Entscheidungsdatum
07.11.2018Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W136 2161275-1/15E
Schriftliche Ausfertigung des am 04.10.2018 mündlich verkündeten Erkenntnisses:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Brigitte HABERMAYER-BINDER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.05.2017, Zl. 1082344808-151073831, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 04.10.2018 zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status einer Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß §°3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
I. Verfahrensgang:
Die Beschwerdeführerin, eine afghanische Staatsbürgerin, Tadschikin und sunnitische Muslimin, stellte nach illegaler Einreise am 12.08.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Im Zuge der am folgenden Tag durchgeführten Erstbefragung gab die Beschwerdeführerin zu ihren Fluchtgründen im Wesentlichen an, dass eine ihrer Töchter von einem Fremden verfolgt worden sei. Dieser sei oft bei ihrer Haustüre gewesen, sodass sie sich nicht (mehr) sicher und bedroht gefühlt hätten. Aus Angst um ihr Leben seien sie geflüchtet. Bei einer Rückkehr würde sie fürchten, von diesem Fremden getötet zu werden. Dieser habe sie und besonders ihre Tochter schikaniert.
Am 24.08.2016 wurde die Beschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein einer Dolmetscherin für die arabische Sprache niederschriftlich einvernommen. Dabei gab die Beschwerdeführerin zu ihren Fluchtgründen im Wesentlichen an, dass ihre Tochter XXXX auf dem Schulweg von einem Kommandanten belästigt worden sei. Dieser sei in einem Auto neben ihr hergefahren, habe ihr geschmeichelt und versucht, sie zu berühren. Wie sie geschrien habe, sei er weggefahren. Ihre Tochter sei daraufhin zwei Tage nicht in die Schule gegangen. Als sie danach wieder in die Schule gegangen sei, sei sie sechs Tage später auf dem Nachhauseweg erneut belästigt worden. Diesmal sei dieser Mann in einem anderen Auto unterwegs und mit einer Pistole bewaffnet gewesen. Er sei mit zwei bewaffneten Männern ausgestiegen, habe ihre Tochter gepackt, sie gezerrt und mit seinem Ellbogen an der Brust verletzt, wie sie ihren Arm zurückgezogen habe. Als sie dann geschrien habe und andere Leute dazugekommen seien, seien die drei Männer ins Auto gestiegen und davongefahren. Wie ihre Tochter davon berichtet habe, hätten ihr Mann und sie beschlossen, dass XXXX nicht mehr zur Schule gehen soll, zumal sie beim nächsten Versuch eine Entführung befürchtet hätten. Da ihre Tochter alleine zu Hause gewesen sei und sie deshalb befürchtet hätten, dass ihr etwas passiert, habe XXXX dann bis zur (gemeinsamen) Ausreise bei einer Schwester der Beschwerdeführerin gelebt. Danach seien drei Frauen zu ihnen nach Hause gekommen, um sich umzusehen. Sie seien vom Hauttyp her dunkel, ähnlich dem Verfolger ihrer Tochter gewesen, sodass sie davon ausgehen würde, dass sie eigentlich zur Brautwerbung gekommen seien. Sie würde den Verfolger nicht kennen, ihr Mann habe sich aber nach mehrmaligen Bedrohungen über ihn erkundigt. Sie seien nicht zur Polizei gegangen, weil dieser Mann Uniform getragen habe und selbst Mitglied der Regierung gewesen sei. Deshalb hätten sie auch nicht den Wohnort wechseln können, weil er sie überall verfolgt hätte. Der Mann sei unter dem Namen Kommandant Farad bekannt gewesen. Bei einer Rückkehr würde der Mann zuerst ihre Tochter und danach die ganze Familie umbringen. Davon abgesehen hätten sie in Afghanistan keine Freiheit gehabt, sodass sie eine Burka tragen hätte und ihre Töchter sich für die Schule voll verschleiern hätten müssen. Auf Frage der Rechtsvertreterin führte sie zu den Unterschieden zwischen ihrem Leben in Afghanistan und hier zusammenfassend an, dass ihre Tochter in der Heimat einen Schleier für die Schule und sie selbst die Burka tragen müsste. Sie habe die Burka immer getragen. Auch die Freiheiten ihrer Söhne seien eingeschränkt gewesen. Sie habe Angst gehabt, dass man ihre Söhne entführen würde, um so zu ihrer Tochter zu kommen. Befragt, bestätigte sie, dass ihre Töchter ihre Ehemänner nunmehr selbst aussuchen und sogar einen Nichtmoslem wählen könnten. Außerdem könnte ihre Tochter XXXX nun schwimmen gehen. Auf Wunsch der Rechtsvertreterin wurde protokolliert, dass Frau XXXX westlich gekleidet sei und kein Kopftuch tragen würde.
