Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr.
Hoch als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Roch und Dr. Rassi und die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*****, vertreten durch Dr. Josef Lindlbauer, Rechtsanwalt in Enns, wider die beklagte Partei K*****, wegen Feststellung, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom 20. August 2018, GZ 4 R 105/18s-5, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß
§ 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO).
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
Die Klägerin zeigt in ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs keine erheblichen Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO auf, weshalb ihr Rechtsmittel als nicht zulässig zurückzuweisen ist.
1. Um vorweg die – den vorliegenden Rechtsmittelausführungen zugrundeliegenden – Missverständnisse der Klägerin zum Inhalt des Beschlusses des Obersten Gerichtshofs 9 Ob 59/17t, mit dem ihre außerordentliche Revision im Vorprozess zurückgewiesen wurde, aufzuklären, ist auf Folgendes hinzuweisen: Diesem Beschluss ist lediglich zu entnehmen, dass der Oberste Gerichtshof das Zustandekommen eines wirksamen Schenkungsvertrags schon deshalb verneinte, weil der Rechtsmittelwerberin der Nachweis der materiell-rechtlichen Voraussetzung des Schenkungswillens mit der behaupteten Vertragserklärung des (hier) Beklagten nicht gelang; nicht hingegen weitere Aussagen, wonach der angebliche, nur mündlich vereinbarte Schenkungsvertrag an keinen Formmängeln leide, bzw über die Wohnung ein Schenkungsvertrag als Konsensualvertrag abgeschlossen werden könne oder zur vom Erstgericht verneinten Frage der Verfügungsberechtigung des Beklagten vor Einantwortung. Ebensowenig findet sich darin ein Vorwurf an die Vorinstanzen, das von ihnen geführte Verfahren sei (wegen der unterbliebenen Einvernahme von Zeugen) mangelhaft geblieben.
2. Die Zurückweisung einer Klage wegen Einmaligkeitswirkung der Rechtskraft setzt Identität der Parteien und der Ansprüche im Folgeprozess und im rechtskräftig entschiedenen Vorprozesses voraus (RIS-Justiz RS0041340). Ob idente Ansprüche vorliegen, ist nach den Streitgegenständen der beiden Verfahren zu beurteilen. Die Einmaligkeitswirkung greift demnach dann ein, wenn der in der neuen Klage geltend gemachte Anspruch sowohl hinsichtlich des Begehrens als auch im rechtserzeugenden Sachverhalt mit jenem des rechtskräftig entschiedenen Vorprozesses übereinstimmt (RIS-Justiz RS0039347; RS0041115 [T4]). Ebenso, wenn die Begehren zwar nicht ident sind, aber – regelmäßig bei vertauschten Parteirollen – eines das begriffliche Gegenteil des anderen ist, sich also das zweite Verfahren als reine Negation des Urteils des Vorprozesses erweist (RIS-Justiz RS0041331 [T1, T2]; RS0039246; RS0109015; Klicka in Fasching/Konecny³ § 411 ZPO Rz 50). Ob die Voraussetzungen gegeben sind, hängt regelmäßig von den Umständen des Einzelfalls ab (RIS-Justiz RS0044453).
Unzweifelhaft besteht hier Parteienidentität sowohl zur im Vorprozess entschiedenen Leistungsklage als auch zur vorliegenden Feststellungsklage, wenn auch mit vertauschten Parteirollen. Das (von den Vorinstanzen zurückgewiesene) Begehren auf Feststellung des Nichtbestehens des Anspruchs des Beklagten aus den Urteilen im Vorprozess stellt zweifellos die Negation des Urteils des Vorprozesses dar (vgl 3 Ob 185/08i; 4 Ob 52/14x). Anders als die Klägerin im Revisionsrekurs (soweit erkennbar) behauptet, erfuhr ihr Vorbringen in der Feststellungsklage zum Zustandekommen eines mündlichen Schenkungsvertrags gegenüber ihrem darauf gerichteten Einwand im Vorprozess keine Ergänzung (der Hinweis auf die Vollmacht vom 28. April 2008 erfolgte auch schon im Vorprozess). Die Vorinstanzen bejahten die Identität des Streitgegenstands und das Vorliegen des Prozesshindernis der entschiedenen Rechtssache zu diesem Feststellungsbegehren daher jedenfalls vertretbar (4 Ob 253/01m).
