessen Freundin ohne Aussicht auf staatlichen Schutz bedroht oder verfolgt worden wäre bzw. dass ihm eine solche Verfolgung im gesamten Staatsgebiet Indiens drohen würde. Ebenso hätten sich keine Hinweise auf ungesetzmäßige Ermittlungshandlungen der lokalen Polizeibehörden ergeben. Selbst für den Fall polizeilicher Verfolgung bestünde in anderen Landesteilen eine innerstaatliche Fluchtalternative.

1.1.6. Am 03.11.2011 erging gegen den Beschwerdeführer eine Anzeige der Bundespolizeidirektion Wien wegen Verletzung der Meldeverpflichtung gem. § 121 FPG. Ausgeführt wurde, der Beschwerdeführer sei seiner Meldeverpflichtung gem. § 15 Abs. 1 Z. 4 AsylG 2005 laut Auszug des Meldeblattes für den 28.10.2011 nicht nachgekommen. Gleichzeitig wurde das Bundesasylamt über die Verletzung der Meldeverpflichtung informiert.

1.1.7. In weiterer Folge erging eine öffentliche Bekanntmachung gem. § 25 ZustellG betreffend des o.a. Erkenntnisses des Asylgerichtshofes vom 30.09.2011. Der Aushang erfolgte am 03.10.2011, die Abnahme am 18.10.2011.

1.2. Zweites vorangegangenes Verfahren:

1.2.1. Am 29.04.2014 stellte der Beschwerdeführer einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz (Folgeantrag).

Im Rahmen seiner Erstbefragung am 01.05.2014 gab er zunächst an, XXXX zu heißen und am XXXX geboren zu sein. Auf Nachfrage zu seinen Fluchtgründen führte er an, er habe keine neuen Gründe. Bei einer Rückkehr in die Heimat habe er Angst um sein Leben.

Dem Beschwerdeführer wurde mitgeteilt, dass über seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz rechtskräftig negativ entschieden worden sei.

1.2.2. Am 13.05.2014 wurde der Beschwerdeführer zu seinem Folgeantrag niederschriftlich einvernommen. Dabei brachte er vor, er hätte Österreich 2011 in Richtung Italien verlassen und sei dort zweieinhalb Jahre in Haft gewesen. Von Italien sei er nach Paris gefahren und am 30.04.2014 wieder nach Österreich gekommen. Der Beschwerdeführer hielt weiterhin sein bisheriges Fluchtvorbringen aufrecht. Nachgefragt, was sich seit dem ersten Verfahren aus dem Jahr 2011 geändert hätte, gab er an, er sei zweieinhalb Jahre im Gefängnis gewesen und habe überhaupt keinen Kontakt mehr nach Indien. Er wisse nicht, wie die Situation derzeit sei. Der Beschwerdeführer gab auch an, dass drei Monate nach seiner Ankunft in Österreich im Jahr 2011 ein weiterer Freund getötet worden sei. Dies habe ihm ein Familienmitglied telefonisch erzählt, kurz bevor er nach Italien gefahren sei.

1.2.3. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.07.2014, Zl. 810658805 - EAST Ost, wurde der Folgeantrag des Beschwerdeführers vom 29.04.2014 gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer keine Neuerungen vorgebracht hätte und unter Berücksichtigung der bereits im Vorverfahren festgestellten Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers und mangels Nachweises für das tatsächliche Bestehen der behaupteten Rückkehrbefürchtungen davon auszugehen sei, dass die im gegenständlichen Verfahren vorgebrachten Fluchtgründe nicht den Tatsachen entsprächen. Der Beschwerdeführer halte es offensichtlich nicht für notwendig, nähere Angaben im Asylverfahren zu machen, so sei er auch einer Ladung zum Parteiengehör nicht nachgekommen und habe seine Mitwirkungspflicht verletzt.

1.2.4. Der Bescheid vom 02.07.2014 wurde mit Wirksamkeit vom 02.07.2014 gem. § 8 Abs. 3 iVm § 23 ZustellG ohne vorhergehenden Zustellversuch bei der Behörde hinterlegt.

1.3. Drittes vorangegangenes Verfahren:

1.3.1. Am 20.05.2015 stellte der Beschwerdeführer einen dritten Antrag auf internationalen Schutz, zu welchem er am 22.05.2015 erstbefragt wurde. Im Zuge dieser Erstbefragung gab er an, er sei am 15.06.2014 selbstständig von Wien nach Berlin gefahren und habe dort einen Asylantrag gestellt. Von den Behörden in Deutschland sei er aufgefordert worden, nach Österreich zurückzukehren, was er im April 2015 gemacht habe. Seine alten Asylgründe seien nicht mehr aufrecht. Er habe jetzt neue Gründe.

Aufgefordert, diese neuen Gründe zu schildern, gab er an, sein Vater sei Mitglied einer politischen Partei in Indien gewesen. Er habe einen Konflikt mit den Mitgliedern der gegnerischen Partei gehabt. Im März 2015 sei sein Vater von der gegnerischen Partei bedroht worden, dass seine ganze Familie umgebracht würde. Es habe mehrere Angriffe auf seine Familie gegeben, welche derzeit versteckt leben würde. Im Falle einer Rückkehr könne ihn die gegnerische Partei unschuldig einsperren lassen.