Mit am 16.09.2016 per E-Mail gesendeten Schreiben wurde eine Stellungnahme abgegeben, in der zunächst auf die höchstgerichtliche Judikatur zur geschlechtsspezifischen Verfolgung von Frauen in Afghanistan hingewiesen wurde. So würde etwa der Asylgerichtshof in einer Entscheidung (vgl. AGH vom 21.11.2013, Zl. C2 438227-1/2013) davon ausgehen, dass bei afghanischen Frauen, jedenfalls wenn diese aus Sicht der afghanischen Gesellschaft als "heiratsfähig" erscheinen würden, von Amts wegen zu klären sei, ob ihnen eine Zwangsverheiratung droht, wie ihre Wohnsituation gewesen sei und wie sie vom "Haushaltsvorstand" behandelt worden seien, ob ein hinreichend klar artikulierter Wunsch nach dem Beginn einer Ausbildung bzw. einer beruflichen Tätigkeit vorliegen würde, ob ihre Ehe intakt oder der Trennungswille schon unmissverständlich artikuliert bzw. ob bereits rechtliche Schritte gesetzt worden seien, und ob die Beschwerdeführerin westlich orientiert sei. Weiters würde insbesondere der Umstand, dass ein viel älterer oder ein unbekannter Mann zur Sprache steht, eine Zwangsehe indizieren. Ferner wird darauf hingewiesen, dass die Beschwerdeführerin (und ihre Töchter) während ihres Aufenthalts in Österreich einen westlichen Lebensstil angenommen hätten. Sie würden alleine einkaufen gehen, ein selbstbestimmtes Leben führen und einen Bildungs- bzw. Berufswunsch haben. Außerdem würden sich die Beschwerdeführerin und ihr Ehemann für ihre Töchter ein selbstbestimmtes Leben, fernab des traditionellen afghanischen Frauenbildes wünschen. Dies sei auch durch die ihren Töchtern zugestandene freie Partnerwahl ersichtlich. Ihre Töchter könnten somit selbständige Entscheidungen treffen, sowohl was ihre Religionsausübung, als auch ihren Berufswunsch bzw. ihre Heiratsabsichten betrifft. Wie sich aus einem Sachverständigengutachten von Mag. MALYAR ergeben würde, müssten sich auch die in afghanischen Provinzräten und im Parlament vertretenen Frauen an die Kleidervorschriften halten, da es ansonsten zu einer religiösen Verfolgung kommen würde. Die Beschwerdeführerin und ihre Töchter würden sich westlich kleiden und kein Kopftuch tragen, sodass sie alleine deshalb in Afghanistan einer religiösen Verfolgung ausgesetzt wären. Sie seien nämlich keineswegs willens, sich an die Kleidervorschriften in Afghanistan zu halten, da sie mittlerweile in Österreich eine westliche Orientierung angenommen hätten. In diesem Zusammenhang wurde auf die auszugsweise angeführte Rechtsprechung des Asylgerichtshofes verwiesen, wonach afghanischen Frauen der Asylstatus (alleine) aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe zuzuerkennen sei (vgl. C 17 404.600-2/2009/5E, C 17 408.557-1/2009/4E uva.). Abschließend wird auf eine Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs (vgl. VfGH vom 23.02.2015, U 218-219/2014-9) verwiesen, in der zu Recht erkannt worden sei, dass der Asylgerichtshof es verabsäumt habe, den Beschwerdeführerinnen aufgrund ihrer westlichen Orientierung den Asylstatus zuzuerkennen. Aus diesen Gründen werde die Zuerkennung des Asylstatus beantragt.
Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.05.2017, dem Rechtsvertreter am 30.05.2017 zugestellt, wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Weiters wurde ihr gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 der Status einer subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Afghanistan nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §°57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wurde gegen sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z°2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Schließlich wurde darauf hingewiesen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt IV.).
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl traf herkunftsstaatsbezogene Feststellungen zur allgemeinen Lage in Syrien, stellte die Identität der Beschwerdeführerin nicht fest und begründete im angefochtenen Bescheid die abweisende Entscheidung im Wesentlichen damit, dass die Beschwerdeführerin mit den von ihr behaupteten Angaben zu den Gründen der Ausreise eine individuelle Verfolgungsgefahr in ihrer Heimat nicht glaubhaft dargelegt habe. Die Schilderungen ihres Fluchtgrundes seien für die Behörde nicht plausibel und es würde zu näher angeführten Abweichungen zu den (beiden) Vorbringen ihrer Tochter XXXX und ihres Mannes kommen. Es würde sich daher der Schluss aufdrängen, dass sie versucht habe, ihren Fluchtgrund mit den Angaben ihrer Tochter XXXX und ihres Mannes zu akkordieren, um so - ihrer Meinung nach - eine stimmige Geschichte zu präsentieren. Weiters sei es nicht glaubhaft, dass sie auch in den letzten Jahren gezwungen gewesen sei, eine Burka zu tragen. Zwei näher angeführte Beispiele würden nämlich zeigen, dass die afghanische Regierung deutliche Zeichen setzen würde, dass Frauen im öffentlichen Leben keine Burka tragen müssen. Außerdem sei es ihr durch ihre langjährige Tätigkeit als Lehrerin möglich gewesen, ein selbstbestimmteres Leben zu führen als viele andere Frauen in Afghanistan, denen der Zugang zu Bildung und Berufstätigkeit verwehrt sei. Schließlich würde der Umstand, dass sie im Bundesgebiet kein Kopftuch trägt, für sich allein genommen noch kein ausschlaggebendes Motiv für eine "westliche Orientierung" darstellen. Ihren Angaben, wonach sie am XXXX schwimmen gehen würde, werde kein Glauben geschenkt, zumal es dort kein Schwimmbad geben würde. Sie habe daher nicht glaubhaft machen können, dass die Ereignisse in ihrer Heimat, die zu ihrer Ausreise geführt hätten, als eine individuell gegen sie aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität etc. gerichtete Verfolgung zu werten seien.