3. Wenn den weiteren, vom Rekursgericht als nicht von der Einmaligkeitswirkung betroffen angesehenen Begehren auf Feststellung der rechtswirksam erfolgten Wohnungsschenkung und des Nichtbestehens eines Mietverhältnisses im fortgesetzten Verfahren stattgegeben werden sollte, hätte dies – anders als die Klägerin im Rechtsmittel vermeint – auf das rechtskräftige Urteil im Vorprozess keinen Einfluss.
Denn die Beurteilung im Vorprozess, ob sich die (dort) Beklagte auf den Titel für die Benützung der Wohnung in Gestalt des außerbücherlichen Eigentums an der Wohnung aufgrund eines mündlichen Schenkungsvertrags stützen kann, stellte die Beantwortung einer Vorfrage für das auf (nach Auflösung des Mietvertrags) titellose Benützung gestützte Räumungsbegehren dar (5 Ob 212/10b = RIS-Justiz RS0020806 [T2]; Iby in Fasching/Konecny² § 562 ZPO Rz 41). Auch in der Bejahung eines Mietvertrags als Grundlage für das Zahlungsbegehren im Vorprozess lag die Beantwortung einer Vorfrage (RIS-Justiz RS0041188; RS0102102 [T11]).
Eine Bindungswirkung besteht aber nur in Bezug auf die im Vorprozess entschiedene Hauptfrage, nicht aber an eine dort beurteilte Vorfrage (RIS-Justiz RS0042554; RS0041180; RS0041178; RS0041342; RS0039843 [T19] ua; Rechberger in Rechberger, ZPO4 § 411 Rz 3; Kodek/Mayr, Zivilprozessrecht3 Rz 921) oder an die dort getroffenen Feststellungen (RIS-Justiz RS0041285; RS0118570). Nur dann, wenn die Lösung eines Präjudizialverhältnisses auch formal verselbständigt (durch Zwischenfeststellungsantrag oder Feststellungsklage) zum Gegenstand eines Sachantrags wird, ist diese Entscheidung mit den Garantien der Rechtskraft ausgestattet (RIS-Justiz RS0038936 [T1]; RS0041180 [T3]).
Eine zwei verschiedenen Entscheidungsgegenständen gemeinsame Vorfrage kann daher in beiden Prozessen verschieden beurteilt werden (RIS-Justiz RS0041180). Somit kann auch eine bereits in einem Vorprozess beurteilte Vorfrage, wird sie später zum Gegenstand einer selbständigen Feststellungsklage gemacht, anders entschieden werden (3 Ob 501/85 = RIS-Justiz RS0039146; Klicka in Fasching/Konecny³ § 411 ZPO Rz 69), ohne dass dies Auswirkungen auf den bereits rechtskräftig abgeschlossenen Vorprozess hätte.
Bedenken wegen der somit bestehenden Möglichkeit divergierender Beurteilungen einer Vorfrage oder des Zerreißens materiell-rechtlicher Zusammenhänge müssen gegenüber dem in der Formulierung des § 411 ZPO durchaus berücksichtigten eminenten Gebot des praktischen Rechtslebens zurücktreten, das die Bewahrung der Parteien vor der Bindung an bloß beiläufige Urteilsgründe fordert und es ausdrücklich in die Hände der Parteien legt, einen Zwischenfeststellungsantrag zu stellen, wenn sie eine rechtskraftfähige Sachentscheidung über dieses präjudizielle Rechtsverhältnis anstrebt (Klicka in Fasching/Konecny³ § 411 ZPO Rz 68).
Textnummer
E123664European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2018:0030OB00181.18S.1121.000Im RIS seit
09.01.2019Zuletzt aktualisiert am
09.01.2019