Entscheidungsdatum
26.09.2018Norm
AsylG 2005 §10 Abs3Spruch
G307 2203602-1/12E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Markus MAYRHOLD als Einzelrichter über die Beschwerde der XXXX, geb. am XXXX, StA. Bosnien und Herzegowina, vertreten durch die Flüchtlingsdienst, gemeinnützige Gesellschaft mbH - ARGE Rechtsberatung in 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.07.2018, Zahl XXXX zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben, der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben und der Beschwerdeführerin gemäß § 54 Abs. 1 Z 1 iVm § 55 Abs. 1 AsylG eine "Aufenthaltsberechtigung plus" bis zum 01.10.2019 erteilt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE :
I. Verfahrensgang und Sachverhalt
1. Am 17.04.2018 stellte die Beschwerdeführerin (im Folgenden: BF) beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Steiermark (im Folgenden: BFA) gemäß § 55 Abs. 1 AsylG einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung plus.
2. Am 06.06.2018 wurde die BF hiezu vor dem BFA niederschriftlich einvernommen.
3. Mit dem im Spruch angeführten Bescheid des BFA, der BF persönlich zugestellt am 25.07.2018 wurde der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK vom 17.04.2018 gemäß § 55 AsylG abgewiesen, gegen die BF gemäß § 10 Abs. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass deren Abschiebung nach Bosnien-Herzegowina gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II.) sowie der BF gemäß § 55 Abs. 1 und Abs. 3 eine 14tägige Frist zur freiwilligen Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung eingeräumt (Spruchpunkt III.).
4. Gegen diesen Bescheid erhob die BF durch die im Spruch genannte Rechtsvertretung (im Folgenden: RV) Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Darin wurde beantragt, den angefochtenen Bescheid zu beheben und der BF eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, in eventu den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit zur Gänze zu beheben, und die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung eines Verfahrens und Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückzuverweisen, jedenfalls eine mündliche Verhandlung durchzuführen.
5. Die Beschwerde und der zugehörige Verwaltungsakt wurden vom BFA dem Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) am 16.08.2018 vorgelegt und langten dort am 20.08.2018 ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Die BF führt die im Spruch angegebene Identität (Name und Geburtsdatum), ist ledig, frei von Obsorgepflichten, Staatsbürgerin Bosnien-Herzegowinas und somit Drittstaatsangehörige im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 10 FPG. Sie hält sich seit 28.01.2014 im Bundesgebiet auf und verfügte bis zum 11.03.2017 über eine Aufenthaltsbewilligung "Studierende", ausgestellt vom Amt der XXXX Landesregierung. Mit Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark, Zahl LVwG 26.9.1785/2017-9 vom 19.03.2018 wurde die Beschwerde der BF gegen den vom Landeshauptmann XXXX am 19.05.2017 zu Zahl XXXX erlassenen Bescheides, mit welchem ihre Aufenthaltsbewilligung "Studierende" nicht verlängert wurde, als unbegründet abgewiesen. Diese Entscheidung erwuchs in der Folge in Rechtskraft. Aus diesem Anlass stellte sie am XXXX.2018 den gegenständlichen Antrag.
1.2. In Bosnien lebte die BF gemeinsam mit ihren Eltern im gemeinsamen Haushalt. Sie studierte an der Universität in XXXX Germanistik. Ihre Mutter ist mittlerweile verstorben, mit dem Vater pflegt die BF keinen Kontakt. Eine Schwester der BF lebt in Kroatien, ein Bruder in Finnland. Der Lebensmittelpunkt der BF liegt in Österreich.
1.3. Die BF lebt derzeit in keiner Beziehung und belegt seit dem Sommersemester 2014 auf der XXXX das Studium "Transkulturelle Kommunikation", welches sie nach wie vor erfolgreich absolviert.
