TE Bvwg Erkenntnis 2018/11/20 W111 2168225-1

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Veröffentlicht am 20.11.2018
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Entscheidungsdatum

20.11.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W111 2168225-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. DAJANI, LL.M., als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX alias XXXX , StA. Eritrea, vertreten durch den XXXX , gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.07.2017, Zl. 1015875209-14554219, zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattgegeben und XXXX

gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005, der Status eines Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Eritreas, reiste als Minderjähriger illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 24.04.2014 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz, zu welchem er am gleichen Tag vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes niederschriftlich erstbefragt wurde (vgl. Verwaltungsakt, Seiten 9 bis 19). Der Beschwerdeführer gab zusammenfassend zu Protokoll, er gehöre dem christlichen Glauben sowie der Volksgruppe der Tigrinya an und stamme aus XXXX , wo er die Schule besucht hätte und wo sich unverändert seine Eltern und einige seiner Geschwister aufhalten würden. Ein volljähriger Bruder von ihm befinde sich in Österreich. Der Beschwerdeführer habe seinen Herkunftsstaat im September 2013 illegal verlassen. Zum Grund seiner Flucht aus dem Herkunftsstaat führte der Beschwerdeführer aus, es gebe dort außer der Grundschule keine Möglichkeit, Schulbildung zu erlangen, da selbst die Lehrer das Land verlassen hätten. Es gebe auch keine Arbeit. Für den Fall einer Rückkehr befürchte er, sofort zum Militär zu kommen.

Am 21.04.2016 wurde durch die gesetzliche Vertreterin des damals minderjährigen Beschwerdeführers eine schriftliche Stellungnahme eingebracht, in welcher zusammenfassend ausgeführt wurde (im Detail siehe die Seiten 109 bis 113 des Verwaltungsaktes), der Beschwerdeführer befürchte, aufgrund seines wehrfähigen Alters zum Militärdienst eingezogen oder noch vor Erreichung der Volljährigkeit im Zuge einer Razzia ("Giffa") zwangsrekrutiert zu werden und in diesem Zusammenhang unmenschliche Behandlung zu erleiden. Aus der aktuellen Berichtslage ginge hervor, dass der im wehrfähigen Alter befindliche Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Eritrea im Zuge der Einreisekontrolle von willkürlicher Inhaftierung und anschließender Folter und Haft bedroht wäre, da er durch die Stellung eines Asylantrages im Ausland versucht hätte, sich dem Militärdienst zu entziehen. Hierzu sei auf die Erwägungen in der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 03.08.2015, Zl. W226 2111032-2, verwiesen. Dem Bruder des Beschwerdeführers sei in Österreich Asyl zuerkannt worden, da ihm aufgrund seiner Desertion vom eritreischen Militär Verfolgung drohe, weshalb der Beschwerdeführer als dessen Familienangehöriger ebenfalls mit Repressalien zu rechnen hätte.

Am 16.05.2017 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Tigrinya sowie einer Vertrauensperson niederschriftlich zu den Gründen seiner Antragstellung auf internationalen Schutz einvernommen. Der Beschwerdeführer brachte im Wesentlichen vor (zum detaillierten Verlauf seiner Einvernahme, vgl. Verwaltungsakt, Seiten 141 bis 159), er sei in XXXX geboren und aufgewachsen, wo er von 2006 bis 2013 die Schule besucht hätte, daneben habe er an der Rezeption im Hotel seines Vaters gearbeitet. Er sei orthodoxer Christ und Tigrinya. In Eritrea würden sich noch seine Eltern sowie vier Schwestern aufhalten. Eine weitere Schwester wohne in Israel, ein Bruder befinde sich in Österreich, weiters seien zwei Geschwister in der Schweiz aufhältig. Mit seinen Verwandten im Herkunftsstaat stünde er nur selten in telefonischem Kontakt. Befragt, ob er in seiner Heimat vorbestraft wäre, jemals Probleme mit Behörden gehabt hätte oder inhaftiert gewesen wäre, erklärte der Beschwerdeführer, sich infolge einer Razzia im Mai 2013 zwei Tage im Gefängnis bzw. einem Militärverwaltungszentrum in einem näher angeführten Ort befunden zu haben. Er sei auf dem Nachhauseweg von der Schule vom Militär aufgehalten und mitgenommen werden, da er seinen Schülerausweis nicht bei sich getragen hätte. Nach zwei Tagen habe sein Vater den Schülerausweis gebracht, woraufhin der Beschwerdeführer entlassen worden wäre. Im Falle einer Rückkehr würde er eingesperrt werden, da er das Land illegal verlassen hätte. Er sei nie politisch tätig gewesen und habe keine Probleme aufgrund seiner Religion und Volksgruppenzugehörigkeit gehabt, ebensowenig sei er von gröberen Problemen mit Privatpersonen betroffen oder an bewaffneten Auseinandersetzungen beteiligt gewesen.

