TE OGH 2018/10/30 2Ob94/18i

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Veröffentlicht am 30.10.2018
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. E. Solé sowie die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach der am ***** 2017 verstorbenen M***** W*****, über den Revisionsrekurs des Nachlassgläubigers Land Kärnten, vertreten durch TSCHURTSCHENTHALER Rechtsanwälte GmbH in Klagenfurt am Wörthersee, gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Rekursgericht vom 9. Februar 2018, GZ 1 R 42/18y, 1 R 44/18t, 1 R 45/18i, 1 R 46/18m-14, womit infolge Rekurses des erblasserischen Sohnes F***** W***** „die Beschlüsse“ des Bezirksgerichts Klagenfurt vom 21. Dezember 2017, GZ 4 A 219/17t-8 bis 11, aufgehoben wurden, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Parteien haben die Kosten ihrer Rechtsmittelschriftsätze selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Die am ***** 2017 verstorbene Erblasserin hatte seit dem Jahr 2016 bis zu ihrem Ableben in einem Pflegeheim gewohnt.

Das Land Kärnten meldete gemäß § 47 Abs 2 Kärntner Mindestsicherungsgesetz (K-MSG) eine Forderung von 31.065,52 EUR zur Verlassenschaft an, brachte vor, ihm seien durch den Pflegeheimaufenthalt der Erblasserin vorschussweise übernommene Pflege- und Betreuungskosten in dieser Höhe erwachsen, und beantragte die Überlassung an Zahlungs statt. Daneben meldete lediglich der Sohn der Erblasserin von ihm bezahlte Todesfall- und Begräbniskosten von insgesamt 900,30 EUR an. Im Verlassenschaftsverfahren wurde bisher keine Erbantrittserklärung abgegeben.

Das Erstgericht überließ die im Wesentlichen aus Bankguthaben bestehenden Aktiva der Verlassenschaft von 4.443,14 EUR dem Amt der Kärntner Landesregierung gegen Bezahlung der Gerichtskommissionsgebühren von 251,70 EUR sowie gegen Rückerstattung eines Teils der Forderung des Sohnes von 399,70 EUR. Weiters verständigte es das Seniorenzentrum *****, die B***** AG und die G***** AG, dass über die dort erliegenden Guthaben das Amt der Kärntner Landesregierung alleine verfügungsberechtigt sei.

Das Rekursgericht gab dem dagegen gerichteten Rekurs des Sohnes Folge, hob die Entscheidung und die Verständigungen des Erstgerichts auf und trug diesem die Durchführung der Verlassenschaftsabhandlung auf. Es gelangte nach Auseinandersetzung mit der seit 1. 1. 2018 geänderten Rechtslage zu dem Ergebnis, dass gemäß § 330a iVm § 707a ASVG das Land Kärnten für die Pflegeregressforderung keinen Titel mehr erwirken könne. Dies habe zur Folge, dass ihm nichts zu überlassen sei, weil keine Gläubigereigenschaft mehr bestehe. Durch den Entfall der Pflegeregressforderung sei der Nachlass nicht mehr überschuldet, sodass das Erstgericht die Verlassenschaftsabhandlung durchzuführen haben werde.

Der ordentliche Revisionsrekurs sei zuzulassen, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Übergangsbestimmung des § 707a Abs 2 ASVG fehle.

Gegen die Rekursentscheidung richtet sich der Revisionsrekurs des Landes Kärnten mit dem Antrag, den erstinstanzlichen Beschluss wiederherzustellen.

Der Sohn der Erblasserin beantragt in seiner Rechtsmittelbeantwortung, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil sich der Oberste Gerichtshof zur Behandlung angemeldeter Pflegeregressforderungen im Verlassenschaftsverfahren nach Inkrafttreten des Sozialversicherungs-Zuordnungsgesetzes mit 1. 1. 2018 noch nicht inhaltlich geäußert hat; er ist aber nicht berechtigt.

