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L4000 Anstandsverletzung, Bettelei, Ehrenkränkung, LärmerregungNorm
B-VG Art139 Abs1 Z1, Z2Leitsatz
Keine Gesetzwidrigkeit der Feldkircher Bettelverbots-VO; Möglichkeit des stillen Bettelns auch in der Innenstadt in weitläufigen und stark frequentierten Bereichen gegeben; zeitlich beschränktes Bettelverbot für – hinreichend bestimmte – Nah- und Eingangsbereiche von Gastgärten, Geschäften oder Parkscheinautomaten sowie zeitlich unbeschränktes Bettelverbot für bestimmte Orte nach Erbringung eines Missstandsnachweises gesetzeskonformSpruch
I. §1 Abs3 lita, c, d, e, f und i der Verordnung der Stadtvertretung von Feldkirch vom 24. Mai 2016 betreffend Betteln in der Stadt Feldkirch gemäß §7 Abs3 Vorarlberger Landes-Sicherheitsgesetz, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel von 27. Mai 2016 bis 6. Oktober 2016, wird nicht als gesetzwidrig aufgehoben.
II. Der Antrag wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Anlassverfahren und Antrag
1.1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zur Zahl E3048/2017 eine auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde anhängig, der folgender Sachverhalt zugrunde liegt:
Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch vom 10. Oktober 2016 wurde der Beschwerdeführerin eine Geldstrafe in der Höhe von € 200,– auferlegt, weil sie gegen §1 Abs3 litc der Verordnung der Stadtvertretung von Feldkirch vom 24. Mai 2016 betreffend Betteln in der Stadt Feldkirch gemäß §7 Abs3 Vorarlberger Landes-Sicherheitsgesetz, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel von 27. Mai 2016 bis 6. Oktober 2016, (im Folgenden: Feldkircher Bettelverbots-VO) verstoßen habe, indem sie am 7. September 2016 unter den Laubengängen in der Innenstadt von Feldkirch "still" vor einem Geschäft gebettelt habe. Der Strafbescheid wurde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Vorarlberg vom 17. Juli 2017 mit der Maßgabe bestätigt, dass die verletzte Norm "§1 Abs3 litc" Feldkircher Bettelverbots-VO laute.
Bei der Behandlung der gegen dieses Erkenntnis gerichteten Beschwerde sind im Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit der lita, c, d, e, f und i des §1 Abs3 der Feldkircher Bettelverbots-VO entstanden. Der Verfassungsgerichtshof hat daher am 1. März 2018 beschlossen, diese Bestimmungen von Amts wegen auf ihre Gesetzmäßigkeit zu prüfen.
1.2. Mit dem vorliegenden, auf Art139 Abs1 Z1 B-VG gestützten Antrag begehrt das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg aus Anlass einer gegen einen Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch erhobenen Beschwerde, die in Punkt I.1.1. genannten Bestimmungen der Feldkircher Bettelverbots-VO, in eventu §1 Abs3 der Feldkircher Bettelverbots-VO, in eventu die Feldkircher Bettelverbots-VO als gesetzwidrig aufzuheben.
Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch vom 21. März 2017 wurde der Beschwerdeführerin vor dem Verwaltungsgericht eine Geldstrafe in der Höhe von € 150,– auferlegt, weil sie gegen §1 Abs3 litf der Feldkircher Bettelverbots-VO verstoßen habe, indem sie am 21. Februar 2017 in der Bahnhofstraße in Feldkirch bei einem Parkscheinautomat gebettelt habe.
II. Rechtslage
1. Die Verordnung der Stadtvertretung von Feldkirch vom 24. Mai 2016 betreffend Betteln in der Stadt Feldkirch gemäß §7 Abs3 Vorarlberger Landes-Sicherheitsgesetz, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel von 27. Mai 2016 bis 6. Oktober 2016 (hier: Feldkircher Bettelverbots-VO), lautet (die in Prüfung gezogenen bzw angefochtenen Bestimmungen sind hervorgehoben):
"Verordnung
der Stadtvertretung von Feldkirch vom 24.05.2016
Auf Grund des Beschlusses der Stadtvertretung der Stadt Feldkirch vom 24. Mai 2016 wird gemäß §7 Abs3 des Gesetzes über Angelegenheiten der örtlichen Sicherheitspolizei (Landes-Sicherheitsgesetz), LGBl Nr 1/1987 idgF, verordnet:
§1
Auch ein nicht nach §7 Abs1 Landes-Sicherheitsgesetz verbotenes Betteln ist wie folgt untersagt:
1) Märkte
Während jener Zeit und an jenen Örtlichkeiten von Feldkirch, an denen gemäß der Marktordnung der Stadt Feldkirch (in der jeweils gültigen Fassung) Märkte abgehalten werden.
2) Veranstaltungen
Während jener Zeit und an jenen Örtlichkeiten von Feldkirch, in bzw an denen angezeigte Veranstaltungen stattfinden wie insbesondere:
a) Weinfest
b) Blosengelmarkt
c) Weihnachtsmarkt
d) Faschingsumzug
e) Laufsportveranstaltungen
f) Gauklerfest
g) Stadtfest, Montfortspektakel
h) Musikveranstaltungen, Monsterkonzert
3) An weiteren bestimmten öffentlichen Orten
a) Im Nahbereich (10 m) der Zu- und Ausgänge von Kirchen, Klöstern und Moscheen, vor, während und nach einer Veranstaltung (zB Messe, Bußfeier, Beicht-andacht)
b) im Nahbereich (10 m) von Friedhöfen, Aufbahrungsstätten, sowie eines Trauerzuges,
c) in den Laubengängen der Innenstadt und im unmittelbaren Eingangsbereich (5 m) zu Geschäften, Lokalen sowie im unmittelbaren Nahbereich (5 m) von Gastgärten,
d) in den Fußgänger-Unterführungen der Stadt Feldkirch samt den dazugehörigen Zugängen und Stiegen-Anlagen,
e) im unmittelbaren Bereich (5 m) von Ein- bzw Ausstiegen öffentlicher Personenlifte sowie in diesen Liftanlagen selbst,
f) im Nahbereich (10 m) von Geldausgabeautomaten, Parkscheinautomaten, Geldwechselautomaten oder sonstigen Geräten und Einrichtungen, bei denen mit Bargeld hantiert werden muss,
g) im Bereich von Kinderspielplätzen, Kindergärten und Betreuungsstätten sowie bei Volksschulen im Nahbereich (10 m) der Zu- und Abgänge,
h) im gesamten Areal des Landeskrankenhauses Feldkirch,
i) im Nahbereich (10 m) von Haltestellen öffentlicher Verkehrsmittel.
