Index
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;Norm
BAO §311;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Dr. Fellner, Dr. Hargassner, Mag. Heinzl und Dr. Fuchs als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Doralt, über die Beschwerde der G KG in W, vertreten durch Siemer-Siegl-Füreder & Partner, Rechtsanwälte in Wien I, Dominikanerbastei 10, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 16. Oktober 1998, Zl ESt/063-16/14/98, betreffend Abweisung eines Devolutionsantrages, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin übersandte dem Finanzamt am 11. September 1997 eine Erklärung über einheitlich und gesondert festzustellende Einkünfte aus selbständiger Arbeit sowie eine Umsatzsteuererklärung für das Jahr 1996. Die Abgabenerklärungen langten beim Finanzamt am 12. September 1997 ein.
Mit Schriftsatz vom 15. September 1998 (eingelangt bei der Finanzlandesdirektion am 21. September 1998) verlangte die Beschwerdeführerin mangels Erlassung der auf Grund der Abgabenerklärungen zu erlassenden Bescheide innerhalb der Frist des § 311 Abs 2 zweiter Satz BAO den Übergang der Zuständigkeit auf die Abgabenbehörde zweiter Instanz.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde diesen Devolutionsantrag mit der Begründung ab, dass ein ausschließliches Verschulden der Abgabenbehörde erster Instanz an der verzögerten Veranlagung 1996 nicht vorliege. Anlässlich einer für die Jahre 1992 bis 1995 durchgeführten abgabenbehördlichen Prüfung seien Feststellungen getroffen worden, welche sich auch auf die Veranlagung des Jahres 1996 und die Folgejahre auswirkten. Gegen die entsprechend den Feststellungen des Prüfers erstellten Abgabenbescheide (für die Jahre 1992 bis 1995) sei am 11. September 1998 eine umfangreiche Berufung zu verschiedenen Fragen (Firmenwertabschreibung, Leistungsabgrenzung zu einer anderen Gesellschaft, Geschäftsführerbezug und Kfz-"Luxustangente") erhoben worden, auf Grund derer noch ergänzende Ermittlungen erforderlich seien. Das "in Devolution gezogene Veranlagungsjahr" sei somit von einer Reihe von Vorfragen abhängig, die als Hauptfragen von anderen Stellen zu entscheiden seien und deren Erledigungen, wenn auch ohne förmliche Unterbrechung oder Aussetzung im Sinn des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. September 1983, 83/11/0087, und des Verfassungsgerichtshofes vom 2. März 1985, B 248, 431, 571/83, abgewartet werden sollte.
Der Sachverhaltsdarstellung des angefochtenen Bescheides ist zu entnehmen, dass die auf Grund der abgabenbehördlichen Prüfung ergangenen Bescheide am 3. August 1998 ausgefertigt wurden.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen die Abweisung des Devolutionsantrages erhobene Beschwerde erwogen:
Gemäß § 311 Abs 1 BAO sind die Abgabenbehörden verpflichtet, über die in Abgabenvorschriften vorgesehenen Anbringen der Parteien ohne unnötigen Aufschub zu entscheiden.
Werden Bescheide der Abgabenbehörden erster Instanz der Partei nicht innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach Einlangen der Anbringen bekannt gegeben (§ 97), so geht auf schriftliches Verlangen der Partei die Zuständigkeit zur Entscheidung gemäß § 311 Abs 2 BAO auf die Abgabenbehörde zweiter Instanz über. Für auf Grund von Abgabenerklärungen zu erlassende Bescheide (§§ 185 ff) beträgt die Frist ein Jahr. Gemäß § 311 Abs 4 BAO sind Anträge gemäß Abs 2 und 3 unmittelbar bei der Abgabenbehörde zweiter Instanz einzubringen; sie sind abzuweisen, wenn die Verspätung nicht ausschließlich auf ein Verschulden der Abgabenbehörde erster Instanz zurückzuführen ist.
Ein solches Verschulden verneinte die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid unter Hinweis auf die Notwendigkeit eines länger dauernden Ermittlungsverfahrens und auf im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Stellen zu entscheiden gewesen seien.