Um Schilderung seiner Fluchtgründe ersucht, gab der Beschwerdeführer an, das Land einerseits aufgrund der erwähnten Razzia verlassen zu haben, da so etwas wieder passieren könnte. Nach einer solchen Razzia habe man drei Tage für eine Aufklärung Zeit, ansonsten werde man für immer eingesperrt. Der Beschwerdeführer wolle sein Leben nicht als Soldat verbringen, sondern seine Ausbildung beenden und in Frieden leben. Im Falle einer Rückkehr würden ihn Gefängnis, Strafe und fristloser Militärdienst erwarten. Seine Familienangehörigen würden nach wie vor an der ursprünglichen Adresse leben und es ginge ihnen gut. Sein nunmehr in Österreich aufhältiger Bruder habe Eritrea 2008 oder 2009 verlassen, nachdem er mehr als sieben oder acht Jahre seinen Militärdienst geleistet hätte. Seine in Israel lebende Schwester habe Eritrea bereits vor dem erwähnten Bruder verlassen, die beiden nunmehr in der Schweiz aufhältigen Geschwister seien im Jahr 2015 ausgereist. Seit sein Bruder, welcher jetzt in der Schweiz sei, weggegangen wäre, habe der Beschwerdeführer auch weg wollen. Befragt, wie er die vorgelegte, im Februar 2016 ausgestellte, Geburtsurkunde nach seiner Ausreise habe besorgen können, erklärte der Beschwerdeführer, sein Vater habe diese von der Gemeinde gegen Bezahlung von Schmiergeld erhalten. Auf Vorhalt, dass die im Land verbliebene Familie eines illegal ausgereisten Staatsbürgers, welcher sich dem Nationaldienst entzogen hätte, mit Repressalien zu rechnen hätte, sein Vater jedoch nach seiner Ausreise sogar staatliche Dokumente gegen Bezahlung erlangen und seine Geschäfte (Hotel und Landwirtschaft) habe weiterführen können, erklärte der Beschwerdeführer, dass dies so sei; es gebe viel zu viel Korruption. Nach der Ausreise seiner Schwester und seines Bruders habe sein Vater jeweils 50.000 Nafkar bezahlt, nach seiner eigenen Ausreise hätten sie seinen Vater nicht danach gefragt, vielleicht aufgrund einer Änderung des Gesetzes oder weil der Beschwerdeführer minderjährig gewesen sei. Der Beschwerdeführer wurde in weiterer Folge zu seinen privaten und familiären Lebensumständen in Österreich befragt und verwies in diesem Zusammenhang auf umfassende Integrationsbemühungen, welche durch Vorlage entsprechender Unterlagen (vgl. AS 173 bis 223) untermauert wurden.

2. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 17.07.2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers in Spruchpunkt I. bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Absatz 1 iVm Absatz 2 Ziffer 13 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, ab. In Spruchpunkt II. wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Absatz 1 AsylG der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm in Spruchpunkt III. gemäß § 8 Absatz 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl legte seiner Entscheidung einen allgemeinen Ländervorhalt zu Eritrea zugrunde. Die Behörde stellte die Staatsangehörigkeit, die Volksgruppenzugehörigkeit und das Glaubensbekenntnis, nicht jedoch die präzise Identität des Beschwerdeführers fest. Nicht festgestellt werden habe können, dass dem Beschwerdeführer in Eritrea Verfolgung durch staatliche Stellen drohe. Der Beschwerdeführer sei in seinem Herkunftsstaat weder vorbestraft, noch inhaftiert gewesen, habe keine Probleme mit den dortigen Behörden gehabt, sei nicht politisch tätig gewesen und habe an keinen bewaffneten Auseinandersetzungen teilgenommen. Es habe nicht festgestellt werden können, dass dieser aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder aufgrund seiner politischen Gesinnung diskriminiert oder verfolgt worden wäre. Es bestünden jedoch Gründe für die Annahme, dass dieser zum Entscheidungszeitpunkt im Falle einer Abschiebung über keine ausreichende Lebenssicherheit verfügen würde. Aufgrund des ausstehenden Nationaldienstes und der Fahnenflucht könnte der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Eritrea potentiell einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung ausgeliefert sein.

In Bezug auf die vom Beschwerdeführer geäußerten Fluchtgründe wurde beweiswürdigend im Wesentlichen erwogen, dass sich der nach wie vor im Herkunftsstaat verbliebene Teil seiner Familie mit den Bedingungen vor Ort arrangiert zu haben scheine und sein Vater Beziehungen zur lokalen Verwaltung aufgebaut haben dürfte. Der Beschwerdeführer sei bereits der fünfte Familienangehörige, welcher sich dem Nationaldienst entzogen hätte, weshalb anzunehmen wäre, dass die verbliebenen Angehörigen abgestraft oder zumindest überwacht würden; der Beschwerdeführer habe jedoch angegeben, dass die Familie nach den Ausreisen keine staatlichen Repressalien erlitten hätte - im Gegenteil sei es seinem Vater sogar möglich gewesen, infolge der illegalen Ausreise des Beschwerdeführers staatliche Dokumente für diesen zu besorgen. Im Gegensatz zu seinen Geschwistern sei der Beschwerdeführer nicht vom Nationaldienst oder der Ausbildung desertiert, sondern bereits vor Erhalt eines Einberufungsbefehls ausgereist; der Genannte sei lediglich im Zuge einer Razzia aufgegriffen worden, wie es jeden treffen könne, und nach zweitägiger Anhaltung in einem Militärverwaltungszentrum wieder freigelassen worden. Infolge der im Mai 2013 stattgefundenen Razzia habe sich der Beschwerdeführer noch bis September 2013 in seinem Herkunftsstaat aufgehalten und seinen Alltag fortgesetzt, was mit einer akuten Bedrohungssituation, ebenso wie der Umstand, dass der Beschwerdeführer nicht im ersten sicheren Land um Asyl angesucht hätte, nicht in Einklang zu bringen wäre. Eine aktuelle, maßgebliche und konkret gegen seine Person gerichtete Verfolgungsgefahr könne daher insgesamt nicht angenommen werden.