Das Land Kärnten macht geltend, die Übergangsbestimmung des § 707a ASVG sei dahin auszulegen, dass „laufende Verfahren“ nur insoweit einzustellen seien, als dort Ersatzansprüche für nach dem 1. 1. 2018 erbrachte Leistungen gegenständlich seien. Sonst hinge der Ersatzanspruch des Sozialhilfeträgers davon ab, ob potentiell ersatzpflichtige Personen ein Regressverfahren bis in das Jahr 2018 hinauszögerten oder davon, wann eine Behörde bzw das Gericht eine diesbezügliche Entscheidung fälle. Nach § 707a Abs 2 Satz 2 ASVG seien auch nur solche Verfahren einzustellen, die ausschließlich die Geltendmachung von Ersatzansprüchen zum Inhalt hätten. Das gegenständliche Verlassenschaftsverfahren sei jedoch kein solches Verfahren. Darüber hinaus liege kein Zugriff auf das Vermögen der in § 330a ASVG genannten Personen vor, sondern ein Zugriff auf das Vermögen des ruhenden Nachlasses, der nicht vom Verbot des Pflegeregresses erfasst sei.

Hiezu wurde erwogen:

1. Das Kärntner Mindestsicherungsgesetz (K-MSG), LGBl Nr 15/2007 idgF, enthält im siebenten Abschnitt Bestimmungen, wonach Kosten für Leistungen der sozialen Mindestsicherung durch den Empfänger der Hilfe, seine Erben, seine unterhaltspflichtigen Angehörigen und sonstige Dritte, gegen die der Empfänger der Hilfe Rechtsansprüche hat, zu ersetzen sind (§§ 47 ff K-MSG).

§ 47 Abs 1 K-MSG lautet:

„Ehemalige Empfänger von Dauerleistungen (§ 9 Abs 3) sind zum Ersatz der für sie aufgewendeten Kosten verpflichtet, wenn und insoweit

a) verwertbares Vermögen vor oder während der Inanspruchnahme der Leistung sichergestellt wurde oder

b) sie ein solches innerhalb von drei Jahren nach Ende der Leistung erworben haben und dieses nicht aus eigener Erwerbstätigkeit stammt oder

c) nachträglich bekannt wird, dass sie zur Zeit der Leistung hinreichendes Einkommen oder verwertbares Vermögen hatten oder nach wie vor haben.“

Nach Abs 2 dieser Bestimmung geht die Pflicht zum Kostenersatz für Dauerleistungen gleich einer anderen Schuld auf den Nachlass des Empfängers sozialer Mindestsicherung über, wenn ein Vermögenswert nicht sichergestellt oder vom Empfänger der Leistung innerhalb der Frist nach Abs 1 lit b erworben wurde oder Einkommen oder verwertbares Vermögen erst im Nachhinein bekannt wurde (Abs 1 lit c).

Nach § 49 Abs 4 K-MSG kann das Land mit dem Ersatzpflichtigen über Ersatzansprüche nach §§ 47 und 48 K-MSG einen Vergleich abschließen, dem die Wirkung eines gerichtlichen Vergleichs (§ 1 Z 15 EO) zukommt. Kommt kein Vergleich zustande, sind solche Ersatzansprüche im Zivilrechtsweg geltend zu machen (§ 49 Abs 5 K-MSG).

2. Mit dem Sozialversicherungs-Zuordnungs-Gesetz (SV-ZG), BGBl I 2017/125, wurde § 330a in das ASVG eingeführt.

2.1 Diese Bestimmung unter der Überschrift „Verbot des Pflegeregresses“ steht im Verfassungsrang und lautet:

„(Verfassungsbestimmung) Ein Zugriff auf das Vermögen von in stationären Pflegeeinrichtungen aufgenommenen Personen, deren Angehörigen, Erben/Erbinnen und Geschenknehmer/inne/n im Rahmen der Sozialhilfe zur Abdeckung der Pflegekosten ist unzulässig.“

