Entscheidungsdatum
14.11.2018Norm
AsylG 2005 §34 Abs4Spruch
W158 2207327-1/2E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Dr. Yoko KUROKI-HASENÖHRL als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gesetzlich vertreten durch die Mutter XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, diese vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH und Volkshilfe Flüchtlingsdienst- und MigrantInnenbetreuung GmbH als Mitglieder der ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX :
A)
Der angefochtene Bescheid wird gemäß § 34 Abs. 4, 5 AsylG iVm § 28 VwGVG aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang und unstrittiger Sachverhalt:
I.1. Die Beschwerdeführerin (im Folgenden: BF), eine Staatsangehörige Afghanistans reiste in das Bundesgebiet ein und stellte am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.
I.2. Am selben Tag wurde die BF durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Landespolizeidirektion Oberösterreich niederschriftlich erstbefragt. Dabei gab sie unter anderem an, am XXXX in Kabul geboren worden zu sein und der Volksgruppe der Hazara und der Glaubensgemeinschaft der Schiiten anzugehören. Befragt nach ihren Fluchtgründen führte die BF aus, ihr Vater habe Probleme in Afghanistan. Ihre Eltern hätten deswegen beschlossen Afghanistan zu verlassen.
I.3. Am XXXX wurde die BF von einer Organwalterin des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) und in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari im Beisein ihrer gesetzlichen Vertreterin niederschriftlich einvernommen. Die BF wurde dabei u.a. zu ihrem Gesundheitszustand, ihrer Identität, ihren Lebensumständen in Afghanistan, ihren Familienangehörigen und ihren Lebensumständen in Österreich befragt. Nach den Gründen befragt, die die BF bewogen, ihre Heimat zu verlassen, gab sie an, ihr Vater habe in Afghanistan Probleme und sei von den Taliban gefangen genommen worden. Zudem seien einmal unbekannte Männer zur Mutter der BF gekommen und hätten gesagt, dass sie die BF mitnehmen würden. Ihre Mutter hätte das verhindern können, allerdings hätten die Angreifer ihrer Mutter einen Schaden zugefügt.
Als Beilage zur Niederschrift wurden diverse Integrationsunterlagen genommen.
I.4. Mit Bescheid vom XXXX , der gesetzlichen Vertreterin am XXXX zugestellt, wurde der Antrag der BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde der BF nicht erteilt (Spruchpunkt III.), eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass die Abschiebung zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).
Begründend führte das BFA aus, das Vorbringen der BF sei nicht mehr aktuell und auch eine westliche Orientierung habe nicht festgestellt werden können, weswegen ihr der Status eines Asylberechtigten nicht gewährt werden könne. Die BF könne nach Kabul, wo sie geboren, aufgewachsen und sozialisiert worden sei oder in jede unter Regierungskontrolle stehende Provinz zurückkehren. In Kabul verfüge die Familie der BF zudem über familiäre Unterstützung. Gemäß § 57 AsylG sei auch eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz nicht zu erteilen, weil die Voraussetzungen nicht vorlägen. Hinsichtlich Art. 8 EMRK führte das BFA eine Abwägung durch und kam dabei zum Schluss, dass eine Rückkehrentscheidung zulässig sei. Im Falle der Durchsetzbarkeit der Rückkehrentscheidung sowie bei Vorliegen der in § 46 Abs. 1 Z 1 bis 4 FPG genannten Voraussetzungen sei ihre Abschiebung nach Afghanistan zulässig.
I.5. Mit Verfahrensanordnung vom XXXX wurde der BF amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.
I.6. Am XXXX erhob die BF durch ihre Vertretung Beschwerde in vollem Umfang wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit, unrichtiger rechtlicher Beurteilung und Mangelhaftigkeit des Verfahrens aufgrund fehlerhafter beziehungsweise unzureichender Ermittlungen und mangelhafter Beweiswürdigung. Es wurde beantragt, der BF den Status der Asylberechtigten zu gewähren; in eventu ihr den Status der subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen; in eventu festzustellen, dass die Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig und ihr ein Aufenthaltstitel zu erteilen sei; in eventu den Bescheid zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückzuverweisen und eine mündliche Beschwerdeverhandlung durchzuführen.