1.3.2. Am 18.06.2015 wurde gegen den Beschwerdeführer gem. § 34 Abs. 3 Z 3 BFA-VG ein Festnahmeauftrag erlassen.

Am selben Tag wurde das Asylverfahren mit Aktenvermerk gem. § 24 Abs. 2 AsylG 2005 eingestellt, weil der Aufenthaltsort des Beschwerdeführers wegen Verletzung seiner Mitwirkungspflicht weder bekannt noch sonst leicht feststellbar war.

Am 06.08.2015 wurde der Festnahmeauftrag vom 18.06.2015 widerrufen, da die Voraussetzungen der Erlassung nicht mehr vorlagen, weil beim Beschwerdeführer laut ZMR eine Meldeadresse aufschien.

Das Verfahren wurde von Amts wegen fortgesetzt.

1.3.3. Am 03.10.2016 wurde der Beschwerdeführer zu seinem zweiten Folgeantrag niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er an, psychisch durcheinander zu sein und sich nicht konzentrieren zu können. Er wurde aufgefordert, binnen vierzehn Tagen ein ärztliches Attest vorzulegen.

Am 14.10.2016 gab der Beschwerdeführer bekannt, er sei am 11.10.2016 beim Arzt gewesen und habe ihm dieser für zehn Tage Tabletten (Escitalopram ratiopharm) verschrieben. Der nächste Kontrolltermin sei am 23.10.2016. Bestätigung legte der Beschwerdeführer keine vor.

1.3.4. In Folge wurde der Beschwerdeführer für den 01.12.2016 zu einer ärztlichen Untersuchung geladen. Im Bericht über die medizinische Begutachtung, erstattet am 19.12.2016 von XXXX, Ärztin für Allgemeinmedizin und Psychotherapeutische Medizin, wurde zusammenfassend ausgeführt, der Beschwerdeführer leide an einer leichten depressiven Episode, die vornehmlich vor dem Hintergrund des Erlebten und des unentschiedenen Asylverfahrens zu sehen sei. Er sei diesbezüglich medizinisch abgeklärt und therapiert worden. Eine stationäre Aufnahme sei bisher nicht notwendig gewesen. Empfohlen würde die Fortführung der Medikation. Der Beschwerdeführer erscheine zum Untersuchungszeitpunkt medikamentös kompensiert, sodass eine Überstellung (i.S.e. Reisefähigkeit) und eine allfällige medizinische Betreuung im Ankunftsland möglich sei.

1.3.5. Am 06.02.2017 wurde der Beschwerdeführer erneut zu seinem zweiten Folgeantrag auf internationalen Schutz einvernommen. Dabei gab er an, die Angaben, die er bisher in diesem Asylverfahren gemacht hätte, würden nicht stimmen. Er habe früher Drogen konsumiert und wisse nicht, welche Angaben er gemacht habe. Heute würde er die Wahrheit sagen, da er jetzt keine Drogen mehr nehme. Im weiteren Verlauf der Einvernahme gab er an, er habe drei oder vier Joints am Tag geraucht. Nun habe sich seine Einstellung zu Drogen geändert und wolle er sich verändern.

Aufgefordert, seinen Fluchtgrund darzulegen, gab der Beschwerdeführer an, seine Familie habe eine Partei namens "Mann" unterstützt und habe er selbst sich auch der Partei angeschlossen. Er habe für ein Referendum für einen eigenen Staat Khalistan Poster verteilt. Viele, die diese Poster verteilt hätten, seien im Gefängnis. Sieben bis acht Personen seien festgenommen worden. Auch er selbst sei festgenommen worden. Die Polizei habe ihn und die anderen geschlagen. Nach zwei Monaten seien sie auf Kaution freigekommen. Nach etwa einem Monat seien sie wieder festgenommen worden, damit sie keine Propaganda machen könnten. Seine Eltern hätten sehr viel Geld gezahlt, um ihn frei zu bekommen. Als die Polizei zum dritten Mal die anderen wieder mitgenommen habe, sei er geflüchtet. Der Prozess gegen die anderen laufe immer noch. Nachgefragt, ob er noch andere Fluchtgründe habe, gab er an, er habe Drogen genommen, seine Freundin sei weg und sein Leben sei kaputt.

Der Beschwerdeführer machte weitere Angaben zur Organisation "Simranjeet Mann" und der Situation der Sikhs in Indien.

1.3.6. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.02.2017, Zl. 810658805-150535730, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 20.05.2015 gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt I.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt und gleichzeitig gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gegen ihn gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest gestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Indien gemäß § 46 zulässig ist (Spruchpunkt II.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG wurde festgestellt, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht (Spruchpunkt III.).

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Kern des neuen Vorbringens des Beschwerdeführers beruhe, wie bei den beiden Vorverfahren, darauf, dass er zu Unrecht - wegen einer falschen Anzeige - von der Justiz verfolgt würde. Der Nebenumstand, also die Frage, weshalb er verfolgt würde, ändere sich. Diesmal habe der Beschwerdeführer vorgebracht, dass er aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Gruppe der Sikh und zur Partei "Simranjeet Mann" verfolgt würde. Der Beschwerdeführer habe keine Beweismittel beigebracht, obwohl er bis dato fünf Jahre Zeit gehabt hätte, um diese Beweismittel beizuschaffen. Bei seiner ersten, aufgrund seines Gesundheitszustandes abgebrochenen Einvernahme zum zweiten Folgeantrag habe er selbst angegeben, einen Monat zu brauchen, um sämtliche Beweismittel vorlegen zu können. Das Vorbringen des Beschwerdeführers sei unglaubwürdig.

