TE Bvwg Erkenntnis 2018/10/31 W123 2139016-1

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Veröffentlicht am 31.10.2018
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Entscheidungsdatum

31.10.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W123 2139016-1/27E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Michael ETLINGER über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.10.2016, 1049468107-150006885/BMI-BFA_STM_AST, nach Durchführung einer öffentlich mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 stattgegeben und dem Beschwerdeführer der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass dem Beschwerdeführer damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger der Volksgruppe der Tadschiken, stellte am 04.01.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

2. In seiner Erstbefragung am 05.01.2015 gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, dass er in Kunduz geboren worden und aufgewachsen sei, jedoch später nach Kabul gezogen sei.

Zu seinen Fluchtgründen befragt, führte der Beschwerdeführer aus, dass er Afghanistan aufgrund des Krieges und der Taliban verlassen habe. Der Beschwerdeführer sei als Fahrer eines Staatsanwaltes tätig gewesen. Dem Beschwerdeführer sei aufgrund von Problemen der Taliban mit dem Staatsanwalt mit dem Tode gedroht worden. Der Beschwerdeführer habe zudem einen Drohbrief erhalten und sei attackiert worden.

3. Im Rahmen seiner Einvernahme vor der belangten Behörde am 11.01.2016 gab der Beschwerdeführer, zu seinen Fluchtgründen erneut befragt, ua Folgendes wortwörtlich an:

"[...]

LA: Nennen Sie nun unter Angaben von Details Ihren Flucht- und Asylgründe!

VP: Wie ich schon sagte, bin ich der Fahrer und Bodyguard vom Anwalt des Parlaments gewesen. Der Name des Anwalts ist XXXX , er ist der Anwalt in XXXX . Die Taliban hat mehrfach versucht in zu töten. Es gelang ihnen aber nicht. Es ist eine Anwältin. Sie hat immer wieder die Polizei und das Militär in XXXX unterstützt. In XXXX waren 2 Tablianmitglieder inhaftiert. Frau XXXX hatte mehrere Feinde. Die Taliban wollte unbedingt, dass ihre 2 Mitglieder freikamen, Frau XXXX ließ es aber nicht zu. Es kam zu 4 Attentaten. Beim 1. Attentat waren wir im Gebäude, die Taliban sprengten ein Auto davor in die Luft. Ihr Ziel war es die Anwältin umzubringen, und auch die Kirche, welche sich gegenüber befand zu sprengen. Wir schalteten die Special Force ein und die Polizeistation 3, wir brachten die Anwältin zu ihrem Zweitwohnsitz nach XXXX Kabul. Der Mullah XXXX der Führer von den Taliban wollte sich somit an uns rächen. Etwa 2 - 3 Monate kehrte Ruhe ein, die Regierung war auch darüber informiert. Als ich plötzlich nach 3 Monaten einen Anruf bekam. Ich bekam 1-2 unbekannte Anrufe, sie teilten mir mit, dass sie vom Mullah XXXX den Auftrag hätten, mich zu kontaktieren. Sie wüssten auch, dass ich der Fahrer von Frau XXXX sei. Sie gaben an, dass sie mich finanziell unterstützen würden, wenn ich mit ihnen zusammenarbeite würde. Sie sagten, dass die Anwältin mir vertrauen würde, und ich dafür sorgen sollte, dass die 2 Talibanmitglieder freikommen sollten. Sie sagten, wenn die Anwältin nicht auf meine Bitte eingehen würde, ich eine Bombe in ihrem Wagen verstauen solle. Sie sagten, dass ich mich der Mujaheddin hingeben sollte. Ich teilte ihnen am Telefon mit, dass ich bis zum meinen letzten Bluttropfen zu Frau XXXX stehen würde, sie ist eine weitschichtige Verwandte von mir. Frauen in Afghanistan habe leider keine Rechte. Sie teilten mir, dass sie mich egal wie töten werden, wenn ich auf ihre Forderung nicht eingehen würde. Danach wechselte ich meine Nummer. Etwa 10 bis 15 Tage war ich mit Frau XXXX und ihrem Mann zu einer Grabstätte eines verstorbenen Mädchens unterwegs. Auf dem Rückweg kam es zu einem Anschlag, zum Glück wurde keiner von uns verletzt. Der Anschlag passierte auf der rechten Seite, und der Bodyguard der rechts sich befand wurde ein wenig verletzt. An einem Freitag, als ich in der Moschee beten war, fand ich diesen Drohbrief in meinem Schuh. Ich kann ein wenig Paschtu und als ich dieses Schriftstück durchlas, ging es mir überhaupt nicht gut. Ich merkte, dass mein Leben ernsthaft in Gefahr ist, ich beschloss nicht mehr meiner Arbeit nachzugehen. Ich erzählte diese Geschichte der Anwältin, sie teilte mir mit, dass sie nicht auf mich schauen könnte, da ihr eigenes Leben in Gefahr sei. Sie sagte, dass sie wissen würde, dass mein Leben in Gefahr ist, und ich meiner Arbeit nicht mehr nachgehen könne. Ich hörte mit der Arbeit auf, und wechselte auch den Wohnort. Ich wohnte im Bezirk XXXX . 3-4 Tage vergingen, ich dachte alles wäre wieder in Ordnung. Ich war unterwegs. Als ich auf dem Nachhauseweg war, sah ich 2 Männer mit verdeckten Gesichtern. Durch meine Erfahrungen hatte ich Zweifel was diese beiden Männer anging. Ich war mit dem Auto unterwegs, ich dachte es könne sich nur um Kriminell oder Leute aus XXXX handeln, ich drückte aufs Gas, es wurde zwei Mal aufs Auto geschossen. Die Polizeiwache befand sich in der Nähe, ich schilderte meine Geschichte, es wurde alles aufgenommen. Zu diesem Zeitpunkt als ich von der Polizeistation rauskam, fühlte ich eine Gefahr, ich verspürte keine Sicherheit mehr. Ich suchte einen Freund auf, ich erzählte ihm über die Vorfälle und teilte ihm mit, dass ich mich in Afghanistan nicht mehr sicher und wohl fühlte. In Kunduz ist die Lage auch nicht sicher, aus diesem Grund bin ich nach Kabul, um die ganze Problematik, die entstanden ist, durch meinen Freund lernte ich den Schlepper kennen und bin ausgereist.