1.4. Die BF ist gesund und arbeitsfähig.
1.5. Die BF war - beginnend mit 06.05.2014 bis dato - bei 4 Arbeitgeberin in insgesamt 5 Arbeitsverhältnissen tätig. Zuletzt ging sie vom 30.05.2018 bis 03.06.2018 bei der XXXX einer geringfügigen Beschäftigung nach. Aktuell ist sie - seit 12.07.2018 - bei der XXXX selbst versichert. Sie besitzt eine Einstellungszusage der XXXX, bei welcher sie bereits in den Jahren 2014 bis 2017 beschäftigt war. Die BF bezog bis dato und bezieht keinerlei Sozialleistungen.
1.6. Die BF verfügt über Deutschkenntnisse des Niveaus "C1" und ist strafrechtlich unbescholten. Zahlreiche Personen aus ihrem studentischen, beruflichen, sozialen und freundschaftlichem Umfeld unterstützen die BF bei ihrem Ansinnen, eine Aufenthaltsbewilligung zu erlangen und beschreiben diese als fleißig, hilfsbereit, ehrgeizig und sportlich.
2. Beweiswürdigung
2.1. Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes der belangten Behörde und des vorliegenden Gerichtsaktes des BVwG.
2.2. Der oben festgestellte Sachverhalt beruht auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht und auf Grund der vorliegenden Akten und einer mündlichen Verhandlung durchgeführten Ermittlungsverfahrens und wird in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt:
Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zu Identität und Staatsbürgerschaft der BF getroffen wurden, ergeben sich diese aus dem unstrittigen Akteninhalt. Die BF legte zum Beweis ihrer Identität einen auf ihren Namen ausgestellten bosnischen Reisepass vor, an dessen Echtheit und Richtigkeit keine Zweifel aufgekommen sind.
Die familiären und persönlichen Umstände der BF, ihr Familienstand, der Aufenthalt in Österreich seit dem Jahr 2014, die in Bosnien-Herzegowina absolvierte Universitätsausbildung, das Freisein von Obsorgepflichten sowie der Verbleib der Geschwister und des Vaters ergeben sich aus den Angaben der BF in deren Einvernahme vor dem BFA, dem Beschwerdeinhalt und dem Vorbringen in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht. Ferner ist der Aufenthalt in Österreich seit 2014 mit dem Inhalt des auf den Namen der BF lautenden Auszuges aus dem Zentralen Melderegisters (im Folgenden: ZMR) in Einklang zu bringen. Das in Bosnien absolvierte Studium folgt außerdem einer im Akt dahingehend einliegenden, ins Deutsche übersetzten Bestätigung.
Der Beginn und das erfolgreiche Betreiben des Studiums "Transkulturelle Kommunikation" ist der im Akt befindlichen Bestätigung zu entnehmen, welche vom 10.09.2018 datiert.
Die rechtskräftige Abweisung ihres Verlängerungsantrages im Hinblick auf die Aufenthaltsbewilligung "Studierende" ergibt sich aus einer im Akt diesbezüglich befindlichen Erkenntniskopie des LVwG Steiermark. Dass die BF aus diesem Grund den gegenständlichen Antrag gemäß § 55 Abs. 1 AsylG gestellt hat, folgt ihren eigenen Angaben in der Einvernahme vor dem BFA.
Die bisher ausgeübten Beschäftigungen sind aus dem Inhalt des auf die Person der BF lautenden Sozialversicherungsdatenauszuges ersichtlich. Die Selbstversicherung ist ferner der vorgelegten Sozialversicherungskarte zu entnehmen. Hieraus ergibt sich auch, dass die BF bisher keine Sozialleistungen bezogen hat.
Das positive Echo von Personen aus ihrem Umfeld ist aus den zahlreichen im Akt einliegenden Unterstützungsschreiben - darunter auch des Hauptarbeitgebers (XXXX bzw. XXXX) - ersichtlich. Dieser erteilte der BF auch eine Wiedereinstellungszusage.
Die Deutschkenntnisse des Niveaus "C1" ergeben sich aus dem Umstand, dass die BF dieses Niveau für den Beginn eines Studiums in Österreich unabdingbar benötigt und die BF dies auch im Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gemäß § 55 AsylG angegeben hat.
Die strafrechtliche Unbescholtenheit der BF ergibt sich aus dem Amtswissen des erkennenden Gerichtes durch Einsichtnahme in das Strafregister der Republik Österreich.