Mit Verfahrensanordnung gemäß § 63 Abs. 2 AVG vom 22.05.2017 wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG der Verein Menschenrechte Österreich als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.
Gegen den oben genannten Bescheid wurde fristgerecht eine (gemeinsame) Beschwerde erhoben, welche am 08.06.2017 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einlangte. In dieser wurde nach einer Wiederholung des bisherigen Verfahrensganges im Wesentlichen ausgeführt, dass die belangte Behörde kein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt habe. Sie wäre von Amts wegen verpflichtet gewesen, die Situation afghanischer Frauen zu ermitteln und hätte der Beschwerdeführerin bzw. ihrer Tochter XXXX entsprechende Fragen stellen müssen. Die Beschwerdeführerin und ihre Tochter seien nämlich zu ihrer westlichen Orientierung nicht ausreichend befragt worden. Die Behörde wäre aufgrund der (einschlägigen) Rechtsprechung verpflichtet gewesen, entsprechende Fragen zur geschlechtsspezifischen Verfolgung von Frauen in Afghanistan zu stellen. Es sei augenscheinlich, dass die beiden Frauen auch aufgrund ihres Auftretens als westlich orientiert gelten würden und sohin nach der höchstgerichtlichen Judikatur asylrechtlich relevanter Verfolgung ausgesetzt wären. Sie seien westlich gekleidet gewesen und hätten in der Einvernahme kein Kopftuch getragen bzw. ihre in Österreich gewonnene Freiheit ausdrücklich betont. Ihre nunmehr liberale Orientierung sei im Bescheid gänzlich ignoriert und als nicht glaubhaft eingestuft worden. Die beiden hätten während ihres Aufenthalts im Bundesgebiet einen westlichen Lebensstil angenommen, würden in Österreich alleine einkaufen gehen, ein selbstbestimmtes Leben führen und einen (konkreten) Bildungs- bzw. Berufswunsch haben. Sie würden gerne schwimmen und Radfahren, somit Sportarten nachgehen, denen die beiden in Afghanistan nie nachgehen könnten. Wie sich aus einem Sachverständigengutachten von Mag. MALYAR ergeben würde, seien afghanische Frauen in Provinzräten und im Parlament zwar vertreten, müssten sich aber dennoch an die Kleidervorschriften halten, zumal ansonsten mit einer religiösen Verfolgung zu rechnen wäre. Da die Beschwerdeführerin und ihre Tochter eine westliche Orientierung angenommen hätten und sich westlich kleiden bzw. kein Kopftuch tragen würden, würden sie alleine deshalb einer religiösen Verfolgung ausgesetzt sein, zumal sie keineswegs willens seien, sich an die Kleidervorschriften in Afghanistan zu halten, da sie mittlerweile in Österreich eine westliche Orientierung angenommen hätten. Sie würden von der (afghanischen) Gesellschaft daher verstoßen und keinesfalls akzeptiert werden. Abschließend wurden noch Argumente dafür angeführt, wonach ihnen zumindest subsidiärer Schutz zuzuerkennen wäre.
Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorgelegt und sind am 13.06.2017 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.
Mit Schreiben vom 12.09.2018 wurden die Beschwerdeführerin und ihre Familienangehörigen zu Handen ihres bevollmächtigten Vertreters und das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 04.10.2018 geladen.
Mit Schreiben vom 26.09.2018 wurde seitens der Beschwerdeführerin und ihrer Familienangehörigen eine (gemeinsame) Stellungnahme abgegeben und wurden Urkunden zur Integration der Familie vorgelegt. Darin wurde zusammenfassend im Wesentlichen über die Situation von Frauen in Afghanistan berichtet und ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin sich in ihrer Wertehaltung (mittlerweile) überwiegend an dem in Europa mehrheitlich gelebten, "westlichen" Frauen- und Gesellschaftsbild orientieren würde.
