TE Bvwg Beschluss 2018/11/19 W158 2202275-1

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Veröffentlicht am 19.11.2018
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Entscheidungsdatum

19.11.2018

Norm

AsylG 2005 §34 Abs4
AsylG 2005 §34 Abs5
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3

Spruch

W158 2202275-1/5E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Dr. Yoko KUROKI-HASENÖHRL als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und die Volkshilfe Flüchtlingsdienst- und MigrantInnenbetreuung GmbH als Mitglieder der ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX :

A)

Der angefochtene Bescheid wird gemäß § 34 Abs. 4, 5 AsylG iVm § 28 Abs. 3 VwGVG aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang und unstrittiger Sachverhalt:

I.1. Die Beschwerdeführerin (im Folgenden: BF), eine Staatsangehörige Afghanistans, reiste in das Bundesgebiet ein und stellte am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.

I.2. Am selben Tag wurde die BF durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Landespolizeidirektion Niederösterreich niederschriftlich erstbefragt. Befragt nach ihren Fluchtgründen führte die BF aus, sie sei mit ihrer Familie vor einem Jahr ausgereist, da sie Angst hätten, dass ihr Kind entführt werden würde.

I.3. Am XXXX wurde die BF vom zur Entscheidung berufenen Organwalter des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) und in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari niederschriftlich einvernommen. Nach den Gründen befragt, die die BF bewogen, ihre Heimat zu verlassen, gab sie an, sie hätte Probleme mit ihren Schwiegereltern gehabt. So hätten sie ihr vorgeschrieben, was sie anzuziehen habe, und sie hätte nicht das machen dürfen, was sie gewollt habe. Die Schwiegereltern hätten die BF ständig erniedrigt, und sie hätte nichts alleine machen dürfen. Ihr Ehemann hätte immer dabei sein müssen, wenn sie einkaufen oder sonst wo hingegangen wäre. Ebenfalls hätte sie nicht lernen dürfen, obwohl sie das gerne gemacht hätte. Die BF wäre sich wie eine Sklavin vorgekommen. Zudem wäre ihr Sohn auf dem Heimweg von der Schule einmal fast entführt worden.

I.4. Mit Bescheid vom XXXX , der BF am XXXX durch Hinterlegung zugestellt, wurde der Antrag der BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde der BF nicht erteilt (Spruchpunkt III.), eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass die Abschiebung zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

Begründend führte das BFA aus, dass das Vorbringen der BF nicht glaubhaft gewesen und die BF auch nicht westlich orientiert sei und ihr daher der Status einer Asylberechtigten nicht gewährt werden könnte. Der BF wäre eine Rückkehr nach Kabul, Mazar-e Sharif, Jalalabad und Herat möglich und zumutbar, weswegen der BF auch der Status einer subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen gewesen sei. Gemäß § 57 AsylG sei auch eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz nicht zu erteilen, weil die Voraussetzungen nicht vorlägen. Hinsichtlich Art. 8 EMRK führte das BFA eine Abwägung durch und kam dabei zum Schluss, dass eine Rückkehrentscheidung zulässig sei. Im Falle der Durchsetzbarkeit der Rückkehrentscheidung sowie bei Vorliegen der in § 46 Abs. 1 Z 1 bis 4 FPG genannten Voraussetzungen sei ihre Abschiebung nach Afghanistan zulässig.

I.5. Mit Verfahrensanordnung vom XXXX wurde der BF amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

I.6. Am XXXX erhob die BF Beschwerde in vollem Umfang und beantragte ihr den Status der Asylberechtigten zu gewähren; in eventu ihr den Status einer subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen; in eventu festzustellen, dass die Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei und ihr einen Aufenthaltstitel zu erteilen; in eventu den Bescheid zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückzuverweisen sowie eine mündliche Verhandlung durchzuführen.

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, das Vorbringen der BF sei glaubhaft. Das BFA hätte daher feststellen müssen, dass die BF westlich orientiert sei und ihr daher den Status der Asylberechtigten gewähren müssen. Zudem sei das Verfahren insofern mangelhaft als die Länderfeststellungen unvollständig und veraltet seien.

I.7. Am XXXX langte der gegenständliche Verwaltungsakt beim Bundesverwaltungsgericht ein.

I.8. Am XXXX wurde der Sohn der BF XXXX geboren. Dessen Antrag auf internationalen Schutz wurde vom BFA mit Bescheid vom XXXX abgewiesen. Der dagegen erhobenen Beschwerde gab das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom XXXX statt und verwies das Verfahren aufgrund krasser Ermittlungsmängel an das BFA zurück (W158 2204711-1).

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

II.1. Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG entscheiden die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.