Gesundheitszustand und Arbeitsfähigkeit folgen den Angaben der BF in deren Einvernahme und deutet auch die aktuelle Einstellungszusage darauf hin.
Der Bescheid des Bundesamtes enthält zwar in weiten Zügen umfassende rechtliche Ausführungen aus Judikaten des EGMR und VwGH, geht jedoch in zu geringem Maße auf die individuelle Situation der BF ein. Es entspricht zwar den Tatsachen, dass die in den §§ 55 ff AsylG vorgesehenen Rechtsinstitute nicht als "Ersatz" für die im NAG vorgesehenen Aufenthaltsbewilligungen anzusehen sind. Dennoch muss in jedem einzelnen Fall - so auch hier - unter dem Blickwinkel der in § 55 AsylG für den Erwerb der dort angeführten Aufenthaltsberechtigung normierten Voraussetzungen geprüft werden, ob diese vorliegen. Die Abstellung der belangten Behörde bloß auf die Aufenthaltsdauer und die Unterstellung, die BF handle in Umgehung der Normen des NAG, stellte eine zu enge Sicht der Dinge dar. Das Bundesamt "zerlegte" vielmehr die in § 9 BFA-VG statuierten Anforderungen in Einzelteile, erachtete die fortwährende geringfügige Beschäftigung - dies entgegen den Aufzeichnungen im Sozialversicherungsdatenauszug - als für eine Integration zu wenig, formulierte die Unterstützungsschreiben als eine Art Wunschvorstellung und verwies auf den mangelnden Studienerfolg. Dies lässt jedoch eine Gesamtbetrachtung der Situation vermissen, welche vorliegend jedoch unabdingbar gewesen wäre, was noch in der rechtlichen Beurteilung zu zeigen sein wird.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A):
3.1. Zur Stattgabe der Beschwerde:
3.1.1. Der mit "Rückkehrentscheidung" betitelte § 52 FPG lautet:
§ 52. (1) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich
1. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder
2. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und das Rückkehrentscheidungsverfahren binnen sechs Wochen ab Ausreise eingeleitet wurde.
(2) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn
1. dessen Antrag auf internationalen Schutz wegen Drittstaatsicherheit zurückgewiesen wird,
2. dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,
3. ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder
4. ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird
und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.
(3) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 AsylG 2005 zurück- oder abgewiesen wird.
(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn
1. nachträglich ein Versagungsgrund gemäß § 60 AsylG 2005 oder § 11 Abs. 1 und 2 NAG eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels entgegengestanden wäre,
1a. nachträglich ein Versagungsgrund eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Einreisetitels entgegengestanden wäre oder eine Voraussetzung gemäß § 31 Abs. 1 wegfällt, die für die erlaubte visumfreie Einreise oder den rechtmäßigen Aufenthalt erforderlich ist,
2. ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 oder 2 NAG erteilt wurde, er der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht und im ersten Jahr seiner Niederlassung mehr als vier Monate keiner erlaubten unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,
3. ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 oder 2 NAG erteilt wurde, er länger als ein Jahr aber kürzer als fünf Jahre im Bundesgebiet niedergelassen ist und während der Dauer eines Jahres nahezu ununterbrochen keiner erlaubten Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,
4. der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund (§ 11 Abs. 1 und 2 NAG) entgegensteht oder
5. das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, aus Gründen, die ausschließlich vom Drittstaatsangehörigen zu vertreten sind, nicht rechtzeitig erfüllt wurde.
Werden der Behörde nach dem NAG Tatsachen bekannt, die eine Rückkehrentscheidung rechtfertigen, so ist diese verpflichtet dem Bundesamt diese unter Anschluss der relevanten Unterlagen mitzuteilen. Im Fall des Verlängerungsverfahrens gemäß § 24 NAG hat das Bundesamt nur all jene Umstände zu würdigen, die der Drittstaatsangehörige im Rahmen eines solchen Verfahrens bei der Behörde nach dem NAG bereits hätte nachweisen können und müssen.