Am 04.10.2018 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Dari und in Anwesenheit der beschwerdeführenden Parteien und deren Vertretung eine mündliche Verhandlung durch, bei der die beschwerdeführenden Parteien im Detail zu ihren Fluchtgründen befragt wurden. Die belangte Behörde entschuldigte sich bezüglich der Teilnahme an der Verhandlung. Nach einer umfassenden Erörterung der Fluchtgründe und aufgrund des seitens der Richterin u.a. von der Beschwerdeführerin gewonnenen Eindrucks wurde das gegenständliche Erkenntnis gemäß § 29 Abs. 2 VwGVG samt den wesentlichen Entscheidungsgründen mündlich verkündet.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die zulässige Beschwerde erwogen:
1. Feststellungen:
Auf Grundlage des Antrags auf internationalen Schutz vom 12.08.2015, der Einvernahmen der Beschwerdeführerin durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:
1.1. Zur Person und zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführerin:
Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige von Afghanistan, Angehörige der tadschikischen Volksgruppe und bekennt sich zum sunnitischen Islam. Sie stammt aus XXXX , aus dem Stadtteil XXXX .
Die Beschwerdeführerin hat Afghanistan am XXXX illegal mit einem PKW in Richtung Tadschikistan verlassen. Danach ist sie über ihr unbekannte Länder, u.a. über Ungarn schließlich nach Österreich gelangt, wo sie am 12.08.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat.
Bei der Beschwerdeführerin handelt es sich um eine auf Eigenständigkeit bedachte Frau, die in ihrer persönlichen Wertehaltung und in ihrer Lebensweise an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als "westlich" bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert ist.
Sie bewegt sich in Österreich alleine im öffentlichen Raum, geht hier alleine bzw. mit ihrer Tochter in den Supermarkt oder in Bekleidungsgeschäfte (H&M, C&A, New Yorker) einkaufen, trifft sich alleine mit Freunden, darunter Afghanen, Araber und Österreicher und geht mit ihnen spazieren. Weiters geht sie mit ihrer Tochter regelmäßig in eine Turnhalle bzw. schwimmen und beaufsichtigt freiwillig Kinder von Teilnehmern an Informationstagungen des Jugendamts. Sie ist darum bemüht, die deutsche Sprache zu erlernen und spricht schon etwas Deutsch. Sie kleidet sich nach westlicher Mode und trägt in Österreich kein Kopftuch.
Bei der Beschwerdeführerin liegt das dargestellte Verfolgungsrisiko daher in ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der am "westlichen" Frauen- und Gesellschaftsbild orientierten afghanischen Frauen (vgl. VwGH 22.03.2017, Ra 2016/18/0388; 23.01.2018, Ra 2017/18/0301 ua.). Es ist aufgrund der in das Verfahren eingeführten Länderberichte (v.a. aus den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016 zur Situation von Frauen in Afghanistan) zu prognostizieren, dass sie im Falle einer nunmehrigen Rückkehr nach Afghanistan als westlich orientierte Frau mit hoher Wahrscheinlichkeit Eingriffen von erheblicher Intensität ausgesetzt sein wird (vgl. dazu insbesondere die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018).
Sie hat einen solchen westlich orientierten Lebensstil seit ihrem Aufenthalt in Österreich verstärkt angenommen. Diese - in Österreich angenommene - selbstbestimmte Lebensweise, die zu einem wesentlichen Teil ihrer Identität geworden ist, ist der Beschwerdeführerin auch nicht schon deshalb abzusprechen, weil sie in Österreich primär den Haushalt führt und sich um die gehörlose Tochter kümmert (s. VwGH 23.01.2018, Ra 2017/18/0301 ua.).
Es kann von ihr nicht erwartet werden, dieses Verhalten in Afghanistan zu unterdrücken oder überhaupt abzulegen, um dort nicht physischer und/oder psychischer Gewalt ausgesetzt zu sein.