In rechtlicher Hinsicht führte das Bundesamt aus, dass sich weder die maßgebliche Sachlage - und zwar im Hinblick auf jenen Sachverhalt, der in der Sphäre des Beschwerdeführers gelegen sei, noch auf jenen, welcher von Amts wegen zuzugreifen sei - geändert habe, noch im Begehren oder in den anzuwendenden Rechtsnormen eine Änderung eingetreten sei, welche eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages nicht von vornherein als ausgeschlossen erscheinen ließe. Daher stehe die Rechtskraft des ergangenen Erkenntnisses vom 30.09.2011 und des erlassenen Bescheides vom 02.07.2014 einem neuerlichen Antrag entgegen. Selbst bei näherer Betrachtung des neu hervorgebrachten Sachverhaltes gelange das Bundesamt zur Ansicht, dass das Ergebnis aufgrund der mangelnden Glaubwürdigkeit nicht anders gelautet hätte, als jenes der beiden Vorverfahren.

Der Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 20.02.2017 nachweislich zugestellt.

1.4. Gegenständliches Verfahren:

1.4.1. Der Beschwerdeführer stellte am 13.09.2018 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. In seiner Erstbefragung am darauffolgenden Tag führte er aus, er habe Probleme mit der indischen Polizei und Angst, dass diese ihn im Falle einer Rückkehr sofort festnehmen und ins Gefängnis stecken würde.

Weiters gab er an, er habe sich von Juli bis August 2018 in Deutschland aufgehalten. Er habe außerdem nicht gewusst, dass sein Asylantrag bereits rechtskräftig negativ entschieden worden sei. Er habe keine Post bekommen.

1.4.2. Mit Verfahrensanordnung vom 14.09.2018 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 15b AsylG 2005 iVm § 7 Abs. 1 VwGVG aufgetragen, in einem näher bezeichneten Quartier durchgehend Unterkunft zu nehmen.

1.4.3. Am 25.09.2018 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zum gegenständlichen Folgeantrag niederschriftlich einvernommen. Bereits mit der Ladung wurde dem Beschwerdeführer das Länderinformationsblatt für Indien, Stand 11.04.2017, zugestellt.

In der Einvernahme führte der Beschwerdeführer zu seinem Fluchtgrund aus, gegen ihn bestünden ein oder mehrere "first information reports" (FIR). Die Personen, die nach Indien geschickt würden und gegen die solche FIR bestünden, würden sofort festgenommen und ins Gefängnis gesteckt. Wenn man in dem Gefängnis in Delhi sei, gehe man verloren. Man brauche sehr viel Geld, um auf Kaution freizukommen. Er gab an, diese FIR nicht schon im ersten Verfahren erwähnt und absichtlich nicht erzählt zu haben, dass die Polizei hinter ihm her sei. Weiters gab er an, das Vorverfahren sei nicht gut geführt worden.

Der Beschwerdeführer meinte in der Einvernahme, er sei gesund. Zu seinem Leben in Österreich sagte er, gearbeitet zu haben, wollte jedoch auf Nachfrage seine Arbeitgeber nicht nennen, da diese sonst kontrolliert und Probleme bekommen würden. Er habe auch Freunde, die Freundschaften hätten schon vor Rechtskraft des vorigen Verfahrens bestanden.

Mit seinen Familienmitgliedern in Indien habe er schon lange nicht mehr telefoniert.

1.4.4. Am 09.10.2018 wurde der Beschwerdeführer erneut vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zum gegenständlichen Folgeantrag einvernommen. Dabei hielt der Beschwerdeführer seine bisher gemachten Angaben aufrecht. Ihm wurde vorgehalten, er habe gegen die Verfahrensanordnung zur Unterkunftnahme verstoßen. Dazu gab er an, es sei kein Zug mehr gefahren und er sei deswegen nicht rechtzeitig zurückgekommen.

1.4.5. Mit gegenständlichem Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.10.2018 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 13.09.2018 hinsichtlich des Status des Asylberechtigten und hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt I. und II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-vG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Indien gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG wurde festgestellt, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht (Spruchpunkt VI.). Weiters wurde gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von zwei Jahre befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.). Festgestellt wurde, dass dem Beschwerdeführer gemäß § 15b Abs. 1 AsylG 2005 aufgetragen wurde, ab 14.09.2018 in einem im Spruch näher bezeichneten Quartier Unterkunft zu nehmen.

Festgestellt wurde, abgesehen vom Verfahrenslauf, im Wesentlichen, dass sich im neuen Verfahren kein neuer objektiver Sachverhalt ergeben habe und dass das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht glaubwürdig sei. Darüber hinaus wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer in Österreich keine Angehörigen oder sonstigen Verwandten habe, zu denen ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis bzw. eine besonders enge Beziehung bestehe. Er habe im Bundesgebiet auch keine sozialen Kontakte, die ihn an Österreich binden würden.

