TE Bvwg Erkenntnis 2018/10/16 W116 2188090-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.10.2018
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Entscheidungsdatum

16.10.2018

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
BFA-VG §21 Abs7
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §24 Abs4
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W116 2188090-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Mario DRAGONI als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Syrien, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.06.2017, Zl. 1102439206-160080993, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1.1. Die Beschwerdeführerin, eine syrische Staatsbürgerin, Kurdin und Sunnitin, stellte nach illegaler Einreise am 15.01.2016 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Im Zuge der am folgenden Tag durchgeführten Erstbefragung gab die Beschwerdeführerin zu ihren Fluchtgründen im Wesentlichen an, dass sie ihr Heimatland wegen dem Krieg verlassen habe und weil es dort keine Sicherheit mehr gegeben habe. Bei einer allfälligen Rückkehr habe sie Angst um ihr Leben. Das Vorliegen konkreter Hinweise auf eine ihr drohende unmenschliche Behandlung, Strafe oder die Todesstrafe bzw. irgendwelche Sanktionen verneinte sie.

1.2. Am 24.10.2016 wurde die Beschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die arabische Sprache niederschriftlich einvernommen. Dabei gab sie im Wesentlichen an, dass sie von 2011 bis 2015 als Mathematiklehrerin an drei näher genannten Schulen gearbeitet habe und ohne Angabe von Gründen gekündigt worden sei. Sie habe ihre Eltern im Irak besucht und sei nach ihrer Rückkehr nach Syrien gekündigt worden. Der Grund sei ihrer Ansicht nach ihre Mitarbeit in einem Frauenhaus. Sie wisse es aber nicht. Anfangs habe sie an ihren Besuch im Irak gedacht. Eine Freundin habe jedoch gemeint, dass es wegen dem Frauenhaus sein könnte. Es seien auch 25 andere (Lehrkräfte) gekündigt worden, jedoch seien die alle politisch aktiv gewesen. Sie selbst sei nie politisch aktiv gewesen und habe sich auch nicht religiös betätigt. Zu ihrem Fluchtgrund brachte sie zusammenfassend vor, dass sie wegen dem Krieg ausgereist sei und weil sie von ihrer Schule gekündigt worden sei. Außerdem sei sie verlobt und ihr Verlobter würde hier im Bundesgebiet wohnen, sodass sie auch deswegen nach Österreich gewollt habe. Nach weiteren Fluchtgründen oder allfälligen Ergänzungen befragt, antwortete sie mit nein und erklärte, dass sie alles gesagt habe. Ergänzend teilte sie mit, dass sie bei ihrem Verlobten gewohnt, aber wieder ausziehen habe müssen, da er sonst kein Sozialgeld bekommen hätte. Sie sei zwar noch verlobt, es würde jedoch keine Beziehung mehr bestehen. Zur Lage der Frauen in ihrem Heimatort teilte sie mit, dass es im Moment sehr gefährlich geworden sei und jederzeit etwas passieren könne. Sie sei immer mit einer Begleitperson zur Schule gegangen. Es habe sich niemand getraut, alleine hinzugehen. Sie habe Angst wegen des Krieges gehabt, es würde auch Entführungen geben. Sie kenne kein Opfer persönlich, habe aber davon gehört, dass es in ihrer Gegend zu sehr vielen Entführungen gekommen sei. Auf nachfrage verneinte sie, jemals persönlich bedroht oder aus rassistischen, politischen, religiösen bzw. anderen Gründen verfolgt worden zu sein. Auch als Kurdin habe sie keine Probleme gehabt. Auf die Frage, warum sie erst jetzt geflohen sei, erklärte sie, dass es in ihrer Ortschaft früher ruhig und sicher gewesen wäre, aber in letzter Zeit sei alles schlechter geworden. Sie habe an einer friedlichen Kundgebung teilgenommen, es sei dabei aber nicht um ein politisches Thema, sondern um Gewalt gegen Kinder gegangen. Zu ihren Rückkehrbefürchtungen teilte sie mit, dass sie nicht wisse was passieren würde, aber Angst um ihr Leben habe. Sie sei nie mit dem Gesetz in Konflikt geraten oder strafrechtlich verurteilt worden.

1.3. Am 31.01.2018 wurde die Beschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die kurdische Sprache erneut niederschriftlich einvernommen. Dabei brachte sie im Wesentlichen vor, dass ihre Familie seit rund vier Jahren im Irak leben würde und nicht nach Syrien zurückkehren könne. Sie sei mit dem Vater ihres Kindes nach islamischen Recht verheiratet. Sie hätten nicht zusammengelebt, aber weiterhin eine Beziehung geführt. Sie seien lediglich verlobt gewesen. Sie würde seit rund eineinhalb Jahren, seit ihrer Hochzeit nach islamischen Recht, mit ihrem Mann in einem gemeinsamen Haushalt leben. Sie sei Mathematiklehrerin gewesen und gekündigt worden. Ihr Leben sei in Gefahr und ihr Vater sei bei einer politischen Partei tätig gewesen. Sie sei ganz alleine in Syrien gewesen und es habe keine Sicherheit bzw. Stabilität gegeben. Sie werde nicht persönlich bedroht, aber ihr Vater sei verfolgt worden. Deshalb sei er auch mit der Familie in den Irak geflohen. Sie sei nie mit dem Gesetz in Konflikt geraten oder strafrechtlich verurteilt worden und habe auch nie Probleme mit den syrischen Behörden (Polizei, Gericht, Innenministerium u.a.) gehabt. Ebenso sei sie nie aus religiösen Gründen, aus Gründen der Rasse, wegen ihrer Nationalität oder ihrer politischen Gesinnung verfolgt worden. Sie sei Mitglied eines Vereins kurdischer Frauen in Syrien gewesen, den ihre Mutter gegründet habe, nicht jedoch bei einer politischen Partei. Es würde sich dabei um eine zivile Institution und kein Frauenhaus handeln. Dieser Verein setze sich für die Gleichbehandlung und Rechte der Frauen ein. Beim Begriff "Frauenhaus" im Protokoll der letzten Einvernahme handle es sich möglicherweise um einen Übersetzungsfehler. Auf die Frage, ob sie in diesem Zusammenhang jemals persönlich bedroht worden sei, teilte sie mit, dass sie damals den Grund für ihre Entlassung nicht gekannt habe. Später sei ihr dann von einem Mitglied des Vereins gesagt worden, dass ihre Mitgliedschaft der Grund für ihre Entlassung gewesen wäre. Eine Bedrohung der Vereinsmitglieder verneinte sie ebenso wie eine Verfolgung aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe.

2. Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl:

2.1. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.06.2017, am 07.02.2018 durch Hinterlegung zugestellt, wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde der Beschwerdeführerin der Status einer subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihr gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 31.01.2019 erteilt (Spruchpunkt III.).

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl traf herkunftsstaatsbezogene Feststellungen zur allgemeinen Lage in Syrien, stellte die Identität der Beschwerdeführerin nicht fest und begründete im angefochtenen Bescheid die abweisende Entscheidung im Wesentlichen damit, dass es der Beschwerdeführerin letztlich nicht gelungen sei, ein fundiertes und substantiiertes Vorbringen rund um etwaige Fluchtgründe im Herkunftsland darzulegen. Nach ihren Angaben im Rahmen der Erstbefragung habe sie Syrien ausschließlich aufgrund des Krieges und wirtschaftlicher Erwägungen (mangelnde Arbeitsmöglichkeiten, schlechte Wirtschafts- und Sicherheitslage und absolut keine Zukunftsperspektive) verlassen. Insgesamt seien ihre Angaben sehr allgemein gehalten und ohne jedwede Substanz gewesen; sie sei von sich aus nicht in die Tiefe gegangen, um ihr Vorbringen so zu untermauern, dass es als glaubhaft einzustufen gewesen wäre. Sie sei trotz mehrfacher Aufforderungen auch nicht im Stande gewesen, Einzelheiten und Details anzuführen. Sie habe höchst vage und allgemein eine Verbindung zwischen ihrer Kündigung und ihrer Tätigkeit "beim Frauenhaus" in den Raum gestellt, sei aber auch auf explizite Nachfrage nicht im Stande gewesen, ein konkretes und nachvollziehbares Vorbringen darzulegen. Sie habe in diesem Zusammenhang auch weder eine direkte Bedrohung gegen ihre Person noch gegenüber Mitgliedern des Vereins behauptet. Aber selbst bei einer hypothetischen Wahrunterstellung ihres Vorbringens würde die von ihr geschilderte Bedrohung nicht die Intensität erreichen, um eine wohlbegründete Furcht auslösen zu können. Aufgrund der momentanen Lage in ihrem Herkunftsstaat sei ihr jedoch subsidiärer Schutz zu gewähren.