Zur Situation des Beschwerdeführers im Falle seiner Rückkehr wurde insbesondere erwogen, dass dessen soziales und wirtschaftliches Auffangnetz mit der Ausreise seiner erwachsenen, arbeitsfähigen Geschwister ausgedünnt und potentiell nicht mehr tragfähig wäre. Der Beschwerdeführer verfüge in seinem Heimatland weder über eine abgeschlossene Berufsausbildung, noch über Berufspraxis, weshalb anzunehmen wäre, dass dieser im Falle einer Rückkehr seine notdürftigste Lebensgrundlage nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit erwirtschaften könnte. Zudem müsste der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr mit unmenschlicher und erniedrigender Behandlung aufgrund des Nationaldienstes, der Fahnenflucht und der Situation als Rückkehrer rechnen; eine innerstaatliche Fluchtalternative sei nicht gegeben, da der Beschwerdeführer im gesamten Staatsgebiet mit dieser Problematik konfrontiert wäre.

Mit Verfahrensanordnung vom 17.02.2017 wurde dem Beschwerdeführer eine Rechtsberatungsorganisation im Hinblick auf eine allfällige Beschwerdeerhebung zur Seite gestellt.

3. Der Beschwerdeführer bekämpfte Spruchpunkt I. des oben dargestellten Bescheides fristgerecht mittels am 16.08.2017 eingelangter Beschwerde, zugleich wurde das im Spruch bezeichnete Vollmachtsverhältnis bekannt gegeben. Begründend wurde zusammenfassend ins Treffen geführt (im Detail vgl. Verwaltungsakt, Seiten 310 bis 322), der Beschwerdeführer, welcher seinen Herkunftsstaat im Alter von 14 Jahren verlassen hätte, habe konkret gegen seine Person gerichtete Verfolgung geltend gemacht. Die beiden älteren Brüder des Beschwerdeführers hätten aufgrund des Militärdienstes aus der Heimat flüchten müssen. Der Beschwerdeführer sei im Mai 2013 bei einer "Giffa" festgenommen und für zwei Tage in einem Militärcamp angehalten worden. Da seinem Vater durch Vorlage eines Schülerausweises gelungen wäre, nachzuweisen, dass der Beschwerdeführer noch zu jung für den Militärdienst wäre, habe der Beschwerdeführer das Militärcamp für den Moment wieder verlassen können, wäre jedoch in kurzer Zeit als alt genug befunden worden, um beim Militär zu dienen. Der Beschwerdeführer habe genaue und nachvollziehbare Angaben erstattet, welche sich vor dem Hintergrund der Länderberichte als authentisch erwiesen. Der Beschwerdeführer habe sich de facto dem Militärdienst entzogen und sei illegal aus dem Land ausgereist, aus diesem Grund befürchte er eine unmenschliche Gefängnisstrafe und die Bestrafung mit Folter und Tod. Aus der Berichtslage ergebe sich, dass in Eritrea nicht ein im Sinne der Grundrechte zulässiger Militärdienst gefordert werde, sondern ein unvorhersehbar langer Dienst unter unmenschlichen Bedingungen, welcher den Charakter von Zwangsarbeit aufweisen würde. Der Beschwerdeführer gehöre als wehrdienstfähiger Mann einer sozialen Gruppe an, die asylrelevante Verfolgung zu befürchten habe, falls sie sich der Ideologie und dem unbedingten Gehorsam, zu denen auch das Schießen auf Zivilisten gehöre, widersetze. Durch seine Flucht aus Eritrea habe der Beschwerdeführer demonstriert, dass er mit der Politik dieser Diktatur nicht einverstanden wäre, im Falle einer Rückkehr würde ihm die Flucht vor dem Militärdienst vorgeworfen sowie die Gegnerschaft zum herrschenden Regime unterstellt werden. Die belangte Behörde sei daher unzutreffenderweise von einer fehlenden Asylrelevanz des Vorbringens des Beschwerdeführers ausgegangen.

4. Die Beschwerdevorlage des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl langte am 21.08.2017 mitsamt dem bezughabenden Verwaltungsakt beim Bundesverwaltungsgericht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Aufgrund des Antrags auf internationalen Schutz vom 24.04.2014, der Einvernahmen der beschwerdeführenden Partei durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, der Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.07.2017, der Einsichtnahme in den bezughabenden Verwaltungsakt, der Einsichtnahmen in das zentrale Melderegister, in das Grundversorgungs-Informationssystem und in das Strafregister, werden die folgenden Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt.

1.1. Zur beschwerdeführenden Partei und den vorgebrachten Fluchtgründen:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Eritrea. Der Beschwerdeführer ist somit Drittstaatsangehöriger im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 20b AsylG 2005.

Die Identität des Beschwerdeführers steht in Ermangelung entsprechender Dokumente nicht fest. Er gehört der Volksgruppe der Tigrinya an, bekennt sich zum christlich-orthodoxen Glauben, ist ledig und volljährig. Der Beschwerdeführer reiste als Minderjähriger illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 24.04.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz, seitdem hält er sich durchgehend im Bundesgebiet auf. Der Beschwerdeführer reiste im September 2013 illegal aus seinem Herkunftsstaat aus, seine Eltern und vier Schwestern halten sich nach wie vor in seinem Heimatort XXXX auf. Einer seiner Brüder lebt als anerkannter Flüchtling in Österreich (BVwG-Zl. W153 1419517-1), eine Schwester lebt in Israel, zwei weitere Geschwister befinden sich in der Schweiz. Die genannten Geschwister haben sich dem Militärdienst bzw. Nationaldienst in Eritrea entzogen.

