TE Bvwg Erkenntnis 2018/11/14 W119 2151544-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 14.11.2018
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Entscheidungsdatum

14.11.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch

W119 2151544-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a Eigelsberger als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch RA Mag. Robert Bitsche, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 8. 3. 2017, Zl. 1073516310 - 150671277, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 19. 9. 2018, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 57 AsylG 2005 idgF, § 9 BFA-VG idgF und §§ 52, 55 FPG idgF als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer stellte am 14. 6. 2015 in Österreich einen Antrag auf Gewährung von internationalem Schutz. Bei seiner Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 15. 6. 2015 gab er an, dass er afghanischer Staatsangehöriger sunnitischen Glaubens sei und der tadschikischen Volksgruppe angehöre. Er stamme aus Herat und habe dort sieben Jahre die Schule besucht. Zuletzt habe er als "Gehilfe" gearbeitet. In Afghanistan lebten seine Mutter, seine beiden Brüder und seine drei Schwestern. Sein Vater sei bereits verstorben. Als Fluchtgrund aus Afghanistan gab er an, dass ein Onkel väterlicherseits ihm seinen Erbteil weggenommen habe. Als er versucht habe, dies anzuzeigen, habe seine Mutter, die diesen Onkel geheiratet habe, gemeint, dass er ihr Leben nicht zerstören und dies akzeptieren solle. Er habe nichts mehr in Afghanistan. Auch die anderen Onkel seien gegen ihn gewesen. Er habe in Afghanistan nunmehr reichlich Feinde und könne dort nicht mehr leben. Bei einer Rückkehr würde er schlimme Auseinandersetzungen befürchten. Seine ganze Familie sei ihm zum Feind geworden.

Am 11. 11. 2015 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) einvernommen. Er gab an, psychisch und physisch in der Lage zu sein, Angaben zum Asylverfahren zu machen.

Er habe nach sieben Jahren Schulausbildung aus finanziellen Gründen als Gehilfe in einem Teppichgeschäft, einer Apotheke und in einem Kosmetikgeschäft arbeiten müssen. Mit afghanischen Behörden habe er keine Probleme gehabt. Er sei ledig und habe keine Kinder. Seine Ausreise habe er teilweise aus eigenen Ersparnissen, teilweise mit geliehenem Geld eines Cousins mütterlicherseits finanziert.

Zum Fluchtgrund befragt, gab der Beschwerdeführer an, dass sein Großvater als Erbe ein Haus, ein Geschäft und einen Baugrund hinterlassen habe. Sein Vater sei bereits zuvor gestorben, als er noch ein kleines Kind gewesen sei. Als der Beschwerdeführer von seinen fünf Onkeln väterlicherseits, einer von diesen habe nach dem Tod seines Vaters seine Mutter geheiratet, den Erbteil seines Vaters nach seinem Großvater verlangt habe, hätten diese ihn geschlagen. Er habe seinen Onkeln gesagt, dass er gegen sie eine Anzeige einbringen würde. Danach habe seine Großmutter seiner Mutter erzählt, dass ihre Söhne (die Onkel des Beschwerdeführers) vorhätten, ihn zu töten und er Afghanistan verlassen solle. Auch sei er wegen dieser Angelegenheit mit seinen Halbbrüdern in Streit geraten. Diese hätten ihn von zuhause "weggeschickt". Zudem habe sein Onkel, der auch sein Stiefvater sei, gedroht, seine Mutter zu verlassen, sollte es zu einer Anzeige kommen. Somit habe er Afghanistan verlassen müssen, weil sein Leben in Gefahr gewesen und die Ehe seiner Mutter auf dem Spiel gestanden sei.

Den Erbteil habe er vor "ca. über einem Jahr" verlangt, als er inzwischen erwachsen geworden sei. Er sei auch zu Weißbärtigen gegangen, um zu seinem Erbteil zu gelangen, doch habe auch dies nicht geholfen. Auf den Vorhalt, dass er zum Zeitpunkt als er seinen Erbteil verlangt habe, bereits 22 Jahre alt und damit mehrere Jahre erwachsen gewesen sei und seinen Erbteil nicht bereits in den Jahren zuvor verlangt habe, antwortete er: "Ich habe schon auch zuvor vorgeschlagen, ein Erbe zu bekommen."

Er sei zu einem Gericht gegangen "und habe dort den Sachverhalt erklärt." Als Folge davon habe er eine Vorladung seiner Onkel zu Gericht mitbekommen ("einen Zettel bekommen"). Als er diese Vorladung seinem Stiefvater gezeigt habe, habe dieser gedroht, seine Mutter zu verlassen, wenn er weiterhin behördlich gegen ihn vorginge. Seine Halbbrüder hätten mit ihm gestritten und ihn von zuhause weggeschickt. Sie hätten ihm gesagt, er habe keinen Platz mehr im Haus, weil er ihren Vater bei Gericht angezeigt habe.

Nach dieser Anzeige sei er glaublich noch über zwei Monate in Afghanistan verblieben. Bei Gericht habe er angegeben, dass seine Onkel ihm den Erbteil vorenthalten würden. Von den Drohungen habe er nicht berichtet, weil diese stattgefunden hätten, nachdem er bei Gericht gewesen sei. Befragt, ob es zutreffe, dass er wegen der Drohungen sich nicht gezwungen gesehen habe, Anzeige zu erstatten, antwortete der Beschwerdeführer: "Nein, ich bin nicht hingegangen."

Ungefähr acht bis zehn Tage nachdem er von der Absicht seiner Onkel erfahren habe, ihn zu töten, habe er Afghanistan verlassen. Sein Stiefvater habe sich nicht von seiner Mutter getrennt. Hätte er seinen Stiefvater bei der Polizei angezeigt, hätte dieser seine Mutter verlassen.

Auf den Vorhalt, dass er zuvor gesagt habe, er habe bei Gericht eine Anzeige erstattet, antwortete der Beschwerdeführer, dass man dort hingehe und von seinen Problemen erzähle. Die Personen, mit denen man die angezeigten Probleme habe, würden dann vom Gericht vorgeladen. Falls sie dort nicht erschienen, informiere das Gericht die Polizei.

Der Beschwerdeführer wurde am Ende der Einvernahme auf das Neuerungsverbot aufmerksam gemacht und gefragt, ob er sonst noch etwas asylrelevantes oder Bedeutendes angeben möchte, was ihm wichtig erscheine und nach dem er jedoch bislang nicht gefragt worden sei. Dazu gab er an, dass er alle seine Fluchtgründe erzählt habe. Zusammengefasst hätten seine Onkel väterlicherseits ihn wegen der Erbschaft töten wollen und die Ehe seiner Mutter sei auf dem Spiel gestanden. Diese habe ihn auch gebeten, das Land zu verlassen. Im Falle einer Rückkehr hätte er vor seinem Stiefvater und dessen Brüdern Angst, speziell vor einem namentlich genannten Onkel.

Nach der Rückübersetzung gab der Beschwerdeführer an, keine Einwendungen gegen die Niederschrift zu haben. Alles sei richtig und vollständig protokolliert.

Am 25. 11. 2016 langte beim Bundesamt eine Kopie der Tazkira des Beschwerdeführers samt deutscher Übersetzung ein.

Mit Bescheid des Bundesamtes vom 8. 3. 2017, Zl. 1073516310-150671277, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan für zulässig erklärt (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.