2.2. Mit Verfahrensanordnung gemäß § 63 Abs. 2 AVG vom 01.02.2018 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG der Verein Menschenrechte Österreich als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.

2.3. Gegen Spruchpunkt I. des oben genannten Bescheides wurde fristgerecht Beschwerde erhoben, welche am 01.03.2018 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einlangte. In dieser wird im Wesentlichen ausgeführt, dass sie als Mathematiklehrerin gekündigt worden sei, weil sie Kurdin und Mitglied des Vereins der kurdischen Frauen in Syrien (gewesen) sei. Sie habe auch an dessen Demonstrationen teilgenommen. Darüber hinaus habe sie ihr Heimatland wegen der ständigen Kämpfe und aus Angst verlassen, so wie viele andere Mädchen entführt zu werden. Weiters werden Auszüge aus internationalen Berichten zur prekären Lage der Frauen und der Kurden in Syrien angeführt. Diesen zufolge seien Frauen schweren geschlechterspezifischen Verfolgungen und Unterdrückungsmaßnahmen ausgesetzt, die der Verfolgung einer sozialen Gruppe gleichkommen würden. Auch die kurdische Minderheit würde schon seit langem unter ihrer Unterdrückung leiden und auch weiterhin auf aggressive Weise zur Assimilation gedrängt werden. Wesentlich sei die Tatsache, dass die Beschwerdeführerin als Frau in Syrien Teil einer "sozialen Gruppe" und als Kurdin Teil einer ethnischen Minderheit sei und ihr somit der Flüchtlingsstatus gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention zukommen hätte sollen. Aus den bereits angeführten Länderinformationen würde die Situation der Frauen und die Diskriminierung, die sie u.a. in Syrien erleiden müssten, deutlich hervorgehen. Zur Annahme der Behörde, dass die Beschwerdeführerin wegen des Besuchs der Eltern im Irak gekündigt worden sei, wird auf ihre Angaben hingewiesen, wonach sie in der Schule gewesen sei, als sie vom Direktor gekündigt worden sei. Ferner seien auch 25 andere Kolleginnen gekündigt worden, die politisch aktiv gewesen seien. Weiters habe sie in der Einvernahme von "Mala Jina" gesprochen, was wörtlich als "Frauenhaus" übersetzt worden sei, obwohl dies (eigentlich) der Name des obgenannten Vereins sei. Bei einer Rückkehr nach Syrien würde die Beschwerdeführerin aufgrund ihrer Flucht, ihres Geschlechts und ihrer Ethnie um ihr Leben fürchten müssen. Durch die Zugehörigkeit zu dieser sozialen Gruppe und ethnischen Minderheit seien im gegenständlichen Fall Asylgründe im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention gegeben.

3. Das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht:

Die gegenständliche Beschwerde wurde gemeinsam mit den Verwaltungsakten am 05.03.2018 dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Entscheidungswesentlicher Sachverhalt:

Auf Grundlage des Antrages auf internationalen Schutz vom 15.01.2016, der Einvernahmen der Beschwerdeführerin durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und der Einsichtnahme in die bezughabenden Verwaltungsakten werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1.1. Zur Person und zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführerin:

Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige von Syrien und Angehörige der Volksgruppe der Kurden. Sie bekennt sich zum sunnitischen Islam. Die Identität der Beschwerdeführerin steht fest. Sie ist nicht standesamtlich verheiratet.

Die Beschwerdeführerin hat Syrien am XXXX illegal von XXXX aus in Richtung Türkei verlassen und ist acht Tage später nach Athen (Griechenland) weitergereist. Anschließend ist sie über Mazedonien, Serbien, Kroatien und Slowenien schließlich illegal nach Österreich eingereist, wo sie in der Folge am 15.01.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat.

Die Beschwerdeführerin stammt aus XXXX , Hasaka und hat dort gelebt. Sie verließ zum oben angegebenen Zeitpunkt aufgrund der Bürgerkriegssituation Syrien. Sie gab im Wesentlichen an, dass sie wegen dem Krieg und ihrer Kündigung von der Schule, in der sie gearbeitet habe, ausgereist sei. Außerdem habe sie zu ihrem im Bundesgebiet lebenden Verlobten reisen wollen. Schließlich erwähnte sie die Teilnahme an einer friedlichen und unpolitischen Demonstration und berichtete von häufigen Entführungen in ihrer Heimatregion.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführerin in Syrien mit hinreichender Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung auf Grund ihrer ethnischen, religiösen, staatsbürgerlichen oder Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe bzw. wegen ihrer politischen Gesinnung durch das syrische Regime bzw. den syrischen Staat bzw. durch den (jeweiligen) Machthaber im Herkunftsgebiet droht.

Die Beschwerdeführerin lebt in Österreich als subsidiär Schutzberechtigte. Sie ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zur maßgeblichen Situation in Syrien:

Aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 25. Jänner 2018, letzte Kurzinformation eingefügt am 24.08.2018, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, wird auszugsweise wie folgt angeführt:

Politische Lage

Die Familie al-Assad regiert Syrien bereits seit über 50 Jahren, seit Hafez al-Assad 1963 mit fünf anderen Offizieren einen Staatsstreich durchführte und sich dann 1971 als der Herrscher Syriens ernannte. Nach seinem Tod im Jahr 2000 übernahm sein Sohn, der jetzige Präsident Bashar al-Assad diese Position. Seit dieser Zeit haben Vater und Sohn keine politische Opposition geduldet. Jegliche Versuche eine politische Alternative zu schaffen wurden sofort unterbunden, auch mit Gewalt (USCIRF 26.4.2017). 2014 wurden Präsidentschaftswahlen abgehalten, welche zur Wiederwahl von Präsident Assad führten (USDOS 3.3.2017). Bei dieser Wahl gab es erstmals seit Jahrzehnten zwei weitere mögliche, jedoch relativ unbekannte, Kandidaten. Die Präsidentschaftswahl wurde nur in den von der Regierung kontrollierten Gebieten abgehalten, wodurch ein großer Teil der syrischen Bevölkerung nicht an der Wahl teilnehmen konnte. Die Wahl wurde als undemokratisch bezeichnet. Die syrische Opposition bezeichnete sie als "Farce" (Haaretz 4.6.2014; vgl. USDOS 13.4.2016).

Die syrische Verfassung sieht die Baath-Partei als die regierende Partei vor und stellt sicher, dass sie die Mehrheit in allen Regierungs- und Volksverbänden hat (USDOS 3.3.2017). Am 13.4.2016 fanden in Syrien Parlamentswahlen statt. Das Parlament wird im Vier-Jahres-Rhythmus gewählt, und so waren dies bereits die zweiten Parlamentswahlen, welche in Kriegszeiten stattfanden (Reuters 13.4.2016; vgl. France24 17.4.2017). Die in Syrien regierende Baath-Partei gewann gemeinsam mit ihren Verbündeten unter dem Namen der Koalition der "Nationalen Einheit" 200 der 250 Parlamentssitze. Die syrische Opposition bezeichnete auch diese Wahl, welche erneut nur in den von der Regierung kontrollierten Gebieten stattfand, als "Farce". Jeder der 200 Kandidaten auf der Liste der "Nationalen Einheit" bekam einen Parlamentssitz. Die Vereinten Nationen gaben an, die Wahl nicht anzuerkennen (France24 17.4.2016). Die Verfassungsreform von 2012 lockerte die Regelungen bezüglich der politischen Partizipation anderer Parteien. In der Praxis unterhält die Regierung jedoch noch immer einen mächtigen Geheimdienst- und Sicherheitsapparat zur Überwachung von Oppositionsbewegungen, die sich zu ernstzunehmenden Konkurrenten zur Regierung Assads entwickeln könnten (FH 1.2017)