[...]"

4. Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 nicht erteilt. Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.) und die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

5. Gegen den obgenannten Bescheid der belangten Behörde richtet sich die fristgerecht eingebrachte Beschwerde vom 27.10.2016, in welcher inhaltliche Rechtswidrigkeit und Mangelhaftigkeit des Verfahrens geltend gemacht wurden, mit dem Begehren dem Beschwerdeführer den Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 zuzuerkennen bzw. in eventu den angefochtenen Bescheid zu beheben und zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an die belangte Behörde zurückzuverweisen bzw. in eventu dem Beschwerdeführer den Status eines subsidiär Schutzberechtigten nach § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 zuzuerkennen bzw. in eventu dem Beschwerdeführer einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen zu erteilen bzw. in eventu die Rückkehrentscheidung aufzuheben. Zudem wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt. In der Beschwerde wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer von den Taliban mehrfach aufgrund seiner ihm unterstellten politischen Gesinnung sowie aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe mit dem Tode bedroht worden sei.

6. Am 12.04.2017 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentlich mündliche Verhandlung statt.

7. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 28.04.2017, W123

2139016-1/8E, wurde die Beschwerde gegen den Bescheid der belangten Behörde zur Gänze abgewiesen.

8. Mit Schreiben vom 09.06.2017 erhob der Beschwerdeführer Beschwerde gemäß

Art. 144 B-VG beim Verfassungsgerichtshof.

9. Mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 27.02.2018, E 2016/2017-13, wurde das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 28.04.2017 aufgehoben.

