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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
AVG §71 Abs4;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Hainz-Sator als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Honeder, BSc, in der Rechtssache der Revision des U J, vertreten durch Dr. Michael Velik, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Florianigasse 1/6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. August 2018, I414 2198338-2/4E, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein nigerianischer Staatsangehöriger, stellte am 8. Juni 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005.
2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diesen Antrag mit Bescheid vom 28. September 2017 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab. Es erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Nigeria zulässig sei und legte eine 14- tägige Frist zur freiwilligen Ausreise fest.
3 Mit Schriftsatz vom 20. Februar 2018 beantragte der Revisionswerber unter gleichzeitiger Nachholung der versäumten Handlung (Beschwerde gegen oben angeführten Bescheid) die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist.
4 Den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Bescheid vom 17. Mai 2018 ab. Der dagegen erhobenen Beschwerde gab das Bundesverwaltungsgericht keine Folge. Die Revision wurde nach Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt.
5 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
8 Zur Zulässigkeit der Revision wird - auf das Wesentliche zusammengefasst - vorgebracht, das Bundesverwaltungsgericht weiche im angefochtenen Erkenntnis von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab. Der Revisionswerber habe dargelegt, dass es sich bei der Einrichtung, in der die Hinterlegungsanzeige eingelegt worden sei, um einen "Sammelpostkasten" handle. Es hätten mehrere Personen Zugriff. Offenbar aufgrund der Entnahme durch Dritte habe der Revisionswerber den "bezughabenden Bescheid" (gemeint: die Hinterlegungsanzeige) nicht erhalten. Dies habe er nicht beeinflussen können. Die "belangte Behörde" schließe demgegenüber unzulässig und unbestimmt aus der Information, der Revisionswerber halte sich nicht täglich und nicht regelmäßig an der Abgabestelle auf, dass der Revisionswerber aufgrund längerer Abwesenheiten die gebotene Sorgfalt außer Acht gelassen habe.
9 Dem Revisionswerber ist einzuräumen, dass die Begründung der angefochtenen Entscheidung mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht umfänglich in Einklang zu bringen ist.
10 Zunächst ist festzuhalten, dass - wie das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in seinem Bescheid richtig erkannt hat - bei Versäumen der Beschwerdefrist für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand § 33 VwGVG die maßgebliche Bestimmung ist und nicht §§ 71, 72 AVG, insbesondere nicht § 71 Abs. 4 AVG, weil es sich um ein Verfahren über eine im VwGVG geregelte Beschwerde handelt (vgl. VwGH 28.9.2016, Ro 2016/16/0013).
11 Weiters ist dem Revisionswerber darin beizupflichten, dass in jenem Fall, in dem von der Hinterlegungsanzeige keine Kenntnis erlangt wird, grundsätzlich das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Verfügung steht. Ein unabwendbares oder unvorhergesehenes Ereignis kann nämlich darin liegen, dass die Partei vom Zustellvorgang nicht Kenntnis erlangt hat (vgl. etwa VwGH 12.11.1996, 95/19/0392).
12 Die Revision hängt aber letztlich nicht von der insoweit vom Bundesverwaltungsgericht abweichend vertretenen Auffassung ab. Die Unzulänglichkeiten in der Begründung der angefochtenen Entscheidung führen nicht zu einer Verletzung des Revisionswerbers in subjektiven Rechten.
13 Dem Verwaltungsgerichtshof kommt im Revisionsmodell eine Leitfunktion zu. Aufgabe des Verwaltungsgerichtshofes ist es, im Rahmen der Lösung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (erstmals) die Grundsätze bzw. Leitlinien für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts festzulegen, welche von diesem zu beachten sind. Die Anwendung dieser Grundsätze im Einzelfall kommt hingegen grundsätzlich dem Verwaltungsgericht zu, dem dabei in der Regel ein gewisser Anwendungsspielraum überlassen ist. Ein Aufgreifen des vom Verwaltungsgericht entschiedenen Einzelfalls durch den Verwaltungsgerichtshof ist nur dann unausweichlich, wenn das Verwaltungsgericht die vom Verwaltungsgerichtshof aufgestellten Leitlinien bzw. Grundsätze nicht beachtet hat und somit seinen Anwendungsspielraum überschritten oder eine krasse bzw. unvertretbare Fehlbeurteilung des Einzelfalles vorgenommen hat. Der Verwaltungsgerichtshof ist daher nach dem Revisionsmodell nicht dazu berufen, die Einzelfallgerechtigkeit in jedem Fall zu sichern - diese Aufgabe obliegt den Verwaltungsgerichten (vgl. VwGH 25.10.2018, Ra 2018/20/0469, mwN).
14 Hinreichend erkennbar ist das Bundesverwaltungsgericht davon ausgegangen, dem Revisionswerber liege ein Verschulden an der Versäumung der Beschwerdefrist zur Last, das einen minderen Grad des Versehens im Sinn des § 33 Abs. 1 VwGVG übersteige. Die vom Bundesverwaltungsgericht erfolgte einzelfallbezogene Beurteilung erweist sich vor dem Hintergrund, dass der Revisionswerber, der wusste, dass aufgrund seines Antrages ein ihn betreffendes behördliches Verfahren anhängig war, im gesamten Verfahren kein Vorbringen erstattet hat, ob und allenfalls welche Vorkehrungen er getroffen hat, damit in die für die Abgabestelle vorgesehene und von mehreren (nach seinem Vorbringen: 20) Personen benutzte Abgabeeinrichtung eingelegte Poststücke ihm auch dann zur Kenntnis gelangen, wenn der (unversperrte) Postkasten nicht von ihm, sondern anderen Personen entleert wird, im Ergebnis als nicht unvertretbar.
15 Die Revision, die nach dem Gesagten das Vorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nicht aufzeigt, war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen. Eine nähere Prüfung der Rechtzeitigkeit der Revision konnte infolgedessen auf sich beruhen. Wien, am 5. Dezember 2018
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018200441.L00Im RIS seit
28.12.2018Zuletzt aktualisiert am
18.01.2019