Seit 2011 tobt die Gewalt in Syrien. Aus anfangs friedlichen Demonstrationen ist ein komplexer Bürgerkrieg geworden, mit unzähligen Milizen und Fronten. Die tiefer liegenden Ursachen für den Konflikt sind die Willkür und Brutalität des syrischen Sicherheitsapparats, die soziale Ungleichheit und Armut vor allem in den ländlichen Gegenden Syriens, die weit verbreitete Vetternwirtschaft und nicht zuletzt konfessionelle Spannungen (Spiegel 10.8.2016). Die Arabische Republik Syrien existiert formal noch, ist de facto jedoch in vom Regime, von der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) und von anderen Rebellen-Fraktionen oder dem sogenannten Islamischen Staat (IS) kontrollierte Gebiete aufgeteilt (BS 2016). Der IS übernahm seit 2014 vermehrt die Kontrolle von Gebieten in Deir ez-Zour und Raqqa, außerdem in anderen Regionen des Landes und rief daraufhin ein "islamisches Kalifat" mit der Hauptstadt Raqqa aus (USDOS 3.3.2017). Mitte des Jahres 2016 kontrollierte die syrische Regierung nur ca. ein Drittel des syrischen Staatsgebietes, inklusive der "wichtigsten" Städte im Westen, in denen der Großteil der Syrer, die noch nicht aus Syrien geflohen sind, leben (Reuters 13.4.2016). Verschiedene oppositionelle Gruppen mit unterschiedlichen Ideologien und Zielen kontrollieren verschiedene Teile des Landes. Vielfach errichten diese Gruppierungen Regierungsstrukturen bzw. errichten sie wieder, inklusive irregulär aufgebauter Gerichte (USDOS 3.3.2017). Seit 2016 hat die Regierung große Gebietsgewinne gemacht, jedoch steht noch beinahe die Hälfte des syrischen Territoriums nicht unter der Kontrolle der syrischen Regierung. Alleine das Gebiet, welches unter kurdischer Kontrolle steht wird auf etwa ein viertel des syrischen Staatsgebietes geschätzt (DS 23.12.2017; vgl. Standard 29.12.2017).

Russland, der Iran, die libanesische Hisbollah-Miliz und schiitische Milizen aus dem Irak unterstützen das syrische Regime militärisch, materiell und politisch. Seit 2015 schickte Russland auch Truppen und Ausrüstung nach Syrien und begann außerdem Luftangriffe von syrischen Militärbasen aus durchzuführen. Während Russland hauptsächlich auf von Rebellen kontrollierte Gebiete abgezielt, führt die von den USA geführte internationale Koalition Luftangriffe gegen den IS durch (FH 27.1.2016; vgl. AI 24.2.2016).

Im Norden Syriens gibt es Gebiete, welche unter kurdischer Kontrolle stehen und von den Kurden Rojava genannt werden (Spiegel 16.8.2017). 2011 soll der damalige irakische Präsident Jalal Talabani ein Übereinkommen zwischen der syrischen Regierung, der iranischen Regierung und der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), deren Mitglieder die PYD gründeten, vermittelt haben: Im September 2011 stellte der iranische Arm der PKK, die Partei für ein Freies Leben in Kurdistan (Partiya Jiyana Azad a Kurdistanê - PJAK), ihren bewaffneten Kampf gegen den Iran ein. Etwa zur selben Zeit wurde die PYD in Syrien neu belebt. Informationen zahlreicher Aktivisten zufolge wurden bis zu zweihundert PKK-Kämpfer aus der Türkei und dem Irak sowie Waffen iranischer Provenienz nach Syrien geschmuggelt. Aus diesem Grundstock entwickelten sich die Volksverteidigungseinheiten (YPG). Ausgestattet mit einem bewaffneten Flügel begann die PYD, die kurdische Bevölkerung davon abzuhalten, sich effektiv an der Revolution zu beteiligen. Demonstrationen wurden aufgelöst, Aktivisten festgenommen, Büros des Kurdischen Nationalrats in Syrien, einer Dachorganisation zahlreicher syrisch-kurdischer Parteien, angegriffen. Auf diese Weise musste die syrische Armee keine "zweite Front" in den kurdischen Gebieten eröffnen und konnte sich auf die Niederschlagung der Revolution in anderen Gebieten konzentrieren. Als Gegenleistung zog das Baath-Regime Stück für Stück seine Armee und seinen Geheimdienst aus den überwiegend kurdischen Gebieten zurück. In der zweiten Jahreshälfte 2012 wurden ?Afrin, ?Ain al-?Arab (Kobanî) und die Dschazira von PYD und YPG übernommen, ohne dass es zu erwähnenswerten militärischen Auseinandersetzungen mit der syrischen Armee gekommen wäre (ES BFA 8.2017). Im März 2016 wurde die Democratic Federation of Northern Syria ausgerufen, die sich über Teile der Provinzen Hassakah, Raqqa und Aleppo und auch über Afrin erstreckte. Afrin steht zwar unter kurdischer Kontrolle, ist jedoch nicht mit dem Rest des kurdischen Gebietes verbunden (ICC 4.5.2017; vgl. IRIN 15.9.2017). Das von der PYD in den kurdischen Gebieten etablierte System wird von der PYD als "demokratische Autonomie" bzw. "demokratischer Konföderalismus" bezeichnet. "Demokratischer Konföderalismus" strebt danach, die lokale Verwaltung durch Räte zu stärken, von Straßen- und Nachbarschaftsräten über Bezirks- und Dorfräte bis hin zu Stadt- und Regionalräten. "Demokratischer Konföderalismus" muss somit als Form der Selbstverwaltung verstanden werden, in der Autonomie organisiert wird. Die Realität sieht allerdings anders aus. Tatsächlich werden in "Rojava" Entscheidungen weder von den zahlreichen (lokalen) Räten getroffen, noch von Salih Muslim und Asya Abdullah in ihrer Funktion als Co-Vorsitzende der PYD, stattdessen liegt die Macht bei der militärischen Führung im Kandilgebirge, die regelmäßig hochrangige Parteikader nach Syrien entsendet (ES BFA 8.2017 und ICC 4.5.2017). In den kurdischen Gebieten haben die Bürger durch die PYD auch Zugang zu Leistungen, wobei die Partei unter anderem die Bereitstellung von Leistungen nutzt, um ihre Macht zu legitimieren. Die Erbringung öffentlicher Leistungen variiert jedoch. In Gebieten, in denen die PYD neben Behörden der Regierung existiert, haben sich zahlreiche Institutionen entwickelt und dadurch wurden Parallelstrukturen geschaffen. In Gebieten in denen die PYD mehr Kontrolle besitzt, bleibt die Macht in der Hand der PYD zentralisiert, trotz den Behauptungen der PYD die Macht auf die lokale Ebene zu dezentralisieren (CHH 8.12.2016).

Noch sind die beiden größeren von Kurden kontrollierten Gebietsteile voneinander getrennt, das Ziel der Kurden ist es jedoch entlang der türkischen Grenze ein zusammenhängendes Gebiet unter ihre Kontrolle zu bringen (Spiegel 16.8.2016). Der Ton zwischen Assad und den an der Seite der USA kämpfenden syrischen Kurden hat sich in jüngster Zeit erheblich verschärft. Assad bezeichnete sie zuletzt als "Verräter". Das von kurdischen Kämpfern dominierte Militärbündnis der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) konterte, Assads Regierung entlasse "Terroristen" aus dem Gefängnis, damit diese "das Blut von Syrern jeglicher Couleur vergießen" könnten (Standard 29.12.2017).

Sicherheitslage

Der im März 2011 begonnene Aufstand gegen das Regime ist in eine komplexe militärische Auseinandersetzung umgeschlagen, die grundsätzlich alle Städte und Regionen betrifft. Nahezu täglich werden landesweit Tote und Verletzte gemeldet. Die staatlichen Strukturen sind in zahlreichen Orten zerfallen und das allgemeine Gewaltrisiko ist sehr hoch (AA 27.12.2017).

Grob gesagt stehen auf der Seite der syrischen Regierung Russland, der Iran, die libanesische Hisbollah und schiitische Milizen, die vom Iran im Irak, in Afghanistan und im Jemen rekrutiert werden. Auf der Seite der diversen Gruppierungen, die zur bewaffneten Opposition bzw. zu den Rebellen gehören, stehen die Türkei, die Golfstaaten, die USA und Jordanien, wobei diese Akteure die Konfliktparteien auf unterschiedliche Arten unterstützen. Zudem sind auch die Kurden in Nordsyrien und der sogenannte Islamische Staat (IS) am Konflikt beteiligt (BBC 7.4.2017).

