Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr.
Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon.-Prof. Dr. Höllwerth, Dr. E. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei O***** S*****, vertreten durch die Erwachsenenvertreterin H***** S*****, vertreten durch Vogl Rechtsanwalt GmbH in Feldkirch, gegen die beklagte Partei U***** AG, *****, vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 637.494,80 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 25. Juni 2018, GZ 4 R 52/18f-26, womit das Zwischenurteil des Landesgerichts Feldkirch vom 16. Jänner 2018, GZ 7 Cg 52/17t-20, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Der Kläger war als Baggerfahrer Arbeitnehmer der Z***** GmbH. Sein Tätigkeitsbereich umfasste das Fahren von Muldenkippern. Anfang Februar 2013 wurde er pensioniert, ab dem 4. 2. 2013 arbeitete er geringfügig weiter.
Er besitzt keinen Führerschein der Klasse C. Nach den internen Vorschriften seiner Arbeitgeberin, was auch vom Arbeitsinspektorat akzeptiert wird, war der Besitz eines derartigen Führerscheins für das Lenken eines Muldenkippers auf dem Betriebsgelände auch nicht notwendig, sondern es wurde ihm nach dem Absolvieren einer internen Unterweisung eine betriebliche Fahrbewilligung ausgestellt.
Der Kläger war schon während seiner aktiven Berufszeit bei der Beklagten unfallversichert. Er hatte damals seinen Beruf gegenüber der Beklagten als Baggerfahrer angegeben. Dieser Beruf wurde von der Beklagten in die Risikoklasse I (ohne relevantes Risiko) eingeordnet.
Nachdem der Kläger in Pension gegangen war, stellte er – über Vermittlung eines Maklers – am 10. 4. 2013 einen Antrag auf Abschluss eines Unfallversicherungsvertrags mit Pensionstarif. Der Makler füllte den Antrag für den Kläger aus und besprach ihn mit ihm. Der Versicherungsantrag beinhaltete die Frage nach dem „derzeit entgeltlichen Beruf“. Nachdem der Kläger mitgeteilt hatte, dass er Pensionist sei, wurde dieser Punkt vom Makler mit „Pensionist (Alterspension)“ ausgefüllt. Der Kläger gab seine geringfügige Nebenbeschäftigung als Baggerfahrer bei seiner bisherigen Arbeitgeberin nicht an. Hätte der Kläger diese angegeben, so hätte der Makler dies der Beklagten weitergeleitet. An der Einstufung in die Risikoklasse I hätte sich dadurch nichts geändert, ebenso wenig an der Höhe der Versicherungsprämie.
Dem zwischen den Streitteilen abgeschlossenen Versicherungsvertrag liegen die „Klipp und Klar Bedingungen für die Unfallversicherung 2011 UB00“ zugrunde, die auszugsweise lauten:
„Was ist vor Eintritt eines Versicherungsfalls zu beachten?
Was ist nach Eintritt eines Versicherungsfalls zu tun?
Art 24
1. Obliegenheiten vor Eintritt des Versicherungsfalls
Als Obliegenheit, deren Verletzung unsere Leistungsfreiheit gemäß den Voraussetzungen und Bestimmungen des § 6 Abs 2 VersVG (Obliegenheitsverletzung) – siehe Anhang – bewirkt, wird bestimmt, dass die versicherte Person als Lenker eines Kraftfahrzeugs die jeweils kraftfahrrechtliche Berechtigung, die zum Lenken dieses oder eines typengleichen Kraftfahrzeugs erforderlich wäre, besitzt; dies gilt auch dann, wenn dieses Fahrzeug nicht auf Straßen mit öffentlichem Verkehr gelenkt wird.“
Der Kläger lenkte am 22. 4. 2016 auf dem steilen Steinbruch am Betriebsgelände seiner Arbeitgeberin einen Muldenkipper. Als er diesen links gegen eine Böschung fuhr, stürzte er in ein Bachbett. Die Unfallursache ist nicht feststellbar. Es ist nicht feststellbar, ob es sich um ein Fehlverhalten des Klägers gehandelt hat, ein technisches Gebrechen des Muldenkippers lag jedoch nicht vor.
Durch den Unfall erlitt der Kläger ein Schädel-Hirn-Trauma, das eine schwerste Hirnleistungsminderung zur Folge hatte. Er befindet sich seither im Wachkoma und leidet an einem schweren hirnorganischen Psychosyndrom.
