TE Bvwg Beschluss 2018/11/12 W153 2199143-1

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Veröffentlicht am 12.11.2018
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Entscheidungsdatum

12.11.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

W153 2199185-1/3E

W153 2199143-1/3E

W153 2199187-1/3E

W153 2199188-1/3E

W153 2199184-1/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Christoph KOROSEC als Einzelrichter über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX , 2.) XXXX , geb. XXXX , 3.) XXXX , geb. XXXX , gesetzlich vertreten durch die Kindesmutter XXXX , 4.) XXXX , geb. XXXX , gesetzlich vertreten durch die Kindesmutter XXXX , 5.) XXXX , geb. XXXX , alle StA. aus Afghanistan, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.05.2018, Zlen 1.) 1098784909-151985318, 2.) 1098785002-151985355, 3.) 1098785209-151985385, 4.) 1098785100-15985393, 5.) 1098785209-151985385, beschlossen:

A) In Erledigung der Beschwerden werden die angefochtenen Bescheide

behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG idgF zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind Ehegatten, der minderjährige Drittbeschwerdeführer, die minderjährige Viertbeschwerdeführerin und die minderjährige Fünftbeschwerdeführerin sind ihre gemeinsamen Kinder. Am 12.12.2015 stellten der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin für sich und ihre Kinder die vorliegenden Anträge auf internationalen Schutz in Österreich und wurden am 14.12.2015 hierzu erstbefragt. Hierbei gab der Erstbeschwerdeführer an, seine Heimat wegen Grundstückstreitigkeiten verlassen zu haben. Beide volljährigen Beschwerdeführer gaben im Wesentlichen übereinstimmend an, dass der Erstbeschwerdeführer drei Mal vom Iran nach Afghanistan abgeschoben worden sei. Die Kinder hätten im Iran keine Schule besuchen können. Zudem sei der Drittbeschwerdeführer Autist und man hätte dessen Behandlung bzw. Medikamente nicht mehr leisten können.

Am 09.04.2018 wurden der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin einer Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) unterzogen, bei welcher sie auch einige integrationsbestätigende Unterlagen vorlegten.

Hierbei wiederholte der Erstbeschwerdeführer im Wesentlichen seinen Fluchtgrund und führte die Ursachen näher aus. Der Erstbeschwerdeführer habe - außer seiner Schwester - keine weiteren Verwandten in der Heimat mehr und zu niemanden Kontakt. Er habe dann ungefähr 16 Jahre lang im Iran gewohnt und als Hilfskraft gearbeitet. Dabei sei er ein paar Mal im Iran festgenommen worden, habe sich jedoch durch Zahlungen befreien können. Einmal sei er zur Grenze nach Afghanistan abgeschoben worden. Er sei aber dann wieder in den Iran zurückgekehrt. 2003 habe er im Iran seine Frau geheiratet, mit welcher er drei Kinder habe. Seinen beiden Töchtern gehe es gut, aber sein Sohn habe Autismus. Mangels Unterstützung sei eine Behandlung im Iran nicht möglich gewesen, weshalb die Beschwerdeführer den Iran letztlich verlassen hätten.

Die Zweitbeschwerdeführerin gab im Zuge der Einvernahme an, dass sie im Alter von 5 Jahren mit ihren Eltern Afghanistan verlassen und 34 bzw. 35 Jahre bis zu ihrer Ausreise im Iran gelebt habe. Sie selbst habe in Afghanistan keine Probleme, habe dort aber keine Familie. Ihre Eltern seien im Iran gestorben. Sie habe noch einen Bruder und eine Schwester im Iran.

Das BFA hat mit den angefochtenen Bescheiden die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.), als auch bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde den Beschwerdeführern gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) wurde gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt V.) und dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt VI.).

Zusammengefasst führte das BFA aus, dass der Erstbeschwerdeführer durch die von ihm dargelegten Probleme im Zuge einer Grundstücksstreitigkeit keine aktuelle, individuelle Verfolgungsgefahr in Afghanistan habe glaubhaft machen können. Eine individuelle oder konkrete Bedrohung bzw. Verfolgung als Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und als schiitischer Moslem habe ebenfalls nicht festgestellt werden können. Es sei glaubhaft, dass der Erstbeschwerdeführer mit dem Wunsch nach Migration und Versorgung seines autistischen Sohnes nach Europa gereist sei. Er habe jedoch keine aktuelle oder zum Fluchtzeitpunkt bestehende asylrelevante Verfolgung dargelegt. Es stehe eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul/Mazar-e Sharif/Herat zur Verfügung.