Mitte September des Jahres 2016 wurde von den USA und Russland, nach monatelangen Gesprächen, eine Waffenruhe ausgehandelt. Diese sollte ermöglichen, dass humanitäre Hilfe die Kampfgebiete erreichen kann; ausserdem sollte den Luftangriffen des syrischen Regimes auf die Opposition Einhalt geboten werden. Die Waffenruhe sollte sieben Tage bestehen und galt für das syrische Regime und die Rebellen, jedoch nicht für die terroristischen Gruppierungen "Islamischer Staat" (IS) und Jabhat Fatah ash-Sham (CNN 12.9.2016). Es soll in verschiedenen Gebieten mehr als 300 Verstöße gegen die Waffenruhe gegeben haben. Nach ungefähr einer Woche wurde die Waffenruhe von der syrischen Armee bzw. vom syrischen Regime für beendet erklärt. In dieser Zeit konnten keine humanitären Hilfslieferungen die Kampfgebiete erreichen (Zeit 19.9.2016).

Die türkischen Militäroperationen

Seit August 2016 ist die Türkei im Rahmen der "Operation Euphrates Shield" in Syrien aktiv. Die Operation wurde gestartet, um sowohl gegen den IS als auch gegen die kurdischen Einheiten, die entlang der syrisch-türkischen Grenze aktiv sind, vorzugehen. Seitdem haben türkische Einheiten mit verbündeten syrischen Einheiten, die hauptsächlich aus gegenüber dem syrischen Regime oppositionell eingestellten Arabern und Turkmenen bestehen, den IS bekämpft. Es gab jedoch auch Zusammenstöße mit kurdisch geführten Einheiten. Im März 2017 wurde Operation Euphrates Shield für erfolgreich beendet erklärt, es wurden jedoch keine Informationen bekannt gegeben, wann oder ob die türkischen Einheiten sich zurückziehen würden. Im Oktober 2017 gab der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan eine neue Operation in der syrischen Provinz Idlib bekannt, deren Ziel es ist die Ausbreitung von kurdischen und al-Qaida-Einheiten entlang der türkischen Grenze zu verhindern (CRS 13.10.2017 und BBC News 13.10.2017).

Der türkische Präsident Erdogan verschärfte Ende Dezember 2017 seinen Ton gegenüber dem syrischen Präsidenten. Die Türkei forderte lange, dass Assad nicht an der Macht bleiben dürfe, konzentrierte sich aktuell aber mehr auf die Bedrohung durch bewaffnete Islamisten und die kurdischen Kämpfer, die sie als mit der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) verbündet sieht. Trotz der Differenzen mit Russland und dem Iran hat die Türkei mit den beiden Staaten an einer politischen Lösung für Syrien gearbeitet. Nun nannte Erdogan Assad einen Terroristen und sagte, dass der Friedensprozess in Syrien nicht mit Assad an der Macht fortgesetzt werden könnte (Reuters 27.12.2017b). Im Januar 2018 drohte der türkische Präsident mit einer Militäroperation in Afrin, einem der drei selbsternannten autonomen Kantone unter der Kontrolle kurdischer Einheiten und deren Verbündeten. Die kurdischen und türkischen Einheiten haben einander des gegenseitigen Beschusses beschuldigt (DS 17.1.2018; vgl. ISW 16.1.2018). Wenig später, am 20.1.2018 begann eine Offensive der Türkei gegen die kurdisch kontrollierte Stadt Afrin. Erdogan kündigte außerdem an, auch Manbij angreifen zu wollen (Standard 20.1.2018; vgl. Zeit 23.1.2018). Die "Operation Olivenzweig" begann mit Artillerie- und Luftangriffen auf Stellungen der YPG in der Region Afrin, denen eine Bodenoffensive folgte (Presse 24.1.2018). Als Motiv für den türkischen Einmarsch im Grenzgebiet haben mehrere arabische Medien die lang erklärte Absicht Ankaras herausgestrichen, eine etwa 30 Kilometer tiefe Sicherheitszone einzurichten und dort bis zu 3,5 Millionen syrische Flüchtlinge anzusiedeln (Standard 22.1.2018).

Versöhnungsabkommen

Die sogenannten Versöhnungsabkommen sind Vereinbarungen, die ein Gebiet, das zuvor unter der Kontrolle einer oppositionellen Gruppierung stand, offiziell wieder unter die Kontrolle des Regimes bringen. Die Regierung bietet, meist nach schwerem Beschuss oder Belagerung, ein Versöhnungsabkommen an, das an verschiedene Bedingungen geknüpft ist. Diese Bedingungen unterscheiden sich von Abkommen zu Abkommen. Manche der Vereinbarungen besagen z.B., dass Personen bzw. Kämpfer, welche sich nicht den Bedingungen der Vereinbarung unterwerfen wollen, mit ihren Familien nach Idlib evakuiert werden. Die übrigen Personen können 6 Monate lang eine Amnestie nutzen und können sich in dieser Zeit stellen, um den Militärdienst abzuleisten. Manche Vereinbarungen besagen auch, dass Männer nicht an die Front geschickt werden, sondern stattdessen bei der örtlichen Polizei eingesetzt werden. Es ist auch möglich, dass sich Personen im zurückgewonnenen Gebiet verpflichten müssen, der Regierung zur Verfügung zu stehen, für diese zu spionieren oder Ähnliches. Berichten zufolge wurden solche Zusagen von der Regierung aber bisweilen auch gebrochen, was jedoch schwer zu beweisen ist. Ein Beispiel für ein Versöhnungsabkommen waren die im März 2017 begonnenen Verhandlungen mit der Regierung über den Distrikt al-Waer in Homs. Vereinbarungen über die Freilassung von Gefangenen in der Stadt Homs durch die Regierung wurden jedoch nicht eingehalten. Nach schweren Luftschlägen durch die Regierung und nachdem auf die Freilassung der Gefangenen verzichtet wurde, wurde im April doch noch ein Abkommen erzielt, und die aufständischen Kämpfer mit ihren Familien evakuiert. Ein weiteres Beispiel für ein Versöhnungsabkommen ist die Stadt al-Sanamayn im Norden der Provinz Dara'a. Hier stellten sich mehrere bewaffnete Fraktionen, die in der Stadt aktiv waren, stellvertretend für die Bevölkerung der Stadt unter die Kontrolle des Regimes. Im Gegenzug dafür erlaubte die Regierung den Gruppierungen, als Sicherheitskräfte in der Stadt zu fungieren, und gestand zu, sich nicht in Sicherheitsfragen einzumischen. Bewohnern der Stadt zufolge blieb die Situation nach dem Versöhnungsabkommen jedoch weitgehend unverändert, da die Stadt nach Belagerung durch Regierungseinheiten, bereits zuvor ein Waffenstillstandsabkommen mit der Regierung geschlossen hatte. Die in al-Sanamayn tätigen Gruppierungen existieren somit immer noch und behielten außerdem den Großteil ihrer Waffen, greifen jedoch die Regierungseinheiten nicht mehr an. Die zuvor meist politisch motivierten Fraktionen sind nun eher mit einzelnen Klans verbunden. Zusätzlich existieren außerdem bewaffnete Banden. Zwischen diesen Fraktionen, den Banden und auch der Regierung kommt es immer wieder zu Zusammenstößen, die aber eher auf individuellen Vorfällen basieren (z.B. in Form von Vergeltungsmaßnahmen für Festnahmen, Entführungen, Mord oder Schutzgelderpressungen etc.). So kommt es trotz des Versöhnungsabkommens immer wieder zu sicherheitsrelevanten Vorfällen (BFA 8.2017).

Deeskalationszonen

Im Mai 2017 unterzeichneten Russland, der Iran und die Türkei im Rahmen der Gespräche in der kasachischen Hauptstadt Astana ein Abkommen, das die Einrichtung von sogenannten Deeskalationszonen vorsieht (BFA 8.2017). Die Deeskalationszonen sind jedoch keine vollkommen neue Strategie, sondern müssen als Fortsetzung der "Versöhnungsstrategie", die das Assad-Regime im Angesicht mehrerer fehlgeschlagener Vereinbarungen zu Waffenruhen anwendet, gesehen werden. Das Ziel bleibt jedoch unverändert "unversöhnliche" Bewaffnete Akteure und politische Gegner zu entfernen oder zu neutralisieren und die Gebiete wieder unter Regimekontrolle zu bringen (DS 23.9.2017).