Die Beschwerdeführerin ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
1.2. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:
Aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 29.06.2018, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, wird auszugsweise wie folgt angeführt:
"[...] Frauen:
Die Lage afghanischer Frauen hat sich in den letzten 15 Jahren zwar insgesamt ein wenig verbessert, jedoch nicht so sehr wie erhofft. Wenngleich es in den unterschiedlichen Bereichen viele Fortschritte gab, bedarf die Lage afghanischer Frauen spezieller Beachtung. Die afghanische Regierung ist bemüht, die Errungenschaften der letzten eineinhalb Jahrzehnte zu verfestigen - eine Institutionalisierung der Gleichberechtigung von Frauen in Afghanistan wird als wichtig für Stabilität und Entwicklung betrachtet (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. UNAMA/OHCHR 5.2018). In einigen Bereichen hat der Fortschritt für Frauen stagniert, was großteils aus der Talibanzeit stammenden, unnachgiebigen konservativen Einstellungen ihnen gegenüber geschuldet ist (BFA Staatendokumentation 4.2018). Viel hat sich seit dem Ende des Talibanregimes geändert: Frauen haben das verfassungsmäßige Recht an politischen Vorgängen teilzunehmen, sie streben nach Bildung und viele gehen einer Erwerbstätigkeit nach (TET 15.3.2018). Artikel 22 der afghanischen Verfassung besagt, dass jegliche Form von Benachteiligung oder Bevorzugung unter den Bürgern Afghanistans verboten ist. Die Bürger Afghanistans, sowohl Frauen als auch Männer, haben vor dem Gesetz gleiche Rechte und Pflichten (MPI 27.1.2004). In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der Umsetzung dieser Rechte (AA 5.2018; vgl. UNAMA/OHCHR 5.2018). Die konkrete Situation von Frauen kann sich allerdings je nach regionalem und sozialem Hintergrund stark unterscheiden (AA 9.2016; vgl. USDOS 20.4.2018). Traditionell diskriminierende Praktiken gegen Frauen existieren insbesondere in ländlichen und abgelegenen Regionen weiter (AA 5.2018). [...]"
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat:
Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.
2.2. Zu den Feststellungen zur Person der Beschwerdeführerin und zu ihrem Fluchtvorbringen:
Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführerin, ihrer Herkunft, ihrer Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit gründen sich auf die diesbezüglich glaubhaften Angaben der Beschwerdeführerin. Ihre Identität konnte mangels Vorlage unbedenklicher Dokumente nicht festgestellt werden; der im Spruch angeführte Name dient lediglich zur Identifizierung der Beschwerdeführerin als Verfahrenspartei. Die im Verfahren vorgelegten Dokumente (insbesondere afghanische Geburtsurkunde) waren nämlich nicht geeignet, die Identität der Beschwerdeführerin zweifelsfrei nachzuweisen. Die Feststellungen zur Fluchtroute gründen sich auf die diesbezüglich glaubhaften Angaben der Beschwerdeführerin.
Das Datum der Antragstellung und die Ausführungen zum Verfahrensverlauf ergeben sich aus dem Akteninhalt.
Die Feststellungen zur persönlichen Situation der Beschwerdeführerin ergeben sich aus ihren Angaben im Rahmen des Verfahrens vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl sowie aus Abfragen in den entsprechenden amtlichen österreichischen Registern (Zentrales Melderegister, Fremdeninformationssystem, Grundversorgungs-Informationssystem). Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister.
Die Feststellung, dass es sich bei der Beschwerdeführerin um eine auf Eigenständigkeit bedachte Frau handelt, die in ihrer persönlichen Wertehaltung und in ihrer Lebensweise an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als "westlich" bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert ist, konnte aufgrund ihrer Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht und des dabei von ihr gewonnenen persönlichen Eindrucks getroffen werden. Sie konnte das erkennende Gericht davon überzeugen, dass sie die ihr in Österreich zukommenden Freiheiten als Frau wahrnimmt und sich mit diesen bereits identifiziert. Vor allem die Beschwerdeführerin konnte vor dem Bundesverwaltungsgericht überzeugend und glaubhaft darlegen, dass sie sich einer westlichen Wertehaltung und einem westlichen Frauen- sowie Gesellschaftsbild zugehörig fühlt, nach einer solchen sowie einem solchen lebt und daran festzuhalten gewillt ist, dies besonders unter dem Aspekt, dass sie bereits in Afghanistan entgegen sonstiger gesellschaftlicher Usancen einen Beruf gelernt und ausgeübt hat.