§2
Wer den Bestimmungen des §1 zuwider handelt begeht eine Verwaltungsübertretung, die von der Bezirkshauptmannschaft gemäß §15 Abs2 Landes-Sicherheitsgesetz geahndet wird.
§3
Die Verordnung tritt mit Beginn des auf die Kundmachung folgenden Tages in Kraft.
Feldkirch, am 25.05.2016
Der Bürgermeister:
[Mag. Wilfried Berchtold]"
2. Die gesetzliche Grundlage der Verordnung findet sich im Vorarlberger Gesetz über Angelegenheiten der örtlichen Sicherheitspolizei (Vbg Landes-Sicherheitsgesetz), LGBl 1/1987 idF LGBl 37/2018. Dieses regelt in seinem dritten Abschnitt die Bettelei wie folgt:
"§7
Bettelverbot
(1) Es ist verboten, an öffentlichen Orten oder im Umherziehen von Haus zu Haus oder von Wohnung zu Wohnung wie folgt zu betteln:
a) in aufdringlicher oder aggressiver Weise, wie durch Anfassen, unaufgefordertes Begleiten, Nachgehen oder Beschimpfen;
b) unter Mitführung einer unmündigen minderjährigen Person;
c) als Beteiligter einer organisierten Gruppe.
(2) Weiters ist es verboten,
a) eine Person zum Betteln in einer organisierten Gruppe zu veranlassen oder sonst das Betteln durch eine Gruppe zu organisieren oder
b) – soweit dies nicht bereits von der lita erfasst ist – eine unmündige minder-jährige Person zum Betteln zu veranlassen.
(3) Die Gemeindevertretung kann durch Verordnung auch ein nicht nach Abs1 verbotenes Betteln an bestimmten öffentlichen Orten untersagen, wenn auf-grund der dort zu erwartenden Anzahl an bettelnden Personen und der örtlichen Verhältnisse zu befürchten ist, dass die Benützung des öffentlichen Orts durch andere Personen erschwert wird, oder durch solches Betteln sonst ein das örtliche Gemeinschaftsleben störender Missstand bereits besteht oder unmittelbar zu erwarten ist.
§8
Bewilligungspflichtiges Betteln
(1) Ein nicht bereits nach §7 verbotenes Betteln ist nur mit Bewilligung der Behörde gestattet, sofern es im Umherziehen von Haus zu Haus oder von Wohnung zu Wohnung erfolgt.
(2) Die Bewilligung nach Abs1 kann nur an eine Person erteilt werden, die
a) das 18. Lebensjahr vollendet hat,
b) glaubhaft macht, dass sie nicht in einer Art und Weise bettelt, die nach §7 Abs1 verboten ist, und
c) in den letzten fünf Jahren nicht wegen eines Verstoßes gegen eine Bestimmung dieses Abschnittes bestraft worden ist.
(3) Die Bewilligung ist befristet, mit Auflagen und Bedingungen, einschließlich örtlicher und zeitlicher Beschränkungen, zu erteilen, soweit dies zur Vermeidung von unzumutbaren Belästigungen erforderlich ist. In der Bewilligung ist auch festzulegen, dass sich der Bewilligungsinhaber beim Betteln auf Verlangen auszuweisen hat.
(4) Die Behörde hat die Bewilligung mit Bescheid zu widerrufen, wenn eine Voraussetzung für ihre Erteilung nicht oder nicht mehr vorliegt.
(5) Die Bezirkshauptmannschaften sind verpflichtet, der Behörde auf Verlangen die personenbezogenen Daten über eine Bestrafung wegen einer Übertretung im Sinne des Abs2 litc zu übermitteln oder ihr eine entsprechende automationsunterstützte Abfrage zu ermöglichen, soweit diese Daten für die Überprüfung, ob die Voraussetzung nach Abs2 litc erfüllt ist, erforderlich sind.
(6) Alle Amtshandlungen und schriftlichen Ausfertigungen in Vollziehung der Abs1 bis 5 sind von den durch landesrechtliche Vorschriften vorgesehenen Verwaltungsabgaben und Gebühren befreit.
§9
Wegweisung
Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes haben von der Festnahme gemäß §35 Z3 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 abzusehen, wenn die Fort-setzung oder Wiederholung einer Übertretung nach §7 durch Wegweisung der betreffenden Person vom öffentlichen Ort verhindert werden kann."
3. Die Strafbestimmung des §15 Vbg Landes-Sicherheitsgesetz lautet:
"§15
Strafbestimmungen
(1) Eine Übertretung begeht, wer
a) bis c) […]
d) dem §7 Abs1 oder einer gemäß §7 Abs3 erlassenen Verordnung zuwider-handelt oder ohne Bewilligung gemäß §8 Abs1 bettelt oder in einer Bewilligung gemäß §8 Abs3 enthaltene Auflagen nicht erfüllt,
e) dem §7 Abs2 zuwiderhandelt,
f) […]
(2) Von der Bezirkshauptmannschaft sind Übertretungen nach
a) Abs1 lita, d und f mit einer Geldstrafe bis 700 Euro,
b) […]
c) Abs1 lite mit einer Geldstrafe bis 10.000 Euro zu bestrafen.
(3) Der Versuch ist strafbar.
(4) Geld- und Sachleistungen, die unter Verstoß gegen §7 oder §8 erworben wurden, können unabhängig von einer Bestrafung nach Abs1 für verfallen erklärt werden."