Nach den Materialien (Begründung des Abänderungsantrags im Nationalrat, AA-225 25. GP 3) soll mit dieser Bestimmung der Pflegeregress verboten werden. Ihr Inkrafttreten regelt die ebenfalls mit dem SV-ZG eingefügte Verfassungsbestimmung des § 707a Abs 2 ASVG. Sie lautet:

„(Verfassungsbestimmung) § 330a samt Überschrift in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 125/2017 tritt mit 1. Jänner 2018 in Kraft. Ab diesem Zeitpunkt dürfen Ersatzansprüche nicht mehr geltend gemacht werden, laufende Verfahren sind einzustellen. Insoweit Landesgesetze dem entgegenstehen, treten die betreffenden Bestimmungen zu diesem Zeitpunkt außer Kraft. Nähere Bestimmungen über den Übergang zur neuen Rechtslage können bundesgesetzlich getroffen werden. [...].“

Nach den Materialien (AA-225 25. GP 3) soll mit dieser Übergangsregelung sichergestellt werden, dass ab dem Inkrafttreten sowohl laufende gerichtliche als auch verwaltungsbehördliche Verfahren eingestellt werden. Ebenso dürfen demnach keine neuen Rückzahlungsverpflichtungen auferlegt werden.

Nähere Bestimmungen zum Übergang zur neuen Rechtslage im Sinne des § 707a Abs 2 ASVG hat der Bundesgesetzgeber nicht erlassen.

2.2 Die Auslegung der Bestimmungen über das Verbot des Pflegeregresses war mittlerweile bereits Gegenstand mehrerer höchstgerichtlicher Entscheidungen. Danach lässt § 707a Abs 2 ASVG in Verbindung mit dem Wortlaut des § 330a ASVG keinen Raum für Zweifel daran, dass der Zugriff auf das Vermögen von in stationären Pflegeeinrichtungen aufgenommenen Personen oder sonstiger Ersatzpflichtiger nach dem 31. 12. 2017 unzulässig ist. Aus dem Umstand, dass der Verfassungsgesetzgeber auf den Zeitpunkt des Vermögenszugriffs abstellt, folgt zwingend, dass das in § 330a ASVG angeordnete Verbot auch dann zum Tragen kommt, wenn die Ersatzforderung auf einer stationären Aufnahme beruht, die zu Leistungen des Sozialhilfeträgers vor dem 1. 1. 2018 geführt hat (1 Ob 62/18a ÖZPR 2018/78 [zust Pfeil]; VwGH Ra 2018/10/0076, Ra 2018/10/0099 ua; vgl 2 Ob 12/18f; vgl auch VfGH E229/2018).

Auch der erkennende Fachsenat teilt diese Rechtsansicht. Bei der im Revisionsrekurs angesprochenen Ungleichbehandlung vor dem 1. 1. 2018 abgeschlossener Sachverhalte handelt es sich um eine vom Verfassungsgesetzgeber offensichtlich bewusst in Kauf genommene Konsequenz aus der von ihm getroffenen Stichtagsregelung (1 Ob 62/18a; vgl VfGH E229/2018).

2.3 Die durch das SV-ZG geänderte Rechtslage ist erst nach Beschlussfassung erster Instanz in Kraft getreten. Dieser Zeitpunkt wäre zwar grundsätzlich auch für die Überprüfung durch das Rechtsmittelgericht maßgeblich (RIS-Justiz RS0048768). Änderungen des zwingenden Rechts sind aber, sofern nicht das Übergangsrecht etwas anderes bestimmt, vom Rechtsmittelgericht ohne weiteres von Amts wegen seiner Entscheidung zugrunde zu legen, auch wenn der zu beurteilende Sachverhalt bereits vor Inkrafttreten des neuen Rechts verwirklicht wurde (2 Ob 220/12k; RIS-Justiz RS0106868).

Die in der Übergangsbestimmung des § 707a Abs 2 ASVG enthaltene Anordnung, dass laufende Verfahren einzustellen sind, ergänzt § 330a ASVG, der den Zugriff auf das Vermögen des davon erfassten Personenkreises ab 1. 1. 2018 verbietet, und macht unmissverständlich klar, dass diese Bestimmung auch in anhängigen Verfahren anzuwenden ist (1 Ob 62/18a). Zutreffend ist daher bereits das Rekursgericht von der Anwendbarkeit der neuen Rechtslage ausgegangen.