Festgestellt wird, dass der Beschwerdeführer, welcher den Herkunftsstaat als Minderjähriger vor Ableistung des Militärdienstes verlassen hat, in Eritrea wehrdienstpflichtig ist und im Fall einer Rückkehr nach Eritrea mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen aufgrund einer ihm unterstellten oppositionspolitischen Gesinnung zu befürchten hätte.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten. Der Beschwerdeführer weist eine fortgeschrittene Integration im Bundesgebiet auf, er eignete sich Deutschkenntnisse an, erlangte den Pflichtschulabschluss und absolviert gegenwärtig eine Lehre als Elektrotechniker.

1.2. Zur maßgeblichen Situation in Eritrea wird unter Heranziehung der im angefochtenen Bescheid wiedergegebenen Länderberichte Folgendes festgestellt:

1. Politische Lage

Eritrea ist nach dem Südsudan das zweitjüngste und eines der ärmsten Länder Afrikas. Das Land löste sich nach einem Referendum von Äthiopien und wurde 1993 ein eigener Staat (AA 21.11.2016).

Eritrea ist ein in sechs Provinzen aufgeteilter Zentralstaat. Die Verfassung von 1997 ist nie in Kraft getreten (AA 10.2016a). Alle wesentlichen Entscheidungen werden vom Präsidenten getroffen. Es gibt keine Gewaltenteilung (AA 10.2016a). Das Übergangsparlament besteht aus 150 Abgeordneten, von denen 75 dem Zentralrat der Staatspartei PFDJ (People's Front for Democracy and Justice) angehören. Weitere 60 Abgeordnete sind ausgewählte Vertreter der Provinzen und 15 Sitze entfallen auf die Vertreter der Auslandseritreer. Das Parlament trat zuletzt 2001 zusammen, nur auf Anforderung des Präsidenten. Es ist damit faktisch inaktiv (AA 10.2016a).

Seit der Unabhängigkeit sind weder Präsidentschafts- noch Parlamentswahlen durchgeführt worden. De facto handelt es sich in Eritrea um eine Einparteiendiktatur. Die Regierungspartei PFDJ ging 1994 aus der Befreiungsbewegung "Eritrean People's Liberation Front" (EPLF) hervor. Sie stellt den Staats- und Regierungschef Isaias Afewerki sowie die gesamte weitere politische Führung des Landes. Andere politische Parteien sind verboten (AA 21.11.2016; vgl. USDOS 13.4.2016).

Die innenpolitische, wirtschaftliche und soziale Lage in Eritrea wird seit Jahren in erster Linie durch den ungelösten Grenzkonflikt mit Äthiopien bestimmt. Folgen sind unter anderem die weitgehende Militarisierung der Gesellschaft und ein Zurückdrängen der Privatwirtschaft durch staatlich gelenkte Wirtschaftsunternehmen (AA 10.2016a; vgl. AA 21.11.2016). Seit dem Grenzkrieg mit Äthiopien (Mai 1998 bis Juni 2000) ist der demokratische Prozess in Eritrea zum Stillstand gekommen. Präsident Isaias Afewerki regiert das Land unter Hinweis auf den ungelösten Grenzkonflikt ohne demokratische Kontrolle, gestützt auf die Sicherheitsbehörden und den Apparat der einzigen zugelassenen Partei PFDJ. Das Friedensabkommen von Algier vom 12.12.2000 beendete zwar den Krieg zwischen Eritrea und Äthiopien, die Spannungen zwischen den beiden Nachbarländern bestehen allerdings unvermindert fort (AA 21.11.2016). Für seine repressiven innenpolitischen Maßnahmen greift Präsident Isaias auf eine "weder Krieg noch Frieden" Politik zurück (HRW 12.1.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (10.2016a): Eritrea, Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Eritrea/Innenpolitik_node.html, Zugriff 27.1.2017

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AA - Auswärtiges Amt (21.11.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea

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HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 - Eritrea, http://www.ecoi.net/local_link/334689/476442_de.html, Zugriff 1.2.2017

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USDOS - US Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices 2015 - Eritrea,

http://www.ecoi.net/local_link/322451/461928_de.html, Zugriff 30.1.2017

2. Sicherheitslage

Das deutsche Auswärtige Amt warnt eigene Bürger vor Reisen in die Grenzgebiete zu Äthiopien und Dschibuti (AA 31.1.2017). Die Beziehungen zu Äthiopien bleiben trotz des Friedensabkommens vom 12.12.2000 weiter angespannt (EDA 6.2.2017; vgl. AA 21.11.2016) und haben seit 2012 mehrfach zu bewaffneten Zusammenstößen an der gemeinsamen Grenze geführt (AA 21.11.2016). Am 12. Juni 2016 kam es in der eritreisch-äthiopischen Grenzregion zu schweren Kämpfen (DS 8.6.2016; vgl. BAMF 13.6.2016). Es ist nicht klar warum die Kämpfe ausgebrochen sind, jedoch befinden sich die Länder in einem "weder Krieg noch Frieden" Zustand. Im Zuge der Feierlichkeiten zur 25jährigen Unabhängigkeit beschuldigte der eritreische Präsident Isaias Afwerki Äthiopien, der Souveränität Eritreas feindlich gegenüber zu stehen. Der äthiopische Premierminister, Hailemariam Desalegn, hatte angekündigt, dass Äthiopien bereit sei, mit militärischen Maßnahmen auf eritreische Provokationen zu reagieren (BBC 13.6.2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (31.1.2017): Eritrea, Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), http://www.auswaertiges-amt.de/sid_747C556AEA6A72286098D233576D91C2/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/Nodes/EritreaSicherheit_node.html, Zugriff 31.1.2017

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BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (13.6.2016):

Briefing Notes,

http://www.ecoi.net/file_upload/4765_1465826992_1-deutschland-bundesamt-fuer-migration-und-fluechtlinge-briefing-notes-13-06-2016-deutsch.pdf, Zugriff 2.1.2017