Sie hat in der mündlichen Verhandlung glaubhaft ausgesagt, dass sie sich in Österreich alleine im öffentlichen Raum bewegt, hier alleine bzw. mit ihrer Tochter in den Supermarkt oder in Bekleidungsgeschäfte (H&M, C&A, New Yorker) einkaufen geht, sich alleine mit Freunden, darunter Afghanen, Araber und Österreicher trifft und mit ihnen spazieren geht. Weiters geht sie mit ihrer Tochter regelmäßig in eine Turnhalle bzw. schwimmen und beaufsichtigt freiwillig Kinder von Teilnehmern an Informationstagungen des Jugendamts. Sie ist darum bemüht, die deutsche Sprache zu erlernen und spricht schon etwas Deutsch. Sie kleidet sich nach westlicher Mode und trägt in Österreich insbesondere kein Kopftuch. Vor allem davon konnte sich das erkennende Gericht in der mündlichen Verhandlung überzeugen. Sie konnte in der Verhandlung auch überzeugend und glaubhaft darlegen, dass sie die Umstände und Lebensverhältnisse für Frauen in Afghanistan ablehnt und sich einer westlichen Wertehaltung und einem westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild zugehörig fühlt, sowie nach einer solchen bzw. einem solchen lebt und daran festhalten will. Sie hat diesbezüglich ausgesagt, dass sie in Afghanistan eine Burka bzw. innerhalb ihrer Schule einen langen Mantel und einen großen Schleier getragen habe und niemals so auf die Straße gehen habe können, wie sie heute gekleidet ist. Sie würde sich heute kleiden, wie sie es möchte. Auch sei es ihr in der Heimat nicht möglich gewesen, (allein) einkaufen zu gehen oder Kurse zu belegen. In der Heimat habe sie hingegen gewusst, dass es in der afghanischen Gesellschaft nicht gutgeheißen wird, dass sie täglich das Haus verlässt und arbeiten geht. Sie habe mehrmals Leute beobachtet, die sich darüber unterhalten hätten. Es bestehen für das Gericht auch keine Zweifel daran, dass die Beschwerdeführerin dabei von ihren in Österreich aufhältigen Familienangehörigen unterstützt wird. Sie hat vor der erkennenden Richterin nämlich glaubhaft vermittelt, dass sich ihr Mann bereits in Afghanistan niemals gegen ihre Berufstätigkeit gestellt habe und im Bundesgebiet sogar bei der Hausarbeit helfen würde. In der Heimat hat er hingegen überhaupt nicht geholfen, da afghanische Männer dies grundsätzlich als Schande sehen würden. Verstärkt wird die seitens der Beschwerdeführerin geübte Ablehnung afghanischer Traditionen nach Ansicht der erkennenden Richterin auch durch ihre Aussage in der Einvernahme am 24.08.2016, dass ihre Töchter in Österreich ihre Ehemänner nunmehr selbst aussuchen und sogar einen Nichtmoslem wählen könnten. Diese Einstellung wird letztlich aber auch durch ihr Vorbringen in der Verhandlung bestätigt, wonach ihre Töchter ihre Freizeit hier so gestalten könnten, wie sie es möchten und ein relativ selbstbestimmtes Leben führen würden.
Was ihr Fluchtvorbringen, eine mögliche Zwangsheirat ihrer Tochter XXXX betrifft, haben die Beschwerdeführerin, ihr Ehegatte und ihre gemeinsame Tochter XXXX zu ihren Ausreisegründen im Verlauf des gesamten Verfahrens im Wesentlichen gleichbleibende sowie übereinstimmende Angaben gemacht und einen insgesamt nachvollziehbaren und schlüssigen Sachverhalt vorgebracht. Insoweit die belangte Behörde diesbezüglich von Abweichungen der einzelnen Vorbringen ausgeht, handelt es sich dabei lediglich um Kleinigkeiten, die durch die unterschiedlichen Blickwinkel und Anschauungsweisen der Betrachter bedingt sein können bzw. wurden allfällige Divergenzen seitens des Ehegatten der Beschwerdeführerin auch damit plausibel begründet, dass er mitgeteilt hat, seine Familienangehörigen über bestimmte Ereignisse gar nicht informiert zu haben, um sie nicht zusätzlich zu beunruhigen. Es kann dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl daher nicht gefolgt werden, dass ihre Fluchtgeschichte unglaubwürdig sei. Nachdem ihr aber bereits aufgrund ihrer westlichen Wertehaltung und ihres westlichen Frauen- und Gesellschaftsbildes mit entsprechend hoher Wahrscheinlichkeit eine asylrelevante Verfolgung in ihrer Heimat droht, kann eine diesbezügliche Gefährdung daher dahingestellt bleiben.
Die Rückkehrbefürchtungen der Beschwerdeführerin stellen sich daher - vor dem Hintergrund der dem gegenständlichen Verfahren zugrunde gelegten Länderfeststellungen -als plausibel dar.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Eine derartige Regelung wird in den einschlägigen Materiengesetzen (BFA-VG, AsylG 2005) nicht getroffen und es liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.
3.2. Zu A):
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).
Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 09.03.1999, 98/01/0370). Verlangt wird eine "Verfolgungsgefahr", wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (vgl. VwGH 27.01.2000, 99/20/0519). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.03.1995, 95/19/0041; 26.02.2002, 99/20/0509 mwN; 17.09.2003, 2001/20/0177) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (vgl. VwGH vom 22.03.2003, 99/01/0256 mwN).
Nach der Rechtsprechung des VwGH ist der Begriff der "Glaubhaftmachung" im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften iSd ZPO zu verstehen. Es genügt daher diesfalls, wenn der [Beschwerdeführer] die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugt. Diesen trifft die Obliegenheit zu einer erhöhten Mitwirkung, dh er hat zu diesem Zweck initiativ alles vorzubringen, was für seine Behauptung spricht (Hengstschläger/Leeb, AVG § 45 Rz 3 mit Judikaturhinweisen). Die "Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der "hierzu geeigneten Beweismittel", insbesondere des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (vgl. VwGH 19.03.1997, 95/01/0466). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt der freien Beweiswürdigung der Behörde (VwGH 27.05.1998, 97/13/0051).
Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).
Bei dem in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Asylgrund der "Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe" handelt es sich um einen Auffangtatbestand, der sich in weiten Bereichen mit den Gründen "Rasse, Religion und Nationalität" überschneidet, jedoch weiter gefasst ist als diese. Unter Verfolgung wegen Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe wird eine - nicht sachlich gerechtfertigte - Repression verstanden, die nur Personen trifft, die sich durch ein gemeinsames soziales Merkmal auszeichnen, die also nicht verfolgt würden, wenn sie dieses Merkmal nicht hätten (VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479).
Gemäß § 3 Abs. 3 Z 1 und § 11 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Asylwerber in einem Teil seines Herkunftsstaates vom Staat oder von sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet und ihm der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann ("innerstaatliche Fluchtalternative"). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK vorliegen kann (vgl. zur Rechtslage vor dem AsylG 2005 z.B. VwGH 15.03.2001, 99/20/0036; 15.03.2001, 99/20/0134, wonach Asylsuchende nicht des Schutzes durch Asyl bedürfen, wenn sie in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen). Damit ist - wie der Verwaltungsgerichtshof zur GFK judiziert - nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen - mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates - im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer "internen Flucht- oder Schutzalternative" (VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534) innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal wirtschaftliche Benachteiligungen auch dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (VwGH 08.11.2007, 2006/19/0341, mwN).
Wie im Rahmen der Beweiswürdigung ausführlich dargelegt wurde, ist es der Beschwerdeführerin gelungen, glaubhaft zu machen, eine am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientierte Frau zu sein, bei der diese Lebensweise zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer Identität geworden ist. Sie hat damit aus den folgenden Gründen eine maßgebliche Verfolgungswahrscheinlichkeit aus einem der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK genannten Gründe aufgezeigt:
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes können Frauen Asyl beanspruchen, die aufgrund eines gelebten "westlich" orientierten Lebensstils bei der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat verfolgt werden würden. Gemeint ist damit eine von ihnen angenommene Lebensweise, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt. Voraussetzung ist, dass diese Lebensführung zu einem solch wesentlichen Bestandteil der Identität der Frauen geworden ist, dass von ihnen nicht erwartet werden kann, dieses Verhalten im Heimatland zu unterdrücken, um einer drohenden Verfolgung wegen Nichtbeachtung der herrschenden politischen und/oder religiösen Normen zu entgehen (vgl. VwGH 23.01.2018, Ra 2017/18/0301; 22.03.2017, Ra 2016/18/0388).
Nicht entscheidend ist, ob die Asylwerberin schon vor ihrer Ausreise aus dem Herkunftsstaat eine derartige Lebensweise gelebt hatte und deshalb bereits verfolgt worden ist. Es reicht vielmehr aus, dass sie diese Lebensweise im Zuge ihres Aufenthalts in Österreich angenommen hat und bei Fortsetzung dieses Lebensstils im Falle der Rückkehr mit Verfolgung rechnen müsste (vgl. VwGH 23.01.2018, Ra 2017/18/0301; 06.07.2011, 2008/19/0994).
Die Annahme einer in Österreich bestehenden selbstbestimmten Lebensweise, die zu einem wesentlichen Teil ihrer Identität geworden ist, kann einer Asylwerberin auch nicht schon deshalb abgesprochen werden, weil sie als alleinerziehende Mutter von mehreren minderjährigen Kindern den Haushalt führt und sich um die Kindererziehung kümmert (VwGH 23.01.2018, Ra 2017/18/0301).
Aus den vorliegenden herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen zur aktuellen Lage von Frauen in Afghanistan ergeben sich zwar keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass alle afghanischen Frauen gleichermaßen allein auf Grund ihres gemeinsamen Merkmals der Geschlechtszugehörigkeit und ohne Hinzutreten weiterer konkreter sowie individueller Eigenschaften im Fall ihrer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr liefen, im gesamten Staatsgebiet Afghanistans einer systematischen asylrelevanten (Gruppen) Verfolgung ausgesetzt zu sein. Die Intensität von den in den Länderberichten aufgezeigten Einschränkungen und Diskriminierungen kann jedoch bei Hinzutreten weiterer maßgeblicher individueller Umstände, insbesondere einer diesen - traditionellen und durch eine konservativ-religiöse Einstellung geprägten - gesellschaftlichen Zwängen nach außen hin offen widerstrebenden Wertehaltung einer Frau, ein asylrelevantes Ausmaß erreichen.