(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes auf Dauer rechtmäßig niedergelassen war und über einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EU" verfügt, hat das Bundesamt eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 die Annahme rechtfertigen, dass dessen weiterer Aufenthalt eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde.
(6) Ist ein nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältiger Drittstaatsangehöriger im Besitz eines Aufenthaltstitels oder einer sonstigen Aufenthaltsberechtigung eines anderen Mitgliedstaates, hat er sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses Staates zu begeben. Dies hat der Drittstaatsangehörige nachzuweisen. Kommt er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach oder ist seine sofortige Ausreise aus dem Bundesgebiet aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich, ist eine Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 zu erlassen.
(7) Von der Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 ist abzusehen, wenn ein Fall des § 45 Abs. 1 vorliegt und ein Rückübernahmeabkommen mit jenem Mitgliedstaat besteht, in den der Drittstaatsangehörige zurückgeschoben werden soll.
(8) Die Rückkehrentscheidung wird im Fall des § 16 Abs. 4 BFA-VG oder mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar und verpflichtet den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland gemäß unionsrechtlichen oder bilateralen Rückübernahmeabkommen oder anderen Vereinbarungen oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde. Im Falle einer Beschwerde gegen eine Rückkehrentscheidung ist § 28 Abs. 2 Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 auch dann anzuwenden, wenn er sich zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung nicht mehr im Bundesgebiet aufhält.
(9) Mit der Rückkehrentscheidung ist gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.
(10) Die Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 kann auch über andere als in Abs. 9 festgestellte Staaten erfolgen.
(11) Der Umstand, dass in einem Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung deren Unzulässigkeit gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG festgestellt wurde, hindert nicht daran, im Rahmen eines weiteren Verfahrens zur Erlassung einer solchen Entscheidung neuerlich eine Abwägung gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG vorzunehmen, wenn der Fremde in der Zwischenzeit wieder ein Verhalten gesetzt hat, das die Erlassung einer Rückkehrentscheidung rechtfertigen würde
Der mit "Schutz des Privat- und Familienlebens" betitelte § 9 BFA-VG idgF lautet:
"§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.
(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, darf eine Rückkehrentscheidung nicht erlassen werden, wenn
1. ihm vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311, verliehen hätte werden können, es sei denn, eine der Voraussetzungen für die Erlassung eines Einreiseverbotes von mehr als fünf Jahren gemäß § 53 Abs. 3 Z 6, 7 oder 8 FPG liegt vor, oder
2. er von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist.
(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.
(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt."
3.1.2. Der mit "Aufenthaltsberechtigung aus Gründen des Art 8 EMRK betitelte § 55 AsylG lautet:
§ 55. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn
1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und
2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955) erreicht wird.
(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen
3.1.3. Das Recht auf Privatleben schützt unter anderem sowohl die individuelle Selbstbestimmung und persönliche Identität als auch die freie Gestaltung der Lebensführung. Zum schützenswerten Privatleben gehören die gewachsenen, persönlichen, sozialen und wirtschaftlichen Bindungen. So können persönliche Beziehungen, die nicht unter "Familienleben" fallen, sehr wohl als "Privatleben" relevant sein. Eine den Schutz des Privatlebens auslösende Verbindung kann insbesondere für solche Ausländer in Betracht kommen, deren Bindung an Österreich aufgrund eines Hineinwachsens in die hiesigen Verhältnisse mit gleichzeitiger Entfremdung vom Heimatland quasi Österreichern gleichzustellen ist. Ihre Situation ist dadurch gekennzeichnet, dass Österreich faktisch das Land ist, zu dem sie gehören, während sie mit ihrem Heimatland nur noch das formale Band der Staatsbürgerschaft verbindet (vgl. EGMR 26.03.1993 im Fall Bldjoudi und 26.09.1997 im Fall Mehemi gg. Frankreich). Voraussetzung dafür wuird sein, dass das Privat- und Familienleben in Österreich fest verankert ist. Der Besuch eines Deutschkureses oder eine Berufsausbildung allein wird somit noch kein schützenswertes Privatleben begründen (zu alldem siehe Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer - Asyl- und Fremdenrecht, Kommentar im Nw Verlag, Seite 99, K27).