10. Am 04.10.2018 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentlich mündliche Verhandlung statt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

Der Beschwerdeführer ist volljährig, nennt sich XXXX , ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken und bekennt sich zur muslimischen Glaubensrichtung. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Dari. Der Beschwerdeführer stammt ursprünglich aus der Provinz Kunduz und ist dort aufgewachsen. Im Jahre 2010 zog der Beschwerdeführer nach Kabul. Die Familie des Beschwerdeführers lebt in Kabul.

Der Beschwerdeführer arbeitete in den Jahren 2013 und 2014 als Chauffeur und Bodyguard für die afghanische Parlamentsabgeordnete XXXX aus der Provinz XXXX . Mittels eines Anrufes wurde der Beschwerdeführer an einem nicht mehr feststellbaren Tag von Mitgliedern der Taliban aufgefordert, die Arbeit für die Parlamentsabgeordnete aufzugeben und mit den Anrufern zusammenzuarbeiten. Der Beschwerdeführer lehnte die Zusammenarbeit mit den Taliban jedoch ab. Einige Zeit später explodierte während einer Fahrt der Parlamentsabgeordneten, des Beschwerdeführers und weiteren Bodyguards in die Provinz XXXX ein Motorrad. Aus Angst vor weiteren Angriffen bzw. Attentaten zogen die Parlamentsabgeordnete, der Beschwerdeführer und ihre weiteren Bodyguards in die Provinz Kabul. Der Beschwerdeführer erhielt in weiterer Folge einen Drohbrief und bat seine Vorgesetzte um Hilfe, welche sie ihm verweigerte, weshalb sich der Beschwerdeführer gezwungen sah, seine Arbeit für die Parlamentsabgeordnete aufzugeben. Trotz dessen war der Beschwerdeführer weiteren Bedrohungshandlungen bzw. Verfolgungssituationen durch die Taliban ausgesetzt: Unter anderem wurde während einer Autofahrt auf den Beschwerdeführer geschossen.

Aus Angst vor weiteren Angriffen bzw. Attentaten und um sein Leben nicht zu riskieren, verließ der Beschwerdeführer mit Hilfe eines Freundes Afghanistan.

2. Beweiswürdigung:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben mittels Durchführung einer öffentlich mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, durch Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers vor dieser und dem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes, des bekämpften Bescheides und des Beschwerdeschriftsatzes sowie in die vom Beschwerdeführer vorgelegten Urkunden.

2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zu Identität, Sprachkenntnissen, Herkunft und Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers gründen sich auf seine diesbezüglich gleichbleibenden und daher glaubhaften Angaben vor dem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes, der belangten Behörde, in dem Beschwerdeschriftsatz und in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Es ist im Verfahren nichts hervorgekommen, das Zweifel an der Richtigkeit dieser Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers aufkommen lässt.

2.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer brachte als fluchtauslösendes Ereignis im Wesentlichen vor, dass ihm aufgrund seiner Tätigkeit für die Parlamentsabgeordnete XXXX Verfolgung durch die Taliban drohe.

Zunächst ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer sein Fluchtvorbringen sowohl vor der belangten Behörde als auch vor dem Bundesverwaltungsgericht übereinstimmend und konsistent schilderte; sein Fluchtvorbringen war umfangreich, in sich stimmig, lebensnah und detailreich. Auch auf nachdrückliche Befragung durch die belangte Behörde und das Bundesverwaltungsgericht, wies dieses keine beachtlichen Widersprüche auf.

Der Beschwerdeführer lässt bei der Schilderung seiner Fluchtgründe eine lineare Handlung und ein durchaus nachvollziehbares Bild der von ihm erlebten Geschehnisse erkennen. Weiters sind auch die Angaben des Beschwerdeführers vor dem Hintergrund der Verhältnisse in Afghanistan plausibel und nachvollziehbar.

Für das Bundesverwaltungsgericht konnte der Beschwerdeführer somit das Vorliegen von Verfolgungsgefahr nachvollziehbar darlegen.