Begründend wurde zu Spruchpunkt I. ausgeführt, dass der Erbschaftsstreit zwar glaubwürdig sei, nicht jedoch die Drohung der Verwandten, den Beschwerdeführer zu töten und sich dann damit mehr als zwei Monate Zeit zu lassen. Dass jemand sich bei einer solch massiven Drohung nicht an die Sicherheitsbehörden wende, sei vollkommen unglaubhaft. Dies umso mehr als sich der Beschwerdeführer beim Erbschaftsstreit, der eine geringere Zwistigkeit darstelle, "voll Vertrauen an die Gerichtsbarkeit" gewendet habe. In der rechtlichen Beurteilung wurde erwogen, dass selbst im Falle der Glaubhaftigkeit des Fluchtvorbringens eine Verfolgung im Sinne der GFK nicht vorliege, weil es sich lediglich um einen Erbschaftsstreit handle. Der Beschwerdeführer habe durchgehend in Afghanistan gelebt und sei mit den dortigen Gepflogenheiten vertraut. Bei einer Rückkehr wäre er in der Lage, durch eine Erwerbstätigkeit eine ausreichende Lebensgrundlage zu finden. Herat sei aus dem Ausland per Flug erreichbar. Auch könnten seine Verwandten ihn unterstützen. Daher würde ihm nach einer Rückkehr keine existenzbedrohende Lage drohen. "Sie können eine Existenz in Herat aufbauen und haben sohin gewiss gegenüber anderen Landesteilen den Vorteil, dass ihre Familie dort eine Haus besitzen und sie dadurch zu mindestens ein Dach über dem Kopf und Familienanschluss und -unterstützung lukrieren können, besonders wenn sie auf Streit verzichten." Auch sei die Asthmaerkrankung des Beschwerdeführers behandelbar.

Die Rückkehrentscheidung wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der Beschwerdeführer keine Familienangehörigen in Österreich habe und sich erst seit kurzem im Bundesgebiet aufhalte. Anhaltspunkte für eine Integrationsverfestigung hätten sich nicht ergeben.

Gegen diesen Bescheid wurde vom damaligen Vertreter des Beschwerdeführers rechtzeitig Beschwerde erhoben. Vorgebracht wurde, dass das Bundesamt kein ordentliches Ermittlungsverfahren durchgeführt habe. Den vom Bundesamt ins Treffen geführten Widersprüchen im Fluchtvorbringen, wonach nicht nachvollziehbar sei, warum er erst im letzten Jahr (seines Aufenthaltes in Afghanistan) sein Erbe eingefordert habe, obwohl sein Vater und sein Großvater schon vor längerer Zeit verstorben seien und er sich bereits jahrelang im Erwachsenenalter befunden habe, wurde entgegnet, dass der Beschwerdeführer vorgebracht habe, seine Onkel hätten sich erst vor einem Jahr entschlossen, die Erbschaft zu verteilen. Alle fünf Onkel hätten sich zu diesem Zweck zusammengesetzt und da der Beschwerdeführer auch einen Anteil gewollt habe, "haben sie ihn mal als erstes verprügelt." Es sei für ihn nicht ersichtlich gewesen, dass alle Onkel ihn als Nachfolger seines Vaters ablehnen würden. Er habe die Gelegenheit nutzen wollen, weil alle Onkel gleichzeitig über das Erbe gesprochen hätten.

Dem Vorhalt, dass die Drohung der nahen Verwandten, den Beschwerdeführer zu töten für das Bundesamt nicht glaubhaft gewesen sei, weil er angegeben habe, noch zwei Monate in Herat verbracht zu haben, wurde entgegnet, dass er nach dem Streit aus dem Haus geworfen worden sei und sich bei seiner Schwester versteckt habe, um von seinen Onkeln nicht gefunden zu werden. Die Kommunikation sei über die Mutter und die Großmutter erfolgt. Zudem sei er nicht noch einmal zu Gericht oder zur Polizei gegangen, um sich und seine Mutter zu schützen.

In der Beschwerde wurde zu Spruchpunkt I. zudem vorgebracht, dass der Beschwerdeführer in Kabul "ebenfalls schon bedroht wurde" sowie "dem BF in Afghanistan asylrelevante Verfolgung wegen seiner durch die Taliban unterstellte politische Gesinnung droht."

Er habe sein Vorbringen detailliert und lebensnah geschildert. Ein Abgleich mit Länderberichten sei der Beweiswürdigung im angefochtenen Bescheid nicht zu entnehmen. Hätte das Bundesamt diesen Abgleich vorgenommen, wäre es zum Schluss gekommen, dass die geschilderte Verfolgungsgefahr objektiv nachvollziehbar sei. Das Bundesamt hätte dem Beschwerdeführer den Status des Asylberechtigten zuerkennen müssen.

Im Gegensatz zur Behauptung des Bundesamtes habe der Beschwerdeführer keine Verwandtschaft in seiner Heimatregion Herat. Lediglich seine fünf Onkel, von denen einer ihn töten wolle und die anderen mit der Tötungsabsicht einverstanden seien. Seine Schwestern könnten ihn nicht unterstützen, weil sie eigene Familien hätten. Der Beschwerdeführer könne auch nicht in sein Elternhaus zurück, von wo er vertrieben worden sei. Auch könne er eine neue Existenz aus eigener Kraft nicht in jener Region aufbauen, in der er um sein Leben fürchten müsse. Eine Ansiedlung in einem anderen Landesteil Afghanistans, insbesondere in Kabul, sei ihm mangels gesicherter familiärer oder sonstiger sozialer Anknüpfungspunkte nicht zumutbar, weil er aufgrund seiner spezifischen persönlichen Situation völliger Verarmung und somit unmenschlicher Behandlung ausgesetzt wäre. Auch die Sicherheitslage in Afghanistan würde bei einer Rückkehr dorthin eine Verletzung von durch Art 2 und 3 EMRK sowie Art 2 und 4 GRC geschützten Rechten des Beschwerdeführers darstellen.

Zu Spruchpunkt III. wurde in der Beschwerde vorgebracht, das Bundesamt verkenne, dass der Beschwerdeführer Deutschkenntnisse habe. Auch seien seine sozialen Beziehungen in Österreich "nicht in ausreichendem Ausmaß berücksichtigt" worden. Eine Konkretisierung dieser vorgebrachten sozialen Beziehungen findet sich in der Beschwerde nicht.

Beantragt wurde zudem, den angefochtenen Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zu beheben und zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt zurückzuverweisen sowie eine mündliche Verhandlung durchzuführen.

Am 12. 9. 2018 langte beim Bundesverwaltungsgericht eine Vollmacht des nunmehrigen, im Spruch genannten, Vertreters ein.

Am 19. 9. 2018 fand eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt, an der das Bundesamt als weitere Partei des Verfahrens nicht teilnahm. Der Beschwerdeführer gab in Anwesenheit seines nunmehrigen Vertreters an, dass er gesund sowie physisch und psychisch in der Lage sei, der Verhandlung zu folgen.

Der Beschwerdeführer wurde zunächst näher zu seinen Onkeln und zu seinem Vater sowie seinem Großvater befragt. Sein Großvater habe Schuhe aus Pakistan importiert und in Afghanistan verkauft. Er sei vor ca. 16 oder 17 Jahren verstorben. Dessen Söhne, die Onkel des Beschwerdeführers, hätten nach dessen Tod das Schuhgeschäft weitergeführt. Zudem hätten sie aus Einnahmen von landwirtschaftlichen Grundstücken gelebt. Die Mutter des Beschwerdeführers habe nach dem Tod des Vaters einen näher genannten Onkel geheiratet. Der Beschwerdeführer habe drei Schwestern und keine Brüder. Mit dem Onkel habe seine Mutter noch zwei gemeinsame Söhne (somit Halbbrüder des Beschwerdeführers). Diese seien zum Zeitpunkt seiner Ausreise ungefähr 19 und 17 Jahre alt gewesen. Als der Beschwerdeführer ca. vier oder fünf Jahre alt gewesen sei, habe sein Stiefvater seine zweite Frau geheiratet.

Das Verhältnis zu seinem Onkel (Stiefvater) sei sehr schlecht gewesen. Der Onkel habe von klein auf ihn und seine Schwestern sehr schlecht behandelt und regelmäßig geschlagen. Auch habe er die Mutter des Beschwerdeführers vor seinen Augen geschlagen. Seine Kindheit sei wie eine andauernde Folter gewesen.