Der Kläger begehrt die Zahlung von Unfallversicherungsleistungen in Höhe von 637.494,80 EUR (620.880 EUR – 100%ige Invalidität; 1.034,80 EUR Rehabilitationspauschale; 10.000 EUR Unfallkosten; 5.580 EUR Spitalgeld). Im Versicherungsantrag habe der Kläger seinen Beruf mit Pensionist angeführt. Die Nichtangabe der gelegentlichen Tätigkeit habe kein erhebliches Risiko betroffen. Die Beklagte hätte bei Bekanntgabe der Nebenbeschäftigung den Vertrag nicht anders abgeschlossen. Der im Sinn des § 915 ABGB unklare Begriff „kraftfahrrechtliche Berechtigung“ des Art 24.1 UB00 sei nicht mit einer Lenkerberechtigung nach KFG, FSG und StVO gleichzusetzen. Der Kläger sei intern unterwiesen worden und habe über eine innerbetriebliche Fahrbewilligung nach den arbeitnehmerschutzrechtlichen Bestimmungen und somit über eine kraftfahrrechtliche Berechtigung im Sinn des Art 24.1 UB00 verfügt. Er habe daher nicht gegen die Führerscheinklausel verstoßen. Selbst wenn eine Obliegenheitsverletzung vorgelegen haben sollte, sei diese unverschuldet gewesen. Der Kläger habe aufgrund der innerbetrieblichen Genehmigung darauf vertrauen dürfen, dass er über die erforderliche Berechtigung verfüge.
Die Beklagte bestreitet und beantragt die Klagsabweisung. Indem der Kläger im Versicherungsantrag angegeben habe, dass er Pensionist sei, habe er unwahre und unvollständige Angaben gemacht, sodass die Beklagte gemäß §§ 16, 21 VersVG leistungsfrei sei. Für das Lenken des Muldenkippers Volvo A 30 E auf Straßen mit öffentlichem Verkehr sei gemäß § 2 Abs 1 Z 9 FSG eine Lenkerberechtigung der Klasse C erforderlich. Über diese habe der Kläger nicht verfügt. Völlig klar sei, dass mit „kraftfahrrechtlicher Berechtigung“ ein Führerschein gemeint sei. Dies ergebe sich auch aus § 5 Abs 1 Z 4 KHVG. Eine Genehmigung nach arbeitnehmerschutzrechtlichen Bestimmungen sei keine kraftfahrrechtliche Berechtigung. Es könne vorausgesetzt werden, dass der Kläger die Versicherungsbedingungen gekannt habe. Es liege somit eine nicht gänzlich unverschuldete Obliegenheitsverletzung im Sinn des § 6 Abs 2 VersVG vor, die zur Leistungsfreiheit der Beklagten führe.
Mit seinem Zwischenurteil erkannte das Erstgericht das Klagebegehren als dem Grunde nach zu Recht bestehend. Dass der Kläger als Beruf „Pensionist“ im Versicherungsantrag angegeben habe, stelle keine Obliegenheitsverletzung nach § 16 VersVG dar. Die Beklagte hätte den Vertrag unter denselben Bedingungen geschlossen, wenn der Kläger seine geringfügige Nebenbeschäftigung angeführt hätte. Die Fahrbewilligung, über die der Kläger verfügt habe, sei in § 33 AM-VO geregelt. Nach dieser Bestimmung dürfe der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer eine Fahrbewilligung zum Lenken eines selbstfahrenden Arbeitsmittels ausstellen, wenn dieses auf Arbeitsstellen eingesetzt werde, auf denen nicht die StVO gelte und sich der Fahrer einer Unterweisung unterzogen habe. Im Führerscheingesetz finde sich der Begriff „kraftfahrrechtliche Berechtigung“ nicht. In § 5 Abs 1 Z 4 KHVG werde nicht definiert, was unter einem „kraftfahrrechtlich berechtigten“ Lenker zu verstehen sei. Art 24.1 UB00 sei daher unklar und auslegungsbedürftig im Sinn des § 915 ABGB. Dementsprechend stelle die Fahrbewilligung, über die der Kläger verfügt habe, eine derartige kraftfahrrechtliche Berechtigung dar. Der Kläger habe keine Obliegenheitsverletzung im Sinn des § 6 VersVG begangen.