In Hinblick auf die Zweitbeschwerdeführerin wurde ausgeführt, dass für die Behörde nicht erkennbar sei, dass sie in Österreich einen derartigen inneren und auch nach außen sichtbaren Wertewandel erfahren habe, der ihr ein Leben in Afghanistan verunmöglichen würde. Weder aus ihren Angaben noch aus ihrem Auftreten könne entnommen werden, dass sie westlich orientiert sei und deshalb in Afghanistan einer zukünftigen Bedrohung oder Verfolgung ausgesetzt sein könnte.

Hinsichtlich des Drittbeschwerdeführers wurde festgehalten, dass er zwar an einer schweren, jedoch keinesfalls lebensbedrohlichen Krankheit leiden würde und seine Pflege und Obsorge bisher durch seine Eltern gegeben gewesen und auch künftig durch seine Eltern gesichert sei. Zudem sei die Behandlung von Autismus im Sinne von Therapien in Afghanistan ähnlich wie in Mitteleuropa behandelbar.

Hinsichtlich der Viert- und Fünftbeschwerdeführerin wurde lediglich festgehalten, dass für sie keine eigenen Fluchtgründe angegeben worden seien. Es sei nichts zu erkennen gewesen, was auf eine Verfolgungsgefahr hindeuten könnte. Bildungsmöglichkeiten seien in Afghanistan verfügbar. Bei einer Rückkehr würden ihre Eltern im Herkunftsstaat in der Lage sein, eine ausreichende Lebensgrundlage zu finden.

Dagegen wurde fristgerecht Beschwerde erhoben und ausgeführt, dass die Beschwerdeführer - entgegen der Ansicht der belangten Behörde - keine sozialen Anknüpfungspunkte in Afghanistan hätten. Es sei kaum wahrscheinlich, dass der Erstbeschwerdeführer oder die Zweitbeschwerdeführerin in Afghanistan eine Arbeit finden würden. Der Drittbeschwerdeführer würde aufgrund seiner Behinderung ausgegrenzt und mangelhaft oder gar nicht medizinisch behandelt werden. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin müssten bei einer Rückkehr nach Afghanistan allein schon wegen der Behandlungsbedürftigkeit des Drittbeschwerdeführers Kredite aufnehmen, womit sie - mangels Alternative - entsprechend der Sitten in Afghanistan ihre Töchter "einsetzen" müssten. Den Töchtern drohe in Afghanistan eine Zwangsverheiratung, sodass asylrelevante Verfolgung vorliegen würde. Es sei - mangels Schulgeld bzw. auch wegen des extrem unterentwickelten Schulsystems für Mädchen in Afghanistan - kaum wahrscheinlich, dass die Viert- und Fünftbeschwerdeführerin eine Schulbildung genießen würden. Sollten sie - wie vorhin beschrieben - "eingesetzt" werden, bedeute dies auch, dass die Familie des zukünftigen Ehemannes über ihre Bildungsmöglichkeiten entscheiden würde. Generell habe es die belangte Behörde unterlassen, sich mit den in Afghanistan zu erwartenden Schwierigkeiten für die Kinder auseinanderzusetzen. Zuletzt wurde darauf verwiesen, dass es sich bei der Herkunftsprovinz Parwan um eine eher volatile Provinz handle, in die eine Rückkehr nicht in Frage komme.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zu Spruchteil A):

Zur Zurückverweisung der Angelegenheit an das BFA:

Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen, in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.

Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenen des § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung der mündlichen Verhandlung voraus. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 2. Satz VwVGV (vgl. VwGH 19.11.2009, 2008/07/0167: Tatsachenbereich; Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsverfahren, Manz, Anmerkung 2 und 11, Seiten 150 und 153f).

Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat. Diese Vorgangsweise setzt voraus, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063 mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet, welche er seitdem in ständiger Rechtsprechung bestätigt hat (vgl. VwGH 12.11.2014, Ra 2014/20/0019; 06.07.2016, Ra 2015/01/0123):

Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht komme nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststehe. Dies werde jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergebe.

Der Verfassungsgesetzgeber habe sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I 51, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden hätten, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen sei.

Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stelle die nach § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis stehe diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlange das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck finde, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht würde. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen komme daher insbesondere dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen habe, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt habe. Gleiches gelte, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen ließen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterlassen habe, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen würden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht (vgl. VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).