Gemäß § 6 BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013 idF BGBl. I Nr. 50/2016, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist, was gegenständlich nicht der Fall ist.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idF BGBl. I Nr. 24/2017 (im Folgenden: VwGVG), geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 1 leg.cit. trat dieses Bundesgesetz mit 1. Jänner 2014 in Kraft. Gemäß § 58 Abs. 2 leg.cit. bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

II.2. Zum Spruchpunkt A):

Gemäß § 34 Abs. 4 AsylG hat die Behörde Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen. Diese Bestimmung gilt nach § 34 Abs. 5 AsylG sinngemäß auch für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Nach § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG ist Familienangehöriger, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat, sowie der gesetzliche Vertreter der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, wenn diese minderjährig und nicht verheiratet ist, sofern dieses rechtserhebliche Verhältnis bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat.

Nach den erläuternden Bemerkungen zu § 34 AsylG 2005 (ErläutRV 952 BlgNR 22. GP, 54) sind die Asylverfahren einer Familie "unter einem" zu führen, wobei jeder Antrag auf internationalen Schutz gesondert zu prüfen ist. Jener Schutzumfang, der das stärkste Recht gewährt, ist auf alle Familienmitglieder anzuwenden. Das gemeinsame Führen der Verfahren hat den Vorteil, dass möglichst zeitgleich über die Berechtigungen, die Österreich einer Familie gewährt, abgesprochen wird. Diese Vereinfachung und Straffung der Verfahren wird auch im Berufungsverfahren (nunmehr: Beschwerdeverfahren) fortgesetzt.

Nach § 16 Abs. 3 BFA-VG ist keine Entscheidung eines Familienangehörigen der Rechtskraft zugänglich, wenn gegen eine zurückweisende oder abweisende Entscheidung im Familienverfahren gemäß dem 4. Abschnitt des 4. Hauptstückes des AsylG auch nur von einem betroffenen Familienmitglied Beschwerde erhoben wird, da diese auch als Beschwerde gegen die die anderen Familienangehörigen betreffenden Entscheidungen gilt; keine dieser Entscheidungen ist dann der Rechtskraft zugänglich.

Nach den erläuternden Bemerkungen zur inhaltsgleichen Vorgängerbestimmung des § 16 Abs. 2 BFA-VG soll mit dieser Bestimmung erreicht werden, dass alle Anträge von Familienmitgliedern von der gleichen Behörde zum gleichen Zeitpunkt entschieden werden können (ErläutRV 2144 BlgNR 24. GP, 11f). Auch der Verfassungsgerichtshof geht davon aus, dass Familienverfahren "gemäß §34 AsylG 2005 zwingend gemeinsam" zu führen sind (VfGH 18.09.2015, E 1174/2014).

Da der Bescheid ihres Kindes, das Familienangehöriger im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG ist, aufgrund gravierender Ermittlungsmängel aufzuheben und das Verfahren an das BFA zurückzuverweisen war (W158 2204711-1), ist auch der Bescheid der BF aufzuheben und das Verfahren an das BFA zurückzuverweisen. Andernfalls wäre eine Führung des Verfahrens "unter einem" und eine Entscheidung der gleichen Behörde zum gleichen Zeitpunkt nicht möglich. Das entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (etwa VwGH 22.02.2018, Ra 2017/18/0357).

Zudem unterließ das BFA auch jegliche Ermittlungstätigkeit zur angeblichen Entführung ihres Sohnes, obwohl sie dazu in der Erstbefragung und in der Einvernahme gleichlautende Angaben tätigte. Das BFA nahm dazu jedoch keine weiteren Ermittlungsschritte insbesondere durch eine nähere Befragung der BF und der Familienmitglieder vor. Auch der Beweiswürdigung sind keine Ausführungen zu diesem Thema zu entnehmen. Dabei wird auch nicht verkannt, dass sowohl der Mann als auch der (angeblich von der Entführung betroffene) Sohn in ihren Einvernahmen eine angebliche Entführung erwähnten, nichtsdestotrotz wäre eine nähere Befragung und insbesondere auch beweiswürdigende Erwägungen zu diesem Vorbringen der BF notwendig gewesen. Das BFA ignorierte dieses Parteivorbringen der BF jedoch völlig und übte damit Willkür (VfGH 26.06.2018, E 4387/2018). Aufgrund dieser Ermittlungsmängel ist daher der Bescheid der BF auch aus diesem Grund aufzuheben, da das BFA jede Ermittlungstätigkeit zu diesem Punkt unterließ (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).

Die beantragte mündliche Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG entfallen, da bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der Bescheid aufzuheben ist.

II.3. Zu Spruchpunkt B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, Familienverfahren,
Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W158.2202275.1.00

Zuletzt aktualisiert am

10.01.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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