Die anderen Onkel hätten ebenfalls Kinder. Die Mutter des Beschwerdeführers habe einen Bruder, der drogensüchtig sei und zwei Neffen von ihrer verstorbenen Schwester. Ein Cousin mütterlicherseits habe in Kabul gelebt, sei dann jedoch wegen der schlechteren Sicherheitslage in den Iran geflohen. Dieser habe den Beschwerdeführer mit 100.000 Afghani bei der Finanzierung der Flucht unterstützt.

Sein Großvater habe ein Geschäft, das Haus in dem er und seine Familienangehörigen mit mehreren Onkeln gelebt hätten und ein Grundstück hinterlassen. Dieses Grundstück habe er vor seinem Tod an einen Mechaniker vermietet, der dort eine Werkstatt gebaut habe. Auf den Vorhalt, dass er zuvor gesagt habe, seine Onkel hätten aus Erträgen der landwirtschaftlichen Grundstücke gelebt, erwiderte der Beschwerdeführer, dass er damit das eben erwähnte Grundstück gemeint habe.

Seine Mutter habe mit ihrem zweiten Ehemann, dem Onkel des Beschwerdeführers, in einem anderen, gemieteten, Haus, getrennt von der väterlichen Familie, gelebt. Das Haus des Großvaters sei bei der angewachsenen Familie zu klein geworden. Sein Stiefvater habe nichts von den Einnahmen aus der Vermietung des Grundstückes gehabt. Die drei Onkel, die im Haus des Großvaters gelebt hätten, hätten die Einnahmen für sich verwendet. Sie hätten selbst nicht gearbeitet. Der Stiefvater des Beschwerdeführers sei Arzt gewesen. Er sei in der Lage gewesen, seine gesamte Familie, seine Frauen und die eigenen Kinder, zu versorgen. Da es seinen Brüdern finanziell schlecht gegangen sei, sei er einverstanden gewesen, dass diese die gesamten Einnahmen aus dem Erbe des Großvaters behielten. Sein Stiefvater habe ein Haus mit sechs Zimmern gemietet. Davon habe er zwei Zimmer seinem vierten Bruder gegeben, weil es auch diesem finanziell nicht gut gegangen sei.

Nach dem Tod des Großvaters habe es acht oder neun Jahre lang keine Probleme gegeben. Drei Onkel hätten aus den Einnahmen aus dem Erbe gelebt. Ungefähr drei Jahre vor der Ausreise des Beschwerdeführers habe es dann die ersten Gespräche gegeben, um das Erbe nach dem Großvater aufzuteilen. Es habe Treffen gegeben, an denen auch der Beschwerdeführer teilgenommen habe. Er sei an die Stelle seines verstorbenen Vaters getreten. Das Erbe sollte verkauft und der Erlös aufgeteilt werden. Die Brüder hätten eigene Grundstücke kaufen, dort Häuser bauen und ein eigenständiges Leben führen sollen.

Ungefähr sechs Monate vor der Ausreise des Beschwerdeführers habe es ein Treffen der Onkel gegeben. Als er dort gesagt habe, dass er die Anteile seines Vaters wolle, sei er von seinen Onkeln angegriffen worden. Sie hätten ihn zu viert geschlagen und ihm dabei fünf Zähne ausgeschlagen. Nachdem er sich "von diesem Vorfall erholt habe", habe er an einem weiteren Treffen mit seinen Onkeln teilgenommen und gesagt, dass er sie bei der Behörde anzeigen würde, wenn er die Anteile seines Vaters nicht bekäme. Nachdem seine Onkel ihm nichts gegeben hätten, habe er sich an die Behörden gewandt und Anzeige erstattet. Danach sei er von seinem Onkel XXXX mit dem Tod bedroht worden, so dass er geflohen sei.

Seitdem er das Land verlassen habe, wisse er nicht, ob das Erbe seines Großvaters zwischen den Onkeln aufgeteilt worden sei. Befragt, aus welchem Grund seine Onkel ihm den Anteil seines Vaters verweigern wollten, gab er an, dass seine Onkel durch den frühen Tod seines Vaters der Ansicht seien, dass er als sein Nachfahre ein schlechtes Omen für die Familie gebracht habe. Dies hätten ihnen religiöse Gelehrte gesagt und die Onkel würden nach der Scharia handeln. Deshalb habe er keinen Anspruch auf das Erbe. Seine Onkel hätten ihm gesagt, dass sie, selbst wenn er Anzeige erstattete und es zu einem Gerichtsurteil käme, dieses nicht akzeptieren würden. Es seien Gerichte der Amerikaner, die keine muslimische Entscheidung treffen würden.

Auf den Vorhalt, dass sein Vorbringen zur Verweigerung des Erbes wegen des schlechten Omen ein neues Vorbringen darstelle, gab der Beschwerdeführer an, dass er dazu bisher nicht befragt worden sei. Auf den weiteren Vorhalt, dass sich die gesamte Befragung vor dem Bundesamt um diese Problematik gedreht habe, wiederholte er, dass er dazu nicht explizit gefragt worden sei und es deshalb nicht angegeben habe. Auf den anschließenden Vorhalt, dass er beim Bundesamt gefragt worden sei, warum er erst so spät seinen Erbanspruch geltend gemacht habe und seine Antwort gewesen sei, dass seine Onkel das Erbe nicht verteilen hätten wollen, weitere Ausführungen dazu habe er nicht getätigt, gab er an, dass er nicht in diese Richtung gefragt worden sei und deshalb diese Aussage nicht getätigt haben könne. Der Beschwerdeführer wiederholte seine Ausführungen zum schlechten Omen und ergänzte, dass das Gesetz in Afghanistan ihm den selben Anspruch wie seinen Onkeln vermittle. Die Vertreterin des Beschwerdeführers warf dazu ein, dass die Frage vor dem Bundesamt gewesen sei, warum er erst nach so vielen Jahren einen Erbanspruch gestellt habe. Er sei nie explizit danach gefragt worden, aus welchem Grund seine Onkel ihm das Erbe vorenthalten hätten wollen. Auf den anschließenden Vorhalt, dass er das Vorbringen, ein schlechtes Omen für die Familie zu sein, nicht einmal im Beschwerdeschriftsatz vorgebracht habe, gab der Beschwerdeführer an, dass sein vorheriger Vertreter, der die Beschwerde verfasst habe, mit ihm das Protokoll nicht besprochen und ihm auch keine Fragen gestellt habe. Er habe nicht gewusst, dass er dort etwas Ergänzendes zur Einvernahme angeben könne. Zu seinen Angaben vor dem Bundesamt bezüglich des Grundes für die Verweigerung des Erbes wurde dem Beschwerdeführer vorgehalten, dass er bei der Einvernahme angegeben habe, seine Onkel hätten ihm gesagt, das Erbe gehe ihn nichts an. Dazu führte der Beschwerdeführer aus, dass seine Onkel immer sehr aggressiv reagiert hätten, wenn er über die Anteile seines Vaters am Erbe nach dem Großvater gesprochen habe. Sie hätten auch gemeint, dass er bei den Treffen nicht mitreden solle.

Er habe sich beim Stadtgericht wegen der Weigerung seiner Onkel, ihn am Erbe zu beteiligen, beschwert. Ihm sei erklärt worden, dass man seine Onkel laden werde. Sollten diese der Ladung nicht folgen, würde die Polizei sie zum Gericht bringen. Sein Anteil wäre Geld aus dem Erlös des Erbes gewesen. Er wisse nicht, ob das Erbe nach seinem Großvater mittlerweile verkauft worden sei. Befragt, ob er sich somit bereits im Vorfeld bei Gericht beschwert habe, obwohl es noch keinen Erlös gegeben habe, bejahte der Beschwerdeführer dies.

