TE Bvwg Beschluss 2018/10/25 I419 2162398-1

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Veröffentlicht am 25.10.2018
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Entscheidungsdatum

25.10.2018

Norm

AsylG 2005 §34 Abs4
B-VG Art.130 Abs1 Z3
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs1

Spruch

I419 2162398-1/7E

I419 2162394-1/7E

I419 2162387-1/6E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Dr. Tomas JOOS über die Beschwerden von (1.) XXXX alias XXXX, StA. Irak, geb. XXXX, (2.) XXXX auch XXXX, staatenlos, geb. XXXX, und (3.) XXXX, StA. Irak, geb. XXXX, alle vertreten durch MigrantInnenverein St. Marx, wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA):

A) Die Beschwerden werden gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG und § 34 Abs. 4 f

AsylG 2005 zurückgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführer und die Beschwerdeführerin, künftig auch mit BF oder gemäß der Reihenfolge ihrer Anführung im Spruch BF1, BF2 und BF3 bezeichnet, stellten in Österreich Anträge auf internationalen Schutz, BF1 und BF2am 15.09.2015, der später hier geborene BF3 am 20.07.2016.

2. Am 23.03.2017 brachten die BF gleichlautende Säumnisbeschwerde ein. Sie hätten am 13.07.2016 bislang unerledigte Anträge auf internationalen Schutz gestellt. Das BFA verwies auf Überlastung sowie das Erkenntnis dieses Gerichts vom 12.01.2016, W170 2116339-1/8E und legte die Akten vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die unter Punkt I getroffenen Ausführungen werden als Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende Feststellungen getroffen:

1.1 Zu den Beschwerdeführern und der Beschwerdeführerin:

BF1 und BF2 sind die Eltern von BF3. Am 07.02.2018 wurden sie Eltern eines weiteren Sohnes, der ebenfalls im Inland zur Welt kam, wo alle vier einen gemeinsamen Wohnsitz haben.

1.2 Zur Familie der BF:

Am 12.10.2018 legte das BFA die Geburtsurkunde und die Meldebestätigung des genannten jüngsten Kindes vor, das Staatsangehöriger des Irak ist. Dessen Verfahren auf internationalen Schutz ist dort seit 30.04.2018 anhängig, eine Säumnisbeschwerde wurde nicht eingebracht.

Zur Vertretung dieses Kindes ist (jedenfalls auch) BF2 berufen. Dem Kind kam bis 30.04.2018 kein 90 Tage überschreitendes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet zu.

2. Beweiswürdigung:

2.1 Zum Verfahrensgang

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der Verwaltungsakten und des vorliegenden Gerichtsakts. Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR), dem Integrierten Zentralen Register für Fremde und dem Register der Sozialversicherungen wurden ergänzend eingeholt.

2.2 Zu den Personen:

Die Feststellungen ergaben sich aus den Aussagen von BF1 und BF2, dem unbestrittenen Inhalt der vorliegenden Ausweise und anderen Urkunden sowie den Registerabfragen.

Die Vertretungsbefugnis von BF2 für das Neugeborene steht außer Zweifel, weil dieser auch die Vertretung von BF3 zukommt, was sich aus dem Asylantrag von BF3 ergibt (AS 1 in dessen Akt).

Wie dem Integrierten Zentralen Register für Fremde zu entnehmen ist, bestand kein vom Asylverfahren losgelöstes Aufenthaltsrecht des Neugeborenen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Zurückweisung der Säumnisbeschwerden

3.1 Nach § 8 Abs. 1 VwGVG kann Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht (Säumnisbeschwerde, Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG) erst erhoben werden, wenn die Behörde die Sache nicht innerhalb von sechs Monaten, wenn gesetzlich eine kürzere oder längere Entscheidungsfrist vorgesehen ist, innerhalb dieser entschieden hat. Die Säumnisbeschwerde ist vom Verwaltungsgericht zurückzuweisen, wenn die Prozessvoraussetzungen nicht vorliegen, somit z. B. dann, wenn die Entscheidungsfrist noch nicht abgelaufen ist oder dem Beschwerdeführer kein Erledigungsanspruch zukommt. Andernfalls ist sie abzuweisen, wenn die Verwaltungsbehörde die Säumnis nicht überwiegend verschuldet hat (vgl. Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht10 [2014] Rz 933).

Für die Periode 01.06.2016 bis 31.05.2018 ordnete § 22 Abs. 1 AsylG 2005 i. d. F. BGBl. I Nr. 24/2016 an, das BFA habe abweichend von § 73 Abs. 1 AVG über einen Antrag auf internationalen Schutz längstens binnen 15 Monaten zu entscheiden, was für die am 31.05.2018 beim BFA anhängig gewesenen Verfahren weiter gilt (§ 73 Abs. 15 f AsylG 2005).