Bei der behaupteten Notwendigkeit eines länger dauernden Ermittlungsverfahrens zur Erlassung der Bescheide für 1996 ausschließlich in Ansehung von Folgewirkungen der Feststellungen der abgabenbehördlichen Prüfung betreffend die Jahre 1992 bis 1995 auf die einheitlich und gesonderte Feststellung der Einkünfte für 1996 und auf die Veranlagung zur Umsatzsteuer 1996 übersieht die belangte Behörde, dass das Ermittlungsverfahren zur Bescheiderlassung hinsichtlich der Jahre 1992 bis 1995 mit Erlassung dieser Bescheide nach durchgeführter Prüfung abgeschlossen war und damit auch das Ermittlungsverfahren hinsichtlich deren Auswirkungen auf das Jahr 1996 als abgeschlossen betrachtet werden muss. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass auf Grund der rund ein Monat nach Bescheiderlassung erhobenen Berufung gegen diese Bescheide auf Grund des Berufungsvorbringens allenfalls neuerliche Ermittlungen zur Entscheidung der Berufung erforderlich werden konnten. Von der belangten Behörde wird in keiner Weise dargetan, weshalb zwischen dem Abschluss des Ermittlungsverfahrens zur Erlassung der auf Grund der abgabenbehördlichen Prüfung zu erlassenden Bescheide (3. August 1998) und dem Einlangen der dagegen erhobenen Berufung (11. September 1998) entsprechende, die Folgewirkungen der Prüfung berücksichtigende Abgabenbescheide für das Jahr 1996 nicht hätten erlassen werden können. Soweit die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid meint, die Abgabenbehörde erster Instanz hätte bis 12. September 1998 (1 Jahr nach Einlangen der Abgabenerklärungen für 1996) die Veranlagung 1996 vornehmen können, wenn nicht hinsichtlich der Vorjahre am 7. September 1998 die Rechtsmittelfrist verlängert und am 11. September 1998 die umfangreiche Berufung eingebracht worden wäre, ist nicht zu erkennen, inwiefern die Berufungserhebung am 11. September 1998 einer Erlassung der Bescheide für 1996 davor entgegenstand.
Die belangte Behörde beruft sich zur Verneinung eines Verschuldens der Abgabenbehörde erster Instanz an der unterlassenen Bescheiderlassung für 1996 auch auf eine Reihe von "Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Stellen" zu entscheiden gewesen wären und meint mit diesen "anderen Stellen" im Hinblick auf die Passage des angefochtenen Bescheides, wonach die Finanzlandesdirektion als Devolutionsbehörde nicht wisse, wie der für die Berufung zuständige weisungsfreie Berufungssenat über die Berufungspunkte entscheiden werde, offenbar den Berufungssenat. Diese Rechtfertigung ist aber - abgesehen davon, dass bei rechtzeitiger, und wie oben ausgeführt durchaus möglicher Bescheiderlassung eine Zuständigkeit der Finanzlandesdirektion als "Devolutionsbehörde" gar nicht entstanden wäre - schon deswegen verfehlt, weil dem Berufungssenat eine Entscheidung erst nach Einbringung einer Berufung obliegt. Davor, im Beschwerdefall somit bis 11. September 1998, oblag die Beurteilung abgabenrechtlich relevanter Sachverhalte, sei es hinsichtlich der Jahre 1992 bis 1995, sei es hinsichtlich des Jahres 1996, jedenfalls der Abgabenbehörde erster Instanz.
Es mag zutreffen, dass nach gestelltem Devolutionsantrag die zuständig gewordene Finanzlandesdirektion nicht weiß, wie der weisungsfreie Berufungssenat über die anhängige Berufung entscheiden wird. Aus diesem Umstand kann aber weder abgeleitet werden, dass das Ermittlungsverfahren zur Erlassung der Bescheide für das Jahr 1996 - vor Erhebung einer Berufung - von vom Berufungssenat zu entscheidenden "Vorfragen" abhängig sei, noch kann daraus auf ein fehlendes Verschulden der Abgabenbehörde erster Instanz an einer unterlassenen Bescheiderteilung (vor dem Zeitpunkt der Erhebung der Berufung) geschlossen werden. Soweit die belangte Behörde den Devolutionsantrag als solchen als "Einengungsversuch" im Rahmen einer Verfahrensstrategie der Beschwerdeführerin versteht, ist diese Einschätzung - abgesehen davon, dass sie zur Begründung der Rechtmäßigkeit der Abweisung des Devolutionsantrages nichts beiträgt - unter Berücksichtigung des Umstandes, dass auch für den Berufungssenat eine fristgebundene Entscheidungspflicht besteht, nicht recht verständlich. Fällt der Berufungssenat innerhalb der gesetzlich normierten Frist (deren Ablauf war hier der 11. März 1999) eine Entscheidung über die anhängige Berufung, so steht einer (fristgerechten) Erlassung der Bescheide für 1996 durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz im Rahmen der durch den Devolutionsantrag auf sie übergegangenen Zuständigkeit auch unter Berücksichtigung allfälliger Folgewirkungen der Berufungsentscheidung auf die Bescheide für dieses Jahr nichts entgegen.
Da die belangte Behörde somit in Verkennung der Rechtslage zu Unrecht ein ausschließliches Verschulden der Abgabenbehörde erster Instanz an der nicht fristgerechten Bescheiderlassung verneint und den Devolutionsantrag abgewiesen hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl Nr 416/1994.
Wien, am 15. September 1999
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1999130075.X00Im RIS seit
20.11.2000