3.1.3. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich:
Die BF hat ihren Lebensmittelpunkt im Jahr 2014 nach Österreich verlegt. Sie hat - abgesehen von einer rund dreiwöchigen Unterbrechung, während derer sie Arbeitslosenentgelt bezog - nahezu durchgehend im Bundesgebiet gearbeitet und absolviert/e zugleich ein Studium. Auch wenn die dahingehenden Bestrebungen der BF im Hinblick auf die in § 64 Abs. 3 NAG vorgesehenen Anforderungen nicht den gewünschten Erfolg zeitigten, legte sie jedenfalls von Beginn ihres Aufenthaltes an ihren Integrationswillen dar, der sich auch im Inhalt der zahlreichen Unterstützungserklärungen manifestiert. Vor diesem Hintergrund und der immer loseren Bindungen zu ihrem Heimatland ist auch von einer Verlagerung ihrer Lebensinteressen nach Österreich auszugehen, ist ihrem Ansinnen zu entnehmen, dass sie seit ihrer Einreise die Absicht hatte, nicht mehr nach Bosnien-Herzegowina zurückzukehren. Die BF erfüllt auch die Voraussetzungen sowohl des § 55 Abs. 1 Z 1 (Aufrechterhaltung des Privatlebens) als auch der Z 2 (vorhandene Deutschkenntnisse) und scheitert eine weitere Anstellung als unselbständig Erwerbstätige derzeit nur am Fehlen einer Aufenthaltsbewilligung. Dass die BF sofort wieder beschäftigt werden könnte folgt, wie bereits erwähnt, der Einstellungszusage der XXXX. In Summe erfüllt die BF nicht nur die gesetzlichen Voraussetzungen sondern ist ihr ein überdurchschnittlicher Integrationswille zu attestieren. Dies im Einklang mit der unter 3.1.3. wiedergegebenen Meinung der herrschenden Lehre.
Der bekämpfte Bescheid war daher aufzuheben und spruchgemäß zu entscheiden.
3.2. Entfall der mündlichen Verhandlung:
Da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint, konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFAVG eine mündliche Verhandlung unterbleiben.
Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) hat mit Erkenntnis vom 28.05.2014,
Zahl Ra 2014/20/0017 und 0018-9, für die Auslegung der in § 21 Abs. 7 BFA-VG enthaltenen Wendung "wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint" unter Bezugnahme auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes (VfGH) vom 12.03.2012, Zl. U 466/11 ua., festgehalten, dass der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen muss. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFAVG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Schließlich ist auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen.
Im gegenständlichen Fall ist dem angefochtenen Bescheid ein umfassendes Ermittlungsverfahren durch die belangte Behörde vorangegangen. Für eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens ergeben sich aus der Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes keinerlei Anhaltspunkte. Vielmehr wurde den Grundsätzen der Amtswegigkeit, der freien Beweiswürdigung, der Erforschung der materiellen Wahrheit und des Parteiengehörs entsprochen. So ist die belangte Behörde ihrer Ermittlungspflicht hinreichend nachgekommen. Der entscheidungswesentliche Sachverhalt wurde nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens unter schlüssiger Beweiswürdigung der belangten Behörde festgestellt und es wurde in der Beschwerde auch kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der belangten Behörde entgegenstehender oder darüber hinaus gehender Sachverhalt in konkreter und substantiierter Weise behauptet.
Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes konnte im vorliegenden Fall die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beim Bundesverwaltungsgericht gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG unterbleiben, weil der maßgebliche Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde samt Ergänzung geklärt war. Was das Vorbringen der BF in der Beschwerde betrifft, so findet sich in dieser kein neues bzw. kein ausreichend konkretes Tatsachenvorbringen, welches die Durchführung einer mündlichen Verhandlung notwendig gemacht hätte.
Zu Spruchteil B):
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.
Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.
Schlagworte
Aufenthaltsberechtigung plus, Behebung der Entscheidung,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:G307.2203602.1.00Zuletzt aktualisiert am
07.01.2019