2.4 Unzweifelhaft untersagt § 330a ASVG auch den Zugriff auf den Nachlass von in stationären Pflegeeinrichtungen aufgenommen gewesenen Personen. Gemäß § 531 ABGB bilden die Rechte und Verbindlichkeiten eines Verstorbenen dessen Verlassenschaft. Mit dem Tod setzt die Verlassenschaft als juristische Person die Rechtsposition des Verstorbenen fort (§ 546 ABGB). Auch ein Zugriff auf den Nachlass bedeutet daher einen Zugriff auf das Vermögen der vor ihrem Tod in einer stationären Pflegeeinrichtung aufgenommenen Person und wird von § 330a ASVG erfasst (2 Ob 12/18f; Fucik/Mondel, Abschaffung des „Pflegeregresses“ und Zivilverfahren, iFamZ 2017, 382). Der nach den Materialien (AA-225 25. GP 3) durch § 330a ASVG verfolgte Zweck, die Verwertung mühsam erworbener Vermögenswerte pflegebedürftiger Personen, wie etwa eines Eigenheims oder Sparguthabens, zu verbieten, würde sonst nicht erreicht.

3. Gemäß § 154 Abs 1 AußStrG hat das Gericht die Aktiven einer überschuldeten Verlassenschaft auf Antrag den Gläubigern zu überlassen, wenn nicht schon eine unbedingte Erbantrittserklärung oder ein Antrag auf Überlassung als erblos vorliegt und kein Verlassenschaftsinsolvenzverfahren eröffnet wurde.

3.1 Die Gläubigerin leitet ihren Kostenregress-anspruch aus § 47 K-MSG ab. Gemäß der Verfassungsbestimmung des § 707a Abs 2 ASVG sind mit 1. 1. 2018 jedoch diejenigen Landesgesetze insoweit außer Kraft getreten, als sie dem Verbot des § 330a ASVG entgegenstehen. Damit ist der angemeldeten Forderung der Gläubigerin (nachträglich) die materiell-rechtliche Grundlage entzogen worden, weil das Landesgesetz keinen Anspruch mehr gibt, zum Zwecke des Ersatzes von Kosten einer stationären Pflege auf Vermögen des von § 330a ASVG erfassten Personenkreises zuzugreifen (1 Ob 62/18a; vgl 2 Ob 12/18f).

3.2 Die Anmeldung einer Forderung im Verlassenschaftsverfahren kann nicht zu einer der Rechtskraft fähigen Entscheidung über den Bestand der Forderung führen (6 Ob 108/06k). Ist evident, dass aufgrund der aktuellen Rechtslage eine Forderung des Sozialhilfeträgers nicht geltend gemacht werden kann, so ist eine solche Forderung nicht als Passivum zu berücksichtigen (vgl zum Inventar: 9 Ob 14/07k und RIS-Justiz RS0007848; Fucik/Mondel iFamZ 2017, 382 [384]) und das Verlassenschaftsverfahren weiterzuführen.

Für den vorliegenden Fall bedeutet das, dass mangels Überschuldung eine Überlassung an Zahlungs statt nicht mehr in Betracht kommt. Zutreffend hat daher das Rekursgericht dem Erstgericht die Durchführung der Verlassenschaftsabhandlung aufgetragen, wie dies der Sohn in seinem Rekurs beantragt hat (vgl § 153 Abs 1 AußStrG).

Dem Revisionsrekurs ist damit ein Erfolg zu versagen.

4. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsrekursverfahrens beruht auf § 185 AußStrG, wonach im Verlassenschaftsverfahren – außer im Verfahren über das Erbrecht – kein Ersatz von Vertretungskosten stattfindet.

Textnummer

E123532

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2018:0020OB00094.18I.1030.000

Im RIS seit

03.01.2019

Zuletzt aktualisiert am

23.05.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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