Das Berufungsgericht bestätigte dieses Zwischenurteil. Die Nichtangabe der geringfügigen Beschäftigung im Versicherungsantrag sei als unverschuldet zu qualifizieren. Die Frage nach dem „derzeit entgeltlichen Beruf“ werde im allgemeinen Sprachgebrauch so verstanden, dass nach der hauptsächlichen Einkommensquelle gefragt werde. Dies sei beim Kläger die Alterspension gewesen. Ein durchschnittlich verständiger Versicherungsnehmer verstehe das Besitzen einer „kraftfahrrechtlichen Berechtigung, die zum Lenken dieses oder eines typengleichen Kraftfahrzeugs erforderlich wäre“ bereits aufgrund des insoweit völlig klaren Wortlauts dahin, dass er über die entsprechende Lenkerberechtigung nach dem Führerscheingesetz verfügen müsse. Dass die interne Fahrberechtigung nach § 33 AM-VO kein Führerschein sei, sei für jedermann nachvollziehbar. Sollte für das Lenken des Muldenkippers ein Führerschein der Klasse C notwendig gewesen sein, so läge objektiv ein Verstoß gegen die Obliegenheit nach Art 24.1 UB00 vor, was aber nicht geklärt werden müsse, da eine allfällige Verletzung der Obliegenheit durch den Kläger als unverschuldet anzusehen wäre. Der Kläger habe nämlich aufgrund der internen Fahrbewilligung seiner Arbeitgeberin darauf vertrauen dürfen, dass er zum Lenken des Muldenkippers auf dem Betriebsgelände vollumfänglich berechtigt gewesen sei. Auch einem sehr sorgfältigen Menschen sei nicht vorzuwerfen, wenn er nicht daran denke, nach den Versicherungsbedingungen der Beklagten nicht zur Inbetriebnahme des Kraftfahrzeugs berechtigt zu sein. Den Kausalitätsgegenbeweis habe der Kläger nicht erbracht.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision der Beklagten mit einem Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Kläger begehrt in der ihm freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen; hilfsweise ihr keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist aus Gründen der Rechtssicherheit zulässig, sie ist im Sinn des Aufhebungsantrags auch berechtigt.
1.1 Nach § 16 Abs 1 VersVG hat der Versicherungsnehmer bei Abschluss des Versicherungsvertrags alle ihm bekannten Umstände, die für die Übernahme der Gefahr erheblich sind, dem Versicherer anzuzeigen. Erheblich sind Gefahrenumstände, die geeignet sind, auf den Entschluss des Versicherers, den Vertrag überhaupt oder zum vereinbarten Inhalt abzuschließen, Einfluss auszuüben. Ein Umstand, nach welchem der Versicherer ausdrücklich und schriftlich gefragt hat, gilt im Zweifel als erheblich (RIS-Justiz RS0080628).
1.2 Nicht ausdrücklich nachgefragte Umstände sind nicht schon wegen ihrer objektiven Gefahrenerheblichkeit mitzuteilen, sondern nur dann, wenn sich die Frage konkludent auch auf sie bezieht oder wenn ihre Mitteilung als selbstverständlich erscheint (RIS-Justiz RS0119955).
1.3 Zur Bejahung der Gefahrenerheblichkeit von Umständen ist es nicht erforderlich, dass der Versicherer bei Kenntnis des wahren Sachverhalts den Vertrag tatsächlich abgelehnt oder nicht zu den bestimmten Bedingungen geschlossen hätte. Es reicht aus, dass der vom Versicherer nachgewiesene Umstand bei objektiver Betrachtung geeignet ist, einen solchen Entschluss des Versicherers zu motivieren (RIS-Justiz RS0080637). Der Versicherte ist dafür beweispflichtig, dass auch die richtige Beantwortung der an ihn gestellten Frage nicht geeignet gewesen wäre, den Entschluss des Versicherers zum Vertragsabschluss in irgendeiner Weise zu beeinflussen (RIS-Justiz RS0080787).
1.4 Aus den Feststellungen, dass die Beschäftigung des Klägers als Baggerfahrer – bereits während seiner aktiven Zeit – von der Beklagten in die Risikoklasse I eingeordnet war, diese Einstufung auch nach der Bekanntgabe seiner Pensionierung unverändert blieb und sie sich auch nicht bei Anführung der Nebenbeschäftigung geändert hätte, folgt, dass die Beklagte den Versicherungsvertrag, selbst bei Offenlegung der geringfügigen Nebenbeschäftigung des Klägers, zu denselben Bedingungen geschlossen hätte. Damit ist dem Kläger schon der Gegenbeweis des Fehlens des als gefahrenerheblich relevierten Umstands gelungen. Da die Beklagte ihre Leistungspflicht bereits aus diesem Grund nicht auf die schuldhafte Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht durch den Kläger stützen kann, erübrigt sich ein Eingehen darauf, ob der Kläger die Nebenbeschäftigung hätte anzeigen müssen.