Zur allgemeinen Lage in Indien traf das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nachstehende Feststellungen (gekürzt und bereinigt):

"1. Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

KI vom 11.4.2017: Acht Tote und über 200 Verletzten bei Demonstrationen bei Wahl in Srinagar, Kaschmir (Abschnitt 1/Relevant für Abschnitt 3.1)

Im Zuge einer Nachwahl zur Besetzung eines freien Sitzes im indischen Unterhaus, kam es am Sonntag, dem 9.4.2017, in Srinagar, Kaschmir, zu Zusammenstößen zwischen separatistischen, die Wahl boykottierenden Demonstranten und den indischen Sicherheitskräften. Während des Konflikts wurden acht Demonstranten getötet und über 200 Personen, Demonstranten und Sicherheitsbeamte, verletzt (Reuters 10.4.2017).

Am Montag den 10.4.2017 verhängte die indische Polizei eine Ausgangssperre für die Bevölkerung mehrerer Gebiete Kaschmirs, errichtete Straßensperren und schränkte den Verkehr ein (Reuters 10.4.2017).

Die Wahlbeteiligung lag bei nur 7% (Times of India 11.4.2017). Eine zweite Nachwahl, ursprünglich geplant für den 12.4.2017 in Anantnag, wurde in Anbetracht der aktuellen Lage auf den 25.5.2017 verschoben (Reuters 10.4.2017).

Indien beschuldigt Pakistan die Separatisten zu unterstützen, was in Islamabad bestritten wird (Reuters 10.4.2017).

Bei einem weiteren Vorfall am Montag sind vier mutmaßliche Kämpfer erschossen worden, als sie versuchten die umstrittene Grenze von Pakistan kommend, in der Nähe des Keran-Sektors zu infiltrieren (Reuters 10.4.2017).

Da sich seit der Tötung des einflussreichen Separatistenkämpfers Burhan Wani im Juli 2016, die Spannungen in der Region erhöht haben (BBC 10.4.2017), und es seither in Kaschmir wiederholt zu gewalttätigen Protesten kam, in deren Verlauf bisher 84 Zivilisten getötet und über 12.000 Zivilisten und Sicherheitskräfte verletzt wurden (Reuters 10.4.2017), sind vorsorglich etwa 20.000 zusätzliche indische Truppen in die Region entsandt worden (BBC 10.4.2017).

Quellen:

-

BBC (10.4.2017): Kashmir violence: Eight killed in clashes during by-election, http://bbc.in/2oo04gV, Zugriff 11.4.2017

-

Reuters (10.4.2017): India clamps down on Kashmir transport after poll violence kills 8,

http://in.reuters.com/article/india-kashmir-idINKBN17B06F, Zugriff 11.4.2017

-

Times of India (11.4.2017): Lack of pre-emptive policing led to low voter turnout in Kashmir

http://timesofindia.indiatimes.com/india/lack-of-pre-emptive-policing-led-to-low-voter-turnout-in-kashmir/articleshow/58118340.cms, Zugriff 11.4.2017

2. Politische Lage

Indien ist mit über 1,2 Milliarden Menschen und einer multireligiösen und multiethnischen Gesellschaft die bevölkerungsreichste Demokratie der Welt (CIA Factbook 12.12.2016; vgl. auch: AA 16.8.2016, BBC 27.9.2016). Die - auch sprachliche - Vielfalt Indiens wird auch in seinem föderalen politischen System reflektiert, in welchem die Macht von der Zentralregierung und den Bundesstaaten geteilt wird (BBC 27.9.2016). Die Zentralregierung hat deutlich größere Kompetenzen als die Regierungen der Bundesstaaten (AA 9.2016a). Im Einklang mit der Verfassung haben die Bundesstaaten und Unionsterritorien ein hohes Maß an Autonomie und tragen die Hauptverantwortung für Recht und Ordnung (USDOS 13.4.2016). Die Hauptstadt New Delhi hat einen besonderen Rechtsstatus (AA 9.2016a).

Die Gewaltenteilung zwischen Parlament und Regierung entspricht britischem Muster (AA 16.8.2016), der Grundsatz der Gewaltenteilung von Legislative, Exekutive und Judikative ist durchgesetzt (AA 9.2016a). Die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit, die über einen dreistufigen Instanzenzug verfügt, ist verfassungsmäßig garantiert (AA 16.8.2016). Das oberste Gericht in New Delhi steht an der Spitze der Judikative (GIZ 11.2016). Die Entscheidungen der staatlichen Verwaltung (Bürokratie, Militär, Polizei) unterliegen überdies der Kontrolle durch die freie Presse des Landes, die nicht nur in den landesweiten Amtssprachen Hindi und Englisch, sondern auch in vielen der Regionalsprachen publiziert wird. Indien hat zudem eine lebendige Zivilgesellschaft (AA 9.2016a).

Indien ist eine parlamentarische Demokratie und verfügt über ein Mehrparteiensystem und ein Zweikammerparlament (USDOS 13.4.2016). Die Legislative besteht aus einer Volkskammer (Lok Sabha) und einer Staatenkammer (Rajya Sabha). Darüber hinaus gibt es Parlamente auf Bundesstaatsebene (AA 16.8.2016).