Es ist daher mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer aktuell einer unmittelbaren und individuellen von den Taliban ausgehenden und von staatlichen Organen nicht zu unterbindenden Verfolgungsgefahr ausgesetzt wäre.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Das Verfahren der Verwaltungsgerichte (mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes) ist durch das VwGVG geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG), BGBl. Nr. 51/1991 idF BGBl. I Nr. 161/2013, mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte (vgl. insbesondere § 1 BFA-VG).

§ 28 VwGVG ("Erkenntnisse") regelt die Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte und lautet auszugsweise wie folgt:

"§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

[...]"

Zu Spruchpunkt A)

3.2. Gemäß § 3 Abs. 1 Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 2005 - AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005, ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 leg.cit. zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl 55/1955 (Genfer Flüchtlingskonvention, in der Folge: GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der RL 2004/83/EG des Rates verweist).

Im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist als Flüchtling anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder in Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde (vgl. VwGH 19.12.2007, 2006/20/0771). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (vgl. VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; 15.03.2001, 99/20/0128; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. VwGH 01.06.1994, 94/18/0263; 01.02.1995, 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht - diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann -, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256).

Wenn Asylsuchende in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen, bedürfen sie nicht des Schutzes durch Asyl (vgl. VwGH 24.03.1999, 98/01/0352 mwN; 15.03.2001, 99/20/0036; 15.03.2001, 99/20/0134). Damit ist nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen - mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates - im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (vgl. VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer "inländischen Flucht- oder Schutzalternative" (vgl. VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534) innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal da auch wirtschaftliche Benachteiligungen dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (vgl. VwGH 08.09.1999, 98/01/0614; 29.03.2001, 2000/20/0539).

3.3. Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die behauptete Furcht des Beschwerdeführers, in seinem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der GFK genannten Gründen verfolgt zu werden, begründet ist:

Der Beschwerdeführer brachte als fluchtauslösendes Ereignis im Wesentlichen vor, dass ihm aufgrund seiner Tätigkeit für die Parlamentsabgeordnete XXXX Verfolgung durch drohe.

Im vorliegenden Fall ist dem Vorbringen des Beschwerdeführers zu entnehmen, dass er eine asylrechtlich relevante Verfolgung aus Gründen der politischen Gesinnung in Afghanistan zu gewärtigen hat.

Gemäß der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist es für die Annahme einer asylrechtlich relevanten Verfolgung aus Gründen der politischen Gesinnung ausreichend, dass eine staatsfeindliche politische Gesinnung zumindest unterstellt wird und die Aussicht auf ein faires staatliches Verfahren zur Entkräftung dieser Unterstellung nicht zu erwarten ist (vgl. VwGH 30.09.1997, 96/01/0871). Der Ausdruck "politische Gesinnung" ist im Sinne des Wortes "Meinung" auszulegen (Scheffer, Asylberechtigung, 30, 33). Als politisch kann alles qualifiziert werden, was für den Staat, für die Gestaltung bzw. Erhaltung der Ordnung des Gemeinwesens und des geordneten Zusammenlebens der menschlichen Individuen in der Gemeinschaft von Bedeutung ist (vgl. Rohrböck, Das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl [1999] Rz 408).

Der Verwaltungsgerichtshof (vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256) sprach in einem vergleichbaren Fall, in welchem der Asylwerber im Wesentlichen vorgebracht hatte, dass er wegen des ihm unterstellten Verrates des Aufenthaltsortes von islamistischen Terrorgruppen bei der Gendarmerie von diesen mit dem Tod bedroht worden sei und er, weil die Terroristen der Meinung seien, er habe Informationen an die Gendarmerie weitergegeben, aus Furcht um sein Leben das Land verlassen habe, Folgendes aus:

"[...] Aufgrund dieses Vorbringens kann jedenfalls nicht ausgeschlossen werden, dass es sich um eine Verfolgung wegen einer ihm unterstellten, gegen die politischen Ziele der Islamisten gerichteten politischen Ansicht handelt. Dieser vorgebrachten individuellen Verfolgung des Beschwerdeführers käme nach den obigen Ausführungen dann - mangels Schutzfähigkeit des Staates - Asylrelevanz zu, wenn ihm daraus trotz der festgestellten ‚präventiven und repressiven staatlichen Maßnahmen' gegen Terroristen mit einer für die Asylgewährung maßgeblichen Wahrscheinlichkeit ein Nachteil von asylrelevanter Intensität drohte. Mit dieser Frage hätte sich die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid auseinandersetzen müssen. [...]"