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BBC News (13.6.2016): Ethiopia and Eritrea blame each other for border clash,

http://www.bbc.com/news/world-africa-36515503, Zugriff 2.1.2017

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DS - der Standard (8.6.2016): UN-Bericht dokumentiert Kriegsverbrechen in Eritrea,

http://derstandard.at/2000038459447/UNO-Bericht-dokumentiert-schreckliche-Verbrechen-in-Eritrea, Zugriff 15.7.2016

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EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (27.1.2017): Reisehinweise Eritrea, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/eritrea/reisehinweise-fuereritrea.html, Zugriff 6.2.2017

3. Rechtsschutz/Justizwesen

Es gibt keine Gewaltenteilung. Die Justiz ist als Teil des Justizministeriums von diesem abhängig, es gibt Sondergerichte (AA 10.2016a). Die Reform der Justiz geht schleppend voran. Die EU unterstützt die Professionalisierung von "community courts". Die Justiz ist zwar formal unabhängig, tatsächlich aber vor Einmischungen durch die Exekutive nicht geschützt. Neben der ordentlichen Gerichtsbarkeit existieren Militär- und Sondergerichte, die jedes Verfahren an sich ziehen können und vor denen keine Rechtsanwälte zugelassen sind und auch für die Ahndung von Korruptionsfällen und von Kapitaldelikten zuständig sind. Eine Berufung gegen deren Urteile ist nicht möglich. In Verfahren vor diesen Gerichten gibt es keine öffentliche Verhandlung, keinen anwaltlichen Beistand und keine Möglichkeit, Rechtsmittel einzulegen (AA 21.11.2016).

Anfang 2015 wurde ein neues Strafgesetzbuch und eine neue Zivil- und Strafprozessordnung vorgelegt, die die alten noch geltenden äthiopischen Gesetzbücher ablösten. Es gibt keine Beschränkung des Strafmaßes, obwohl die Todesstrafe tatsächlich nicht ausgesprochen oder zumindest nicht vollstreckt zu werden scheint. Eine Strafverfolgung aus politischen Gründen ist nicht auszuschließen. Verhaftungen ohne Haftbefehl und ohne Angabe von Gründen sind üblich. Umgekehrt werden Häftlinge auch ohne Angabe von Gründen freigelassen (AA 21.11.2016). Rechtsstaatlichkeit und Justiz bleiben schwach und sind somit anfällig dafür, durch informelle und außergerichtliche Formen von Justiz umgangen zu werden (FCO 21.4.2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (10.2016a): Eritrea, Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Eritrea/Innenpolitik_node.html, Zugriff 27.1.2017

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AA - Auswärtiges Amt (21.11.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea

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FCO - UK Foreign and Commonwealth Office (21.4.2016): Human Rights and Democracy Report 2015 - Chapter IV: Human Rights Priority Countries - Eritrea,

http://www.ecoi.net/local_link/322986/462477_de.html, Zugriff 6.2.2017

4. Sicherheitsbehörden

Die Polizei ist für die Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit verantwortlich und die Armee für die äußere Sicherheit. Doch die Regierung setzt manchmal die Streitkräfte, die Reserve, demobilisierte Soldaten oder Miliz dazu ein, um innere und äußere Sicherheitsanforderungen zu erfüllen. Agenten des Nationalen Sicherheitsbüros, das dem Präsidentenbüro unterstellt ist, sind für die Verhaftung von Personen verantwortlich, die verdächtigt werden, die nationale Sicherheit zu gefährden. Die Streitkräfte haben die Befugnis, Zivilisten anzuhalten und zu verhaften. Generell spielt die Polizei in Fällen der nationalen Sicherheit keine Rolle. Dabei ist bei Sicherheitskräften Straflosigkeit die Norm. Es gibt keine bekannten internen oder externen Mechanismen, um Vergehen von Sicherheitskräften zu untersuchen (USDOS 13.4.2016).

Militär, Polizei und Sicherheitsdienste üben eine fast vollständige Kontrolle über das politische und gesellschaftliche Leben aus. Sie verfügen über weitreichende Vollmachten, die nicht immer eine gesetzliche Grundlage haben (AA 21.11.2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (21.11.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea

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USDOS - US Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices 2015 - Eritrea,

http://www.ecoi.net/local_link/322451/461928_de.html, Zugriff 27.1.2017

5. Folter und unmenschliche Behandlung

Das geltende Strafgesetzbuch verbietet Folter (AA 21.11.2016; vgl. USDOS 13.4.2016). Trotzdem wird Folter gegenüber Gefangenen, insbesondere während der Befragung, angewandt. Auch sollen Deserteure, Wehrdienstflüchtige und Wehrdienstverweigerer verschiedener religiöser Gruppen, insbesondere Anhänger der Zeugen Jehovas, physisch und psychisch misshandelt werden. Es sind keine Fälle bekannt, in denen die Anwendung von Folter zu Sanktionen geführt hätte (AA 21.11.2016; vgl. USDOS 13.4.2016). Gefangene, darunter auch Minderjährige, werden unter schlechten Bedingungen in unterirdischen Zellen oder in Schiffscontainern eingesperrt. Sie erhalten weder ausreichend Nahrung noch sauberes Trinkwasser. Schlafgelegenheiten und der Zugang zu sanitären Einrichtungen und Tageslicht sind unzureichend. In einigen Fällen kamen diese Haftbedingungen Folter gleich (AI 24.2.2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (21.11.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea

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AI - Amnesty International (24.2.2016): Amnesty International Report 2015/16 - The State of the World's Human Rights - Eritrea, http://www.ecoi.net/local_link/319675/458842_de.html, Zugriff 27.1.2017