Auf den Vorhalt, dass nicht klar sei, warum er sich an das Gericht gewandt habe, obwohl die Onkel das Erbe nach dem Großvater noch nicht verkauft hätten, gab er an, dass seine Onkel seinetwegen das Erbe nicht aufgeteilt hätten. Sie hätten gewusst, dass er die Anteile seines Vaters beanspruchen würde. Wenn er weitere zehn Jahre in Afghanistan geblieben wäre, wäre das Erbe seines Großvaters nicht aufgeteilt worden. Mittlerweile wolle er nichts mehr mit diesem Erbe zu tun haben. Er könne sich vorstellen, dass seine Onkel das Erbe nach dem Großvater unter sich aufgeteilt hätten.

Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan würden seine fünf Onkel, vor allem sein Onkel XXXX , ihn töten.

Auf den Vorhalt, dass er zuvor gesagt habe, nichts mehr mit dem Erbe zu tun haben zu wollen und weshalb dann seine Onkel ihn noch immer töten wollten, erwiderte der Beschwerdeführer, dass er bei einer Rückkehr eine Lebensgrundlage bräuchte und deshalb seinen Anteil am Erbe verlangen würde. Vor seiner Flucht hätten viele Bekannte, Freunde und Verwandte der Familie gewusst, dass seine Onkel ihn am Erbe nicht beteiligen hätten wollen. Seine Onkel seien der Ansicht, er habe sie entehrt, weil die Bekannten, Freunde und Verwandten sie auf dieses Thema ansprechen und zum Teil auch beleidigen würden. Er sei der Meinung, dass seine Onkel ihn auch töten wollten, weil er sie nach ihrer Ansicht entehrt habe.

In der Folge wurden dem Beschwerdeführer auf Deutsch vier einfache Fragen zu seinem Leben in Österreich gestellt. Er konnte nur eine dieser Fragen verstehen und auf Deutsch (in diesem Fall mit einem bloßen "Nein") beantworten. Daraufhin stellte die erkennende Richterin fest, dass er keine ausreichenden Deutschkenntnisse hat. In Österreich führe er kein Familienleben. In seiner vorherigen Wohnsitzgemeinde habe er einige Freunde gehabt. In Wien habe er keine Freunde.

Über Befragung seiner Vertreterin gab der Beschwerdeführer an, dass er noch nie in Kabul oder Mazar-e Sharif gewesen sei. Weder seine Mutter noch seine Schwestern könnten ihn bei einer Rückkehr unterstützen. Die finanzielle Situation seiner Schwestern sei sehr schlecht. Zwei seiner Schwager hätten nicht gearbeitet als er noch in Afghanistan gewesen sei und der Dritte habe diese unterstützt.

Am Ende der Verhandlung wurden der Beschwerdeführervertreterin die vorläufigen Sachverhaltsannahmen des Bundesverwaltungsgerichtes zur Situation in Afghanistan übergeben und ihr eine Frist von vierzehn Tagen zur Stellungnahme gewährt.

Der Beschwerdeführer legte bei der Verhandlung eine Arbeitsbestätigung der Obfrau des Interkulturelles Entwicklungs-Zentrum vom 15. 9. 2018 vor, wonach er seit drei Monaten ehrenamtlich bei einem näher genannten Projekt mitarbeite und sich als äußerst engagierter Mitarbeiter erwiesen habe sowie ein Dankschreiben dieser Organisation für die Unterstützung bei einer künstlerischen Veranstaltung am 2. 9. 2018. Zudem legte er eine Bestätigung des Vereines XXXX über einen bestandenen Integrationskurs vom 1. 12. 2017 und eine Teilnahmebestätigung des Österreichischen Roten Kreuzes über den Besuch eines Workshops "Hilfe im Notfall" in der Dauer von zwei Stunden vom 23. 11. 2017, vor.

Am 1. 10. 2018 langte beim Bundesverwaltungsgericht eine Stellungnahme des Vertreters des Beschwerdeführers ein. In dieser wurde zusammengefasst vorgebracht, dass den vorläufigen Sachverhaltsannahmen des Bundesverwaltungsgerichtes zur Situation in Afghanistan zufolge, die Sicherheitslage in ganz Afghanistan nach wie vor höchst volatil und äußerst instabil sei. Auch zeige sich aus diesem Berichtsmaterial, dass sich die Situation in Afghanistan verschlechtert habe. Verheerende Anschläge beträfen das gesamte Staatsgebiet, auch die Hauptstadt Kabul. Opfer dieser Anschläge sei fast immer die Zivilbevölkerung, auch wenn diese nicht deren hauptsächliches Ziel sei. Verwiesen wurde zudem auf die aktuellen UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs Afghanischer Asylsuchender vom 30. 8. 2018. Vor dem Hintergrund der in diesen Richtlinien dokumentierten zahlreichen zivilen Opfer von Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen regierungsfeindlicher Elemente in Kabul, könne diese Stadt nicht mehr als ausreichend sicher bewertet werden. Den Richtlinien sei die Ansicht des UNHCR zu entnehmen, dass eine innerstaatliche Fluchtalternative, auch aus Gründen der Versorgungslage, in Kabul im Allgemeinen nicht verfügbar sei. Die Versorgungslage auch in Herat und Mazar-e Sharif, aufgrund der dortigen Dürre, sei äußerst prekär. Dazu wurde auf eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Afghanistan zur Lage in Herat-Stadt und Mazar-e-Sharif aufgrund anhaltender Dürre vom 13. 9. 2018, verwiesen.

Der Beschwerdeführer habe seinen Vater verloren und werde von seinen Onkeln wegen des Erbes bedroht. Zudem habe er nie in Kabul oder Mazar-e Sharif gelebt. Bei der Möglichkeit als Rückkehrer eine zweiwöchige Unterkunft zu bekommen, könne nicht davon ausgegangen werden, dass eine Person ohne soziale oder familiäre Kontakte es schaffe, in einer unbekannten Stadt Fuß zu fassen. Er habe Afghanistan vor über drei Jahren verlassen und würde von seinen Schwestern, denen es wirtschaftlich nicht gut genug gehe, nicht unterstützt werden können. Er habe keine abgeschlossene Schulausbildung und keinen Beruf erlernt. Bei einer Rückkehr wäre er auf sich alleine gestellt.

Den aktuellen UNHCR-Richtlinien zufolge, sowie anderen Quellen, herrsche in Afghanistan vor allem im Norden und Westen eine verheerende Dürre. Dies verschärfe die humanitäre Situation und mache eine Rückkehr nach Afghanistan unzumutbar. In Herat oder Balkh herrsche die schwerste Dürre seit Jahrzehnten, was zur Folge habe, dass die Landwirtschaft zusammenbreche und es an Nahrungsmitteln mangle. Der Beschwerdeführer wäre bei einer Rückkehr nach Afghanistan nach drei Jahren zudem sehr leicht als Rückkehrer erkennbar. Er unterscheide sich durch seine Sprache und seinen Kleidungsstil von der afghanischen Gesellschaft. Er habe keine familiären oder sozialen Anknüpfungspunkte dort. Aus diesen Gründen sei es ihm nicht möglich, sich ohne reale Gefährdung seiner durch Art 2 und 3 EMRK geschützten Rechte nach Afghanistan zu begeben.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger sunnitischen Glaubens und gehört der Volksgruppe der Tadschiken an. Er stammt aus Herat. Dort besuchte er sieben Jahre lang die Schule. Danach arbeitete er vor seiner Ausreise als Gehilfe in einem Teppichgeschäft und in einem Kosmetikgeschäft. Sein Stiefvater ist Arzt und kann seine Familie, Mutter des Beschwerdeführers, zweite Ehefrau und Halbgeschwister, versorgen. Seine Schwestern leben mit ihren Familien ebenfalls weiterhin in Afghanistan. Zudem hat der Beschwerdeführer noch zwei Cousins mütterlicherseits, wobei einer von ihnen derzeit im Iran lebt.

Am 14. 6. 2015 stellte der Beschwerdeführer in Österreich einen Antrag auf Gewährung von internationalem Schutz.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan der vorgebrachten Verfolgung durch seine Onkel väterlicherseits ausgesetzt wäre.

Der Beschwerdeführer ist gesund.