III. Prüfungsbeschluss, Bedenken und Vorverfahren
1. Der Verfassungsgerichtshof legte seine Bedenken, die ihn zur Einleitung des Verordnungsprüfungsverfahrens bestimmt haben, in seinem Prüfungsbeschluss wie folgt dar:
"3.1. Gemäß §7 Abs3 Vbg Landes-Sicherheitsgesetz darf die Gemeindevertretung durch Verordnung auch solches Betteln verbieten, das nicht bereits nach §7 Abs1 Vbg Landes-Sicherheitsgesetz untersagt ist, 'wenn aufgrund der dort zu erwartenden Anzahl an bettelnden Personen und der örtlichen Verhältnisse zu befürchten ist, dass die Benützung des öffentlichen Orts durch andere Personen erschwert wird, oder durch solches Betteln sonst ein das örtliche Gemeinschafts-leben störender Missstand bereits besteht oder unmittelbar zu erwarten ist' (zum Erschwernis der Benützung s. VfGH 22.9.2017, V58/2017 ua, und VfSlg 20.095/2016). Demnach darf die Gemeindevertretung unter den genannten Voraussetzungen auch 'stilles' Betteln (vgl dazu VfSlg 19.662/2012) an öffentlichen Orten verbieten.
Das hat die Stadtvertretung von Feldkirch mit der Feldkircher Bettelverbots-VO getan und an in §1 der Verordnung aufgezählten Orten (auch) stilles Betteln verboten. In Abs1 und 2 verbietet sie das Betteln auf Märkten und Veranstaltungen. In den in Prüfung gezogenen Teilen des Abs3 verbietet sie das Betteln an weiteren öffentlichen Orten, wobei dazu noch der 'Nahbereich' vieler dieser Orte vom Verbot mitumfasst zu sein scheint. So ist Betteln im unmittelbaren Eingangsbereich bzw Nahbereich von fünf Metern zu Geschäften, Lokalen und Gastgärten (litc), von Ein- bzw Ausstiegen öffentlicher Personenlifte (lite) und im Nahbereich von zehn Metern der Zu- und Ausgänge von Kirchen, Klöstern und Moscheen (lita), von Geldausgabeautomaten, Parkscheinautomaten, Geld-wechselautomaten oder sonstigen Geräten und Einrichtungen, bei denen mit Bargeld hantiert werden muss (litf), und von Haltestellen öffentlicher Verkehrsmittel (liti) verboten.
3.2. Der Verfassungsgerichtshof hegt gegen dieses, in §1 Abs3 Feldkircher Bettelverbots-VO normierte, in Prüfung gezogene Verbot zunächst das Bedenken, dass es im Ergebnis einem absoluten Verbot auch des stillen Bettelns gleichkommen könnte, das – wie der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis vom 28. Juni 2017, V27/2017, zuletzt ausgesprochen hat – verfassungsrechtlich verpönt ist. Die vielen einzelnen 'Verbotsbereiche' könnten nämlich in einer Zusammenschau im Ergebnis dazu führen, dass Betteln dort, wo es eine dichte Infrastruktur (Geschäfte, Lokale, Gastgärten, Bankomaten, Haltestellen, uÄ) gibt, wie in der Innenstadt von Feldkirch, nahezu flächendeckend und zeitlich unbeschränkt (mit Ausnahme der lita in Abs3 des §1 der Verordnung) verboten ist. Damit wären 'stille' Bettler aber von der Nutzung genau dieser öffentlichen Orte, an denen die Aussicht auf finanzielle Hilfe besonders hoch ist, ausgeschlossen. Für ein derart weitläufiges Verbot vermag der Verfassungsgerichtshof vorläufig keine sachliche Rechtfertigung zu erkennen.
3.3. Auch scheinen die für die Erlassung einer Verordnung nach §7 Abs3 Vbg Landes-Sicherheitsgesetz erforderlichen Missstände nicht für jeden von §1 Abs3 der Feldkircher Bettelverbots-VO erfassten, hier in Prüfung gezogenen Ort, einzeln oder in deren Zusammenschau, belegt zu sein (vgl VfGH 14.3.2017, V23/2016).
3.4. Zudem hegt der Verfassungsgerichtshof das Bedenken, dass das in §1 Abs3 Feldkircher Bettelverbots-VO normierte Verbot im zu prüfenden Umfang insofern nicht der gesetzlichen Ermächtigung entsprechen könnte, als dieses Betteln nicht nur an 'bestimmten' öffentlichen Orten verbietet, sondern – wie oben beschrieben bis auf litd des §1 Abs3 der Verordnung – (auch) in weiteren Bereichen, die jedoch – abgesehen von einer in Klammer gesetzten Meterangabe und dem Umstand, dass sie an 'bestimmte' öffentliche Orte anschließen, – nicht näher bestimmt sind. Insbesondere scheint es für den Normunterworfenen damit nicht erkennbar zu sein, wo diese Bereiche anfangen bzw enden. Zwar ist aus einem mit den Verordnungsakten übermittelten Plan erschließbar, dass mit der Wendung in §1 Abs3 litc Feldkircher Bettelverbots-VO 'im unmittelbaren Eingangsbereich (5 m) zu Geschäften' vermutlich der Radius von fünf Metern um den Geschäftseingang gemeint ist. Dieser Plan scheint kein integrierender Bestandteil der Verordnung zu sein, daher auch nicht kundgemacht, und demnach dürfte für den Normunterworfenen das (strafbewehrte) Verhalten nicht danach ausrichtbar sein (vgl zur 'Klarheit' von Strafnormen etwa VfSlg 12.947/1991 und 20.039/2016)."
2. Das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg hegt gegen die angefochtenen Bestimmungen der Verordnung aus Anlass einer bei ihm wegen Übertretung der Feldkircher Bettelverbots-VO anhängigen Beschwerde folgende Bedenken:
"Es ergeben sich aus der Verordnung aus den §1 Abs3 und den gegenständlich dazu aufgezählten literae mehrere mögliche Verbotsbereiche, bei welchen nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich diese Verbotsbereiche örtlich überschnei-den (überschneiden von Verbotstatbeständen). So ist davon auszugehen, dass sich in der Nähe von Laubengängen der Innenstadt und im unmittelbaren Eingangsbereich – fünf Meter – zu Geschäften, Lokalen sowie im Nahbereich von fünf Metern von Gastgärten auch Geldausgabeautomaten, Parkscheinautomaten, Geldwechselautomaten uam befinden, für welche wiederum ein eigener Verbotsbereich (im Nahebereich von zehn Meter[n]) gelten soll. Unabhängig davon, dass die Angabe im unmittelbaren Eingangsbereich (fünf Meter) zu Geschäften bzw im Nahbereich (zehn Meter) von Geldausgabeautomaten örtlich keine präzise und nachvollziehbare Angabe darstellt, ist eine Abgrenzung diesbezüglich bzw eine eindeutige Zuordnung der verschiedenen Verbotsbereiche (zB zwischen den literae c und f des §1 Abs3) aufgrund der hier erliegenden Verordnung nicht möglich.
