Kopf
Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 3. Dezember 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, die Anwaltsrichter Dr. Hofstätter und Dr. Bartl sowie den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als weitere Richter in der Disziplinarsache gegen *****, Rechtsanwalt in *****, über die Beschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluss des Disziplinarrats der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer vom 14. August 2018, AZ D 26/18, nach Einholung von Stellungnahmen der Generalprokuratur und des Beschuldigten gemäß § 60 Abs 1 zweiter Satz OGH-Geo. 2005 den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Beschluss wurde dem Beschuldigten als einstweilige Maßnahme gemäß § 19 Abs 1 Z 1 und Abs 3 Z 1 lit b DSt das Vertretungsrecht vor dem Landesgericht für Strafsachen Graz und der Staatsanwaltschaft Graz entzogen, weil gegen ihn zu AZ 19 St ***** dieser Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Begehung einer dem Vergehen des sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen nach § 207b Abs 3 StGB unterstellten Tat geführt wurde. Danach soll er am 7. Juli 2018 in G***** die am 17. April 2001 geborene Kate O***** verleitet haben, an ihm gegen Entgelt sexuelle Handlungen vorzunehmen, wobei ihm das Alter der Genannten bekannt gewesen sei.
Rechtliche Beurteilung
Gegen die einstweilige Maßnahme richtet sich die Beschwerde des Beschuldigten; sie schlägt fehl.
Vorangestellt sei, dass das Ermittlungsverfahren derzeit noch nicht abgeschlossen ist und dass in diesem zu AZ 18 HR ***** des Landesgerichts für Strafsachen Graz auch gerichtliche Beweisaufnahmen und Bewilligungen von Zwangsmitteln (§§ 104 f StPO) erfolgten.
Zu Recht kritisiert die Beschwerde, dass es der Disziplinarrat vor der Beschlussfassung über die einstweilige Maßnahme unterlassen hat, dem Beschuldigten angemessen Gelegenheit zur (schriftlichen) Stellungnahme iSd § 19 Abs 2 erster Satz DSt zu geben. Denn die Aufforderung hiezu vom 31. Juli 2018 mit Fristsetzung bis zum 8. August 2018 wurde an dessen Verteidiger mit dem Vermerk „Einschreiben
– persönlich“ adressiert, obwohl dieser als berufsmäßiger Parteienvertreter und nicht in eigener Sache einschritt, jedoch im fraglichen Zeitraum aktenkundig urlaubsbedingt abwesend war, sodass das Schreiben des Disziplinarrats erst nach Fristablauf zugestellt werden konnte. Daher hatte der Verteidiger nicht zu vertreten, dass keine – grundsätzlich von ihm auch im Fall seiner Abwesenheit zu organisierende (vgl RIS-Justiz RS0071988, RS0056549) – fristgerechte Substitution in dieser dringenden Angelegenheit stattfinden konnte.
Dieses Rechtsschutzdefizit konnte im – keinem Neuerungsverbot unterliegenden (§ 89 Abs 2b StPO iVm § 77 Abs 3 DSt; RIS-Justiz RS0089977) – Beschwerdeverfahren dadurch ausgeglichen werden, dass die Stellungnahmen des Beschuldigten vom 16. August, 4. September, 19. September und 19. November 2018 zu den gegen ihn erhobenen Anschuldigungen und den Voraussetzungen für die Anordnung einer einstweiligen Maßnahme Rücksicht fanden (vgl RIS-Justiz RS0129510).
Keiner Kritik unterzog die Beschwerde den Umstand, dass vor der Entscheidung des Disziplinarrats keine mündliche Verhandlung (§ 19 Abs 2 erster Satz zweiter Satzteil DSt) stattfand. Zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung war der Disziplinarrat im Übrigen mit Blick auf die fallaktuelle Dringlichkeit, die zu einer Entscheidungsfindung binnen 14 Tagen führte, nicht verpflichtet (vgl EGMR 5. 4. 2016, Bsw 33060/10, Blum/Österreich; 27 Ds 3/18z).