Grundlegende Kenntnisse der deutschen Sprache konnte er nicht nachweisen oder bei der Verhandlung zeigen. Bisher hat er einen Integrationskurs im Ausmaß von 32 Stunden besucht und den Test am 1. 12. 2017 bestanden. Zudem hat er ehrenamtlich bei einem Kunst- und Kulturprojekt mitgearbeitet. Er ist unbescholten.

Der Beschwerdeführer hat weder Verwandte in Österreich noch führt er hier eine Lebensgemeinschaft. Aktuelle Freundschaften hat er in Österreich ebenfalls nicht.

Zur Situation in Afghanistan werden folgende Feststellungen getroffen:

Sicherheitslage:

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.1.2018; vgl. BBC 29.1.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.1.2018).

Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (AJ 22.5.2018; AD 20.5.2018).

Registriert wurde auch eine Steigerung öffentlichkeitswirksamer gewalttätiger Vorfälle (UNGASC 27.2.2018), von denen zur Veranschaulichung hier auszugsweise einige Beispiele wiedergegeben werden sollen (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste enthält öffentlichkeitswirksame (high-profile) Vorfälle sowie Angriffe bzw. Anschläge auf hochrangige Ziele und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit).

* Selbstmordanschlag vor dem Ministerium für ländliche Rehabilitation und Entwicklung (MRRD) in Kabul: Am 11.6.2018 wurden bei einem Selbstmordanschlag vor dem Eingangstor des MRRD zwölf Menschen getötet und 30 weitere verletzt. Quellen zufolge waren Frauen, Kinder und Mitarbeiter des Ministeriums unter den Opfern (AJ 11.6.2018). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (Reuters 11.6.2018; Gandhara 11.6.2018).

* Angriff auf das afghanische Innenministerium (MoI) in Kabul: Am 30.5.2018 griffen bewaffnete Männer den Sitz des MoI in Kabul an, nachdem vor dem Eingangstor des Gebäudes ein mit Sprengstoff geladenes Fahrzeug explodiert war. Bei dem Vorfall kam ein Polizist ums Leben. Die Angreifer konnten nach einem zweistündigen Gefecht von den Sicherheitskräften getötet werden. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (CNN 30.5.2018; vgl. Gandhara 30.5.2018)

* Angriff auf Polizeistützpunkte in Ghazni: Bei Taliban-Anschlägen auf verschiedene Polizeistützpunkte in der afghanischen Provinz Ghazni am 21.5.2018 kamen mindestens 14 Polizisten ums Leben (AJ 22.5.2018).

* Angriff auf Regierungsbüro in Jalalabad: Nach einem Angriff auf die Finanzbehörde der Provinz Nangarhar in Jalalabad kamen am 13.5.2018 mindestens zehn Personen, darunter auch Zivilisten, ums Leben und 40 weitere wurden verletzt (Pajhwok 13.5.2018; vgl. Tolonews 13.5.2018). Die Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (AJ 13.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich der Islamische Staat (IS) zum Angriff (AJ 13.5.2018).

* Angriff auf Polizeireviere in Kabul: Am 9.5.2018 griffen bewaffnete Männer jeweils ein Polizeirevier in Dasht-e-Barchi und Shar-i-Naw an und verursachten den Tod von zwei Polizisten und verwundeten sechs Zivilisten. Auch wurden Quellen zufolge zwei Attentäter von den Sicherheitskräften getötet (Pajhwok 9.5.2018). Der IS bekannte sich zum Angriff (Pajhwok 9.5.2018; vgl. Tolonews 9.5.2018).

Selbstmordangriff in Kandahar: Bei einem Selbstmordanschlag auf einen Konvoi der NATO-Truppen in Haji Abdullah Khan im Distrikt Daman der Provinz Kandahar sind am 30.4.2018 elf Kinder ums Leben gekommen und 16 weitere Menschen verletzt worden; unter den Verletzten befanden sich u.a. rumänische Soldaten (Tolonews 30.4.2018b; vgl.

* APN 30.4.2018b, Focus 30.4.2018, IM 30.4.2018). Weder der IS noch die Taliban reklamierten den Anschlag für sich (Spiegel 30.4.2018; vgl. Tolonews 30.4.2018b).

* Doppelanschlag in Kabul: Am 30.4.2018 fand im Bezirk Shash Derak in der Hauptstadt Kabul ein Doppelanschlag statt, bei dem Selbstmordattentäter zwei Explosionen verübten (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Die erste Detonation erfolgte in der Nähe des Sitzes des afghanischen Geheimdienstes (NDS) und wurde von einem Selbstmordattentäter auf einem Motorrad verübt; dabei wurden zwischen drei und fünf Menschen getötet und zwischen sechs und elf weitere verletzt (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b); Quellen zufolge handelte es sich dabei um Zivilisten (Focus 30.4.2018). Die zweite Detonation ging von einem weiteren Selbstmordattentäter aus, der sich, als Reporter getarnt, unter die am Anschlagsort versammelten Journalisten, Sanitäter und Polizisten gemischt hatte (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b, Pajhwok 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Dabei kamen u.a. zehn Journalisten ums Leben, die bei afghanischen sowie internationalen Medien tätig waren (TI 1.5.2018; vgl. AJ 30.4.2018, APN 30.4.2018a,). Bei den beiden Anschlägen sind Quellen zufolge zwischen 25 und 29 Personen ums Leben gekommen und 49 verletzt worden (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a, DZ 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Der IS bekannte sich zu beiden Angriffen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Quellen zufolge sind Geheimdienstmitarbeiter das Ziel des Angriffes gewesen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a).

* Angriff auf die Marshal Fahim Militärakademie: Am 29.1.2018 attackierten fünf bewaffnete Angreifer einen militärischen Außenposten in der Nähe der Marshal Fahim Militärakademie (auch bekannt als Verteidigungsakademie), die in einem westlichen Außendistrikt der Hauptstadt liegt. Bei dem Vorfall wurden mindestens elf Soldaten getötet und 15 weitere verletzt, bevor die vier Angreifer getötet und ein weiterer gefasst werden konnten. Der IS bekannte sich zu dem Vorfall (Reuters 29.1.2018; vgl. NYT 28.1.2018).

* Bombenangriff mit einem Fahrzeug in Kabul: Am 27.1.2018 tötete ein Selbstmordattentäter der Taliban mehr als 100 Menschen und verletzte mindestens 235 weitere (Reuters 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018). Eine Bombe - versteckt in einem Rettungswagen - detonierte in einem schwer gesicherten Bereich der afghanischen Hauptstadt (TG 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018) - dem sogenannten Regierungs- und Diplomatenviertel (Reuters 27.1.2018).

Angriff auf eine internationale Organisation (Save the Children - SCI) in Jalalabad: Am 24.1.2018 brachte ein Selbstmordattentäter ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug am Gelände der Nichtregierungsorganisation (NGO) Save The Children in der Provinzhauptstadt Jalalabad zur Explosion. Mindestens zwei Menschen wurden getötet und

* zwölf weitere verletzt; der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 24.1.2018; vgl. Reuters 24.1.2018, TG 24.1.2018).

* Angriff auf das Hotel Intercontinental in Kabul: Am 20.1.2018 griffen fünf bewaffnete Männer das Luxushotel Intercontinental in Kabul an. Der Angriff wurde von afghanischen Truppen abgewehrt, nachdem die ganze Nacht um die Kontrolle über das Gebäude gekämpft worden war (BBC 21.1.2018; vgl. DW 21.1.2018). Dabei wurden mindestens 14 Ausländer/innen und vier Afghan/innen getötet. Zehn weitere Personen wurden verletzt, einschließlich sechs Mitglieder der Sicherheitskräfte (NYT 21.1.2018). 160 Menschen konnten gerettet werden (BBC 21.1.2018). Alle fünf Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (Reuters 20.1.2018). Die Taliban bekannten sich zu dem Angriff (DW 21.1.2018).