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USDOS - US Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices 2015 - Eritrea,

http://www.ecoi.net/local_link/322451/461928_de.html, Zugriff 27.1.2017

6. Wehrdienst und Rekrutierungen

Der obligatorische Nationaldienst ("national service") dauert für Männer und Frauen offiziell 18 Monate (AA 21.11.2016; vgl. USDOS 13.4.2016, HRW 12.1.2017), kann aber nach wie vor auf unbestimmte Zeit verlängert werden und kommt der Zwangsarbeit gleich. Die Militärdienstleistenden erhalten nur eine geringe Besoldung, mit der sie die Grundbedürfnisse ihrer Familien nicht decken können (AI 24.2.2016; vgl. LI 20.5.2016, EASO 11.6.2015). Im Frühjahr 2016 wurde angekündigt, dass die Gehälter im nationalen Nationaldienst erhöht werden (LI 20.5.2016). Die Dienstverpflichtung kann oftmals über mehrere Jahre andauern (AA 21.11.2016; vgl. LI 20.5.2016) - in einigen Fällen bis zu 20 Jahre lang (AI 24.2.2016).

Aufgrund des Ausnahmezustands werden die Dienstverpflichteten nach der militärischen Grundausbildung z.B. beim Straßen- und Dammbau, in der Landwirtschaft, aber auch in allen Bereichen der staatlichen Verwaltung und Wirtschaft eingesetzt. Für Frauen dauert die Dienstpflicht bis zum 27. und für Männer bis zum 50. Lebensjahr (nach anderen Angaben für Frauen bis zum 47. und für Männer bis zum 57. Lebensjahr). Frauen werden in der Regel bei Heirat oder Schwangerschaft aus dem Nationaldienst entlassen (AA 21.11.2016; vgl. LI 24.5.2016). Entgegen der 2014 und 2015 gemachten Ankündigungen haben die eritreischen Behörden den Nationaldienst bisher nicht auf die gesetzlich vorgesehenen 18 Monate beschränkt. Der Dienst ist weiterhin zeitlich unbefristet und dauert meist mehrere Jahre. Die Behörden teilen die Rekruten entweder in eine Armeeeinheit oder in einen zivilen Job ein. Sie haben weder Einfluss auf ihre Einteilung noch eine Möglichkeit, diesen Dienst zu verlassen. Dennoch scheinen sich im Nationaldienst Veränderungen anzubahnen. Dazu gehört die vorgesehene und offenbar teilweise umgesetzte bessere Entlöhnung. Außerdem deutet vieles darauf hin, dass in den letzten Jahren vermehrt Rekruten in den zivilen Teil des Nationaldiensts eingeteilt wurden anstelle des militärischen Teils. Obwohl es in den letzten Jahren keine größeren Demobilisierungen gegeben hat, gab es in den letzten Jahren offenbar vermehrt Entlassungen aus dem zivilen Nationaldienst. Dennoch gehen die Schätzungen nach wie vor von durchschnittlich fünf bis zehn Jahren Dienst aus. Frauen haben bessere Möglichkeiten, aufgrund von Heirat, Schwangerschaft oder Mutterschaft vom Nationaldienst ganz freigestellt oder nach wenigen Jahren entlassen zu werden. Ihre durchschnittliche Dienstzeit ist deshalb deutlich geringer als bei Männern (SEM 10.8.2016).

Im März 2012 wurde die "People¿s Army" eingeführt, welche als erweiterte Nationalgarde zu verstehen ist (LI 20.5.2016; vgl. UKHO 10.2016) und parallel zur Armee existiert (EASO 11.6.2015). Auslöser dafür waren Vorstöße der äthiopischen Armee auf eritreisches Territorium. Dazu müssen Eritreer zwischen 18 und ca. 70 Jahren, die derzeit nicht im Nationaldienst aktiv sind, eine Waffenausbildung absolvieren und von der Regierung zur Verfügung gestellte Waffen und Uniformen in Empfang nehmen (EASO 11.6.2015). Seit Mai 2012 wurde der Großteil der erwachsenen Bevölkerung mit Sturmgewehren Ak-47 bewaffnet (AA 21.11.2016). Ältere Frauen und Männer werden auch weiterhin zu dieser sogenannten "Volksarmee" eingezogen. Dort sind Aufgaben unter Androhung von Strafen zu verrichten (AI 24.2.2016). Bisher fanden die Rekrutierungen für die Volksarmee vor allem in Asmara und Keren statt (EASO 11.6.2015). Personen, welche dem Aufgebot zur Volksarmee keine Folge leisten, droht der Entzug von Lebensmittelcoupons und Identitätsdokumenten sowie Haftstrafen. Ende 2014 und Anfangs 2015 haben dennoch zahlreiche Personen das Aufgebot zur Volksarmee ignoriert. Berichten zufolge gab es mittlerweile auch Razzien und Verhaftungen gegen solche Dienstverweigerer (EASO 11.6.2015).