Ebenso hat der Verfassungsgerichtshof, in seinem Erkenntnis vom 07.11.2008, Zl. U 67/08-9, ausgesprochen, dass willkürliches Verhalten einer Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, dann anzunehmen ist, wenn in einem entscheidenden Punkt jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen wird oder ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren gar nicht stattfindet, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteienvorbringens oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhalts (vgl. VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001). Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (vgl. VfSlg. 13.302/1992 m. w. N., 14.421/1996, 15.743/2000).

Im vorliegenden Fall sind die seitens der Höchstgerichte gestellten Anforderungen an ein rechtsstaatliches Verfahren in qualifizierter Weise unterlassen worden, dies aus folgenden Erwägungen:

Die belangte Behörde ist gegenständlich zu dem Schluss gekommen, dass der Erstbeschwerdeführer keine aktuelle, individuelle Verfolgungsgefahr für Afghanistan vorgebracht habe. Die Zweitbeschwerdeführerin habe keinerlei Probleme in der Heimat geltend gemacht. Es könne bei ihr keine "westliche Orientierung" festgestellt werden. Der an Autismus leidende Drittbeschwerdeführer könne auch in Afghanistan behandelt werden und werde darüber hinaus von seinen Eltern unterstützt. Die Viert- und Fünftbeschwerdeführerin hätten keine eigenen Fluchtgründe.

Die Frage hinsichtlich einer zumutbaren Rückkehr der mj. Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer wurde jedoch in keiner Weise substantiell behandelt. Beim Drittbeschwerdeführer wird die bereits durch seine Minderjährigkeit begründete Vulnerabilität noch besonders durch den Umstand verstärkt, dass er an frühkindlichem Autismus leidet und deshalb einer besonderen Betreuung bzw. Behandlung bedarf.

In Zusammenhang mit der Situation von Kindern wird auf die bereits zum Entscheidungszeitpunkt der Behörde als bekannt vorauszusetzende umfangreiche Judikatur der Höchstgerichte verwiesen. Die Behörde hat jedoch jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit, wie sie in der Judikatur der Höchstgerichte im Falle von besonders vulnerablen Personen stets gefordert wird, unterlassen.

So hat der Verfassungsgerichtshof bereits mehrfach die Notwendigkeit zum Ausdruck gebracht, auf die Minderjährigkeit von Beschwerdeführern aus Afghanistan sowie ihre allgemeine Gefährdungslage ausreichend einzugehen und hat Entscheidungen ohne eine entsprechende, ausführliche Ermittlungstätigkeit bzw. ohne fundierte Länderfeststellungen hierzu behoben (siehe etwa VfGH vom 21.09.2017, E 2130-2132/2017-14; VfGH vom 11.10.2017, E 1734-1738/2017; VfGH vom 11.10.2017, E 1803-1805/2017-17, VfGH vom 13.12.2017, E 2497-2499/2016-17 oder jüngst VfGH vom 11.06.2018, E1815/2018-10).

Auch der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung immer wieder betont, dass man sich im Fall von Familien mit minderjährigen Kindern in erforderlicher Art und Weise mit den aufgrund der Minderjährigkeit von Kindern bestehenden besonderen Schwierigkeiten bei der Niederlassung in Kabul auseinanderzusetzen habe (siehe etwa VwGH vom 22.02.2018, Ra 2017/18/0357). In seiner Entscheidung vom 21.03.2018, Ra 2017/18/0474 sowie in einer aktuellen Entscheidung vom 06.09.2018, Ra 2018/18/0315 hat der Verwaltungsgerichtshof in Hinblick auf die besondere Vulnerabilität von mj. Kindern eine konkrete Auseinandersetzung dazu verlangt, welche Rückkehrsituation diese tatsächlich vorfinden würden. Diesbezüglich befand der Verwaltungsgerichtshof allgemeine Ausführungen zur Lage in Kabul als zu wenig (und verwies in diesem Zusammenhang auf den Umstand, dass die Mission der Vereinten Nationen in Afghanistan im Jahr 2016 die höchste Zahl an minderjährigen Opfern seit Aufzeichnungsbeginn verzeichnet habe). In der letztgenannten Entscheidung wurde ausgeführt, dass eine konkrete Beurteilung der Versorgungslage (insbesondere der Unterkunftsmöglichkeiten) notwendig sei. Die bereits schon bei der Erlassung des angefochtenen Bescheides bekannte - unter dem Gesichtspunkt der besonderen Vulnerabilität von Kindern dargelegte - Verpflichtung, sich konkret mit der tatsächlich vorzufindenden Rückkehrsituation einer Familie mit minderjährigen Kindern auseinanderzusetzen, hat der Verwaltungsgerichtshof wieder jüngst in einer behebenden Entscheidung in Bezug auf die Nichtzuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten betont (VwGH vom 04.10.2018, Ra 2018/18/0229).