* Selbstmordattentat mit einem mit Sprengstoff beladenen Tanklaster:

Am 31.5.2017 kamen bei einem Selbstmordattentat im hochgesicherten Diplomatenviertel Kabuls mehr als 150 Menschen ums Leben, mindestens 300 weitere wurden schwer verletzt (FAZ 6.6.2017; vgl. AJ 31.5.2017, BBC 31.5.2017; UN News Centre 31.5.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (FN 7.6.2017).

* Angriffe gegen Gläubige und Kultstätten

* Registriert wurde eine steigende Anzahl der Angriffe gegen Glaubensstätten, religiöse Führer sowie Gläubige; 499 zivile Opfer (202 Tote und 297 Verletzte) waren im Rahmen von 38 Angriffen im Jahr 2017 zu verzeichnen. Die Anzahl dieser Art Vorfälle hat sich im Gegensatz zum Jahr 2016 (377 zivile Opfer, 86 Tote und 291 Verletzte bei 12 Vorfällen) verdreifacht, während die Anzahl ziviler Opfer um 32% gestiegen ist (UNAMA 2.2018). Auch verzeichnete die UN in den Jahren 2016 und 2017 Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Religiösen Führern ist es nämlich möglich, durch ihre Predigten öffentliche Standpunkte zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 7.11.2017). Ein Großteil der zivilen Opfer waren schiitische Muslime. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 7.11.2017; vgl. UNAMA 2.2018). Es wurden aber auch Angriffe auf sunnitische Moscheen und religiöse Führer ausgeführt (TG 20.10.2017; vgl. UNAMA 7.11.2017)

* Diese serienartigen und gewalttätigen Angriffe gegen religiöse Ziele, haben die afghanische Regierung veranlasst, neue Maßnahmen zu ergreifen, um Gebetsstätten zu beschützen: landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempel vor Angriffen zu schützen (UNGASC 20.12.2017).

Zur Veranschaulichung werden im Folgenden auszugsweise einige Beispiele von Anschlägen gegen Gläubige und Glaubensstätten wiedergegeben (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit)

* Angriff auf Treffen der Religionsgelehrten in Kabul: Am 4.6.2018 fand während einer loya jirga zwischen mehr als 2.000 afghanischen Religionsgelehrten, die durch eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aufriefen, ein Selbstmordanschlag statt. Bei dem Angriff kamen 14 Personen ums Leben und weitere wurden verletzt (Tolonews 7.6.2018; vgl. Reuters 5.6.2018). Quellen zufolge bekannte sich der IS zum Angriff (Reuters 5.6.2018; vgl. RFE/RL 5.6.2018).

* Angriff auf Kricket-Stadion in Jalalabad: Am 18.5.2018, einem Tag nach Anfang des Fastenmonats Ramadan, kamen bei einem Angriff während eines Kricket-Matchs in der Provinzhauptstadt Nangarhars Jalalabad mindestens acht Personen ums Leben und mindestens 43 wurden verletzt (TRT 19.5.2018; vgl. Tolonews 19.5.2018, TG 20.5.2018). Quellen zufolge waren das direkte Ziel dieses Angriffes zivile Zuschauer des Matchs (TG 20.5.2018; RFE/RL 19.5.2018), dennoch befanden sich auch Amtspersonen unter den Opfern (TNI 19.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich keine regierungsfeindliche Gruppierung zum Angriff (RFE/RL 19.5.2018); die Taliban dementierten ihre Beteiligung an dem Anschlag (Tolonews 19.5.2018; vgl. TG 20.5.2018) .

* Selbstmordanschlag während Nowruz-Feierlichkeiten: Am 21.3.2018 (Nowruz-Fest; persisches Neujahr) kam es zu einem Selbstmordangriff in der Nähe des schiitischen Kart-e Sakhi-Schreins, der von vielen afghanischen Gemeinschaften - insbesondere auch der schiitischen Minderheit - verehrt wird. Sie ist ein zentraler Ort, an dem das Neujahrsgebet in Kabul abgehalten wird. Viele junge Menschen, die tanzten, sangen und feierten, befanden sich unter den 31 getöteten; 65 weitere wurden verletzt (BBC 21.3.2018). Die Feierlichkeiten zu Nowruz dauern in Afghanistan mehrere Tage und erreichen ihren Höhepunkt am 21. März (NZZ 21.3.2018). Der IS bekannte sich auf seiner Propaganda Website Amaq zu dem Vorfall (RFE/RL 21.3.2018).

* Angriffe auf Moscheen: Am 20.10.2017 fanden sowohl in Kabul, als auch in der Provinz Ghor Angriffe auf Moscheen statt: während des Freitagsgebets detonierte ein Selbstmordattentäter seine Sprengstoffweste in der schiitischen Moschee, Imam Zaman, in Kabul. Dabei tötete er mindestens 30 Menschen und verletzte 45 weitere. Am selben Tag, ebenso während des Freitagsgebetes, griff ein Selbstmordattentäter eine sunnitische Moschee in Ghor an und tötete 33 Menschen (Telegraph 20.10.2017; vgl. TG 20.10.2017).

* Tötungen in Kandahar: Im Oktober 2017 bekannten sich die afghanischen Taliban zu der Tötung zweier religiöser Persönlichkeiten in der Provinz Kandahar. Die Tötungen

* legitimierten die Taliban, indem sie die Getöteten als Spione der Regierung bezeichneten (UNAMA 7.11.2017).

* Angriff auf schiitische Moschee: Am 2.8.2017 stürmten ein Selbstmordattentäter und ein bewaffneter Schütze während des Abendgebetes die schiitische Moschee Jawadia in Herat City; dabei wurden mindestens 30 Menschen getötet (BBC 3.8.2017; vgl. Pajhwok 2.8.2017). Insgesamt war von 100 zivilen Opfer die Rede (Pajhwok 2.8.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 3.8.2017).

* Entführung in Nangarhar: Die Taliban entführten und folterten einen religiösen Gelehrten in der Provinz Nangarhar, dessen Söhne Mitglieder der ANDSF waren - sie entließen ihn erst, als Lösegeld für ihn bezahlt wurde (UNAMA 7.11.2017).

* In der Provinz Badakhshan wurde ein religiöser Führer von den Taliban entführt, da er gegen die Taliban predigte. Er wurde gefoltert und starb (UNAMA 7.11.2017).

Angriffe auf Behörden zur Wahlregistrierung:

Seit der Ankündigung des neuen Wahltermins durch den afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani im Jänner 2018 haben zahlreiche Angriffe auf Behörden, die mit der Wahlregistrierung betraut sind, stattgefunden (ARN 21.5.2018; vgl. DW 6.5.2018, AJ 6.5.2018, Tolonews 6.5.2018, Tolonews 29.4.2018, Tolonews 22.4.2018). Es folgt eine Auflistung der größten Vorfälle:

* Bei einem Selbstmordanschlag auf ein für die Wahlregistrierung errichtetes Zelt vor einer Moschee in der Provinz Khost kamen Quellen zufolge am 6.5.2018 zwischen 13 und 17 Menschen ums Leben und mindestens 30 weitere wurden verletzt (DW 6.5.2018; vgl. Tolonews 6.5.2018, AJ 6.5.2018).

* Am 22.4.2018 kamen in der Nähe einer Behörde zur Wahlregistrierung in Pul-e-Khumri in der Provinz Baghlan sechs Menschen ums Leben und fünf weitere wurden verletzt; bisher bekannte sich keine Gruppierung zum Anschlag (Tolonews 22.4.2018; vgl. NZZ 22.4.2018).

* Am 22.4.2018 kamen vor einer Behörde zur Wahlregistrierung in Kabul 60 Menschen ums Leben und 130 wurden verletzt. Der Angriff fand im mehrheitlich aus ethnischen Hazara bewohnten Kabuler Distrikt Dacht-e-Barchi statt. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Anschlag, der gegen die "schiitischen Apostaten" gerichtet war (USIP 24.4.2018; vgl. Slate 22.4.2018).