2. Die Beklagte gründet ihre Leistungsfreiheit weiters auf die Verletzung der Obliegenheit nach Art 24.1 UB00.
2.1 § 6 Abs 1 VersVG erlaubt für den Fall einer sogenannten schlichten (das heißt nicht risikobezogenen) Obliegenheit die Vereinbarung der gänzlichen Leistungsfreiheit des Versicherers (und zwar für den Fall, dass den Versicherungsnehmer an der Obliegenheitsverletzung ein Verschulden trifft). Bei einer verschuldeten Obliegenheitsverletzung kann es also zur völligen Leistungsfreiheit des Versicherers kommen, auch wenn die Verletzung der Obliegenheit im konkreten Fall keinen oder nur geringen Einfluss auf die dem Versicherer obliegende Leistung hatte (7 Ob 81/15k).
2.2 Gemäß § 6 Abs 2 VersVG kann sich der Versicherer bei der Verletzung einer Obliegenheit, die der Versicherungsnehmer zum Zweck der Verminderung der Gefahr oder der Verhütung einer Erhöhung der Gefahr dem Versicherer gegenüber – unabhängig von der Anwendbarkeit des Abs 1a – zu erfüllen hat, auf die vereinbarte Leistungsfreiheit nicht berufen, wenn die Verletzung keinen Einfluss auf den Umfang der dem Versicherer obliegenden Leistung gehabt hat (vorbeugende Obliegenheit). Abs 2 eröffnet dem Versicherungsnehmer somit im Unterschied zu den Obliegenheiten, die unter Abs 1 – und Abs 1a – fallen, einen Kausalitätsgegenbeweis (Fenyves in Fenyves/Schauer, VersVG § 6 Rz 89).
3. Der Versicherer muss daher hier die objektive Verletzung der Obliegenheit durch den Versicherungsnehmer (oder die Person, für die er haftet), der Versicherungsnehmer mangelndes Verschulden sowie die mangelnde Kausalität beweisen (vgl RIS-Justiz RS0043728).
3.1.1 Art 24.1 UB00 sieht als vor Eintritt des Versicherungsfalls zu beachtende Obliegenheit vor, dass die versicherte Person als Lenker eines Kraftfahrzeugs die jeweils kraftfahrrechtliche Berechtigung, die zum Lenken dieses oder eines typengleichen Kraftfahrzeugs erforderlich wäre, besitzt, was auch gilt, wenn dieses Fahrzeug nicht auf Straßen mit öffentlichem Verkehr gelenkt wird.
3.2.1 Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach ständiger Rechtsprechung nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung (§§ 914 f ABGB) auszulegen und zwar orientiert am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers und stets unter Berücksichtigung des erkennbaren Zwecks einer Bestimmung (RIS-Justiz RS0050063 [T71], RS0112256 [T10], RS0017960). Die Klauseln sind, wenn sie nicht Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen, dabei ist der einem objektiven Betrachter erkennbare Zweck einer Bestimmung zu berücksichtigen (RIS-Justiz RS0008901 [insbesondere T5, T7, T87]). Unklarheiten gehen zu Lasten der Partei, von der die Formulare stammen, das heißt im Regelfall zu Lasten des Versicherers (RIS-Justiz RS0050063 [T3]).
3.2.2 Art 24.1 UB00 vergleichbare – als „Führerscheinklauseln“ bezeichnete – Bedingungen in der Kasko- und KFZ-Haftpflichtversicherung wurden bereits als Obliegenheiten qualifiziert (7 Ob 19/93 = RIS-Justiz RS0081213 zu § 6 Abs 2 Z 1 AKHB 1988; 7 Ob 43/11s zu Art 9.2.1 AKHB 1995).