Der Präsident ist das Staatsoberhaupt und wird von einem Wahlausschuss gewählt, während der Premierminister Leiter der Regierung ist (USDOS 13.4.2016). Das Präsidentenamt bringt vor allem repräsentative Aufgaben mit sich, im Krisenfall verfügt der Präsident aber über weitreichende Befugnisse. Seit Juli 2012 ist Präsident Pranab Kumar Mukherjee indisches Staatsoberhaupt (AA 9.2016a). Das wichtigste Amt innerhalb der Exekutive bekleidet aber der Premierminister (GIZ 11.2016).

Wahlen zum Unterhaus finden nach einfachem Mehrheitswahlrecht ("first-past-the-post") alle fünf Jahre statt, zuletzt im April/Mai 2014 mit knapp 830 Millionen Wahlberechtigten (AA 16.8.2016). Dabei standen sich drei große Parteienbündnisse gegenüber: Die United Progressive Alliance (UPA) unter Führung der Kongresspartei, die National Democratic Alliance (NDA) unter Führung der Bharatiya Janata Party (BJP - Indische Volkspartei) und die so genannte Dritte Front, die aus elf Regional- und Linksparteien besteht sowie die aus einem Teil der India-Against-Corruption-Bewegung hervorgegangene Aam Aadmi Party (AAP) (GIZ 11.2016; vgl. auch: FAZ 16.5.2014). Abgesehen von kleineren Störungen, verliefen die Wahlen korrekt und frei (AA 16.8.2016).

Als deutlicher Sieger mit 336 von 543 Sitzen löste das Parteienbündnis NDA (AA 16.8.2016), mit der hindu-nationalistischen BJP (AA 9.2016a) als stärkster Partei (282 Sitze), den Kongress an der Regierung ab (AA 16.8.2016). Die seit 2004 regierende Kongress-geführte Koalition unter Manmohan Singh erlitt hingegen große Verluste, womit Sonia Gandhi und Sohn Rahul nun auf die Oppositionsbank rücken (Eurasisches Magazin 24.5.2014; vgl. auch:

FAZ 16.5.2014, GIZ 11.2016). Die AAP, die 2013 bei der Wahl in Delhi 28 von 70 Sitzen erringen konnte, errang landesweit nun nur vier Sitze (GIZ 11.2016; vgl. auch: FAZ 16.5.2014). Der BJP Spitzenkandidat, der bisherige Ministerpräsident von Gujarat, Narendra Modi, wurde zum Premierminister gewählt (AA 16.8.2016) und steht seit 16.5.2014 (GIZ 11.2016) einem 65-köpfigen Kabinett vor (AA 16.8.2016).

Die seit 2014 im Amt befindliche neue Regierung will nicht nur den marktwirtschaftlichen Kurs fortsetzen, sondern ihn noch intensivieren, indem bürokratische Hemmnisse beseitigt und der Protektionismus verringert werden soll. Ausländische Investoren sollen verstärkt aktiv werden (GIZ 12.2016).

Unter Premierminister Modi betreibt Indien eine aktivere Außenpolitik als zuvor. Die frühere Strategie der "strategischen Autonomie" wird zunehmend durch eine Politik "multipler Partnerschaften" mit allen wichtigen Ländern in der Welt überlagert. Wichtigstes Ziel der indischen Außenpolitik ist die Schaffung eines friedlichen und stabilen globalen Umfelds für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes und die Profilierung als aufstrebende Großmacht (AA 9.2016b). Ein ständiger Sitz im VN-Sicherheitsrat ist dabei weiterhin ein strategisches Ziel (GIZ 12.2016). Gleichzeitig strebt Indien eine stärkere regionale Verflechtung mit seinen Nachbarn an. Indien ist Dialogpartner der südostasiatischen Staatengemeinschaft (Association of Southeast Asian Nations - ASEAN) und Mitglied im "ASEAN Regional Forum" (ARF). Auch bilateral hat Indien in den letzten Monaten seine Initiativen in den Nachbarländern verstärkt. Überdies nimmt Indien am East Asia Summit und seit 2007 auch am Asia-Europe Meeting (ASEM) teil. In der BRICS-Staatengruppe (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) hat Indien im Februar 2016 von Russland den diesjährigen Vorsitz übernommen. Bei ihrem Treffen in Ufa im Juli 2015 beschloss die Shanghai Cooperation Organisation (SCO), Indien und Pakistan nach Abschluss der Beitrittsprozeduren als Vollmitglieder aufzunehmen (AA 9.2016b).

Die Beziehungen zum gleichfalls nuklear gerüsteten Nachbarn Pakistan haben sich jüngst erneut zugespitzt. In den Jahrzehnten seit der Unabhängigkeit haben sich wiederholt Phasen des Dialogs und der Spannungen bis hin zur kriegerischen Auseinandersetzung abgelöst.

Größtes Hindernis für eine Verbesserung der Beziehungen ist weiterhin das Kaschmirproblem (AA 9.2016b).