Jugendliche, die versuchen, dem Wehrdienst zu entgehen, werden verhaftet. Bei (illegalen) Ausreiseversuchen aufgegriffene Minderjährige werden verhaftet, meist aber nach Hause geschickt. Volljährige und damit Wehr- und Nationaldienstpflichtige kommen in Haft, die auf Antrag häufig in offenem Vollzug abgeleistet werden kann. Sofern die Eltern der Jugendlichen oder andere Personen bei der Entziehung vom Wehrdienst behilflich waren, droht auch ihnen Strafverfolgung (AA 21.11.2016). Insgesamt scheinen die eritreischen Behörden und Sicherheitskräfte aber nicht mehr die Kapazitäten zu haben, alle Dienstverweigerer systematisch zuhause aufzusuchen, um sie zu verhaften oder zu rekrutieren. Dennoch kommt dies in Einzelfällen immer noch vor, insbesondere bei Personen, die ein Aufgebot in den militärischen Teil des Nationaldiensts erhalten haben. Üblicherweise gehen die eritreischen Sicherheitskräfte allerdings mit Razzien (Giffas) gegen Dienstverweigerer und Deserteure vor. Dabei umstellen sie einen Stadtteil oder ein Dorf und kontrollieren alle Anwesenden. Wer nicht nachweisen kann, dass er entweder dem Nationaldienst angehört oder seine Dienstpflicht erledigt hat, wird festgehalten. Anschließend werden die Betroffenen meist für einige Monate ohne Verfahren oder Anklage inhaftiert und danach in die militärische Ausbildung überführt (SEM 10.8.2016).

Es gibt Berichte über sexuelle Nötigung und Gewalt bis hin zu Vergewaltigung gegenüber weiblichen Rekruten (AA 21.11.2016; vgl. UKHO 10.2016, USDOS 13.4.2016). Eine Weigerung führte in manchen Fällen zu Internierung, Misshandlung und Folter, z.B. Nahrungsentzug oder dem Aussetzen extremer Hitze. Eine Schwangerschaft während des Militärdienstes, auch wenn sie das Resultat einer Vergewaltigung oder sexueller Übergriffe durch Vorgesetzte ist, führt zum Ausschluss aus dem Militär (AA 21.11.2016).

Ebenso kommt es vor, dass Wehrpflichtige nach Ableistung des 18-monatigen Wehrdienstes nicht nur aus dem Militär, sondern auch aus dem "national service" entlassen werden. Als Grund nennt die Regierung gute schulische Leistungen. Abiturienten mit guten Noten soll so der rasche Zugang zu weiterführenden Bildungseinrichtungen ("Colleges") ermöglicht werden (AA 21.11.2016; vgl. LI 20.5.2016). Die Colleges stehen unter gemeinsamer akademischer und militärischer Führung. Absolventen der Colleges werden nach dem Abschluss dem zivilen Nationaldienst zugeteilt, häufig zuerst nach Sawa als Lehrer im zwölften Schuljahr. Andere werden Dorfschulen zugeteilt. Studienabbrecher werden in den Militärdienst eingezogen (EASO 11.6.2015).

Keine Schule in Eritrea, mit Ausnahme des Militärcamps "Sawa", bietet die 12. Schulstufe an (LI 20.5.2016). Seit Sommer 2003 müssen alle Schüler das 12. Schuljahr in einem zentralen Ausbildungslager in Sawa in der Nähe der Grenze zum Sudan ableisten (AA 21.11.2016; vgl. LI 20.5.2016, USDOS 13.4.2016), wo sie auch eine dreimonatige paramilitärische Ausbildung erhalten. Nur in Sawa können sie ihr "Highschool" Abschlusszeugnis erhalten. Die Besten werden danach zum Studium an einem der 19 Colleges zugelassen, die nach der Schließung der Universität Asmara im Sommer 2006 über das Land verstreut eingerichtet wurden. Die Übrigen werden für eine Berufsschulausbildung oder für den Militärdienst herangezogen (AA 21.11.2016; vgl. LI 20.5.2016). Es findet jährlich eine Rekrutierungsrunde - jeweils Ende Juli oder Anfang August - statt. Pro Rekrutierungsrunde werden zwischen 10.000 bis 25.000 Schüler für das 12. Schuljahr aufgeboten (EASO 11.6.2015).

Ein Recht zur Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen und einen Ersatzdienst gibt es nicht; Wehrdienstverweigerung wird mit Umerziehungslageraufenthalten oder mit Gefängnis bestraft. Dies betrifft insbesondere die Zeugen Jehovas. Die Anzahl der Wehrdienstverweigerer und der Fahnenflüchtigen ist steigend. Dem versucht das Regime durch häufige Razzien in den Nachtclubs von Asmara, Keren, Dekemhare und Massawa entgegen zu wirken (AA 21.11.2016). Dennoch ist es möglich, aus gesundheitlichen Gründen vom Wehrdienst befreit zu werden. Laut Gesetz, § 15 des "National Service" heißt es, dass körperlich Behinderte, Blinde und Personen mit schweren psychischen Erkrankungen vom nationalen Dienst befreit werden können. Ärzte führen medizinische Untersuchungen durch, um die Fähigkeit zu beurteilen, aber die Militärbehörden entscheiden endgültig über eine Befreiung (LI 20.5.2016). Alle diese Freistellungen (außer für ehemalige Kämpfer) gelten nur temporär und können jederzeit aufgehoben werden (EASO 11.6.2015).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (21.11.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea

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AI - Amnesty International (24.2.2016): Amnesty International Report 2015/16 - The State of the World's Human Rights - Eritrea, http://www.ecoi.net/local_link/319675/458842_de.html, Zugriff 27.1.2017

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EASO - European Asylum Support Office (11.6.2015): Eritrea Länderfokus,

http://www.ecoi.net/file_upload/90_1440743642_2015-06-11-easo-eritrea-de.pdf, Zugriff 30.1.2017

-

HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 - Eritrea, http://www.ecoi.net/local_link/334689/476442_de.html, Zugriff 30.1.2017

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LI - Landinfo (20.5.2016): Report National Service, http://www.landinfo.no/asset/3382/1/3382_1.pdf, Zugriff 30.1.2017