Im vorliegenden Fall stellten die BF am 15.09.2015 und am 18.07.2016 Anträge auf internationalen Schutz. Demgemäß endete die Entscheidungsfrist für die (trotz Ablauf der Frist des § 73 Abs. 1 AVG mit 15.03.2016) am 01.06.2016 anhängigen Verfahren von BF1 und BF 2 am 15.12.2016, für den Antrag von BF3 am 18.10.2017.

Schon daraus ergibt sich betreffend den Antrag des BF3, dass die Säumnisbeschwerde eingebracht wurde, obwohl die Entscheidungsfrist nicht abgelaufen war. Der später tatsächlich eingetretene Fristablauf vermag aber die Beschwerde nicht nachträglich zulässig zu machen. Schon damit ist geboten, diese zurückzuweisen.

3.2 Dem Gericht bleibt es aber auch verwehrt, die beiden Säumnisbeschwerden von BF1 und BF2 inhaltlich zu prüfen, also der Frage nachzugehen, ob das BFA an der Säumnis ein überwiegendes Verschulden trifft (oder dies aus den vom BFA geltend gemachten oder anderen Verzögerungsgründen nicht der Fall ist), weil das BFA nach der Geburt des jüngsten Kindes dieser beiden BF das Familienverfahren zu führen hat, wie aus den folgenden Erwägungen erhellt:

Nach § 17a AsylG 2005 gilt mit der Einbringung eines Antrags auf internationalen Schutz durch einen Fremden auch für jedes drittstaatsangehörige minderjährige ledige Kind im Bundesgebiet ein solcher Antrag als eingebracht, zu dessen Vertretung der Fremde befugt ist, wenn dem Kind kein Aufenthaltsrecht für mehr als 90 Tage zukommt.

Das BFA ist daher zu Recht davon ausgegangen, dass für das jüngste Kind der beiden erwachsenen BF ein Antrag auf internationalen Schutz vorliegt, und hat darüber ein Verwaltungsverfahren eingeleitet.

Stellt ein Familienangehöriger eines Asylwerbers einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser gemäß § 34 Abs. 1 Z. 3 AsylG 2005 als Antrag auf denselben Schutz.

Gemäß § 34 Abs. 4 AsylG 2005 hat die Behörde Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen. Die Verfahren sind unter einem zu führen, und unter den Voraussetzungen der Abs. 2 f erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten oder jener dessen des subsidiär Schutzberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Ist einem Fremden faktischer Abschiebeschutz nach § 12a Abs. 4 AsylG 2005 zuzuerkennen, dann auch seinen Familienangehörigen. Nach § 34 Abs. 5 AsylG 2005 gelten Abs. 1 bis 4 sinngemäß für das Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht.

Die Verfahren des jüngsten Kindes und der BF sind demnach gemeinsam zu führen. Schon aus der Maßgabe, dass den Verwaltungsgerichten, die nach Art. 130 Abs. 1 B-VG "über Beschwerden" zu entscheiden haben, keine erstinstanzliche Zuständigkeit ohne eine verfassungsrechtliche Norm übertragen werden darf (vgl. VwGH 10.09.2018, Ro 2018/20/0002), und dem einfachgesetzlichen Charakter des § 34 Abs. 4 AsylG 2005 kann die letztgenannte Bestimmung verfassungskonform nur so verstanden werden, dass zur Vermeidung konkurrierender Zuständigkeiten jene der Verwaltungsbehörde sich auch auf solche unerledigte Parteianträge erstreckt, bei denen bereits eine gerichtliche Zuständigkeit eingetreten war.

Wird gegen eine zurückweisende oder abweisende Entscheidung auch nur von einem betroffenen Familienmitglied Beschwerde erhoben, gilt diese nach § 16 Abs. 3 BFA-VG auch als Beschwerde gegen die Entscheidungen, welche die anderen Familienangehörigen betreffen. Damit ist schon vom Wortlaut her klar, dass Beschwerden wegen verweigerter (verzögerter) Entscheidungen diese Fiktion nicht auslösen.

Fallbezogen vermöchte im Übrigen auch eine analoge Anwendung der "Beschwerdefiktion" die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts zur Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz des jüngsten Sohnes bzw. Bruders der BF nicht zu begründen, weil schon wegen der Unzulässigkeit der Säumnisbeschwerde von BF3 damit kein gemeinsames Verfahren zu verwirklichen wäre, ohne die Fiktion einer (zulässigen) Beschwerde auch auf diese Partei auszudehnen, die selbst aber tatsächlich eine (unzulässige) Beschwerde erhoben hat.