Indien ist durch das Nuklearabkommen mit den USA ein Durchbruch gelungen. Obwohl es sich bis heute weigert, dem Atomwaffensperrvertrag beizutreten, bedeutet das Abkommen Zugang zu Nukleartechnologie. Ebenfalls positiv hat sich das Verhältnis Indiens zu China entwickelt. Zwar sind die strittigen Grenzfragen noch nicht geklärt, aber es wurden vertrauensbildende Maßnahmen vereinbart, um zumindest in dieser Frage keinen Konflikt mehr herauf zu beschwören. Auch ist man an einer weiteren Steigerung des bilateralen Handels interessiert, der sich binnen eines Jahrzehnts mehr als verzehnfacht hat (GIZ 12.2016).

Die Beziehungen zu Bangladesch sind von besonderer Natur, teilen die beiden Staaten doch eine über 4.000 km lange Grenze, kontrolliert Indien die Oberläufe der wichtigsten Flüsse Bangladeschs, und war Indien maßgeblich an der Entstehung Bangladeschs beteiligt. Schwierige Fragen wie Transit, Grenzverlauf, ungeregelter Grenzübertritt und Migration, Wasserverteilung und Schmuggel werden in regelmäßigen Regierungsgesprächen erörtert. Die Beziehungen des Landes zur EU sind vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht von besonderer Bedeutung. Die EU ist der größte Handels- und Investitionspartner Indiens. Der Warenhandel in beide Richtungen hat sich faktisch stetig ausgeweitet (GIZ 12.2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (16.8.2016): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien

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AA - Auswärtiges Amt (9.2016a): Indien, Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/sid_AC539C62A8F3AE6159C84F7909652AC5/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Indien/Innenpolitik_node.html, Zugriff 5.12.2016

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AA - Auswärtiges Amt (9.2016b): Indien, Außenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/sid_F210BC76845F7B2BE813A33858992D23/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Indien/Aussenpolitik_node.html, Zugriff 29.12.2016

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FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (16.5.2014): Modi ist Mann der Stunde,

http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/fruehaufsteher/wahlentscheid-in-indien-modi-ist-der-mann-der-stunde-12941572.html, Zugriff 4.1.2017

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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (12.2016): Indien,

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3. Sicherheitslage

Indien ist reich an Spannungen entlang von Ethnien, Religionen, Kasten und auch Lebensperspektiven. Widersprüche, Gegensätze oder Konflikte entladen sich in den gesellschaftlichen Arenen und werden von der Politik aufgegriffen, verarbeitet und teilweise instrumentalisiert (GIZ 11.2016). Blutige Terroranschläge haben in den vergangenen Jahren in Indiens Millionen-Metropolen wiederholt Todesopfer gefordert (Eurasisches Magazin 24.5.2014). Die Spannungen im Nordosten des Landes gehen genauso weiter wie die Auseinandersetzung mit den Naxaliten (GIZ 11.2016). Das staatliche Gewaltmonopol wird gebietsweise von den Aktivitäten der "Naxaliten" in Frage gestellt (AA 16.8.2016).

Terroristische Anschläge in den vergangenen Jahren (Dezember 2010 in Varanasi, Juli 2011 Mumbai, September 2011 New Delhi und Agra, April 2013 in Bangalore, Mai 2014 Chennai und Dezember 2014 Bangalore) und insbesondere die Anschläge in Mumbai im November 2008 haben die Regierung unter Druck gesetzt. Von den Anschlägen der letzten Jahre wurden nur wenige restlos aufgeklärt und die als Reaktion auf diese Vorfälle angekündigten Reformvorhaben zur Verbesserung der indischen Sicherheitsarchitektur wurden nicht konsequent umgesetzt (AA 24.4.2015). Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2011 1.073 Todesopfer durch terrorismusrelevante Gewalt, für das Jahr 2012 803, für das Jahr 2013 885, für das Jahr 2014 976 für das Jahr 2015 722 und für das Jahr 2016 835 [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (SATP 9.1.2017).

Konfliktregionen sind Jammu und Kashmir, die nordöstlichen Regionen und der maoistische Gürtel. In Jharkhand und Bihar setzten sich die Angriffe von maoistischen Rebellen auf Sicherheitskräfte und Infrastruktur fort. In Punjab kam es bis zuletzt durch gewaltbereite Regierungsgegner immer wieder zu Ermordungen und Bombenanschlägen. Neben den islamistischen Terroristen tragen die Naxaliten (maoistische Untergrundkämpfer) zur Destabilisierung des Landes bei. Von Chattisgarh aus kämpfen sie in vielen Unionsstaaten (von Bihar im Norden bis Andrah Pradesh im Süden) mit Waffengewalt gegen staatliche Einrichtungen. Im Nordosten des Landes führen zahlreiche Separatistengruppen einen Kampf gegen die Staatsgewalt und fordern entweder Unabhängigkeit oder mehr Autonomie (United Liberation Front Assom, National Liberation Front Tripura, National Socialist Council Nagaland, Manipur People's Liberation Front etc.). Der gegen Minderheiten wie Moslems und Christen gerichtete Hindu-Radikalismus wird selten von offizieller Seite in die Kategorie Terror eingestuft, vielmehr als "communal violence" bezeichnet (ÖB 12.2016).

Gegen militante Gruppierungen, die meist für die Unabhängigkeit bestimmter Regionen eintreten und/oder radikalen Auffassungen anhängen, geht die Regierung mit großer Härte und Konsequenz vor. Sofern solche Gruppen der Gewalt abschwören, sind in der Regel Verhandlungen über ihre Forderungen möglich. Gewaltlose Unabhängigkeitsgruppen können sich politisch frei betätigen (AA 16.8.2016).