Des Weiteren können sich dadurch größere – durch die vorliegende Verordnung jedoch nicht spezifizierbare – Verbotsbereiche bzw Verbotsgebiete ergeben, in welchen ein absolutes Verbot des stillen Bettelns vorliegt. Dies gerade in Bereichen — wie im Beschluss des Verfassungsgerichtshofes ausgeführt — in welchen eine dichte Infrastruktur durch Geschäfte, Lokale, Gastgärten, Bankomaten uam gegeben ist. Somit wäre in der Innenstadt der Stadt Feldkirch nahezu flächendeckend und zeitlich unbeschränkt (mit wenigen Ausnahmen) das stille Betteln verboten. Ein derart weitreichendes Verbot findet in der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes keine sachliche Rechtfertigung und daher keine Deckung.
In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass aufgrund der Ausführungen im gegenständlich zitierten Schreiben der Stadt Feldkirch vom 15.03.2016 (zur Beratung für Stadtrat und Stadtvertretung) sich nicht ausreichend tatsächlich verifizierbare Missstände wiederfinden, die jedes von den in §1 Abs3 Feldkircher Bettelverbots-VO erfassten Verbote rechtfertigen könnte. Aus dem Schreiben vom 15.03.2016 ergeben sich durchaus nachvollziehbare und glaubhafte Erfahrungsberichte im Zusammenhang mit stillem Betteln aber auch sonst nach dem Landes-Sicherheitsgesetz verbotenen Bettelformen. Um daraus Verbote – auch des stillen Bettelns – in Form einer Feldkircher Bettelverbots-VO folgen zu lassen, müssen konkrete Erfahrungsberichte vorliegen und unter Beachtung des Landes-Sicherheitsgesetzes und der dazu ergangenen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes klare Bestimmungen festgelegt werden.
Durch die vom Verordnungsgeber gewählte Form der Verbote in §1 Abs3 ist es den jeweils Normunterworfenen nicht möglich zu erkennen, welche örtlichen Bereiche tatsächlich von den Bettelverboten umfasst sind. Es ist nicht ersichtlich, dass in der Verordnung bzw Bestandteil der Verordnung eine Planskizze ist, aus der sich in ausreichender Genauigkeit für den Normunterworfenen ergibt, in welchen örtlichen Bereichen auch das stille Betteln verboten ist und somit der Normunterworfene sich dementsprechend verhalten kann ('Klarheit von Straf-normen'). In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass der Verfassungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 01.03.2018 darauf hingewiesen hat, dass er davon ausgeht, dass ein ihm mit de[n] Verordnungsakten übermittelter Plan (betreffend der Lage der örtlichen Bereiche des Bettelverbotes) nicht integrierter Bestandteil der gegenständlichen Verordnung sei."
3. Die Stadtvertretung von Feldkirch hat als verordnungserlassende Behörde die Akten betreffend das Zustandekommen der zur Prüfung gestellten bzw angefochtenen Verordnung vorgelegt und eine Äußerung erstattet. Beigelegt hat sie Pläne von der Innenstadt und dem Bahnhof von Feldkirch.
3.1. In ihrer Äußerung weist sie zunächst darauf hin, dass dem Amtsbericht zur Verordnung ausführliche Erhebungen über einen längeren Zeitraum vorangegangen seien.
3.2. Den Bedenken des Verfassungsgerichtshofes und des Landesverwaltungsgerichtes Vorarlberg tritt die Stadtvertretung von Feldkirch wie folgt entgegen:
"Wie aus der Planbeilage ersichtlich, handelt es sich hier nicht um ein 'nahezu flächendeckendes' Bettelverbot, da nur sehr geringe Teile des Innenstadtbereiches effektiv betroffen sind.
Die Stadtvertretung Feldkirch ging davon aus, dass auch 'still' bettelnde Personen den dichten Fußgängerverkehr in diesen beengten Örtlichkeiten zum Stocken bringen (könnten), sodass es zur Vermeidung eines drohenden Missstandes erlaubt ist, zur Ermöglichung der Nutzung dieser Laubengänge sowie weiterer neuralgischer Punkte ein örtlich beschränktes Verbot auch des 'stillen' Bettelns zu erlassen.
Die bedeutendsten und am meisten frequentierten Bereiche der Innenstadt sind insbesondere die an die Laubengänge unmittelbar angrenzende Marktgasse sowie der Sparkassenplatz, der Bereich Johannitergasse, Leonhardsplatz sowie der Montfortplatz. Diese Bereiche sind lediglich während jener Zeit vom Verbot umfasst, an denen Märkte oder angezeigte Veranstaltungen stattfinden wie zB der Faschingsumzug. Desgleichen ist auch der Nahbereich der Zu- und Ausgänge von Kirchen nur vor, während und nach einer Veranstaltung vom Verbot umfasst.
Es ist somit sehr leicht möglich einen Platz in der Innenstadt zu finden, der außerhalb des Bettelverbotes für die Lauben und dem unmittelbaren Eingangsbereich (5 m) von Geschäften liegt. Dies ist beispielsweise in Bereichen der Marktgasse, des Sparkassenplatzes sowie des Leonhardsplatzes, der Johannitergasse und des Montfortplatzes möglich. Eine kurze Distanz wie jene von 5 m vor dem Eingangsbereich von Geschäften oder 10 m vor dem Geldausgabeautomaten ist von den Normadressaten gut abschätzbar."
3.3. Die Stadtvertretung von Feldkirch merkt zu den beigelegten Plänen an, dass sämtliche von §1 Abs3 lita, c, d, e, f und i der Feldkircher Bettelverbots-VO erfassten Verbotsbereiche in den Plänen ausgewiesen seien, außer den Gastgärten, weil diese saisonal bewilligt würden und ihre konkrete Situierung und Größe einem stetigen Wandel unterliege. Eine klare Definition der Gastgärten-Verbotszone sei daher im Plan nicht möglich gewesen.