Weder die syrische Regierung, noch die Opposition unterzeichneten das Abkommen von Astana. Die Gruppe Jabhat Fatah ash-Sham (ehemals Jabhat al-Nusra) ist von den Vereinbarungen ausgenommen. Also wird die Regierung Gebiete, in denen Jabhat Fatah ash-Sham aktiv ist, weiterhin bombardieren. Auch der IS ist von der Vereinbarung ausgenommen: Die syrische Regierung gab an, weiterhin gegen "Terroristen" zu kämpfen, und auch die von den USA geleitete Kampagne wird weiterhin den IS mit Luftschlägen bekämpfen. Die Deeskalationszonen erlauben es der Regierung, ihre Truppen neu zu organisieren. Es gibt noch keinen klaren Mechanismus, um Konflikte zu lösen und auf Verletzungen des Deeskalationsabkommens zu reagieren (BFA 8.2017). Die Deeskalationszonen werden auch nicht unter einer gemeinsamen Richtlinie beschlossen, sondern jede Zone existiert unter individuellen Bedingungen (DS 23.9.2017). Im Rahmen der Astana-Gespräche und zusätzlich der "Amman-Diskussionen", zwischen den USA, Russland und Jordanien, wurden vier Deeskalationszonen ausgehandelt: Eine Zone in der Provinz Idlib und Teilen der Provinzen Lattakia, Hama und Aleppo; eine Zone im Norden der Provinz Homs; eine Zone in Ost-Ghouta in Rif-Dimashq (Damaskus-Umland) und eine Zone in Teilen Südsyriens in den Provinzen Dara'a und Quneitra (UNOCHA 11.2017; vgl. CRS 13.10.2017; vgl. NYT 18.11.2017; vgl. DS 23.9.2017).

In Dara'a im Süden Syriens kam es zu Beginn zu einer Deeskalation, jedoch gab es auch hier bereits zuvor einen Rückgang der Kampfhandlungen. Anfang Juni 2017 kam es in Dara'a jedoch wieder zu schweren Kampfhandlungen zwischen regierungstreuen Kämpfern und Rebelleneinheiten (BFA 8.2017). Die Deeskalationszone im Süden birgt nichtsdestotrotz das größte Potential für die Verhandlung einer längerfristigen Lösung zum Großteil aufgrund des Interesses internationaler Akteure, die an den Verhandlungen beteiligt waren. Neben Iran, Türkei und Russland waren auch die USA und Jordanien beteiligt und auch Israel hat ein Interesse am Bestehen dieser Deeskalationszone (DS 23.9.2017). Seit August 2017 findet jedoch eine Welle an Attentaten gegen politische und bewaffnete Oppositionelle statt, wobei es Hinweise gibt, dass al-Qaida bzw. mit ihr verbündete Gruppierungen diese durchgeführt haben. Al-Qaida versucht so, die Opposition zu schwächen und sich in Südsyrien zu etablieren. Hierbei nutzt die Gruppierung auch die Entscheidung der Trump-Administration aus, laut welcher ein Programm zur Unterstützung von Oppositionskämpfern gestrichen werden soll, wodurch nicht-jihadistische Fraktionen geschwächt werden (ISW 22.11.2017). Im Mai 2017 entsandte al-Qaida etwa 30 hochrangige Funktionäre nach Südsyrien (ISW 3.8.2017). Weiteres Konfliktpotential besteht im Süden Syriens zudem mit Israel. Israel führte wiederholt Luftschläge auf syrisches Gebiet durch, damit soll gegen die Präsenz der libanesischen schiitischen Hisbollah auf syrischem Staatsgebiet nahe israelischem Staatsgebiet vorgegangen werden (Standard 3.11.2017; vgl. Spiegel 5.12.2017).

Nachdem die Zonen beschlossen wurden, begannen in Ost-Damaskus Deeskalationsmaßnahmen, jedoch wurde in dieser Gegend gleichzeitig ein Versöhnungsabkommen geschlossen (BFA 8.2017). Ost-Ghouta ist jedoch noch immer belagert, und die Regierung beschränkt die Lieferung von Hilfsgütern, Nahrungsmitteln und Medikamenten stark. Im Februar 2017 konnte die Regierung Tunnel schließen, durch welche die Bewohner Ost-Ghoutas zuvor noch Personen, Treibstoff, Medikamente, jedoch auch Zigaretten, Narkotika und Munition schmuggeln konnten (IRIN 19.12.2017). Im April-Mai 2016 und April 2017 kam es in Ost-Ghouta zu Zusammenstößen zwischen den beiden dominanten Gruppen Jaysh al-Islam und Failaq ar-Rahman. Nach Einrichtung der Deeskalationszone traf Russland im Juni 2017 Vereinbarungen mit den beiden Gruppierungen, die Situation scheint jetzt jedoch noch schlimmer als vor der Einrichtung der Deeskalationszone zu sein (IRIN 19.12.2017). Zwischenzeitlich kam es zu einem Rückgang der Kämpfe, die syrische Regierung hielt aber an der Belagerung fest und nahm Mitte November 2017 die Luftangriffe auf das Gebiet wieder auf (Standard 27.12.2017). Die Kampfhandlungen in Ost-Ghouta halten an, wobei sie sich in Gebieten, die von Jaysh al-Islam kontrolliert werden, relativ gesehen verringerten und sich der Konflikt in Gebieten, die von Failaq ar-Rahman kontrolliert werden, intensiviert hat (IRIN 19.12.2017).

Das Ausmaß der Kampfhandlungen in den Provinzen Hama, Homs und Idlib blieb vorerst gleich oder stieg sogar an (BFA 8.2017). Die Deeskalationszone im nördlichen Homs und südlichen Hama wurde im Rahmen der "Kairo-Diskussionen" bekannt gegeben, jedoch wurde die Ankündigung von den Akteuren vor Ort abgelehnt, weil sie sich durch die Verhandlungspartner der Opposition nicht repräsentiert sahen. Insgesamt erscheint es nicht wahrscheinlich, dass die Zone längerfristig eine oppositionelle Enklave bleiben wird (DS 23.9.2017).

Die Deeskalationszone in Idlib soll von Russland, Türkei und Iran überwacht werden (DS 23.9.2017). Die mit al-Qaida in Verbindung stehende islamistische Gruppierung Hay'at Tahrir ash-Sham ist die mächtigste Gruppe in dieser Deeskalationszone und dominiert vergleichsweise moderatere Gruppierungen die sich selbst als zur Freien Syrischen Armee gehörig bezeichnen (NYT 18.11.2017). Im September und Oktober 2017 intensivierte Russland die Anzahl der Luftschläge auf die Provinz Idlib, um Gruppen, die gegen das Regime eingestellt sind, dazu zu bewegen ein Waffenstillstandsabkommen oder die Deeskalationszone zu akzeptieren (ISW 16.10.2017). Von Russland unterstützte syrische Einheiten starteten Ende 2017 eine Offensive gegen Militanten und deren Verbündete in Idlib. UN OCHA berichtete im Januar 2018 von mehr als 200.000 Personen, die durch die Offensive vertrieben wurden (DS 16.1.2018).

Ost-Ghouta und die Provinz Idlib, die wie zuvor beschrieben, beide von Rebellen kontrolliert bzw. von radikal-islamischen Milizen dominiert werden, sind im Januar 2017 hart umkämpft. In Ost-Ghouta eskalierten zu diesem Zeitpunkt die Gefechte, nachdem Rebellen einen Stützpunkt der Armee einkreisen konnten (Zeit 7.1.2018).

Der "Islamische Staat" (IS)

Im November 2017 brachte die syrische Armee Deir ez-Zour, das zuvor vom IS besetzt war, wieder unter seine Kontrolle (BBC 12.12.2017). Der IS verlor 2017 beinahe sein ganzes Territorium in Syrien und im Irak (Reuters 27.12.2017a).

Analysten gehen außerdem davon aus, dass der IS sich bereits auf eine neue Phase vorbereitet und sich zu der Art von Untergrundbewegung zurückentwickelt, die sie in ihren Anfängen war (NYT 17.10.2017).