Die Führerscheinklausel hat auch für Fahrten auf nicht öffentlichem Grund Geltung (7 Ob 192/73 = RIS-Justiz RS0080941; 7 Ob 43/11s). Sie zielt nämlich darauf ab, den Versicherer nicht dem höheren Risiko durch unerfahrene und ungeschulte Lenker auszusetzen. Das Unfallrisiko eines bloßen Bedienungs-/Fahrfehlers ist bei diesen Lenkern auf öffentlichen wie auf nicht öffentlichen Flächen gleich hoch. Die Führerscheinklausel stellt darauf ab, ob der Lenker eine (allgemeine) Fahrberechtigung und damit eine gewisse Fahrsicherheit hat, egal auf welcher Fläche er das Fahrzeug lenkt (7 Ob 43/11s). Das fahrerische Können soll bereits vor Antritt der Fahrt in der vom Gesetz formalisierten Weise durch Erhebungen der Behörde und die Fahrprüfung dargetan sein (7 Ob 9/93).
3.2.3 Vor dem Hintergrund des insoweit völlig klaren Wortlauts der Klausel und der bereits bestehenden Rechtsprechung zu vergleichbaren „Führerscheinklauseln“ ist das Auslegungsergebnis des Berufungsgerichts, der durchschnittlich verständige Versicherungsnehmer verstehe die Klausel dahin, dass er, um Versicherungsschutz zu genießen, zum Lenken eines Kraftfahrzeugs über die entsprechende Lenkerberechtigung nach dem Führerscheingesetz verfügen muss, zutreffend.
3.2.4 § 33 AM-VO sieht vor, dass mit dem Führen von Kränen und dem Lenken eines selbstfahrenden Arbeitsmittels in Arbeitsstätten, auf Baustellen und auswärtigen Arbeitsstellen, auf denen die StVO nicht gilt, nur ArbeitnehmerInnen beschäftigt werden dürfen, die über eine Fahrbewilligung der ArbeitgeberInnen verfügen, wobei die Fahrbewilligung erst nach einer auf das betreffende Arbeitsmittel abgestimmten besonderen Unterweisung der ArbeitnehmerInnen über die Inhalte der schriftlichen Betriebsanweisung nach § 19 Abs 1 bzw nach § 23 Abs 2 erteilt werden.
Dass es sich bei einer auf Grundlage dieser Arbeitnehmerschutzvorschrift erteilten innerbetrieblichen Fahrbewilligung durch den Arbeitgeber nicht um eine „kraftfahrrechtliche Lenkerberechtigung“ einer Behörde handelt und eine interne Unterweisung nicht einer Führerscheinprüfung vergleichbar ist, leuchtet auch dem durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmer ein.
3.2.5 Ob die Obliegenheit nach Art 24.1 UB00 verletzt wurde, kann derzeit noch nicht beurteilt werden, weil das Erstgericht bislang keine Feststellungen zu den wechselseitig aufgestellten Tatsachenbehauptungen im Zusammenhang mit dem Erfordernis eines Führerscheins getroffen hat. Dies wird es im fortgesetzten Verfahren nachzuholen haben.
3.3.1 Sollte ein Führerschein für das Lenken des Fahrzeugs erforderlich gewesen sein, hätte die Beklagte die objektive Obliegenheitsverletzung nachgewiesen.
3.3.2 Der Kläger hätte dann zu beweisen, dass die Obliegenheitsverletzung unverschuldet erfolgte, leichte Fahrlässigkeit schadet bereits.
Von bloß leichter Fahrlässigkeit spricht man, wenn ein Verhalten gesetzt wurde, das gelegentlich auch einem sorgfältigen Menschen unterläuft (7 Ob 183/06x mwN). Grob fahrlässig handelt, wer im täglichen Leben die erforderliche Sorgfalt gröblich, im hohen Grad aus Unbekümmertheit oder Leichtfertigkeit außer Acht lässt, wenn er also nicht beachtet, was unter den gegebenen Umständen jedem einleuchten müsste (RIS-Justiz RS0030303).
3.3.3 Ob der Kläger unverschuldet oder fahrlässig handelte, kann schon wegen des Fehlens jeglicher Feststellungen in diesem Zusammenhang derzeit nicht beurteilt werden. Weder steht die (Un-)Kenntnis der Versicherungsbedingungen noch jene des allfälligen Erfordernisses eines Führerscheins fest. Auch Gründe für eine Unkenntnis derartiger Umstände sind nicht festgestellt. Erst auf Grundlage solcher Feststellungen könnte in weiterer Folge geprüft werden, ob die konkreten Umstände des Einzelfalls einen nicht einmal leicht fahrlässigen Fehler des Versicherungsnehmers annehmen lassen.