4. Die Vorarlberger Landesregierung hat ebenfalls eine Äußerung erstattet, in der sie den im Prüfungsbeschluss des Verfassungsgerichtshofes sowie den im Antrag des Landesverwaltungsgerichtes Vorarlberg geäußerten Bedenken wie folgt entgegentritt (Zitat ohne Hervorhebungen im Original):
"1. Kein absolutes Verbot des stillen Bettelns
[…]
Die Feldkircher Bettelverbots-VO normiert […] nur ein punktuell geltendes Verbot des stillen Bettelns an bestimmten öffentlichen Orten und ist in örtlicher als auch zeitlicher Hinsicht beschränkt.
Die örtliche Beschränkung ergibt sich aus dem Wortlaut der Verordnung. Stilles Betteln ist jeweils ausschließlich im Eingangs- bzw Nahbereich der in den literae des §1 Abs3 bestimmten öffentlichen Orte verboten. Werden sämtliche Verbotsbereiche zusammen gesehen, ergeben sich nach wie vor weitläufige und stark frequentierte Bereiche in der Feldkircher Innenstadt, insbesondere in der Marktgasse, der Johannitergasse, dem Sparkassenplatz, dem Leonhardsplatz und dem Montfortplatz, an denen die Verordnung nicht gilt und die still bettelnde Personen nutzen können […].
Von einem einheitlichen und flächendeckenden Verbot kann somit keine Rede sein. Insbesondere ist das Ausmaß des örtlichen Geltungsbereichs des §1 Abs3 lita, c, d, e, f und i der Feldkircher Bettelverbots-VO nicht mit dem der Verordnung des Gemeinderats der Stadt Salzburg vom 20. Mai 2015 betreffend Betteln in der Stadt Salzburg gemäß §29 Abs2 Salzburger Landessicherheitsgesetz vergleichbar (vgl VfGH 28.06.2017, V27/2017). Während von diesem – vom Verfassungsgerichtshof teilweise aufgehobenen – Bettelverbot die bedeutendsten und frequentiertesten Straßen und Plätze in der Salzburger Altstadt als Ganzes umfasst waren, wird durch die Feldkircher Bettelverbots-VO das stille Betteln nicht auf ganzen Straßen oder Plätzen, sondern nur an örtlich begrenzten, neuralgischen Punkten verboten.
Insoweit vorgebracht wird, dass nicht ausgeschlossen werden könne, dass sich mehrere Verbotsbereiche örtlich überschneiden, kann die Landesregierung darin keine verfassungsrechtlich bedenkliche Situation erkennen. In einem solchen Fall (z.B. im Bereich der Adresse Am Domplatz 3, wo sich in der Nähe eines Geschäftes ein Geldautomat sowie ein Parkautomat befindet und sich somit die Verbotsbereiche der litc und der litf der Feldkircher Bettelverbots-VO überschneiden) ergibt sich in der normativen Anordnung insofern kein Widerspruch, als die Anordnung sich auch in diesem Fall darauf beschränkt, dass stilles Betteln verboten ist. Ein Fall einer möglichen Doppelbestrafung ergibt sich daraus keineswegs.
Auch in zeitlicher Hinsicht handelt es sich um ein sachlich beschränktes Verbot: Die Verordnung enthält keine explizite Bestimmung, nach der das Bettelverbot in den einzelnen Verbotsbereichen zeitlich unbeschränkt gelten würde. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist die Ermächtigung durch den Landesgesetzgeber in §7 Abs3 Landes-Sicherheitsgesetz, zusätzlich zu den von ihm geregelten Tatbeständen auch stilles Betteln zu verbieten, als Ausnahme vom Grundsatz, dass dieses Verhalten im öffentlichen Raum erlaubt ist, eng auszulegen (vgl VfGH 14.03.2017, V23/2016). Demgemäß ist auch die zu §7 Abs3 Landes-Sicherheitsgesetz ergangene Feldkircher Bettelverbots-VO eng auszulegen. Es ist daher angezeigt, die Feldkircher Bettelverbots-VO dahingehend auszulegen, dass das stille Betteln innerhalb der Verbotsbereiche stets nur zu den Zeiten verboten ist, an denen die Verbotsbereiche auch ihrem Zweck entsprechend benützt werden und daher durch stilles Betteln ein das örtliche Gemeinschaftsleben störender Missstand im Sinne einer Verunmöglichung dieser bestimmungsgemäßen Benützung verursacht würde (beispielsweise im Falle des Eingangsbereiches eines Geschäftes dann, wenn das entsprechende Geschäft geöffnet ist, oder im Falle des Nahbereichs von Gastgärten dann, wenn der entsprechende Gastgarten genutzt wird, oder im Falle von Parkautomaten während jener Zeiten, in denen die Parkabgabe zu entrichten ist).
2. Zum Vorliegen eines das örtliche Gemeinschaftsleben störenden Missstandes
[…]
Aus dem Amtsbericht der Stadt Feldkirch ergibt sich, dass die Feldkircher Bettelverbots-VO beschlossen wurde, um konkret vorgefallene, massive Missstände künftig zu verhindern. Diese Missstände wurden von der Stadt Feldkirch ermittelt (Berichte der Stadtpolizei Feldkirch über eigene Wahrnehmungen, Beschwerden von Bürgerinnen und Bürgern, Ansuchen der Wirtschaftstreibenden) und im Amtsbericht vom 25. Februar 2016 dokumentiert.
Zu lita): 'Im Nahbereich (10 m) der Zu- und Ausgänge von Kirchen, Klöstern, und Moscheen, vor, während und nach einer Veranstaltung (zB Messe, Bußfeier, Beichtandacht)'
Auf Stiegen und im Bereich der Zugänge zu den Kircheneingängen sitzende bettelnde Personen machten den Zugang für andere Personen unmöglich, insbesondere auch für ältere oder gebrechlichere Personen, die auf die Nutzung der Geländer angewiesen sind (vgl Amtsbericht vom 25. Februar 2016 […]).
Zu litc): 'in den Laubengängen der Innenstadt und im unmittelbaren Eingangsbereich (5 m) zu Geschäften, Lokalen sowie im unmittelbaren Nahbereich (5 m) von Gastgärten'
In den Laubengängen herrschte laut Amtsbericht aufgrund der sehr hohen Fußgängerfrequenz ein enormes Gedränge. Die Nutzung als Ausstellungsfläche, Gastgarten, sowie für das Hinein- und Hinausgehen aus Geschäften und Lokalen wurde durch die hohe Anzahl an bettelnden Personen erheblich beeinträchtigt (vgl Amtsbericht vom 25. Februar 2016 […]).
