Index
L94059 Ärztekammer Wien;Norm
EStG 1988 §24 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und Senatspräsident Dr. Pokorny sowie die Hofräte Dr. Fellner, Dr. Hargassner und Mag. Heinzl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Doralt, in der Beschwerdesache des Präsidenten der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland (Berufungssenat I) vom 6. Oktober 1993, Zl. 6/1 - 1294/92-05, betreffend Einkommensteuer 1990 des Mitbeteiligten HP in W, zu Recht erkannt.
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Der Mitbeteiligte ist Facharzt für innere Medizin und ermittelte seinen Gewinn bis zum Streitjahr 1990 gemäß § 4 Abs. 3 EStG. Mit Schreiben vom 5. Februar 1990 teilte er dem Finanzamt mit, dass er "seine Ordination am 28. Februar dieses Jahres verkaufen wird". Er werde aber weiterhin Klassegelder beziehen und habe außerdem die Absicht, eine neue Ordination in seinem eigenen Haus zu eröffnen.
In seiner Einkommensteuererklärung für das Jahr 1990 erklärte er eine Rückzahlung von Beiträgen an den Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer (S 373.235,--) als Teil des Veräußerungsgewinnes.
Das Finanzamt rechnete den rückgezahlten Betrag als Betriebseinnahme dem laufenden Gewinn hinzu und kürzte im selben Ausmaß den Veräußerungsgewinn. Es begründete diese Vorgangsweise damit, dass rückgezahlte Beträge zum Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer keine außerordentlichen Einkünfte darstellten.
Der Mitbeteiligte erhob Berufung. Gemäß § 11 der Satzung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien könne ein Mitglied, das die Ausübung seines Berufes einstelle, 70 % der eingezahlten Beträge zurückverlangen. Es bestehe daher ein kausaler Zusammenhang zwischen der Veräußerung der Ordination und der Rückzahlung der Beiträge. Die Rückzahlung sei daher Teil des Veräußerungsgewinnes. Sollte das Finanzamt diese Auffassung nicht teilen, so gehörte die Rückzahlung jedenfalls zum Übergangsgewinn. Das Ansuchen um Rückzahlung sei am 25. Jänner 1990 gestellt worden. Der Verwaltungsausschuss des Wohlfahrtsfonds habe das Ansuchen am 26. Februar 1990 positiv erledigt, sodass am 29. Februar 1990 (richtig wohl: 28. Februar 1990), "dem Tag der Betriebsaufgabe" der Rückzahlungsanspruch rechtlich bestanden habe. Es werde daher beantragt, den rückgezahlten Betrag im Rahmen des Übergangsgewinnes steuerlich zu erfassen und gemäß § 37 Abs. 2 Z. 3 EStG 1988 begünstigt zu besteuern.
Mit Schreiben vom 4. Mai 1993 teilte der Mitbeteiligte der belangten Behörde mit, dass ihm der Wohlfahrtsfonds im Jahr 1991 noch eine Restzahlung von S 16.306,-- geleistet habe, sodass sich der Gesamtbetrag an rückgezahlten Beiträgen nunmehr auf S 389.541,-- belaufe. Auch dieser Restbetrag möge dem Übergangsgewinn zugerechnet werden.
Über telefonische Anfrage erhielt die belangte Behörde vom Wohlfahrtsfonds die Auskunft, dass der Anspruch auf Rückzahlung von Beiträgen "erst nach Betriebsaufgabe" entstehe.
In der mündlichen Berufungsverhandlung schränkte der Mitbeteiligte sein Berufungsbegehren ausdrücklich dahingehend ein, dass die rückgezahlten Beträge "nicht als Veräußerungsgewinn, sondern als Übergangsgewinn anzusehen sind".
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung mit der Begründung Folge, dass bereits zum Übergangsstichtag eine Forderung auf Rückzahlung der Beiträge an den Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer bestanden habe.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde des Präsidenten der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 24 Abs. 1 EStG 1988 sind Veräußerungsgewinne Gewinne, die bei der Veräußerung des ganzen Betriebes, eines Teilbetriebes, eines Mitunternehmeranteiles oder bei Aufgabe des Betriebes (Teilbetriebes) erzielt werden. Abs. 2 des zitierten Paragraphen sieht vor, dass ein Veräußerungsgewinn für den Zeitpunkt der Veräußerung (Aufgabe) nach § 4 Abs. 1 oder § 5 zu ermitteln ist. Wurde der Gewinn bis zu diesem Zeitpunkt gemäß § 4 Abs. 3 EStG 1988 ermittelt, so ist § 4 Abs. 10 leg. cit. zu beachten, wonach durch Zu- und Abschläge beim Gewinn des letzten Gewinnermittlungszeitraumes vor Veräußerung oder Aufgabe auszuschließen ist, dass Veränderungen des Betriebsvermögens (Betriebseinnahmen, Betriebsausgaben) nicht oder doppelt berücksichtigt werden.