Soweit die Beschwerde aus der Führung des Ermittlungsakts als Verschlussakt ableitet, dass schwere Nachteile für die Interessen der rechtsuchenden Bevölkerung oder für das Ansehen des Standes nicht zu befürchten seien und somit die Voraussetzungen des § 19 Abs 1 DSt nicht vorlägen, übersieht sie, dass es bei der Beurteilung der Voraussetzungen des § 19 Abs 1 Z 1 DSt nicht auf die Publizität des gegen den Rechtsanwalt geführten Strafverfahrens ankommt. Denn ein anhängiges Strafverfahren birgt jedenfalls die Gefahr, dass der vom Rechtsanwalt seinem Mandanten geschuldete umfassende Einsatz vor Strafgerichten und Strafverfolgungsbehörden nicht mehr gewährleistet ist, wenn sich der Rechtsanwalt vor diesen in einem eigenen Verfahren als Beschuldigter zu verantworten hat (vgl RIS-Justiz RS0104960, RS0056748 [T2], RS0056752, RS0117087 [T3]). Zudem ist es auch dem Ansehen des Standes abträglich, wenn ein Rechtsanwalt vor derselben Behörde einmal in eigener Sache als Beschuldigter und ein anderes Mal als Parteienvertreter agiert (RIS-Justiz RS0056745).
Mit der Behauptung, in Folge Führung des Strafakts als Verschlussakt hätten nur die zuständige Staatsanwältin und der Leiter der Staatsanwaltschaft Graz Kenntnis vom gegen den Beschuldigten laufenden Ermittlungsverfahren, vernachlässigt die Beschwerde im Übrigen § 5 Verschlusssachenverordnung (BGBl II 2015/3) sowie die aktenkundige Befassung auch anderer Personen schon infolge der Ermittlungstätigkeiten der Kriminalpolizei und des korrespondierenden anhängigen Gerichtsverfahrens.
Ausgehend von der genannten Befürchtung schwerer Nachteile für die Interessen der rechtsuchenden Bevölkerung und unter Berücksichtigung des Umstands, dass das Verfahren nicht nur vor der Staatsanwaltschaft Graz sondern auch dem Landesgericht für Strafsachen Graz geführt wird, kommt eine – vom Beschuldigten subsidiär angestrebte – Einschränkung der einstweiligen Maßnahme auf eine Entziehung des Vertretungsrechts bloß vor der Staatsanwaltschaft Graz nicht in Betracht.
Dem stehen – ungeachtet der behaupteten vorwiegenden Tätigkeit des Beschuldigten als Strafverteidiger und Privatbeteiligtenvertreter im Sprengel des Landesgerichts für Strafsachen Graz – auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und die sich daraus ergebende Verpflichtung, einen Eingriff nach § 19 DSt zur Vermeidung der Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz des Disziplinarbeschuldigten nur so behutsam wie möglich vorzunehmen (RIS-Justiz RS0117087 [T1]), nicht entgegen, zumal die verfahrensgegenständliche Maßnahme ein Tätigkeitwerden des Rechtsanwalts vor allen übrigen Landesgerichten, allen Bezirksgerichten und Oberlandesgerichten, vor dem Obersten Gerichtshof sowie vor allen anderen Staatsanwaltschaften nicht ausschließt.
Der Beschwerde zuwider ist ein Gebot der Befristung der auf § 19 Abs 1 Z 1 DSt gestützten einstweiligen Maßnahme „bis zur Beendigung des Strafverfahrens durch Einstellung oder Freispruch“ dem Gesetz nicht zu entnehmen. Dieses sieht vielmehr vor, dass einstweilige Maßnahmen (amtswegig und unverzüglich) aufzuheben, zu ändern oder durch andere zu ersetzen sind, wenn sich ergibt, dass die Voraussetzungen für die Anordnung nicht oder nicht mehr vorliegen oder sich die Umstände wesentlich geändert haben (§ 19 Abs 4 erster Satz DSt; vgl Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vittek, RAO10 § 19 DSt Rz 35; in diesem Sinn ohne derartige Befristung: 25 Os 5/14v, 27 Os 7/14b, 27 Os 3/17y; vgl auch § 177 StPO zur – ebenfalls nicht auf die begehrte Weise zu befristenden – Untersuchungshaft im Strafprozess; aM hingegen 27 Os 7/15d).
Da die Selbstverpflichtungserklärung des Beschuldigten vom 16. August 2018 nicht den gesamten Bereich der von der einstweiligen Maßnahme angeordneten Entziehung des Vertretungsrechts umfasst, war ein auf diese gegründetes Absehen von der Maßnahme (vgl RIS-Justiz RS0125185 [T1]) nicht möglich.
Der Beschwerde war daher ein Erfolg zu versagen.
Textnummer
E123590European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2018:0240DS00002.18F.1203.000Im RIS seit
27.12.2018Zuletzt aktualisiert am
27.12.2018