Zu litd): 'in den Fußgänger-Unterführungen der Stadt Feldkirch samt den dazugehörigen Zugängen und Stiegen-Anlagen'
Insbesondere zu Stoßzeiten ist der Fußgängerverkehr in Feldkirch davon abhängig, dass eine große Anzahl von Personen zügig durch die Unterführungen in Richtung Bahnhof sowie in Richtung Busplatz gehen kann. Am Boden quer zur Gehrichtung sitzende bettelnde Personen wurden zu echten Hindernissen (vgl Amtsbericht vom 25. Februar 2016 […]). Auch außerhalb von Stoßzeiten erschwerten Personen, die die Stiegen zum Betteln nutzen, den bestimmungsgemäßen Gebrauch der Unterführungen (vgl Amtsbericht vom 25. Februar 2016 […]).
Zu lite): 'im unmittelbaren Bereich (5 m) von Ein- bzw Ausstiegen öffentlicher Personenlifte sowie in diesen Liftanlagen selbst'
Personen, die sich zum Betteln vor den Eingängen der öffentlichen Personenlifte auf dem Boden niedersetzten, oder sogar im Lift selbst bettelten, erschwerten die bestimmungsgemäße Nutzung der Personenlifte als Transportmittel (vgl Amtsbericht vom 25. Februar 2016 […]).
Zu litf): 'im Nahbereich (10 m) von Geldausgabeautomaten, Parkscheinautomaten, Geldwechselautomaten oder sonstigen Geräten und Einrichtungen, bei denen mit Bargeld hantiert werden muss'
Auch das Lösen von Parkscheinen an den Automaten in der Innenstadt wurde durch davor sitzende Bettler erschwert, die Abläufe in der bestimmungsgemäßen Nutzung wurden dadurch wesentlich gestört (vgl Amtsbericht vom 25. Februar 2016 […]). Dasselbe gilt für Geldausgabeautomaten, bei denen die bestimmungsgemäße Nutzung gerade davon abhängt, dass ungestört und unbeobachtet von fremden Personen mit Geld hantiert werden kann (vgl Amtsbericht vom 25. Februar 2016 […]).
Zu liti): 'im Nahbereich (10 m) von Haltestellen öffentlicher Verkehrsmittel'
Die Anzahl bettelnder Personen nahm gerade im Bereich von Haltestellen zu, dadurch wurde das Ein- und Aussteigen in Busse und Taxis wesentlich erschwert. Im Hinblick auf das öffentliche Interesse an einem reibungslosen und pünktlichen öffentlichen Verkehrssystem, wurde der bestimmungsgemäße Gebrauch wesentlich erschwert (vgl Amtsbericht vom 25. Februar 2016 […]).
[…]
3. Zur Behauptung der unzureichenden Determinierung
[…]
Die Verordnung verbietet das stille Betteln entweder an bestimmten öffentlichen Orten (z.B. in Liftanlagen oder Fußgängerunterführungen) oder im unmittelbaren (Nah-) Bereich von bestimmten öffentlichen Orten (z.B. im Nahbereich (5 m) von Gastgärten oder im Nahbereich (10 m) von Parkscheinautomaten). Sofern bestimmte öffentliche Orte genannt werden, kann von einer hinreichenden inhaltlichen Determinierung ausgegangen werden. Sofern das stille Betteln im Nahbereich (unter Zuhilfenahme einer Meterangabe) von bestimmten öffentlichen Orten verboten wird, ist dies so zu verstehen, dass um diesen öffentlichen Ort herum in einem gewissen Abstand nicht still gebettelt werden darf. Von jedem Punkt der äußeren Grenzen dieser öffentlichen Orte ist in jede Richtung ein Abstand von 5 m bzw von 10 m einzuhalten. Beispielsweise ist bei einem Gastgarten von jedem Punkt der Grenze des Gastgartens ausgehend in jede Richtung ein Abstand von 5 m, bei einem Geschäft oder Lokal von jedem Punkt der Eingangstüre in jede Richtung ein Abstand von 5 m, bei einem Geldausgabeautomaten oder einem Parkscheinautomaten von diesem aus in jede Richtung ein Abstand von 10 m einzuhalten. […]
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist angesichts der unterschiedlichen Lebensgebiete, Sachverhalte und Rechtsfolgen, die Gegenstand und Inhalt gesetzlicher Regelungen sein können, ganz allgemein – und zwar auch im Zusammenhang mit Straftatbeständen – davon auszugehen, dass Art18 B-VG einen dem jeweiligen Regelungsgegenstand adäquaten Determinierungsgrad verlangt (vgl VfSlg 20.039/2016 mwN).
Die Stadtvertretung der Stadt Feldkirch sah sich mit Missständen konfrontiert, die an unterschiedlichen Orten ein Verbot des 'stillen' Bettelns erforderlich machten. Dem Verhältnismäßigkeitsgebot Rechnung tragend, stellte ein Verbot, das die Straßenzüge in ihrer Gesamtheit abdeckt, in denen es zu Missständen gekommen ist, keine gangbare Option dar.
Um jeden einzelnen Bereich, in dem es zu dokumentierten Missständen gekommen ist und für den ein Verbot erlassen werden sollte, einzeln und detailliert zu beschreiben, bedürfte es einer ausgesprochen komplexen und ausführlichen Regelung, die auf Kosten der Verständlichkeit ginge.
Die Stadtvertretung der Stadt Feldkirch hat mit §1 Abs3 der gegenständlichen Verordnung eine abstrakte Regelung geschaffen, die dennoch allgemein verständlich formuliert wurde. Bei den verwendeten Begriffen handelt es sich um Begriffe, die es dem oder der Einzelnen ermöglichen, ihr Verhalten nach dem Gesetz auszurichten. Es ist für Einzelne nicht mit einem übermäßigen Aufwand oder übermäßigen Schwierigkeiten verbunden, den Bereich zu ermitteln, der sich fünf oder zehn Meter von einem Geschäft, den Grenzen eines Gastgartens, etc. entfernt befindet.