Die russischen Militäreinsätze

Im Dezember 2017 verkündete das russische Verteidigungsministerium, dass das syrische Territorium "komplett vom IS befreit sei" und somit das Ziel ihres Einsatzes in Syrien, das Zurückdrängen des IS, erfüllt sei (Standard 7.12.2017; vgl. BBC 12.12.2017). Kurze Zeit später gab es jedoch Berichte, dass es dem IS nach Kämpfen mit Hay'at Tahrir ash-Sham gelang mehrere Dörfer in den Provinzen Idlib und Hama zu erobern (Standard 9.12.2017). Der russische Präsident Putin ordnete Mitte Dezember auch den Abzug eines "Großteils der russischen Truppen" aus Syrien an (BBC 13.12.2017; vgl. Standard 21.12.2017). Russland wird jedoch weiterhin zwei Militärbasen in Syrien betreiben, die Luftwaffenbasis Hmeimim und die Marinebasis in Tartus, und somit eine permanente militärische Präsenz in Syrien unterhalten (BBC 13.12.2017; vgl. DS 26.12.2017; vgl. Standard 21.12.2017).

Die achte Runde der UN-geführten Friedensverhandlungen in Genf brachte keine Ergebnisse. Die oppositionelle Verhandlergruppe erklärte, dass Assad nicht Teil einer Übergangslösung in Syrien sein könne, worauf die regierungstreue Delegation der Ansicht war, dass es nichts mehr zu verhandeln gäbe (Standard 15.12.2017).

Korruption

Auf dem Korruptionswahrnehmungsindex von 2015 von Transparency International liegt Syrien auf Platz 173 von 176 untersuchten Ländern (TI 2016). Das Gesetz sieht strafrechtliche Konsequenzen für amtliche Korruption vor, die Regierung setzt die diesbezüglichen Regelungen jedoch nicht effektiv durch. Beamte üben regelmäßig korrupte Praktiken aus, ohne dafür bestraft zu werden. Korruption ist weiterhin ein allgegenwärtiges Problem bei Polizei, Sicherheitskräften, Regierung und anderen Behörden (USDOS 3.3.2017). Milizen verlangen beispielsweise für das Passieren von Checkpoints, die sie kontrollieren, Bestechungsgelder (CMEC 16.3.2016; vgl. IRIN 22.6.2017). In der syrischen Armee gibt es eine Tradition der Bestechung, und es gibt die Möglichkeit, durch Bestechung eine bessere Position oder einfachere Aufgaben zu erhalten (FIS 23.8.2016).

Korruption war bereits vor dem Bürgerkrieg weitverbreitet und beeinflusste das tägliche Leben der Syrer. Bürger müssen häufig Bestechungsgelder zahlen, um bürokratische Angelegenheiten abschließen zu können. Seit der Krieg in Syrien ausgebrochen ist, vermeiden Syrer, die Verfolgung durch den Staat befürchten, den Kontakt zu offiziellen Institutionen. Stattdessen müssen sie - z.B. im Falle wichtiger Dokumente - auf den Schwarzmarkt zurückgreifen (FH 1.2017).

Rebellen, der IS und kurdische Einheiten erpressen ebenfalls Unternehmen und konfiszieren privates Eigentum in unterschiedlichem Ausmaß (FH 1.2017).

Allgemeine Menschenrechtslage

Das Syrian Observatory for Human Rights dokumentierte 331.765 Todesfälle seit dem Beginn der Revolution im Jahr 2011 bis zum 15. Juli 2017, schätzt jedoch dass etwa 475.000 Personen getötet wurden (SOHR 16.7.2017).

Ein Charakteristikum des Bürgerkriegs in Syrien ist, dass in ganz Syrien bestimmte Personen aufgrund ihrer tatsächlichen oder wahrgenommenen bzw. zugeschriebenen politischen Meinung oder Zugehörigkeit direkt angegriffen werden oder ihnen auf andere Weise Schaden zugefügt wird. Diese Zuschreibung basiert oft nur auf den familiären Verbindungen der Person, ihrem religiösen oder ethnischen Hintergrund oder einfach auf ihrer Präsenz in oder Herkunft aus einem bestimmten Gebiet, das als "regierungsfreundlich" oder "regierungsfeindlich" gilt (UNHCR 11.2015).

Die syrische Verfassung sieht die Baath-Partei als die regierende Partei vor und stellt sicher, dass sie die Mehrheit in allen Regierungs- und Volksverbänden hat. Ein Dekret erlaubt die Bildung anderer politischer Parteien, jedoch nicht auf Basis von Religion, Stammeszugehörigkeit oder regionalen Interessen. Gleichzeitig zeigt die Regierung außerdem wenig Toleranz gegenüber anderen politischen Parteien. Sie schikaniert und inhaftiert Mitglieder der Communist Union Party, der Communist Action Party, der Arab Social Union und islamistischer Parteien (USDOS 3.3.2017).

Die syrische Regierung, regierungstreue Einheiten und Sicherheitskräfte führen weiterhin willkürliche Verhaftungen, Verschwindenlassen und Folter an Häftlingen durch, von denen viele in der Haft umkommen bzw. getötet werden. Das Regime und seine Verbündeten führten willkürliche und absichtliche Angriffe auf Zivilisten durch. Sie führten Angriffe mit Fassbomben, Artillerie, Mörsern und Luftangriffe auf zivile Wohngebiete, Schulen, Märkte und medizinische Einrichtungen durch, was zu zivilen Opfern führte (UKFCO 21.4.2016, AI 22.2.2017 und USDOS 3.3.2017).

Die staatlichen Sicherheitskräfte halten nach wie vor Tausende Menschen ohne Anklageerhebung über lange Zeit in Untersuchungshaft. Viele von ihnen sind unter Bedingungen inhaftiert, die den Tatbestand des Verschwindenlassens erfüllen (AI 22.2.2017; vgl. SD 18.10.2017). Systematische Folter und die Bedingungen in den Haftanstalten führen häufig zum Tod der Insassen. Es fehlt an Nahrung, Trinkwasser, Platz, Hygiene und Zugang zu medizinischer Versorgung. (USDOS 3.3.2017).

Syrische Kinder sind auch hinsichtlich Kinderehen gefährdet (USDOS 27.6.2017; vgl. UNOCHA 31.7.2017).

Lang anhaltende Belagerungen durch Regierungskräfte führen dazu, dass der eingeschlossenen Zivilbevölkerung Lebensmittel, ärztliche Betreuung und andere lebenswichtige Dinge vorenthalten werden. Außerdem werden Zivilisten beschossen bzw. angegriffen (AI 22.2.2017). Bezüglich der von Rebellen kontrollierten Bevölkerungszentren setzte die Regierung auf die Strategie, diese vor die Wahl zu stellen, aufzugeben oder zu (ver)hungern, indem sie Hilfslieferungen einschränkte und tausende Zivilisten aus zurückeroberten Gebieten vertrieb (FH 1.2017). Auch Rebellengruppen belagern Gebiete (USDOS 3.3.2017). [Weitere Informationen zu belagerten Gebieten finden sich in Abschnitt "14.

Bewegungsfreiheit"].

Auch aufständische Gruppen begingen schwere Menschenrechtsverletzungen wie Festnahmen, Folter und Exekutionen von wahrgenommenen politischen Andersdenkenden und Rivalen, wobei das Verhalten jedoch zwischen den unterschiedlichen Rebellengruppen variiert (FH 1.2017).

Der IS ist für systematische und weitverbreitete Menschenrechtsverletzungen verantwortlich, welche auch auf Zivilisten abzielen. Auch Jabhat Fatah ash-Sham [ehemals Jabhat al-Nusra] und einige andere extremistische Gruppen begehen Menschenrechtsverletzungen (UKFCO 21.4.2016; vgl. USDOS 3.3.2017).

Sexuelle Versklavung und Zwangsheiraten sind zentrale Elemente der Ideologie des IS. Mädchen und Frauen werden zur Heirat mit Kämpfern gezwungen. Frauen und Mädchen, die Minderheiten angehören, werden sexuell versklavt (USDOS 27.6.2017). Frauen erleben in vom IS gehaltenen Gebieten willkürliche und schwere Bestrafungen, inklusive Hinrichtungen durch Steinigung. Frauen und Männer werden bestraft, wenn sie sich nicht den Vorstellungen des IS entsprechend kleiden (USDOS 3.3.2017).