Zivilist/innen

Im Jahr 2017 registrierte die UNAMA 10.453 zivile Opfer (3.438 Tote und 7.015 Verletzte) - damit wurde ein Rückgang von 9% gegenüber dem Vergleichswert des Vorjahres 2016 (11.434 zivile Opfer mit 3.510 Toten und 7.924 Verletzen) festgestellt. Seit 2012 wurde zum ersten Mal ein Rückgang verzeichnet: im Vergleich zum Jahr 2016 ist die Anzahl ziviler Toter um 2% zurückgegangen, während die Anzahl der Verletzten um 11% gesunken ist. Seit 1.1.2009-31.12.2017 wurden insgesamt 28.291 Tote und 52.366 Verletzte von der UNAMA registriert. Regierungsfeindliche Gruppierungen waren für 65% aller zivilen Opfer im Jahr 2017 verantwortlich; Hauptursache dabei waren IEDs, gefolgt von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken (UNAMA 2.2018). Im Zeitraum 1.1.2018 - 31.3.2018 registriert die UNAMA

2.258 zivile Opfer (763 Tote und 1.495 Verletzte). Die Zahlen reflektieren ähnliche Werte wie in den Vergleichsquartalen für die Jahre 2016 und 2017. Für das Jahr 2018 wird ein neuer Trend beobachtet: Die häufigste Ursache für zivile Opfer waren IEDs und komplexe Angriffe. An zweiter Stelle waren Bodenoffensiven, gefolgt von gezielten Tötungen, Blindgängern (Engl. UXO, "Unexploded Ordnance") und Lufteinsätzen. Die Bewohner der Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kandahar waren am häufigsten vom Konflikt betroffen (UNAMA 12.4.2018).

Regierungsfeindlichen Gruppierungen wurden landesweit für das Jahr 2017 6.768 zivile Opfer (2.303 Tote und 4.465 Verletzte) zugeschrieben - dies deutet auf einen Rückgang von 3% im Vergleich zum Vorjahreswert von 7.003 zivilen Opfern (2.138 Tote und 4.865 Verletzte). Der Rückgang ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben werden, ist auf einen Rückgang ziviler Opfer, die durch Bodenkonfrontation, IED und ferngezündete Bomben zu Schaden gekommen sind, zurückzuführen. Im Gegenzug dazu hat sich die Anzahl ziviler Opfer aufgrund von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken erhöht. Die Anzahl ziviler und nicht-ziviler Opfer, die aufgrund gezielter Tötungen durch regierungsfeindliche Elemente zu Schaden gekommen sind, ist ähnlich jener aus dem Jahr 2016 (UNAMA 2.2018).

Im Jänner 2018 waren 56.3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14.5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29.2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.4.2018).

Zu den regierungsfreundlichen Kräften zählten: ANDSF, Internationale Truppen, regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen sowie nicht näher identifizierte regierungsfreundliche Kräfte. Für das Jahr 2017 wurden 2.108 zivile Opfer (745 Tote und 1.363 Verletzte) regierungsfreundlichen Kräften zugeschrieben, dies deutet einen Rückgang von 23% gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (2.731 zivile Opfer, 905 Tote und 1.826 Verletzte) an (UNAMA 2.2018; vgl. HRW 26.1.2018). Insgesamt waren regierungsfreundliche Kräfte für 20% aller zivilen Opfer verantwortlich. Hauptursache (53%) waren Bodenkonfrontation zwischen ihnen und regierungsfeindlichen Elementen - diesen fielen 1.120 Zivilist/innen (274 Tote und 846 Verletzte) zum Opfer; ein Rückgang von 37% Gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (UNAMA 2.2018). Luftangriffe wurden zahlenmäßig als zweite Ursache für zivile Opfer registriert (UNAMA 2.2018; vgl. HRW 26.1.2018); diese waren für 6% ziviler Opfer verantwortlich - hierbei war im Gegensatz zum Vorjahreswert eine Zunahme von 7% zu verzeichnen gewesen. Die restlichen Opferzahlen 125 (67 Tote und 58 Verletzte) waren auf Situationen zurückzuführen, in denen Zivilist/innen fälschlicherweise für regierungsfeindliche Elemente gehalten wurden. Suchaktionen forderten 123 zivile Opfer (79 Tote und 44 Verletzte), Gewalteskalationen 52 zivile Opfer (18 Tote und 34 Verletzte), und Bedrohungen und Einschüchterungen forderten 17 verletzte Zivilist/innen (UNAMA 2.2018).

Ein besonderes Anliegen der ANDSF, der afghanischen Regierung und internationaler Kräfte ist das Verhindern ziviler Opfer. Internationale Berater/innen der US-amerikanischen und Koalitionskräfte arbeiten eng mit der afghanischen Regierung zusammen, um die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und ein Bewusstsein für die Wichtigkeit der Reduzierung der Anzahl von zivilen Opfern zu schaffen.

Die afghanische Regierung hält auch weiterhin ihre vierteljährliche Vorstandssitzung zur Vermeidung ziviler Opfer (Civilian Casualty Avoidance and Mitigation Board) ab, um u. a. Präventivmethoden zu besprechen (USDOD 12.2017). Die UNAMA bemerkte den Einsatz und die positiven Schritte der afghanischen Regierung, zivile Opfer im Jahr 2017 zu reduzieren (UNAMA 2.2018).

Im gesamten Jahr 2017 wurden 3.484 zivile Opfer (823 Tote und 2.661 Verletzte) im Rahmen von 1.845 Bodenoffensiven registriert - ein Rückgang von 19% gegenüber dem Vorjahreswert aus 2016 (4.300 zivile Opfer, 1.072 Tote und 3.228 Verletzte in 2.008 Bodenoffensiven). Zivile Opfer, die aufgrund bewaffneter Zusammenstöße zwischen regierungsfreundlichen und regierungsfeindlichen Kräften zu beklagen waren, sind zum ersten Mal seit 2012 zurückgegangen (UNAMA 2.2018).

Im Jahr 2017 forderten explosive Kampfmittelrückstände (Engl. "explosive remnants of war", Anm.) 639 zivile Opfer (164 Tote und 475 Verletzte) - ein Rückgang von 12% gegenüber dem Jahr 2016. 2017 war überhaupt das erste Jahr seit 2009, in welchem ein Rückgang verzeichnet werden konnte. Der Rückgang ziviler Opfer ist möglicherweise u.a. auf eine Verminderung des indirekten Beschusses durch Mörser, Raketen und Granaten in bevölkerten Gegenden von regierungsfreundlichen Kräfte zurückzuführen (UNAMA 2.2018).

Weiterführende Informationen zu den regierungsfreundlichen Gruppierungen können dem Kapitel 5. "Sicherheitsbehörden" entnommen werden; Anmerkung der Staatendokumentation.

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

Terroristische und aufständische Gruppierungen stellen Afghanistan und die Koalitionskräfte vor erhebliche Herausforderungen. Derzeit sind rund 20 terroristische Organisationen in Afghanistan zu finden:

das von außen unterstützte Haqqani-Netzwerk stellt nach wie vor die größte Gefährdung für afghanische und internationale Kräfte dar. Die Verflechtung von Taliban und Haqqani-Netzwerk ist so intensiv, dass diese beiden Gruppierungen als Fraktionen ein und derselben Gruppe angesehen werden. Wenn auch die Taliban öffentlich verkündet haben, sie würden zivile Opfer einschränken, so führt das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin Angriffe in bevölkerungsreichen Gegenden aus (USDOD 12.2017).