Führen diese Zu- und Abschläge zu einem Gewinn (sogenannter "Übergangsgewinn"), so unterliegt dieser der begünstigten Besteuerung gemäß § 37 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 3 EStG 1988. Als Zuschläge sind insbesondere Forderungen zu erfassen, die bei der Einnahmen-Ausgaben-Rechnung mangels Zuflusses noch nicht zu erfassen waren, bei der Gewinnermittlung durch Vermögensvergleich aber ebenfalls nicht erfasst würden, weil bei dieser Gewinnermittlungsart das (vermögenswirksame) Entstehen einer Forderung, nicht aber deren tatsächliche Bezahlung relevant ist. Zu prüfen ist daher, ob der Rückzahlungsanspruch des Mitbeteiligten betreffend Beiträge zum Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer bereits zum Stichtag der Übergangsgewinnermittlung als Forderung bestanden hat oder ob diese Forderung erst zu einem späteren Zeitpunkt entstanden ist.
Unbestritten ist, dass Voraussetzung für das Entstehen des Rückzahlungsanspruches gemäß § 11 Abs. 3 der Satzung des Wohlfahrtsfonds ist, dass das Fondsmitglied die Ausübung seines Berufes einstellt, oder seinen Wohnsitz dauernd in das Ausland verlegt. Der Tatbestand, der das Entstehen der Forderung auslöst, ist demnach erst dann verwirklicht, wenn der Betrieb veräußert oder aufgegeben oder der Wohnsitz dauernd in das Ausland verlegt wird. Das Argument des Mitbeteiligten, niemand könne ihn daran hindern, eine geplante Betriebsveräußerung (Betriebsaufgabe) zu verwirklichen, sodass eine dadurch ausgelöste Forderung lediglich aufschiebend bedingt sei und als solche bilanziert werden könne, ist verfehlt. Die freie Dispositionsmöglichkeit eines Betriebsinhabers hat nicht zur Folge, dass geplante Aktivitäten gleichermaßen zu bilanzieren wären wie tatsächlich verwirklichte.
Deutlich wird dies am Beispiel einer Betriebsveräußerung: Selbst wenn der Kaufpreis bereits vor der Veräußerung der Höhe nach vereinbart sein sollte, ist die diesbezügliche Forderung nicht als Teil des zeitlich unmittelbar vorgelagerten Übergangsgewinnes zu erfassen, sondern erst als Teil des Veräußerungsgewinnes, weil sie erst durch die Veräußerung entsteht. Kann aber der fest vereinbarte Kaufpreis eines Betriebes nicht bereits im Übergangsgewinn, der der Veräußerung gedanklich unmittelbar vorangeht, steuerlich erfasst werden, so gilt dies zumindest in gleicher Weise für eine Beitragsrückforderung, für die die tatsächliche Betriebsveräußerung (Betriebsaufgabe) Voraussetzung ist.
Ob die Forderung auf Rückzahlung von Beiträgen an den Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer bereits mit der Veräußerung des Betriebes entsteht und daher in den Veräußerungsgewinn einzubeziehen wäre oder ob für die Entstehung einer solchen Forderung eine gedanklich vorangegangene Betriebsveräußerung (Betriebsaufgabe) Voraussetzung ist, sodass die Rückforderung erst nach dem Stichtag der Betriebsveräußerung (Betriebsaufgabe) entsteht, kann im Beschwerdefall dahingestellt bleiben, weil eine allfällige Einbeziehung der Rückforderung in den Veräußerungsgewinn infolge der diesbezüglichen Einschränkung des Berufungsbegehrens nicht Gegenstand des angefochtenen Bescheides war.
Da die belangte Behörde demnach die Rechtslage verkannt hat, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am 15. September 1999
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1994130005.X00Im RIS seit
20.11.2000