IS-Kämpfer sind für Exekutionen von gefangengenommenen Zivilpersonen, Regierungssoldaten, Angehörigen rivalisierender bewaffneter Gruppen sowie Medienschaffenden und verantwortlich. In den vom IS kontrollierten Gebieten hat der IS seine strikte Auslegung des islamischen Rechts eingeführt. Es kommt dort häufig zu öffentlichen Hinrichtungen. Unter den Opfern befinden sich Menschen, denen Abfall vom Glauben, Ehebruch, Schmuggel oder Diebstahl zur Last gelegt wird, sowie Menschen, die wegen ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen sexuellen Orientierung angeklagt wurden (AI 22.2.2017; vgl. USDOS 3.3.2017).

Frauen

Außerhalb der Gebiete, die unter der Kontrolle des Regimes stehen, unterscheiden sich die Bedingungen für Frauen sehr stark voneinander. Von extremer Diskriminierung, sexueller Versklavung und erdrückenden Verhaltens- und Kleidungsvorschriften in Gebieten des IS, zu formaler Gleichberechtigung in den Gebieten unter der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD), wo Regierungssitze immer von einer Frau und einem Mann besetzt sind und Frauen in der Politik und im Militärdienst gut vertreten sind (FH 1.2017).

Frauen in Syrien haben eine relativ lange Historie der Emanzipation und vor dem Konflikt war Syrien eines der vergleichsweise fortschrittlicheren Länder der Arabischen Welt in Bezug auf Frauenrechte. Die Situation von Frauen verschlechtert sich durch den andauernden Konflikt dramatisch, weil Frauen Opfer unterschiedlicher Gewalthandlungen der verschiedenen Konfliktparteien werden. Aufgrund der Kampfhandlungen (orig. shelling) zögern Familien, Frauen und Mädchen das Verlassen des Hauses zu erlauben. Sie nehmen diese aus der Schule, was zur Minderung der Rolle von Frauen und zu ihrer Isolation in der Gesellschaft führt (BFA 8.2017).

In oppositionellen Gebieten, welche von radikalislamistischen Gruppen kontrolliert werden (z.B. in Idlib oder umkämpften Gebieten östlich von Damaskus), sind Frauen besonders eingeschränkt. Es ist schwer für sie, für einfache Erledigungen das Haus zu verlassen. Außerdem ist es schwierig für sie zu arbeiten, weil sie unter Druck stehen, zu heiraten. Dies hängt jedoch von der Region ab (BFA 8.2017).

Extremistische Gruppierungen wie der sogenannte Islamische Staat (IS) oder Jabhat Fatah ash-Sham setzen Frauen in den von ihnen kontrollierten Gebieten diskriminierenden Beschränkungen aus. Solche Beschränkungen sind z.B. strikte Kleidervorschriften, Einschränkungen bei der Teilnahme am öffentlichen Leben, bei der Bewegungsfreiheit und beim Zugang zu Bildung und Arbeitsmarkt. In Gebieten, die der IS kontrolliert(e), wurde ein Dokument veröffentlicht, welches Frauen unter Androhung der Todesstrafe die Befolgung von 16 Punkten vorschreibt. Die Punkte waren unter anderem, das Haus nicht ohne einen männlichen nahen Verwandten (mahram) zu verlassen, weite Kleidung, ein Kopftuch und einen Gesichtsschleier zu tragen, Friseursalons zu schließen, in der Öffentlichkeit nicht auf Stühlen zu sitzen und keine männlichen Ärzte aufzusuchen (USDOS 3.3.2017; vgl. BFA 8.2017). In Raqqa gründete der IS die "al-Khansaa"-Brigade, welche hauptsächlich aus nicht-syrischen Frauen besteht und die Regeln des IS bei anderen Frauen durchsetzten soll (USDOS 3.3.2017). Familien werden auch gezwungen ihre Töchter an IS-Kämpfer zu verheiraten. Jabhat Fatah ash-Sham [Anm.: vormals Jabhat al-Nusra] ist Frauen gegenüber etwas weniger restriktiv, die Situation ist jedoch ähnlich. Generell wird die Lage junger unverheirateter Frauen in Syrien allgemein, im Speziellen jedoch in den von radikalislamistischen Gruppierungen kontrollierten Gebieten, als prekär bezeichnet (BFA 8.2017).

Bewegungsfreiheit

Die steigende Anzahl an Checkpoints der verschiedenen bewaffneten Konfliktparteien, die schweren Kämpfe und die generelle unsichere Lage im Land schränken stark die Bewegungsfreiheit der syrischen Bevölkerung und den Transport von lebensnotwendigen Gütern ein. Das syrische Regime blockiert systematisch Regionen, welche von den Rebellen kontrolliert werden, und die Rebellen und der sogenannte Islamische Staat (IS) wenden dieselbe Taktik auf von der Regierung kontrollierte Gebiete an (FH 1.2017). In Gebieten unter ihrer Kontrolle beschränken der IS und andere Regierungsgegner die Bewegungsfreiheit von Unterstützern der Regierung bzw. von Personen, von denen dies angenommen wird. Dies gilt besonders für die alawitische und schiitische Bevölkerung (USDOS 3.3.2017). Das syrische Regime setzt Scharfschützen ein, um Sperrstunden durchzusetzen, oder Zivilisten an der Flucht aus belagerten Städten zu hindern (USDOS 3.3.2017). Im Juni 2017 lebten in Syrien 540.000 Menschen unter Belagerung (UNOCHA 30.6.2017).

Die vorherrschende Gewalt und der starke kulturelle Druck schränken die Bewegungsfreiheit von Frauen in vielen Gebieten erheblich ein. Zusätzlich gibt es ein Gesetz, das bestimmten männlichen Verwandten erlaubt, Frauen das Reisen zu verbieten (USDOS 3.3.2017). Frauen haben eine etwas größere Bewegungsfreiheit an Checkpoints - allerdings bei erhöhter Gefahr, Opfer von sexueller und physischer Gewalt durch die Kriegsparteien oder individuelle kriminelle Elemente zu werden. In Gebieten, welche vom IS kontrolliert werden, sind Frauen zahlreichen Beschränkungen ausgesetzt. Ihr Zugang zu Bildung, zum Arbeitsmarkt und ihre Bewegungsfreiheit sind sehr stark eingeschränkt oder komplett untersagt (UNHRC 11.2.2016). Der IS erlaubt Frauen nicht, ohne einen nahen männlichen Verwandten durch das von ihnen kontrollierte Gebiet zu reisen (USDOS 3.3.2017).

Die syrische Regierung verweigert die Ausstellung von Reisepässen oder anderen wichtigen Dokumenten aufgrund der politischen Einstellung einer Person, deren Verbindung zu oppositionellen Gruppen oder der Verbindung zu einem geographischen Gebiet, in dem die Opposition dominiert. Das syrische Regime verlangt außerdem ein Ausreisevisum und schloss regelmäßig den Flughafen Damaskus und Grenzübergänge. Über Menschenrechtsaktivisten oder andere Aktivisten der Zivilgesellschaft, deren Familien oder Bekannte werden häufig Ausreiseverbote verhängt. Viele Personen erfahren erst von einem Ausreiseverbot, wenn ihnen die Ausreise verweigert wird. Grund oder Gültigkeitsdauer werden häufig nicht genannt (USDOS 3.3.2017).

Aufgrund des Bürgerkrieges haben in Gebieten, welche von der Opposition kontrolliert werden, Institutionen, die Identitätsdokumente ausstellten, aufgehört zu funktionieren. In Gebieten, welche von der Regierung kontrolliert werden, gibt es diese Institutionen noch, für manche Syrer ist es jedoch unmöglich geworden sie zu erreichen. So können manche Personen Geburten, Eheschließungen oder Todesfälle nicht mehr eintragen lassen, oder sich neue Identitätsdokumente ausstellen lassen. Durch den Bürgerkrieg sind auch die Kontrollmaßnahmen schwächer geworden. So werden "echte" Dokumente mit falschen Namen oder geänderten Informationen ausgestellt. Außerdem werden vermehrt gefälschte Dokumente benutzt (Landinfo 11.11.2016).

5,3 Millionen Menschen sind seit Beginn des Konfliktes aus Syrien geflohen (UNOCHA 10.2017). Seit Beginn des Jahres 2016 wurden erhöhte Einschränkungen der Bewegungsfreiheit implementiert, sowohl innerhalb Syriens als auch in den Nachbarländern. Die Landgrenzen werden durch die Nachbarstaaten streng überwacht, und es gibt strikte Bedingungen für Einreisevisa, um in den Libanon oder die Türkei einreisen zu können (MMP 4.2017). Grundsätzlich ist die türkische Grenze geschlossen, verletzte Flüchtlinge werden zur Behandlung jedoch in die Türkei gebracht. Im April 2017 stellte die Türkei den Bau einer Grenzmauer zwischen Syrien und der Türkei fertig. Die Mauer erstreckt sich über mehr als die Hälfte der 911 Kilometer langen syrisch-türkischen Grenze (Spiegel 12.4.2017).