Die vom Berufungsgericht in diesem Zusammenhang abstrakt vorgenommene Beurteilung, der Kläger hätte darauf vertrauen dürfen, dass er aufgrund der internen Fahrbewilligung auf dem Betriebsgelände seines Arbeitgebers zum Lenken des Muldenkippers vollumfänglich befugt gewesen sei, weshalb ihm nicht vorgeworfen werden könne, nicht daran gedacht zu haben, dass er im Sinn der Versicherungsbedingungen der Beklagten nicht zur Inbetriebnahme des Kraftfahrzeugs berechtigt sein könnte, entbehrt nicht nur der Tatsachengrundlage, sondern wird vom Obersten Gerichtshof ohne Hinzutreten weiterer Umstände nicht geteilt. Jedem Versicherungsnehmer kann das Wissen zugemutet werden, dass einem Versicherungsvertrag Begrenzungsnormen und Obliegenheiten zugrunde liegen, über deren konkreten Inhalt er sich auch durch Einsichtnahme in die Bedingungen leicht Kenntnis verschaffen kann.
3.4 Sollte sich im fortgesetzten Verfahren eine Obliegenheitsverletzung durch den Kläger, sein fehlendes Verschulden jedoch nicht ergeben, dann ist schon jetzt auszuführen, dass ihm der Kausalitätsgegenbeweis nicht gelungen ist.
3.4.1 Bei der Führerscheinklausel des Art 24.1 UB00 handelt es sich – wie ausgeführt – um eine Obliegenheit im Sinn des § 6 Abs 2 VersVG (vgl 7 Ob 48/77, 7 Ob 9/93), sodass dem Versicherungsnehmer grundsätzlich der Nachweis offen steht, dass die Verletzung der Obliegenheit weder auf die Feststellung des Versicherungsfalls, noch auf die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers Einfluss gehabt hat (RIS-Justiz RS0116979). Der Gegenbeweis der fehlenden Kausalität ist strikt zu führen (RIS-Justiz RS0079993); an ihn sind hohe Anforderungen zu stellen und strenge Maßstäbe anzulegen (RIS-Justiz RS0081313 [T12, T18]).
3.4.2 Nach ständiger Rechtsprechung kann das Vorliegen einer Lenkerberechtigung nicht durch den Nachweis tatsächlichen Fahrkönnens ersetzt werden. Ebenso wenig ist der Nachweis zulässig, dass der Lenker vor dem Versicherungsfall eine Fahrprüfung bestanden hätte. Für den Fahrer ohne Lenkerberechtigung bleibt demnach nur ein eingeschränkter Kausalitätsgegenbeweis in der Richtung, dass der Unfall durch keinerlei Fahrfehler, sondern etwa durch ein technisches Gebrechen oder das ausschließliche Verschulden eines Dritten verursacht wurde (7 Ob 9/93, 7 Ob 19/93, 7 Ob 36/95, vgl auch RIS-Justiz RS0081197; Fenyves aaO § 6 Rz 94). Unschädlich ist lediglich, wenn der Formalisierung der Erteilung der Lenkerberechtigung aus besonderen Gründen keine entscheidende Bedeutung zukommt (7 Ob 36/95), also etwa dann, wenn der Lenker die Lenkerprüfung bereits bestanden hat, und der Führerschein lediglich aus verfahrenstechnischen Gründen noch nicht ausgehändigt wurde (7 Ob 45/86) oder bei ausländischen Führerscheinen im Zeitpunkt des Versicherungsfalls sämtliche Voraussetzungen für eine „Umschreibung“ auf einen inländischen Führerschein gegeben waren (7 Ob 9/93).
3.4.3 Ausgehend von den Feststellungen, wonach die Unfallursache nicht festgestellt, ein technischer Defekt aber ausgeschlossen werden konnte, ist dem Kläger der Kausalitätsgegenbeweis nicht gelungen Ein unschädlicher Sonderfall im Sinne der dargelegten Rechtslage steht nicht fest.
4. Der Revision war daher Folge zu geben, die Urteile der Vorinstanzen waren aufzuheben und die Rechtssache war zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückzuverweisen.
5. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.
Textnummer
E123621European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2018:0070OB00159.18K.1121.000Im RIS seit
04.01.2019Zuletzt aktualisiert am
24.02.2020