Dabei handelt es sich um einen dem gegenständlichen Regelungsgegenstand entsprechenden ausreichenden Determinierungsgrad."
5. Die Beschwerdeführerin im Anlassverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof hat als beteiligte Partei eine Äußerung erstattet, in der sie auf ihre Ausführungen in der Beschwerde im Anlassfall verweist.
IV. Erwägungen
Der Verfassungsgerichtshof hat beide Rechtssachen gemäß §35 Abs1 VfGG iVm §§187 und 404 ZPO zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden.
1. Zur Zulässigkeit
1.1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art139 Abs1 Z1 B-VG bzw des Art140 Abs1 Z1 lita B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).
In den Verordnungsprüfungsverfahren ist nichts hervorgekommen, was an der Präjudizialität der litc (soweit diese das Verbot des Bettelns in den Laubengängen und im unmittelbaren Eingangsbereich zu Geschäften betrifft) in dem von Amts wegen eingeleiteten Prüfungsverfahren bzw der litf (soweit diese das Verbot des Bettelns im Nahbereich von Parkscheinautomaten betrifft) des §1 Abs3 Feldkircher Bettelverbots-VO in dem auf Antrag des Gerichtes eingeleiteten Prüfungsverfahren zweifeln ließe.
1.2. Der Verfassungsgerichtshof hat sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Normprüfungsverfahren wiederholt dargelegt, dass der Umfang einer auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu prüfenden und allenfalls aufzuhebenden Bestimmungen derart abzugrenzen ist, dass einerseits nicht mehr aus dem Rechtsbestand ausgeschieden wird, als Voraussetzung für den Anlassfall ist, dass aber andererseits der verbleibende Teil keinen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass die mit der aufzuhebenden Norm in untrennbarem Zusammenhang stehenden Bestimmungen auch erfasst werden (VfSlg 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003).
Soweit die Vorarlberger Landesregierung in ihrer Äußerung vorbringt, dass der Prüfungs- bzw Anfechtungsumfang zu weit gefasst sei, ist ihr nicht zu folgen. Wie schon aus dem Prüfungsbeschluss hervorgeht, geht der Verfassungsgerichtshof von einem durch die einzelnen literae zusammenhängenden Verbotsbereich aus, der hier nur in Zusammenschau mit den in Prüfung gezogenen bzw angefochtenen literae der in §1 Abs3 der Verordnung genannten öffentlichen Orte festgelegt wird (vgl VfSlg 20.184/2017).
1.3. An der Zulässigkeit der Beschwerde in dem zu E3048/2017 geführten Anlassverfahren besteht kein Zweifel. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweisen sich die Verfahren im aufgezeigten Umfang als zulässig.
2. In der Sache
2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung gemäß Art139 B-VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken zu beschränken (vgl VfSlg 11.580/1987, 14.044/1995, 16.674/2002). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen gesetzwidrig ist (VfSlg 15.644/1999, 17.222/2004).
2.2. Die im Prüfungsbeschluss bzw im Antrag des Gerichtes dargelegten Bedenken haben sich jedoch – wie das Verfahren schließlich ergeben hat – als nicht zutreffend erwiesen. Dies aus folgenden Gründen:
2.2.1. Der Verfassungsgerichtshof hegte zunächst das Bedenken, dass die in Prüfung gezogenen literae des §1 Abs3 der Feldkircher Bettelverbots-VO in ihrer Zusammenschau ein – verfassungsrechtlich verpöntes – absolutes Verbot des stillen Bettelns bewirken könnten. Diesem Bedenken schließt sich das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg in seinem Antrag an.
Die Vorarlberger Landesregierung hält dem entgegen, dass der in Prüfung gezogene bzw angefochtene Teil der Feldkircher Bettelverbots-VO das stille Betteln nicht flächendeckend, sondern nur punktuell, auf neuralgische Punkte beschränkt, verbiete. Selbst in Zusammenschau der einzelnen Verbotsbereiche blieben daher – so auch die Stadtvertretung von Feldkirch – weitläufige und stark frequentierte Bereiche in der Feldkircher Innenstadt (insbesondere in der Marktgasse, am Sparkassenplatz, am Leonhardsplatz, in der Johannitergasse und am Montfortplatz), für die die Verordnung nie gelte und die still bettelnde Personen immer nutzen könnten.
Diese Auffassung der Vorarlberger Landesregierung trifft im Ergebnis zu: Dem Verfassungsgerichtshof konnte nachgewiesen werden, dass die betreffenden Verbote in der Feldkircher Bettelverbots-VO auf öffentlichen Raum mit speziellen Nutzungsbedingungen beschränkt sind und somit trotz der Verbote bettelverbotsfreie Flächen selbst in der Innenstadt verbleiben, die hinreichend Platz bieten, an Orten still zu betteln, die von vielen Personen aufgesucht werden und an denen deshalb die Aussicht auf finanzielle Hilfe als besonders hoch einzuschätzen ist. So bleibt etwa in der von den Laubengängen umgrenzten Marktgasse in der Fußgängerzone der Stadt Feldkirch – auch im Sommer bei Gastgartenbetrieb – mittig genügend Raum, der zum stillen Betteln genutzt werden kann. Aber auch das Gebiet um den Bahnhof der Stadt Feldkirch bietet – wie sich aus dem im Verordnungsprüfungsverfahren übermittelten Plan ergibt – trotz einzelner Verbotszonen und Zufahrtsstraßen genügend öffentliche Orte, an denen "still" um finanzielle Hilfe geworben werden kann. Vor diesem Hintergrund hält der Verfassungsgerichtshof seine Annahme, das Zusammenspiel der in Prüfung gezogenen bzw angefochtenen Bestimmungen bewirke im Ergebnis ein verfassungsrechtlich verpöntes, absolutes Verbot auch des stillen Bettelns, nicht aufrecht.