Den Richtlinien des UNHCR zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016, welchen nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besondere Beachtung zu schenken ist (siehe VwGH 08.08.2017, Ra 2017/19/0118, mit Verweis auf VwGH 22. 11.2016, Ra 2016/20/0259, mwN), ist zum Beispiel zu entnehmen, dass sich die afghanische Regierung zwar bemüht, die Gleichheit der Geschlechter zu fördern, jedoch Frauen aufgrund bestehender Vorurteile und traditioneller Praktiken nach wie vor weit verbreiteter gesellschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Diskriminierung ausgesetzt sind und gerade Frauen, die vermeintlich soziale Normen und Sitten verletzen, gesellschaftlich stigmatisiert werden und hinsichtlich ihrer Sicherheit gefährdet sind. Frauen sind daher besonders gefährdet, in Afghanistan Opfer von Misshandlungen zu werden, wenn ihr Verhalten - wie z.B. die freie Fortbewegung oder eine ausgeübte Erwerbstätigkeit - als nicht mit den von der Gesellschaft, von der Tradition oder sogar vom Rechtssystem auferlegten Geschlechterrollen vereinbar angesehen wird.
Für die Beschwerdeführerin wirkt sich die derzeitige Situation in Afghanistan so aus, dass sie im Falle einer Rückkehr einem Klima ständiger latenter Bedrohung, struktureller Gewalt sowie unmittelbaren Einschränkungen und durch das Bestehen dieser Situation der Gefahr einer Reihe von Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt wäre. Gerade die Beschwerdeführerin unterliegt einer diesbezüglich erhöhten Gefährdung, weil sie auf Grund ihrer Wertehaltung und Lebensweise bei einer Rückkehr gegenwärtig in Afghanistan als Frau wahrgenommen werden würde, die sich als nicht konform ihrer durch die Gesellschaft, die Tradition und das Rechtssystem vorgeschriebenen geschlechtsspezifischen Rolle benimmt. Sie ist insofern einem besonderen Misshandlungsrisiko ausgesetzt (vgl. hierzu auch EGMR 20.07.2010, 23.505/09, N./Schweden, ebenfalls unter Hinweis auf UNHCR).
Vor diesem Hintergrund kann nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass der Beschwerdeführerin im Falle ihrer Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen drohen würden.
Diese Verfolgungsgefahr findet auch ihre Deckung in einem der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründe, zumal die Beschwerdeführerin einer bestimmten sozialen Gruppe, nämlich jener der am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientierten afghanischen Frauen, zugehörig ist.
Es haben sich im vorliegenden Fall daher ausreichende Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Beschwerdeführerin vor diesen Bedrohungen im Herkunftsstaat nicht ausreichend geschützt werden kann. Zwar stellen die angeführten Bedrohungen keine Eingriffe von staatlicher Seite dar, der Zentralregierung ist es jedoch nicht möglich, für die umfassende Gewährleistung grundlegender Rechte und Freiheiten der afghanischen Frauen Sorge zu tragen. Es besteht in Afghanistan gegenwärtig nämlich kein funktionierender Polizei- und Justizapparat. Ferner ist vor dem Hintergrund der oben getroffenen Länderfeststellungen nicht davon auszugehen, dass im Wirkungsbereich einzelner lokaler Machthaber effektive Mechanismen zur Verhinderung von Übergriffen und Einschränkungen gegenüber Frauen bestünden. Vielmehr liegt ein derartiges Vorgehen gegenüber Frauen teilweise ganz im Sinne der lokalen Machthaber.
Für die Beschwerdeführerin ist damit nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass sie angesichts des sie als westlich orientierte Frau betreffenden Risikos, Opfer von Misshandlungen und Einschränkungen zu werden, ausreichenden Schutz im Herkunftsstaat finden kann.
Eine innerstaatliche Fluchtalternative ist im Fall der Beschwerdeführerin nicht gegeben. Es ist im gesamten Staatsgebiet von Afghanistan von einer Situation auszugehen, in der am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientierte afghanische Frauen einem erhöhten Sicherheitsrisiko ausgesetzt sind.
Es sind auch im Zuge des Verfahrens keine Hinweise hervorgekommen, wonach einer der in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- oder Ausschlusstatbestände eingetreten sein könnte.
Die Beschwerdeführerin konnte somit glaubhaft machen, dass ihr im Herkunftsstaat (zumindest) aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientierten afghanischen Frauen mit hoher Wahrscheinlichkeit Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 ist die Entscheidung, mit der einem Fremden von Amts wegen oder aufgrund eines Antrages auf internationalen Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Der Beschwerde ist daher gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 3 Abs. 1 AsylG 2005 stattzugeben und festzustellen, dass der Beschwerdeführerin kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz am 12.08.2015, somit vor dem 15.11.2015 gestellt wurde, wodurch insbesondere die §§ 2 Abs. 1 Z 15 und 3 Abs. 4 AsylG 2005 idF des Bundesgesetzes BGBl. I 24/2016 ("Asyl auf Zeit") gemäß § 75 Abs. 24 leg. cit. im konkreten Fall keine Anwendung finden.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.
Schlagworte
asylrechtlich relevante Verfolgung, gesamtes Staatsgebiet,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:W136.2161275.1.00Zuletzt aktualisiert am
09.01.2019