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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
B-VG Art138 Abs1 Z7Leitsatz
Nichtgewährung einstweiligen Rechtsschutzes in einer Beschwerdesache betreffend behauptete Verletzung in Persönlichkeitsrechten gemäß Art138b Abs1 Z7 B VG wegen Unzulässigkeit der Beschwerde des Betroffenen gegen die Klassifizierung bzw Behandlung von dem Nationalrat übermittelten Informationen durch den Präsidenten des Nationalrates sowie den BVT-Untersuchungsausschuss und dessen FunktionäreSpruch
Dem Antrag auf Zuerkennung einstweiligen Rechtsschutzes wird keine Folge gegeben.
Begründung
Begründung
I. Sachverhalt
1. Mit Schreiben vom 26. September 2018 teilte der Bundesminister für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz (im Folgenden: "BMVRDJ") dem Untersuchungsausschuss betreffend die politische Einflussnahme auf das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (im Folgenden: "BVT-Untersuchungsausschuss") mit näherer Begründung mit, die Klassifizierung der dem BVT-Untersuchungsausschuss übermittelten Daten der beschwerdeführenden Parteien nachträglich und mit sofortiger Wirkung auf Klassifizierungsstufe 3 ("geheim") gemäß §4 Informationsordnungsgesetz (InfOG) anzuheben.
2. Am 16. Oktober 2018 erfolgte im Rahmen des BVT-Untersuchungsausschusses eine Befragung der erstbeschwerdeführenden Partei als Auskunftsperson.
3. In ihrer auf Art138b Abs1 Z7 B-VG gestützten Beschwerde machen die beschwerdeführenden Parteien die Verletzung in mehreren, als Persönlichkeitsrechte bezeichneten Rechten zum einen durch das Verhalten des Präsidenten des Nationalrates, des BVT-Untersuchungsausschusses selbst bzw dessen Funktionäre im Zusammenhang mit dem Umgang der dem BVT-Untersuchungs-ausschuss zugeleiteten Daten der beschwerdeführenden Parteien sowie zum anderen durch das Verhalten bestimmter Funktionäre des BVT-Untersuchungs-ausschusses im Rahmen der Befragung der erstbeschwerdeführenden Partei vor dem BVT-Untersuchungsausschuss geltend. Nach Ansicht der beschwerdeführenden Parteien weigere sich der BVT-Untersuchungsausschuss zu Unrecht, die vom BMVRDJ (nachträglich) vorgenommene Höherklassifizierung der Daten der beschwerdeführenden Parteien auf Stufe 3 ("geheim") gemäß §4 InfOG vorzunehmen.
Die Vorsitzende und der Verfahrensrichter des BVT-Untersuchungsausschusses hätten zudem während der Befragung der erstbeschwerdeführenden Partei als Auskunftsperson das der Vertrauensperson der erstbeschwerdeführenden Partei gemäß §46 Abs3 VO-UA zustehende Konsultationsrecht mit dem Verfahrensrichter und dem Verfahrensanwalt des BVT-Untersuchungsausschusses beschnitten.
Der Verfassungsgerichtshof möge daher erstens die Weigerung des Präsidenten des Nationalrates, des BVT-Untersuchungsausschusses und dessen Funktionäre, der Höherklassifizierung der Daten der beschwerdeführenden Parteien auf Stufe 3 ("geheim") gemäß §4 InfOG durch den BMVRDJ am 26. September 2018 durch näher bezeichnete Verhaltensweisen Rechnung zu tragen bzw Folge zu leisten, zweitens die trotz der Höherklassifizierung fortgesetzte Behandlung der Daten der beschwerdeführenden Parteien auf Stufe 1 ("eingeschränkt") gemäß §4 InfOG durch den Präsidenten des Nationalrates, den BVT-Untersuchungs-ausschuss und dessen Funktionäre und drittens das Verhalten der Vorsitzenden sowie des Verfahrensrichters des BVT-Untersuchungsausschusses in der Befragung der erstbeschwerdeführenden Partei – nämlich die Hinderung der Vertrauensperson daran, sich wegen Eingriffen in die Grund- und Persönlichkeitsrechte der erstbeschwerdeführenden Partei unmittelbar an den Verfahrensrichter und den Verfahrensanwalt des BVT-Untersuchungs-ausschusses zu wenden – für rechtswidrig erklären.