2.2.2. Auch das weitere Bedenken des Verfassungsgerichtshofes und des Landesverwaltungsgerichtes Vorarlberg, dass die mit einer Meterangabe versehenen Begriffe "Nahbereich", "Eingangsbereich" und "Bereich" in den lita, c, e, f und i des §1 Abs3 der Feldkircher Bettelverbots-VO zu unbestimmt seien, konnte im Verordnungsprüfungsverfahren zerstreut werden. Zwar trifft es zu, dass keine verbindliche planliche Darstellung zur Feldkircher Bettelverbots-VO vorliegt. Vor dem Hintergrund der dargelegten Örtlichkeiten kommt der Verfassungsgerichtshof jedoch zum Ergebnis, dass die betreffenden Bestimmungen einer Auslegung zugänglich sind. Der Verfassungsgerichtshof geht – im Einklang mit der Interpretation der Vorarlberger Landesregierung – davon aus, dass von jedem Punkt der äußeren Grenze der öffentlichen Orte, auf die sie sich beziehen, in jede Richtung ein Abstand von fünf Metern bzw zehn Metern einzuhalten ist. Beispielsweise ist bei einem Gastgarten von jedem Punkt der Grenze des Gastgartens in jede Richtung ein Abstand von fünf Metern, bei einem Geschäft oder Lokal von jedem Punkt der Eingangstüre in jede Richtung ein Abstand von fünf Metern, bei einem Geldausgabe- oder Parkscheinautomaten von diesem aus in jede Richtung ein Abstand von zehn Metern einzuhalten. Diese Auslegung ergibt sich aus den Bestimmungen selbst, weshalb eine planliche Darstellung hier nicht zwingend ist. Die Verordnung hat daher einen soweit bestimmbaren Inhalt, dass der Rechtsunterworfene sein Verhalten danach ausrichten kann (vgl VfSlg 12.947/1991, 20.039/2016, jeweils mwN).
2.2.3. Schließlich hegte der Verfassungsgerichtshof das Bedenken, dass der für die Erlassung einer Verordnung nach §7 Abs3 Vbg Landes-Sicherheitsgesetz erforderliche Nachweis des Vorliegens eines Missstandes nicht für jeden der in Prüfung gezogenen Orte des §1 Abs3 Feldkircher Bettelverbots-VO erbracht worden sei. Das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg bringt in seinem Antrag dasselbe Bedenken vor.
Hier ist zu differenzieren: Die Vorarlberger Landesregierung konnte dem Verfassungsgerichtshof in ihrer Äußerung anhand des Amtsberichtes zur Erlassung der Feldkircher Bettelverbots-VO vom 25. Februar 2016 belegen, dass in den Laubengängen der Innenstadt von Feldkirch (§1 Abs3 litc der VO) ein örtlicher Missstand durch still bettelnde Personen vorgelegen ist. Die Vorarlberger Landesregierung bringt vor, dass in den Laubengängen wegen der sehr hohen Fußgängerfrequenz ein enormes Gedränge herrsche und dass die Nutzung als Ausstellungsfläche, Gastgarten sowie das Hinein- und Hinausgehen aus den Geschäften und Lokalen durch die hohe Anzahl an bettelnden Personen erheblich beeinträchtigt werde. Damit legt sie – gestützt auf den Amtsbericht – dar, dass die Laubengänge einer spezifischen Nutzung unterliegen, die für andere Personen durch stille Bettler im Sinne des §7 Abs3 Vbg Landes-Sicherheitsgesetz erheblich erschwert wird.
Anders verhält es sich mit den gemeinsam mit den Laubengängen für die Fußgängerzone der Innenstadt festgelegten Abstandsregelungen der litc des §1 Abs3 der Feldkircher Bettelverbots-VO. Diese verbieten das Betteln "im unmittelbaren Eingangsbereich (5 m) zu Geschäften, Lokalen sowie im unmittelbaren Nahbereich (5 m) von Gastgärten". Diese Verbote sind so auszulegen, dass sie – so wie die Laubengänge – nur auf die Fußgängerzone der Innenstadt von Feldkirch zu beziehen sind.
Das Verbot des stillen Bettelns ist außerdem – wie auch die Vorarlberger Landesregierung in ihrer Äußerung vorbringt – auf Zeiten zu beschränken, in denen die betreffenden öffentlichen Orte ihrem Zweck entsprechend genutzt werden, denn nur dann liegt ein das örtliche Gemeinschaftsleben störender Missstand vor. Das Verbot gilt daher im Eingangsbereich eines Geschäftes oder im Nahbereich von Gastgärten nur, wenn das Geschäft geöffnet hat oder der Gastgarten genutzt wird. Auch ist das stille Betteln im Nahbereich von Parkscheinautomaten nur während jener Zeit verboten, in der die Parkabgabe zu entrichten ist. Diese (gesetzeskonforme) Auslegung ist aus Sicht der Verordnungsgrundlage des §7 Abs3 Vbg Landes-Sicherheitsgesetz geboten, weil sich ein Verbot nur insofern auf die gesetzliche Grundlage stützen kann, als ein örtlicher Missstand tatsächlich besteht (oder unmittelbar zu erwarten ist). Auch der Wortlaut der betreffenden Verordnungsbestimmungen lässt diese Auslegung zu.
Zeitlich unbeschränkt gilt demnach das Verbot des stillen Bettelns in den Laubengängen (litc), bei Fußgängerunterführungen (litd), bei Personenliften (lite), bei Geldausgabe- und Geldwechselautomaten und sonstigen Bargeldgeräten (litf – ausgenommen Parkscheinautomaten) und bei Haltestellen öffentlicher Verkehrsmittel (liti). Für diese Verbotsbereiche konnte in den Verordnungsprüfungsverfahren der geforderte Missstandsnachweis erbracht werden.
2.3. Da die lita, c, d, e, f und i des §1 Abs3 der Feldkircher Bettelverbots-VO hinreichend bestimmt sind, der erforderliche Missstandsnachweis in einschränkender Interpretation der betreffenden Verordnungsbestimmungen erbracht wurde und stilles Betteln auch an sehr frequentierten Orten der Innenstadt von Feldkirch weiterhin erlaubt ist, erweisen sich die genannten Bestimmungen nicht als gesetzwidrig.
V. Ergebnis
1. Lita, c, d, e, f und i des §1 Abs3 der Feldkircher Bettelverbots-VO sind nicht als gesetzwidrig aufzuheben.
2. Der Antrag des Landesverwaltungsgerichtes Vorarlberg ist abzuweisen.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Bettelverbot, Sicherheitspolizei örtliche, Gemeinderecht, Wirkungsbereich eigener, Auslegung verfassungskonformeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2018:V19.2018Zuletzt aktualisiert am
09.03.2020