Pakistan und Indien

Pakistan erkennt weder den Beitritt Jammu und Kaschmirs zur indischen Union im Jahre 1947 noch die seit dem ersten Krieg im gleichen Jahr bestehende de-facto-Aufteilung der Region auf beide Staaten an. Indien hingegen vertritt den Standpunkt, dass die Zugehörigkeit Jammu und Kaschmirs in seiner Gesamtheit zu Indien nicht zur Disposition steht (AA 9.2016b). Seit 1947 gab es bereits drei Kriege, davon zwei aufgrund des umstrittenen Kaschmirgebiets. Friedensgespräche, die 2004 begannen, wurden trotz Spannungen wegen der Kaschmirregion und sich immer wieder ereignenden schweren Bombenaschlägen bis zu den von Islamisten durchgeführten Anschlägen in Mumbai 2008, fortgesetzt (BBC 27.9.2016).

Indien wirft Pakistan vor, Infiltrationen von Terroristen auf indisches Staatsgebiet zumindest zu dulden, wenn nicht zu befördern. Größere Terroranschläge in Indien in den Jahren 2001 und 2008 und der jüngste terroristische Angriff auf eine Militärbasis im indischen Teil Kaschmirs hatten die Spannungen in den bilateralen Beziehungen erheblich verschärft. Indien reagierte auf den Anschlag, bei dem 18 indische Soldaten ums Leben kamen, mit einer begrenzten Militäroperation ("surgical strike") im pakistanisch kontrollierten Teil Kaschmirs, die sich nach indischen Angaben gegen eine bevorstehende terroristische Infiltration richtete. In der Folge kommt es immer wieder zu Schusswechseln zwischen Truppenteilen Indiens und Pakistans an der Waffenstillstandslinie in Kaschmir. Indien sieht Pakistan in der Verantwortung für die terroristischen Bedrohungen an seiner Nordwestgrenze und erhöht den Druck auf den Nachbarn, um wirksame pakistanische Maßnahmen gegen den Terrorismus zu erreichen (AA 9.2016b). Bei einem Treffen in New York Ende September 2013 vereinbarten die Premierminister Singh und Sharif lediglich, den Waffenstillstand künftig besser einhalten zu wollen (GIZ 11.2016a). Der von 2014-2015 Hoffnung gebende Dialogprozess zwischen beiden Seiten ist über die aktuellen Entwicklungen zum Stillstand gekommen. Noch am Weihnachtstag 2015 hatte Premierminister Modi seinem pakistanischen Amtskollegen einen Überraschungsbesuch abgestattet und damit kurzzeitig Hoffnungen auf eine Entspannung aufkeimen lassen (AA 9.2016b).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (24.4.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Indien

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AA - Auswärtiges Amt (16.8.2016): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien

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AA - Auswärtiges Amt (9.2016b): Indien - Außenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/sid_09493FC61FD08185D486477F8D93E1EE/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Indien/Aussenpolitik_node.html, Zugriff 5.12.2016

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BBC - British Broadcasting Corporation (27.9.2016): India country profile - Overview,

http://www.bbc.co.uk/news/world-south-asia-12557384, Zugriff 5.12.2016

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http://www.eurasischesmagazin.de/artikel/Indien-nach-den-Wahlen-eine-Analyse/14017, Zugriff 5.12.2016

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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (11.2016a): Indien,

http://liportal.giz.de/indien/geschichte-staat.html, Zugriff 5.12.2016

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ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi (12.2016):

Asylländerbericht Indien

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SATP - South Asia Terrorism Portal (9.1.2017): Data Sheet - India Fatalities: 1994-2016,

http://www.satp.org/satporgtp/countries/india/database/indiafatalities.htm, Zugriff 9.1.2017

3.1. Punjab

Laut Angaben des indischen Innenministeriums zu den Zahlen der Volkszählung im Jahr 2011 leben von den 21 Mio. Sikhs 16 Millionen. im Punjab (MoHA o.D.) und bilden dort die Mehrheit (USDOS 10.8.2016).

Der Terrorismus im Punjab ist Ende der 1990er Jahre nahezu zum Erliegen gekommen. Die meisten hochkarätigen Mitglieder der verschiedenen militanten Gruppen haben den Punjab verlassen und operieren aus anderen Unionsstaaten oder Pakistan. Finanzielle Unterstützung erhalten sie auch von Sikh-Exilgruppierungen im westlichen Ausland (ÖB 12.2016). Nichtstaatliche Kräfte, darunter organisierte Aufständische und Terroristen, begehen jedoch zahlreiche Morde und Bombenanschläge im Punjab und Konfliktregionen wie etwa Jammu und Kaschmir (USDOS 13.4.2016). Im Juli 2015 griffen Mitglieder einer bewaffneten Gruppe eine Polizeiwache und einen Busbahnhof in Gurdaspur im Bundesstaat Punjab an und töteten drei Zivilpersonen und vier Polizisten. 15 Personen wurden verletzt (USDOS 2.7.2016; vgl. auch: AI 24.2.2016). Es handelte sich dabei um den ersten größeren Anschlag seit den Aktivitäten militanter Sikhs in 1980er und 1990er Jahren (USDOS 2.7.2016).