4. Die beschwerdeführenden Parteien stellen in ihrer auf Art138b Abs1 Z7 B-VG gestützten Beschwerde zudem einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gemäß §20a VfGG. Diesen Antrag begründen die beschwerdeführenden Parteien damit, dass die sie betreffenden Daten seit ihrer Übermittlung an den BVT-Untersuchungsausschuss "vollkommen exponiert" seien. Diese Exponierung halte auch weiterhin an, wie die Weigerung des BVT-Untersuchungsausschusses, die normative Anordnung des BMVRDJ auf Höherklassifizierung der Daten der beschwerdeführenden Parteien zu befolgen, zeige. Den beschwerdeführenden Parteien sei einstweiliger Rechtsschutz zu gewähren, damit die permanente Rechtsverletzung durch Zugänglichkeit der Daten im BVT-Untersuchungs-ausschuss nicht weiter perpetuiert werde und sich der Schaden für die beschwerdeführenden Parteien nicht weiter vergrößere. §20a VfGG biete die Möglichkeit einstweiligen Rechtsschutzes, wenn dies nach den Vorschriften des Unionsrechts erforderlich sei. Die beschwerdeführenden Parteien seien durch die anhaltende Zugänglichkeit der Daten in unionsrechtlich gewährleisteten Rechten – insbesondere im Recht auf Datenschutz gemäß Art8 GRC und in ihren Rechten gemäß der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) – verletzt. Dies wirke sich auch zum Nachteil der von den beschwerdeführenden Parteien in zahlreichen Verfahren vertretenen Klienten aus. Daran vermöge auch nichts zu ändern, dass der BMVRDJ mit Verfügung vom 26. September 2018 die Daten der beschwerdeführenden Parteien mit sofortiger Wirkung auf Stufe 3 gemäß §4 InfOG klassifiziert habe, zumal diese – durch das Anwaltsgeheimnis – geschützten Informationen gemäß §13 Abs1 Z3 InfOG an die Mitglieder der Präsidialkonferenz übermittelt würden und für von den Klubs namhaft gemachte Personen zur Einsichtnahme in der Parlamentsdirektion auflägen.
Die beschwerdeführenden Parteien beantragen daher, der Verfassungsgerichtshof möge mit Beschluss anordnen, der Nationalratspräsident, der Nationalrat, der BVT-Untersuchungsausschuss, dessen Funktionäre und die Parlamentsdirektion mögen
"(i) die Anordnung des Bundesministers für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz vom 26.9.2018 betreffend Klassifizierung der dem Nationalrat zugeleiteten Kanzleidaten der Kanzlei […] in Stufe 3 ("geheim") befolgen und sämtliche diesbezüglich rechtlich notwendigen Maßnahmen treffen, also insbesondere
– die sofortige Löschung aller vorhandenen elektronischen Daten aus der Suchmaske sowie den Rohdaten vornehmen;
– die Vernichtung von Ausdrucken aus den Rohdaten vornehmen;
– die nachhaltige Löschung von heruntergeladenen Dateien aus der Suchmaske vornehmen;
– den Zugang zu und die Einsicht in die Daten nur durch für Stufe 3 berechtigte Personen sicherstellen;
– die Ausgabe von Kopien nur im Abhör- und Abstrahlsicheren Raum und deren Ausgabe nur für die Dauer der Untersuchungsausschusssitzungen im Ausschusslokal sicherstellen,
sowie
(ii) sämtliche notwendige Maßnahmen treffen, um die rückwirkende Kraft der Anordnung des BMVRDJ vom 26.9.2018 – das bedeutet Geltung der Klassifizierungsstufe 3 ab Einlangen der Daten an den Nationalrat – umzusetzen, insbesondere sämtliche bislang erfolgte Vervielfältigungen der Daten zu vernichten".
II. Rechtslage
1. §20a VfGG Verfassungsgerichtshofgesetz 1953 – VfGG, BGBl 85, idF BGBl I 92/2014 lautet:
"§20a. Unbeschadet des §85 kann der Verfassungsgerichtshof in bei ihm anhängigen Rechtssachen durch Beschluss einstweiligen Rechtsschutz zuerkennen, wenn dies nach den Vorschriften des Unionsrechts erforderlich ist."
III. Erwägungen
1. Es kann im vorliegenden Fall dahinstehen, ob die der Gesetzgebung zuzurechnende Tätigkeit eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses (vgl zB VfSlg 19.112/2010) überhaupt in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt, weil die Voraussetzungen für die Zuerkennung einstweiligen Rechtsschutzes nach §20a VfGG aus sonstigen Gründen nicht vorliegen.
1.1. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union können die nationalen Gerichte einstweiligen Rechtsschutz bzw vorläufige Anordnungen nur unter den Voraussetzungen treffen, die für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes durch den Gerichtshof der Europäischen Union gelten (vgl EuGH 21.2.1991, Rs. C-143/88 ua, Zuckerfabrik Süderdithmarschen AG, Slg. 1991 I-00415). Dazu gehören die kumulativ erforderlichen Voraussetzungen der Glaubhaftmachung der Notwendigkeit der Erlassung der einstweiligen Anordnung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht (fumus boni iuris), das Feststehen der Dringlichkeit im Sinne der Verhinderung des Eintritts eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens beim Antragsteller und gegebenenfalls die Abwägung aller bestehender Interessen (vgl EuGH 20.11.2017, Rs. C-441/17 R, Kommission/Polen; den Beschluss des Vizepräsidenten des EuGH 2.3.2016, Rs. C-162/15 P-R, Evonik Degussa GmbH/Kommission, und den Beschluss des Präsidenten des EuG 16.11.2012, Rs. T-345/12 R, Akzo Nobel NV ua).