In zahlreichen weiteren Fällen bejahte der Verwaltungsgerichtshof eine Asylrelevanz bei Verfolgung wegen einer dem Fremden unterstellten, gegen die politischen Ziele der von ihm als "Terroristen" bezeichneten Gruppe gerichteten politischen Ansicht (vgl. VwGH 22.08.2006, 2005/01/0728; 16.07.2003, 2000/01/0518, 12.03.2002, 99/01/0205; 22.03.2000, 99/01/0256).

Zudem sprach der Verwaltungsgerichtshof (vgl. VwGH 14.05.2002, 98/01/0327) in einem weiteren Fall, in welchem der Asylwerber vorgebracht hatte, dass ihm von den Erpressern (von denen er annehme, dass es sich um islamische Fundamentalisten handle) für den Fall, dass er sich weigern sollte, Schutzgeld zu zahlen, seine Ermordung angedroht worden sei, und dass er befürchte, bei einer Rückkehr in sein Heimatland von den genannten Personen umgebracht zu werden, Folgendes aus:

"[...] so ist doch eine Asylrelevanz der sich als Folge der Verweigerung der finanziellen Unterstützung der (vermutlich) islamischen Fundamentalisten darstellenden Drohung, den Asylwerber umzubringen, nicht von vornherein auszuschließen. Insofern scheint der vorliegende Sachverhalt den Fällen der Zwangsrekrutierung durch eine Bürgerkriegspartei vergleichbar, bei der eine asylrelevante Verfolgung in Anknüpfung an die tatsächliche oder unterstellte politische Gesinnung, auf Grund derer sich der Verfolgte der Zwangsrekrutierung entzogen hatte, gegeben sein kann. Auf das Auswahlkriterium für die Zwangsrekrutierung selbst kommt es in einem solchen Fall nicht mehr an (vgl. u.a. die zu insofern vergleichbaren Sachverhalten ergangenen hg. Erkenntnisse vom 25. Jänner 2001, Zl. 98/20/0549, vom 31. Mai 2002, Zl. 2000/20/0496, und vom 31. Jänner 2002, Zl. 99/20/0332)."

In Anlehnung an die soeben zitierten Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes, erweist sich im vorliegenden Fall die Zusammenarbeit mit der Parlamentsabgeordneten XXXX und die Weigerung des Beschwerdeführers für die Feinde der Parlamentsabgeordneten (= Taliban) tätig zu werden als asylrelevant.

Dem Beschwerdeführer wird von den Feinden der Parlamentsabgeordneten aufgrund seiner Tätigkeit für diese und seine Weigerung, für ihre Feinde tätig zu werden eine gegen ihre Interessen gerichtete, politische - unter Umständen sogar pro-westliche - Einstellung unterstellt. Aufgrund dieser unterstellten politischen Meinung hat der Beschwerdeführer das reale Risiko einer hinreichend intensiven Verfolgung in Afghanistan durch diese Personen zu gewärtigen, wogegen er vom afghanischen Staat keinen effektiven Schutz erwarten kann. Dem Beschwerdeführer steht die gefahrlose Einreise in Landesteile seines Heimatstaates, in denen er frei von Furcht leben kann, nicht offen und ihm ist ein Aufenthalt dort auch nicht zumutbar.