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SEM - Staatssekretariat für Migration (10.8.2016): Focus Eritrea - Update Nationaldienst und illegale Ausreise, https://www.sem.admin.ch/content/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender/afrika/eri/ERI-ber-easo-update-nationaldienst-d.pdf, Zugriff 31.1.2017

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UKHO - UK Home Office (10.2016): Country Policy and Information Note - Eritrea: National service and illegal exit, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1478091746_cpin-eritrea-ns-and-illegal-exit-october-2016.pdf, Zugriff 30.1.2017

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USDOS - US Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices 2015 - Eritrea,

http://www.ecoi.net/local_link/322451/461928_de.html, Zugriff 27.1.2017

7. Allgemeine Menschenrechtslage

Die Menschenrechtslage bleibt in Eritrea weiterhin beunruhigend (FCO 21.7.2016). Die Ausübung von Grundrechten, wie z.B. Rede- und Meinungsfreiheit, Versammlungs- und Religionsfreiheit, ist nicht oder nur extrem eingeschränkt möglich (AA 10.2016a). In der am 23.5.1997 von der Nationalversammlung angenommenen Verfassung, die bis heute nicht in Kraft getreten ist, sind in den Artikeln 14 bis 24 die Grundrechte niedergelegt. Sie werden von staatlichen Organen nicht respektiert. Nach nicht nachprüfbaren, aber glaubhaft erscheinenden Angaben von Menschenrechtsorganisationen und dem US-Außenministerium setzen die Sicherheitskräfte mit Zustimmung der Regierung exzessive Gewalt ein, die oftmals auch zum Tode führt. Dies betrifft häufig Wehrdienstflüchtlinge sowie Personen, die aus religiösen und politischen Gründen inhaftiert werden (AA 21.11.2016).

Eritrea unternahm einige Schritte um die Zusammenarbeit mit der internationalen Menschenrechtsgemeinschaft zu verbessern, verweigert jedoch dem Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen den Zugang ins Land (FCO 21.7.2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (10.2016a): Eritrea, Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Eritrea/Innenpolitik_node.html, Zugriff 27.1.2017

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AA - Auswärtiges Amt (21.11.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea

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FCO - UK Foreign and Commonwealth Office (21.7.2016): Human Rights and Democracy Report 2015 - Human Rights Priority Country update report: January to June 2016 - Eritrea, http://www.ecoi.net/local_link/329321/470302_de.html, Zugriff 31.1. 2017

8. Meinungs- und Pressefreiheit

Eine freie Presse existiert nicht; Rundfunk und Fernsehen unterliegen staatlicher Kontrolle (AA 10.2016a; vgl. AA 21.11.2016, FH 27.1.2016). Auch die Meinungsfreiheit bleibt weiterhin stark eingeschränkt (FCO 21.7.2016). Journalisten müssen sich beim Staat eine Lizenz einholen. Publizierung ohne Genehmigung ist strafbar (USDOS 13.4.2016). Die Regierung verhindert den Aufbau einer Zivilgesellschaft durch die Verhaftung ihrer Kritiker, die sich dadurch zur Flucht in das Ausland gezwungen sehen (AA 21.11.2016).

Im September 2001 hat die Regierung alle unabhängigen Zeitungen geschlossen und die führenden Journalisten verhaftet. Diese sind in Isolationshaft geblieben und wurden nicht vor Gericht gebracht (HRW 12.1.2017). Derzeit sind mindestens 15 Journalisten in Haft (RSF 2016). Im Januar 2015 wurden sechs Journalisten, die seit 2009 festgehalten worden waren, wieder freigelassen (FCO 21.4.2016).

Wie alles andere in Eritrea sind auch die Medien von den Launen des Präsidenten Isaias Afewerki abhängig. Eritrea belegt am Press Freedom Index von Reporter ohne Grenzen seit acht Jahren den letzten Platz (RSF 2016; vgl. FCO 21.4.2016).

Internationale Medien können über Satellitenempfang und Internet verfolgt werden. Die Internetnutzung wird staatlich überwacht, ebenso die telefonische Kommunikation. Gleichwohl ist der Zugang zu Internetseiten der Auslandsopposition ungehindert möglich, ebenso wie der Empfang ausländischer Fernsehsender über Satellit (AA 21.11.2016). Allerdings können sich nur wenige Eritreer Satellitenfernsehen leisten (FH 27.1.2016), die Benutzung von Satellitenantennen weitet sich aber aus (USDOS 13.4.2016). Die urbane Jugend tauscht sich inzwischen nicht nur untereinander, sondern auch mit der Diaspora intensiv über Facebook aus (AA 21.11.2016). Im Jahr 2014 nutzte allerdings nur 1 Prozent der Bevölkerung das Internet (USDOS 13.4.2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (10.2016a): Eritrea, Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Eritrea/Innenpolitik_node.html, Zugriff 31.1.2017

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AA - Auswärtiges Amt (21.11.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea

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FCO - UK Foreign and Commonwealth Office (21.4.2016): Human Rights and Democracy Report 2015 - Chapter IV: Human Rights Priority Countries - Eritrea,

http://www.ecoi.net/local_link/322986/470301_de.html, Zugriff 31.1. 2017

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FCO - UK Foreign and Commonwealth Office (21.7.2016): Human Rights and Democracy Report 2015 - Human Rights Priority Country update report: January to June 2016 - Eritrea, http://www.ecoi.net/local_link/329321/470302_de.html, Zugriff 31.1. 2017

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FH - Freedom House (27.1.2016): Freedom in the World 2016 - Eritrea,

http://www.ecoi.net/local_link/327688/468342_de.html, Zugriff 30.1.2017

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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