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union ist Zweck des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes die Sicherung der vollen Wirksamkeit des Urteils in der Hauptsache (vgl die Beschlüsse des Präsidenten des EuGH 13.1.2009, Rs. C-512/07 P(R) ua, Achille Occhetto ua, Slg. 2009 I-00001; 25.3.1999, Rs. C-65/99 P[R], Willeme/Kommission, Slg. 1999 I-01857). Dies bedeutet unter anderem, dass der Erlass einer einstweiligen Anordnung dem Antragsteller nicht mehr Vorteile verschaffen darf, als ihm bei Obsiegen in der Hauptsache günstigstenfalls zugesprochen werden könnten (vgl Beschluss des Präsidenten des EuGH 26.9.1986, Rs. C-231/86 R, ARGE Breda-Geomineraria/Kommission, Slg. 1986, 02639, Rn 18).
Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 11. Dezember 2018, UA2/2018, mit näherer Begründung ausgeführt, dass eine Anrufung des Verfassungsgerichtshofes im Verfahren gemäß Art138b Abs1 Z7 B-VG durch einen von den dem Nationalrat zugeleiteten Informationen Betroffenen ausscheidet. Den beschwerdeführenden Parteien kommt somit im Verfahren nach Art138b Abs1 Z7 B-VG nicht das Recht zu, die Klassifizierung von dem Nationalrat zugeleiteten Informationen beim Verfassungsgerichtshof zu bekämpfen.
Angesichts der Unzulässigkeit einer solchen, auf Art138b Abs1 Z7 B-VG gestützten Beschwerde gegen die Nichtklassifizierung oder behauptetermaßen zu niedrige Klassifizierung der Informationen nach dem Informationsordnungsgesetz scheidet es aus, dass der Verfassungsgerichtshof der Beschwerde einstweiligen Rechtsschutz gemäß §20a VfGG zuerkennt. Durch die Zuerkennung einstweiligen Rechtsschutzes würde nämlich der Beschwerde eine rechtliche Wirkung zukommen, die keinesfalls das Ergebnis der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes in der Hauptsache gemäß Art138b Abs1 Z7 B-VG sein könnte. Es ist nämlich offenkundig, dass die Beschwerde gemäß Art138b Abs1 Z7 B-VG gegen das von den beschwerdeführenden Parteien behauptete Verhalten (die Weigerung des Präsidenten des Nationalrates, des BVT-Untersuchungsausschusses und dessen Funktionäre, der Höherklassifizierung der Daten der beschwerdeführenden Parteien auf Stufe 3 ["geheim"] gemäß §4 InfOG durch den BMVRDJ am 26. September 2018 durch näher bezeichnete Verhaltensweisen Rechnung zu tragen bzw Folge zu leisten, sowie die trotz der Höherklassifizierung fortgesetzte Behandlung der Daten der beschwerdeführenden Parteien auf Stufe 1 ["eingeschränkt"] gemäß §4 InfOG durch den Präsidenten des Nationalrates, den BVT-Untersuchungsausschuss und dessen Funktionäre) in der Hauptsache unzulässig ist.
1.2. Da dem Antrag schon aus diesem Grund keine Folge zu geben ist, erübrigt sich ein Eingehen darauf, ob weitere Voraussetzungen fehlen, der Beschwerde einstweiligen Rechtsschutz gemäß §20a VfGG zuzuerkennen.
2. Der Verfassungsgerichtshof weist in diesem Zusammenhang ergänzend auf das Erkenntnis VfSlg 19.973/2015 hin. Darin hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, dass aus der umfassenden Vorlageverpflichtung eines informationspflichtigen Organs nicht die Befugnis des Untersuchungsausschusses oder seiner Mitglieder folgt, die aus den vorgelegten Akten oder Unterlagen gewonnenen Informationen in jedem Fall an die Öffentlichkeit zu bringen. Der Untersuchungsausschuss hat vielmehr bei seiner Berichterstattung regelmäßig eine Interessenabwägung zwischen privaten Geheimhaltungsinteressen (vgl in diesem Zusammenhang insbesondere §1 DSG, aber auch Art8 EMRK) und öffentlichen Interessen, zu denen unter anderem auch die Bekanntgabe der Kontrollergebnisse zählt, vorzunehmen (vgl VfSlg 19.910/2014 mwN zu einem Verfahren nach Art126a B-VG). Diese Interessenabwägung hat der Untersuchungsausschuss – unabhängig von den Regelungen des Informationsordnungsgesetzes und unabhängig von der tatsächlichen Klassifizierung der dem Untersuchungsausschuss zugeleiteten Informationen nach dem Informationsordnungsgesetz – bei seiner gesamten Tätigkeit zu beachten.
IV. Ergebnis
1. Dem Antrag auf Zuerkennung einstweiligen Rechtsschutzes ist keine Folge zu geben.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Untersuchungsausschuss, VfGH / Rechtsschutz einstweiliger, NationalratEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2018:UA4.2018Zuletzt aktualisiert am
10.01.2019