Im August 2017 wurde berichtet, dass regierungsfeindliche bewaffnete Gruppierungen - insbesondere die Taliban - ihre Aktivitäten landesweit verstärkt haben, trotz des Drucks der afghanischen Sicherheitskräfte und der internationalen Gemeinschaft, ihren Aktivitäten ein Ende zu setzen (Khaama Press 13.8.2017). Auch sind die Kämpfe mit den Taliban eskaliert, da sich der Aufstand vom Süden in den sonst friedlichen Norden des Landes verlagert hat, wo die Taliban auch Jugendliche rekrutieren (Xinhua 18.3.2018). Ab dem Jahr 2008 expandierten die Taliban im Norden des Landes. Diese neue Phase ihrer Kampfgeschichte war die Folge des Regierungsaufbaus und Konsolidierungsprozess in den südlichen Regionen des Landes. Darüber hinaus haben die Taliban hauptsächlich in Faryab und Sar-i-Pul, wo die Mehrheit der Bevölkerung usbekischer Abstammung ist, ihre Reihen für nicht-paschtunische Kämpfer geöffnet (AAN 17.3.2017).

Teil der neuen Strategie der Regierung und der internationalen Kräfte im Kampf gegen die Taliban ist es, die Luftangriffe der afghanischen und internationalen Kräfte in jenen Gegenden zu verstärken, die am stärksten von Vorfällen betroffen sind. Dazu gehören u.a. die östlichen und südlichen Regionen, in denen ein Großteil der Vorfälle registriert wurde. Eine weitere Strategie der Behörden, um gegen Taliban und das Haqqani-Netzwerk vorzugehen, ist die Reduzierung des Einkommens selbiger, indem mit Luftangriffen gegen ihre Opium-Produktion vorgegangen wird (SIGAR 1.2018).

Außerdem haben Militäroperationen der pakistanischen Regierung einige Zufluchtsorte Aufständischer zerstört. Jedoch genießen bestimmte Gruppierungen, wie die Taliban und das Haqqani-Netzwerk Bewegungsfreiheit in Pakistan (USDOD 12.2017). Die Gründe dafür sind verschiedene: das Fehlen einer Regierung, das permissive Verhalten der pakistanischen Sicherheitsbehörden, die gemeinsamen kommunalen Bindungen über die Grenze und die zahlreichen illegalen Netzwerke, die den Aufständischen Schutz bieten (AAN 17.10.2017).

Taliban

Die Taliban führten auch ihre Offensive "Mansouri" weiter; diese Offensive konzentrierte sich auf den Aufbau einer "Regierungsführung" der Taliban (Engl. "governance") bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Gewalt gegen die afghanische Regierung, die ANDSF und ausländische Streitkräfte. Nichtsdestotrotz erreichten die Taliban, die Hauptziele dieser "Kampfsaison" laut US-Verteidigungsministerium nicht (USDOD 12.2017). Operation Mansouri sollte eine Mischung aus konventioneller Kriegsführung, Guerilla-Angriffen und Selbstmordattentaten auf afghanische und ausländische Streitkräfte werden (Reuters 28.4.2017). Auch wollten sich die Taliban auf jene Gegenden konzentrieren, die vom Feind befreit worden waren (LWJ 28.4.2017). Laut NATO Mission Resolute Support kann das Scheitern der Taliban-Pläne für 2017 auf aggressive ANDSF- Operationen zurückgeführt, aber auch auf den Umstand, dass die Taliban den IS und die ANDSF gleichzeitig bekämpfen müssen (USDOD 12.2017).

Im Jahr 2017 wurden den Taliban insgesamt 4.385 zivile Opfer (1.574 Tote und 2.811 Verletzte zugeschrieben. Die Taliban bekannten sich nur zu 1.166 zivilen Opfern. Im Vergleich zum Vorjahreswert bedeutet dies einen Rückgang um 12% bei der Anzahl ziviler Opfer, die den Taliban zugeschrieben werden. Aufgrund der Komplexität der in Selbstmord- und komplexen Anschlägen involvierten Akteure hat die UNAMA oft Schwierigkeiten, die daraus resultierenden zivilen Opfer spezifischen regierungsfreundlichen Gruppierungen zuzuschreiben, wenn keine Erklärungen zur Verantwortungsübernahme abgegeben wurde. Im Jahr 2017 haben sich die Taliban zu 67 willkürlichen Angriffen auf Zivilist/innen bekannt; dies führte zu 214 zivilen Opfern (113 Toten und 101 Verletzten). Auch wenn sich die Taliban insgesamt zu weniger Angriffen gegen Zivilist/innen bekannten, so haben sie dennoch die Angriffe gegen zivile Regierungsmitarbeiter/innen erhöht - es entspricht der Linie der Taliban, Regierungsinstitutionen anzugreifen (UNAMA 2.2018).

Schätzungen von SIGAR zufolge kontrollierten im Oktober 2017 und im Jänner 2018 die Taliban 14% der Distrikte Afghanistans (SIGAR 30.4.2018). Die Taliban selbst verlautbarten im März 2017, dass sie beinahe 10% der afghanischen Distrikte kontrollierten (ODI 6.2018). Die Taliban halten auch weiterhin großes Territorium in den nördlichen und südlichen Gegenden der Provinz Helmand (JD News 12.3.2018; vgl. LWJ 20.4.2018). Die ANDSF haben, unterstützt durch US-amerikanische Truppen, in den ersten Monaten des Jahres 2018 an Boden gewonnen, wenngleich die Taliban nach wie vor die Hälfte der Provinz Helmand unter Kontrolle halten (JD News 12.3.2018; vgl. LWJ 20.4.2018). Helmand war lange Zeit ein Hauptschlachtfeld - insbesondere in der Gegend rund um den Distrikt Sangin, der als Kernstück des Taliban-Aufstands erachtet wird (JD News 12.3.2018; vgl. Reuters 30.3.2018). Die Taliban haben unerwarteten Druck aus ihrer eigenen Hochburg in Helmand erhalten: Parallel zu der Ende März 2018 abgehaltenen Friendens-Konferenz in Uzbekistan sind hunderte Menschen auf die Straße gegangen, haben eine Sitzblockade abgehalten und geschworen, einen langen Marsch in der von den Taliban kontrollierten Stadt Musa Qala zu abzuhalten, um die Friedensgespräche einzufordern. Unter den protestierenden Menschen befanden sich auch Frauen, die in dieser konservativen Region Afghanistans selten außer Hauses gesehen werden (NYT 27.3.2018).

Die Taliban geben im Kurznachrichtendienst Twitter Angaben zu ihren Opfern oder Angriffen (FAZ 19.10.2017; vgl. Pajhwok 13.3.2018). Ihre Angaben sind allerdings oft übertrieben (FAZ 19.10.2017). Auch ist es sehr schwierig Ansprüche und Bekennermeldungen zu verifizieren - dies gilt sowohl für Taliban als auch für den IS (AAN 5.2.2018).

Kabul

Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul-Stadt. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan, im Nordosten an Kapisa, im Osten an Laghman, an Nangarhar im Südosten, an Logar im Süden und an (Maidan) Wardak im Südwesten. Kabul ist mit den Provinzen Kandahar, Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden. Die Provinz Kabul besteht aus folgenden Einheiten (Pajhwok o.D.z): Bagrami, Chaharasyab/Char Asiab, Dehsabz/Deh sabz, Estalef/Istalif, Farza, Guldara, Kabul Stadt, Kalakan, Khak-e Jabbar/Khak-i-Jabar, Mirbachakot/Mir Bacha Kot, Musayi/Mussahi, Paghman, Qarabagh, Shakardara, Surobi/Sorubi (UN OCHA 4-2014; vgl. Pajhwok o.D.z).

Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.679.648 geschätzt (CSO 4.2017).

In der Hauptstadt Kabul leben unterschiedliche Ethnien: Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus. Ein Großteil der Bevölkerung gehört dem sunnitischen Glauben an, dennoch lebt eine Anzahl von Schiiten, Sikhs und Hindus nebeneinander in Kabul Stadt (Pajhwok o.D.z). Menschen aus unsicheren Provinzen, auf der Suche nach Sicherheit und Jobs, kommen nach Kabul - beispielsweise in die Region Shuhada-e Saliheen (LAT 26.3.2018). In der Hauptstadt Kabul e

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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