Aufgrund des Alters und der Krankheit des Drittbeschwerdeführers und des jungen Alters der Viert- und Fünftbeschwerdeführerin in Verbindung mit der allgemein bekannten, sehr schlechten Situation für Kinder (die aufgrund ihrer besonderen Vulnerabilität einer Vielzahl von Risiken ausgesetzt sind) und speziell für Mädchen wäre die erstinstanzliche Behörde zur Einholung zusätzlicher medizinischer und Kinder betreffender Länderberichte amtswegig verpflichtet gewesen. In diesem Zusammenhang hat der Verfassungsgerichtshof in einer Entscheidung vom Juni 2018 ausgeführt, dass bei der Behandlung der Anträge auf internationalen Schutz von Minderjährigen, unabhängig davon, ob diese unbegleitet sind oder gemeinsam mit ihren Eltern oder anderen Angehörigen leben, zur Beurteilung der Sicherheitslage einschlägige Herkunftsländerinformationen, in die auch die Erfahrungen der Kinder Eingang finden, bei entsprechend schlechter allgemeiner Sicherheitslage jedenfalls erforderlich sind. Dementsprechend hat der Verfassungsgerichtshof wiederholt die Bedeutung entsprechender und aktueller Länderfeststellungen in Hinblick auf Minderjährige als besonders vulnerable Antragsteller hervorgehoben (vgl. VfGH vom 11.06.2018, E1815/2018-10 mwN).

Demnach wird sich das BFA im fortgesetzten Verfahren näher mit der spezifischen Situation der mj. Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer in Afghanistan auseinanderzusetzen haben. Insbesondere wird zu klären sein, ob die minderjährigen Beschwerdeführer konkreten, unzumutbaren Gefahren und die Viert- und Fünftbeschwerdeführerin allfälligen geschlechtsspezifischen Verfolgungshandlungen ausgesetzt sind bzw. ob sie einen gesicherten Zugang zu angemessener Bildung mit ausreichenden Garantien beim Schulbesuch hätten (siehe an dieser Stelle: VfGH vom 30.11.2017, E2528-2532/2017-24 zur mangelhaften Auseinandersetzung mit den Bildungsmöglichkeiten von drei minderjährigen Mädchen im schulpflichtigen Alter) und sie auch eine adäquate Versorgungslage vorfinden können. Bei der Prüfung der Versorgungslage wird insbesondere auch die Erkrankung des Drittbeschwerdeführers zu berücksichtigen und vor dem Hintergrund bezughabender Länderfeststellungen zu beurteilen sein.

Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - im konkrete Fall nicht ersichtlich. Das Verfahren würde durch eine Entscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht keine Beschleunigung erfahren, zumal die Verwaltungsbehörde durch die bei ihr eingerichtete Staatendokumentation wesentlich rascher und effizienter die notwendigen Ermittlungen nachholen kann. Gerade im konkreten Fall werden umfangreiche Recherchen notwendig sein, um die Zulässigkeit einer Rückkehr feststellen zu können, da es sich um eine Familie handelt, die im Iran gelebt hat und behauptet in Afghanistan über kein soziales Netzwerk mehr zu verfügen.

Da der maßgebliche Sachverhalt aufgrund der Unterlassung von Ermittlungen bezüglich der mj. Beschwerdeführer seitens der belangten Behörde im gegenständlichen Fall noch nicht feststeht, hat das Bundesverwaltungsgericht in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen und auch vor dem Hintergrund verwaltungsökonomischer Überlegungen und den Effizienzkriterien des § 39 Abs. 2 AVG von dem ihm in § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG eingeräumten Ermessen Gebrauch gemacht und die Angelegenheit zur Erlassung neuer Bescheide an das BFA zurückverwiesen.

Im fortgesetzten Verfahren wird das BFA unter Wahrung des Grundsatzes des Parteiengehörs die dargestellten Mängel zu verbessern haben.

Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG entfallen, zumal aufgrund der Aktenlage feststeht, dass die mit den Beschwerden angefochtenen Bescheide aufzuheben sind.

Zu Spruchteil B):

Gemäß § 25 Absatz 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF., hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht vorgekommen.

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar teilweise zur früheren Rechtslage ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, Familieneinheit,
Familienverfahren, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W153.2199143.1.00

Zuletzt aktualisiert am

11.01.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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