Im Oktober 2015 gab es in fünf Distrikten des Punjab weitverbreitete und gewalttätige Proteste der Sikhs gegen die Regierung in Punjab. Dabei hat die Polizei auf Protestanten geschossen und zwei Personen getötet sowie 80 Personen verletzt. Grund der Proteste waren Berichte, laut denen unbekannte Täter das heilige Buch der Sikhs entweiht hätten. Die Polizei hat ein Duzend Protestanten wegen versuchten Mordes, Beschädigung öffentlichen Eigentums und des Tragens von illegalen Waffen festgenommen. Was die Aufarbeitung der Gewaltausbrüche im Jahr 1984, bei denen 3.000 Menschen, darunter hauptsächlich Sikhs, ums Leben gekommen seien betrifft, so kommen Gerichtsverfahren nur langsam voran. Zivilgesellschaftliche Aktivisten und Interessensverbände der Sikhs zeigen sich weiterhin besorgt, dass die Regierung die Verantwortlichen noch nicht zur Rechenschaft ziehen konnte (USDOS 10.8.2016).

Der illegale Waffen- und Drogenhandel von Pakistan in den indischen Punjab hat sich in letzter Zeit verdreifacht. Im Mai 2007 wurden dem indischen Geheimdienst Pläne der ISI bekannt, die gemeinsam mit BKI und anderen militanten Sikh- Gruppierungen Anschläge auf Städte im Punjab (Jalandhar, Ludhiana, Pathankot) beabsichtigten. Die Sicherheitsbehörden im Punjab konnten bislang die aufkeimende Wiederbelebung der militanten Sikh-Bewegung erfolgreich neutralisieren (ÖB 12.2016). In Jammu und Kaschmir, im Punjab und in Manipur haben die Behörden besondere Befugnisse ohne Haftbefehl Personen zu suchen und zu inhaftieren (USDOS 13.4.2016; vgl. auch:

BBC 20.10.2015). Menschenrechtsberichten zufolge kommt es im Punjab regelmäßig zu Fällen von Menschenrechtsverletzungen insbesondere der Sicherheitsbehörden (extralegale Tötungen, willkürliche Festnahmen, Folter in Polizeigewahrsam, Todesfolge von Folter etc.) (ÖB 12.2016). Ehrenmorde stellen vor allem in den nördlichen Bundesstaaten Haryana und Punjab weiterhin ein Problem dar. Menschenrechtsorganisationen schätzen, dass bis zu 10% aller Tötungen in diesen Staaten sogenannte Ehrenmorde sind (USDOS 13.4.2016).

Die Staatliche Menschenrechtskommission im Punjab hat in einer Reihe von schweren Menschenrechtsverletzungen durch die Sicherheitskräfte (Folter, Folter mit Todesfolge, extra-legale Tötungen etc.) interveniert. In vielen Fällen wurde die Behörde zu Kompensationszahlungen verpflichtet. Die Menschenrechtskommission erhält täglich 200-300 Beschwerden über Menschenrechtsverletzung und ist in ihrer Kapazität überfordert. Oft sind Unterkastige oder Kastenlose Opfer der polizeilichen Willkür (ÖB 12.2016).

Die Zugehörigkeit zur Sikh-Religion ist kein Kriterium für polizeiliche Willkürakte. Die Sikhs, 60% der Bevölkerung des Punjabs, stellen im Punjab einen erheblichen Teil der Beamten, Richter, Soldaten und Sicherheitskräfte. Auch hochrangige Positionen stehen ihnen offen (ÖB 12.2016).

In Indien ist die Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit rechtlich garantiert und praktisch von den Behörden auch respektiert; in manchen Grenzgebieten sind allerdings Sonderaufenthaltsgenehmigungen notwendig. Sikhs aus dem Punjab haben die Möglichkeit sich in anderen Landesteilen niederzulassen, Sikh-Gemeinden gibt es im ganzen Land verstreut. Sikhs können ihre Religion in allen Landesteilen ohne Einschränkung ausüben. Aktive Mitglieder von verbotenen militanten Sikh-Gruppierungen, wie Babbar Khalsa International müssen mit polizeilicher Verfolgung rechnen (ÖB 12.2016).

Quellen:

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AI - Amnesty International (24.2.2016): Amnesty International Report 2015/16 - The State of the World's Human Rights - India, http://www.ecoi.net/local_link/319831/466697_de.html, Zugriff 5.1.2017

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BBC - British Broadcasting Corporation (20.10.2015): Why are Indian Sikhs angry?,

http://www.bbc.com/news/world-asia-india-34578463, Zugriff 5.1.2017

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MoHA - Government of India, Ministry of Home Affairs, Office of the Registrar General & Census Commissioner, India (o.D.): C-1 Population By Religious Community, http://www.censusindia.gov.in/2011census/C-01.html, Zugriff 5.1.2017

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ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi (12.2016):

Asylländerbericht Indien

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USDOS - US Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices 2015 - India, http://www.ecoi.net/local_link/322482/461959_de.html, Zugriff 5.12.2016

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USDOS - US Department of State (2.7.2016): Country Report on Terrorism 2015 - Chapter 2 - India, http://www.ecoi.net/local_link/324726/464424_de.html, Zugriff 5.1.2017

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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