Das Verfahren ihrer Mutter sei mangelhaft geführt worden. Zudem seien unvollständige beziehungsweise veraltete Länderfeststellungen getroffen worden. Ebenso wurde der Beweiswürdigung hinsichtlich der westlichen Orientierung entgegengetreten.
I.7. Am XXXX langte der gegenständliche Verwaltungsakt beim Bundesverwaltungsgericht ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
II.1. Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG entscheiden die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.
Gemäß § 6 BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013 idF BGBl. I Nr. 50/2016, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist, was gegenständlich nicht der Fall ist.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idF BGBl. I Nr. 24/2017 (im Folgenden: VwGVG), geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 1 leg.cit. trat dieses Bundesgesetz mit 1. Jänner 2014 in Kraft. Gemäß § 58 Abs. 2 leg.cit. bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
II.2. Zum Spruchpunkt A):
Gemäß § 34 Abs. 4 AsylG hat die Behörde Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen. Diese Bestimmung gilt nach § 34 Abs. 5 AsylG sinngemäß auch für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht.
Nach § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG ist Familienangehöriger, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat, sowie der gesetzliche Vertreter der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, wenn diese minderjährig und nicht verheiratet ist, sofern dieses rechtserhebliche Verhältnis bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat.
Nach den erläuternden Bemerkungen zu § 34 AsylG 2005 (ErläutRV 952 BlgNR 22. GP, 54) sind die Asylverfahren einer Familie "unter einem" zu führen, wobei jeder Antrag auf internationalen Schutz gesondert zu prüfen ist. Jener Schutzumfang, der das stärkste Recht gewährt, ist auf alle Familienmitglieder anzuwenden. Das gemeinsame Führen der Verfahren hat den Vorteil, dass möglichst zeitgleich über die Berechtigungen, die Österreich einer Familie gewährt, abgesprochen wird. Diese Vereinfachung und Straffung der Verfahren wird auch im Berufungsverfahren (nunmehr: Beschwerdeverfahren) fortgesetzt.
Nach § 16 Abs. 3 BFA-VG ist keine Entscheidung eines Familienangehörigen der Rechtskraft zugänglich, wenn gegen eine zurückweisende oder abweisende Entscheidung im Familienverfahren gemäß dem 4. Abschnitt des 4. Hauptstückes des AsylG auch nur von einem betroffenen Familienmitglied Beschwerde erhoben wird, da diese auch als Beschwerde gegen die die anderen Familienangehörigen betreffenden Entscheidungen gilt; keine dieser Entscheidungen ist dann der Rechtskraft zugänglich.
Nach den erläuternden Bemerkungen zur inhaltsgleichen Vorgängerbestimmung des § 16 Abs. 2 BFA-VG soll mit dieser Bestimmung erreicht werden, dass alle Anträge von Familienmitgliedern von der gleichen Behörde zum gleichen Zeitpunkt entschieden werden können (ErläutRV 2144 BlgNR 24. GP, 11f). Auch der Verfassungsgerichtshof geht davon aus, dass Familienverfahren "gemäß §34 AsylG 2005 zwingend gemeinsam" zu führen sind (VfGH 18.09.2015, E 1174/2014).
Da der Bescheid ihrer Mutter, die - wie auch das BFA richtig erkannt hat - Familienangehörige im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG ist, mit Beschluss vom heutigen Tage aufgrund gravierender Ermittlungsmängel aufzuheben und das Verfahren an das BFA zurückzuverweisen war (W158 2207323-1), ist auch der Bescheid der BF aufzuheben und das Verfahren an das BFA zurückzuverweisen. Andernfalls wäre eine Führung des Verfahrens "unter einem" und eine Entscheidung der gleichen Behörde zum gleichen Zeitpunkt nicht möglich. Das entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (etwa VwGH 22.02.2018, Ra 2017/18/0357).
II.3. Zu Spruchpunkt B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, Familienverfahren,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:W158.2207327.1.00Zuletzt aktualisiert am
09.01.2019