Die Grenze zu Jordanien ist ebenfalls geschlossen (MMP 4.2017). Im Juni 2016 hat die jordanische Regierung den Grenzübergang zu Syrien wegen Sicherheitsbedenken für syrische Flüchtlinge geschlossen und auch die Durchfahrt für Hilfsleistungen gestoppt, nachdem bei einem Selbstmordanschlag in dem Gebiet sieben jordanische Soldaten getötet worden waren. Der IS bekannte sich zu diesem Anschlag und soll auch eines der beiden informellen Zeltlager von Rukban und Haladat/Hadalat auf der syrischen Seite der Grenze infiltriert haben. Wie viele Menschen tatsächlich in den Lagern leben, wissen internationale Hilfsorganisationen nur von Satellitenbildern (Standard 5.10.2016 und C. Kozak 28.12.2017). Im September 2017 verließen die geschätzten 5.000 Bewohner des Lagers in Hadalat aufgrund des Näherrückens der Regimeeinheiten und vermehrter Luftangriffe dieses und zogen in das viel größere, jedoch ähnlich verarmte, Rukban-Lager, das ungefähr 100 Kilometer nordöstlich davon liegt. Zwei Rebellen-Fraktionen der Freien Syrischen Armee (FSA) evakuierten die Bewohner des Lagers (Syria Direct 6.9.2017; vgl. CRS 13.10.2017). Am Ende des Jahres 2016 wurde die Anzahl der zwischen der jordanischen und der syrischen Grenze lebenden Personen auf 85.000 Menschen geschätzt, im August 2017 soll die Zahl zwischen 45.000 und 50.000 gelegen sein (IDMC 4.10.2017). In Rukban herrscht ein Mangel an Wasser und Medikamenten. Rechtsstaatlichkeit ist nicht gegeben, und Verbrechen sind häufig (Syria Direct 6.11.2017). Die letzte der sporadischen Hilfslieferungen in das Lager in Rukban fand laut UNHCR zwischen Mai und Juni 2017 statt, seither sind jedoch hunderte Personen vor den Kämpfen in Deir ez-Zour nach Rukban geflohen (RD 30.10.2017). Inoffizielle Schmuggelrouten existieren wahrscheinlich, die Grenze kann jedoch für Syrer und Palästinenser aus Syrien als geschlossen angesehen werden (C. Kozak 28.12.2017).

Die Situation an der syrisch-irakischen Grenze ist komplizierter. Bis vor kurzem war der Zugang zur Grenze durch die Präsenz des IS entlang der syrisch-irakischen Grenze seit 2014 eingeschränkt. Der einzige aktive Grenzübergang war und bleibt der Peshkhabour-Grenzübergang zwischen Irakisch-Kurdistan und Nordsyrien. Flüchtlinge nutzten diesen Grenzübergang in beide Richtungen, um von Syrien nach Irakisch-Kurdistan und vom Nordirak in von der YPG kontrollierte Teile Nordsyriens zu fliehen. Die Situation am Grenzübergang wurde jedoch auch von politischen Auseinandersetzungen zwischen der syrisch-kurdischen YPG und der Regionalregierung Kurdistan-Iraks (KRG) beeinflusst, was zu regelmäßigen Schließungen und Zugangsbeschränkungen für Syrer und Palästinenser aus Syrien führte. Die Zusammenstöße zwischen der KRG und den irakischen Sicherheitskräften im Nordirak drohten ebenfalls den Zugang zu verhindern. Der übrige Teil der syrisch-irakischen Grenze bleibt als Militärzone in der Anti-IS-Kampagne geschlossen, wobei inoffizielle Wege nach Irakisch-Kurdistan existieren können (C. Kozak 28.12.2017).

Minderjährige Kinder können nicht ohne schriftliche Genehmigung ihres Vaters ins Ausland reisen, selbst wenn sie sich in Begleitung ihrer Mutter befinden (BFA 8.2017).

Einige in Syrien aufhältige Palästinenser brauchen für eine legale Ausreise aus Syrien eine Genehmigung und müssen sich zusätzlich einer weiteren Sicherheitskontrolle unterziehen, dies hängt jedoch wieder von ihrem rechtlichen Status in Syrien ab. Palästinenser sind in ihren Reisebewegungen in der Region eingeschränkt, z.B. können Syrer Aufenthaltsgenehmigungen für den Libanon erhalten, die sechs Monate gültig sind. Palästinenser hingegen können nur ein Visum für eine Woche bekommen, das nur einmal erneuerbar ist. Theoretisch haben Palästinenser die Möglichkeit in Nachbarländer zu reisen, um in dort ansässigen Konsulaten Visa abzuholen. Im Libanon etwa ist es ihnen grundsätzlich erlaubt einzureisen, wenn sie einen Nachweis für einen Termin bei einer Botschaft und die notwendigen Dokumente besitzen. Weiters wird der libanesische Geheimdienst von der Botschaft im Vorhinein über den beabsichtigten Grenzübertritt von Syrien in den Libanon informiert und gebeten, den Grenzübertritt zu ermöglichen. In der Praxis wird Palästinensern jedoch die Einreise in den Libanon willkürlich verweigert. Für Personen mit entsprechenden Verbindungen und für wohlhabende Personen ist es einfacher, willkürliche Hindernisse bei der Einreise in den Libanon zur Erlangung von Visa zu umgehen (BFA 8.2017).

Rückkehr

Laut der International Organization for Migration (IOM) sind zwischen Januar und Juli 2017 602.759 vertriebene Syrer in ihre Heimatgebiete zurückgekehrt. 93 Prozent davon sind Binnenvertriebene gewesen und 7 Prozent kehrten aus der Türkei, dem Libanon, Jordanien und dem Irak nach Syrien zurück. Rückkehrer aus der Türkei und Jordanien kehrten hauptsächlich in die Provinzen Aleppo und Hassakah zurück (IOM 11.8.2017). Am Beginn des Jahres kam es zur Rückkehr von etwa 150.000 Personen (Zeitraum Januar-April 2017) nach Ost-Aleppo, wobei die Dauerhaftigkeit dieser Rückkehr fragwürdig ist, da die Zahl der beschädigten Unterkünfte in Ost-Aleppo sehr hoch ist (IDMC 2017).

Die Hauptfaktoren, die die Entscheidung zurückzukehren, beeinflussen, sind primär die Wiedervereinigung mit Familienmitgliedern, den Zustand des eigenen Besitzes/Grundstücks zu prüfen und in manchen Fällen auch die tatsächliche oder wahrgenommene Verbesserung der Sicherheitslage in Teilen des Landes (UNHCR 30.6.2017 und IOM 11.8.2017). Andere Rückkehrgründe können eine Verschlechterung der ökonomischen Situation am Zufluchtsort oder soziokulturelle Probleme sein (Die Presse 14.8.2017, vgl. IOM 11.8.2017).

Das Konzept von Binnenvertriebenen ist jedoch viel weiter gefasst, als jenes von Flüchtlingen. Binnenvertriebene sind all jene, die ihr Zuhause verlassen haben und dabei sehr kurze oder auch weite Entfernungen zurückgelegt haben. Kürzere Distanzen erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer Rückkehr. Beispielsweise kehren viele IDPs aus West-Aleppo nach Ost-Aleppo zurück, oder viele IDPs aus den Vorstädten von Damaskus kehrten in die Vororte Qabun oder Qudsaya zurück, nachdem diese von der syrischen Armee wieder erobert wurden. Das hauptsächliche Hindernis bei der Rückkehr bleibt das Fehlen von Sicherheit, wobei diese Einschätzung von der geographischen Herkunft, sozioökonomischen Lage und einer potentiellen Beteiligung im Widerstand gegen das syrische Regime beeinflusst wird (WI 7.7.2017).

Geschätzte 67 Prozent der Rückkehrer (405.420 Personen) kehrten in die Provinz Aleppo zurück, 27.620 nach Idlib, 75.209 nach Hama,

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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