Schließlich weist auch die Rechtsprechung zum während des Beschwerdeverfahrens nachkommenden Familienmitglied im Verfahren über eine Bescheidbeschwerde in die Richtung, dass auch bei der Säumnisbeschwerde von einer inhaltlichen Entscheidung des Verwaltungsgerichts dann abgesehen werden muss, wenn ein Familienverfahren mit noch beim BFA anhängigen Teilen zu vereinheitlichen ist:

Der VfGH hat im Fall eines minderjährigen Asylwerbers und Beschwerdeführers, dessen Vater während des Beschwerdeverfahrens einreiste und seinerseits internationalen Schutz beantragte, ausgesprochen, dass das Verfahren des Minderjährigen ab der Antragstellung des Vaters mit dessen beim BFA anhängigen Verfahren gemeinsam zu führen gewesen wäre, weshalb das Bundesverwaltungsgericht (das subsidiären Schutz zuerkannt hatte) den bei ihm angefochtenen Bescheid des BAA (stattdessen) im Spruchpunkt der Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten aufzuheben und die Durchführung eines Familienverfahrens anzuordnen gehabt hätte. (18.09.2015, E 1174/2014 mwH)

Wie dieses Gericht daraus bereits geschlossen hat (09.05.2018, W252 2163054-1/13E mwH), ist es ihm demnach verwehrt, über die (Säumnis-) Beschwerde eines Familienangehörigen zu entscheiden, sobald und solange ein Verfahren eines anderen noch beim BFA anhängig ist. Insofern liegt also im Familienverfahren mit § 34 AsylG 2005 eine spezielle Zuständigkeitsregelung vor, deren Missachtung den jeweiligen Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt.

Es ist daher - mit Blick auf das verfassungsmäßige Recht auf den gesetzlichen Richter - in Verfahren über Säumnisbeschwerden davon auszugehen, dass die Einbringung des Antrags eines (weiteren) Familienmitglieds eine Sachverhaltsänderung ist, welche die Zuständigkeit des BVwG zur meritorischen Entscheidung beendet, während jene des BFA kraft der Spezialbestimmung des § 34 AsylG 2005 neuerlich entsteht (sich aus der für den neuen Antrag ableitet), weil dessen Kompetenz begründender Tatbestand erfüllt ist.

3.3 Damit ist auch geklärt, in welcher Form die nicht-meritorische Entscheidung zu ergehen hat, zumal weder die Voraussetzungen des § 28 Abs. 7 VwGVG vorliegen, wonach dem BFA eine achtwöchige Frist zur Bescheidnachholung erteilt werden kann, weil das (je nach Fallkonstellation) die Entscheidungsfrist unter die für das "Neuverfahren" gesetzlich vorgesehene verkürzen kann, noch jene des Abs. 3, da kein aufhebbarer Bescheid vorliegt.

Mangels fortgesetzter Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts ist dessen Erledigungspflicht entfallen, und damit korrespondierend der Erledigungsanspruch der BF. Aus diesem Grund sind die Säumnisbeschwerden von BF1 und BF2 zurückzuweisen, und auch jene von BF3, deren Zurückweisung schon aus den unter 3.1 dargelegten Gründen geboten ist.

Es ist daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu B) Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt, diese in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird oder sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

Die Revision ist zulässig: Es fehlt an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage der Zuständigkeit zur Erledigung einer Säumnisbeschwerde in Fällen, in denen das Familienverfahren nach § 34 AsylG 2005 zu führen ist, aber angesichts der Entscheidungsfristen nicht alle Familienangehörigen eine Säumnisbeschwerde eingebracht haben (einbringen dürfen), und Verfahren über Anträge von Familienangehörigen beim BFA anhängig sind.

Die Klärung der angesprochenen Zuständigkeit ist über das Einzelverfahren hinaus von Belang, wie die zitierte Entscheidung W252 2163054-1/13E zeigt, die ebenso von der Zulässigkeit der Revision ausgeht.

4. Zum Unterbleiben einer Verhandlung:

Gemäß § 24 Abs. 2 Z. 1 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn die Beschwerden zurückzuweisen sind. Eine Verhandlung konnte demnach unterbleiben.

Schlagworte

Familieneinheit, Familienverfahren, Säumnisbeschwerde,
Verfahrensführung, Zurückweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:I419.2162398.1.00

Zuletzt aktualisiert am

07.01.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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