Aus dem Umstand der Weigerung der Zusammenarbeit des Beschwerdeführers mit den Feinden der Parlamentsabgeordneten lässt sich ein hinreichend deutliches Desinteresse seinerseits, sich auf die regierungsfeindliche Seite zu stellen, ableiten. Der Beschwerdeführer zeigt durch sein Verhalten (Weigerung) - aus dem Blickwinkel der Taliban betrachtet - deutlich, dass er mit deren Wertehaltung nicht übereinstimmt und sohin eine aus deren Sicht verpönte politische Einstellung verinnerlichte, wodurch von Seiten der Taliban angenommen wird, dass der Beschwerdeführer kein Sympathisant ihrerseits ist und kein Interesse daran hat, ihre Aktivitäten zu unterstützen. Aus Sicht der Taliban vereitelte der Beschwerdeführer mit seiner Weigerung der Zusammenarbeit eindeutig ihre Zwecke und widersetzte sich ihrer politischen Gesinnung, weshalb dem Beschwerdeführer aufgrund der ihm von der regierungsfeindlichen Gruppierung unterstellten oppositionellen politischen Überzeugung Verfolgung im Sinne der GFK droht.

Eine dem Beschwerdeführer unterstellte oppositionelle politische Gesinnung ist nur dann asylrelevant, wenn keine Aussicht auf ein faires staatliches Verfahren zur Entkräftung dieser Vorwürfe gewährleistet ist (vgl. VwGH 25.11.1999, 98/20/0357). Da dem Beschwerdeführer die Sicherheitsbehörden ihre Hilfe verweigerten, ist nicht vom Vorliegen einer Aussicht auf ein faires staatliches Verfahren zur Entkräftung dieser Vorwürfe auszugehen.

Die asylrechtliche Relevanz des Vorbringens des Beschwerdeführers ist auch nicht etwa deshalb zu verneinen, weil es sich um Übergriffe von Privatpersonen handelt. Für die Asylgewährung nicht von entscheidender Bedeutung ist, dass die mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Eingriffe nicht direkt von staatlicher, sondern von dritter Seite (von Privatpersonen) drohen oder dass diese von der gegenwärtigen afghanischen Regierung nicht angeordnet werden. Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er aufgrund staatlicher Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ihm dieser Nachteil aufgrund einer von dritten Personen ausgehenden, vom Staat nicht ausreichend verhinderbaren Verfolgung mit derselben Wahrscheinlichkeit droht. In beiden Fällen ist es ihm nicht möglich bzw. in Hinblick auf seine wohl begründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen (vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256; 14.05.2002, 2001/01/0140; 24.05.2005, 2004/01/0576; 26.02.2002, 99/20/0509).

Ebenso ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer als Mitarbeiter der Parlamentsabgeordneten XXXX in eine der von UNHCR angeführte Risikogruppe fällt, nämlich zu jenen Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung oder mit der internationalen Gemeinschaft, einschließlich der internationalen Streitkräfte, verbunden sind oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen. Zudem konnte der Beschwerdeführer nachvollziehbar und in sich schlüssig schildern, dass ihm diese Verfolgung in ganz Afghanistan drohe und er somit auch nicht über eine innerstaatliche Fluchtalternative verfüge.

Im vorliegenden Fall ist nicht hervorgekommen, dass es der afghanischen Zentralregierung möglich wäre, für die grundsätzliche Gewährleistung grundlegender Rechte und Freiheiten hinsichtlich des Beschwerdeführers Sorge zu tragen. Er kann mit gewisser Wahrscheinlichkeit nicht damit rechnen, dass er angesichts des ihn betreffenden Risikos, Opfer von Übergriffen zu werden, ausreichenden Schutz im Herkunftsstaat finden kann. Angesichts der dargestellten Umstände kann im Fall des Beschwerdeführers nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass er in Afghanistan den Eintritt eines - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteiles aus der befürchteten Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat.

Das Vorliegen eines Asylausschlussgrundes (§ 6 AsylG 2005) ist im Verfahren nicht hervorgekommen.

Dem Beschwerdeführer war daher gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 war die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Zu Spruchpunkt B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen (siehe dazu insbesondere die unter A) zitierte Judikatur). Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

asylrechtlich relevante Verfolgung, Schutzunfähigkeit,
Schutzunwilligkeit, unterstellte politische Gesinnung,
wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W123.2139016.1.00

Zuletzt aktualisiert am

07.01.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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