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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
B-VG Art53, Art138b Abs1 Z4Leitsatz
Feststellung der Verpflichtung der Finanzprokuratur zur Vorlage aller Akten und Unterlagen betreffend die "Task Force Eurofighter" von Anfang 2000 bis Ende 2017 an den Untersuchungsausschuss des Nationalrates; abstrakte Relevanz der – bei der vorlagepflichtigen Stelle vorhandenen bzw im elektronischen Datenraum befindlichen – Akten und Unterlagen zur Untersuchung der politischen Verantwortung im Zusammenhang mit dem Kampfflugzeugsystem "Eurofighter Typhoon" gegeben; keine Vorlageverpflichtung im Fall einer Beeinträchtigung der rechtmäßigen Willensbildung der Bundesregierung oder einzelner ihrer MitgliederRechtssatz
Sowohl aus dem Verlangen gemäß §27 Abs4 VO-UA als auch aus der Begründung des vorliegenden Antrages und der Einleitung des Begehrens "der VfGH möge feststellen, dass der Präsident der Finanzprokuratur zur Vorlage sämtlicher Akten und Unterlagen, insbesondere betreffend die 'Task Force Eurofighter' verpflichtet ist" geht - ungeachtet der verwendeten Formulierung "insbesondere" - in hinreichend konkreter Weise hervor, dass sich der Antrag gemäß Art138b Abs1 Z4 B-VG lediglich auf die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Begründung für die Ablehnung durch die Finanzprokuratur bezieht, dem Eurofighter-Untersuchungsausschuss alle Akten und Unterlagen betreffend die "Task Force Eurofighter" im Rahmen des Untersuchungsgegenstandes vorzulegen (vgl VfGH 14.09.2018, UA1/2018, unter Bezugnahme auf VfSlg 19973/2015 und 19910/2014).
Die von der Finanzprokuratur angeführte Bestimmung des §4 ProkG betreffend das Auftragsverhältnis zwischen Finanzprokuratur und ihrer Mandanten entbindet die Finanzprokuratur nicht von ihrer Verpflichtung zur Vorlage aller Akten und Unterlagen betreffend die "Task Force Eurofighter".
Angesichts des weit formulierten Untersuchungsgegenstandes des Eurofighter-Untersuchungsausschusses besteht auch kein Zweifel daran, dass alle von der Finanzprokuratur vorgelegten Akten und Unterlagen betreffend die "Task Force Eurofighter" zumindest eine abstrakte Relevanz für den Untersuchungsgegenstand haben bzw haben können: Es ist nicht ausgeschlossen, dass diese Akten und Unterlagen der Erfüllung des dem Untersuchungsausschuss mit dem Untersuchungsgegenstand übertragenen Kontrollauftrages dienen können. Es ist in diesem Zusammenhang auch hervorzuheben, dass die Finanzprokuratur in einer Äußerung ausdrücklich darauf hinweist, dass "[...] die in der Finanzprokuratur vorhandenen Unterlagen und damit ihre Akten betreffend die Task Force Eurofighter ausschließlich ihre eigene Tätigkeit bei der Untersuchung der Vorkommnisse, die auch vom Eurofighter-Untersuchungsausschuss 2018 untersucht werden sollen", betreffen.
Irrelevant für die im vorliegenden Fall zu beurteilende Frage der Verpflichtung der Finanzprokuratur zur Vorlage von Akten und Unterlagen betreffend die "Task Force Eurofighter" an den Eurofighter-Untersuchungsausschuss der 26. Gesetzgebungsperiode ist das - zudem schon dem Grunde nach bestrittene - Bestehen und der etwaige Inhalt eines Einvernehmens mit dem Eurofighter-Untersuchungsausschuss der 25. Gesetzgebungsperiode.
Das Argument der Finanzprokuratur, sie sei nicht zur Vorlage von Akten und Unterlagen betreffend die "Task Force Eurofighter" verpflichtet, weil diese ihre Arbeit noch nicht abgeschlossen habe bzw die Anspruchsdurchsetzung nicht abgeschlossen sei, sodass es sich um keinen abgeschlossenen Vorgang im Bereich der Vollziehung des Bundes iSd Art53 Abs2 B-VG handle, geht schon deshalb ins Leere, weil nicht die "Task Force Eurofighter" bzw die Anspruchsdurchsetzung selbst Untersuchungsgegenstand sind, Akten und Unterlagen, die ihre Arbeit und die Anspruchsdurchsetzung betreffen, aber von zumindest abstrakter Relevanz für diesen sind bzw sein können.
Art53 Abs3 B-VG, interpretiert im Zusammenhang mit der Anforderung des grundsätzlichen Beweisbeschlusses, verpflichtet somit die vorlagepflichtige Stelle nicht, auch ihr "zur Verfügung stehende" Akten und Unterlagen herauszugeben. Es muss sich vielmehr um "ihre Akten und Unterlagen" handeln, die zudem "bei der vorlagepflichtigen Stelle vorhanden sind".
Die Finanzprokuratur ist nicht verpflichtet, Akten und Unterlagen vorzulegen, in die sie lediglich Einsicht genommen hat, ohne dass kumulativ die weiteren Elemente des Begriffs "Akten und Unterlagen" vorliegen, wie sie im grundsätzlichen Beweisbeschluss umschrieben sind. Hingegen ist sie verpflichtet, alle Akten und Unterlagen im Sinne des grundsätzlichen Beweisbeschlusses vorzulegen, ungeachtet dessen, ob diese auch von einem anderen vorlagepflichtigen Organ vorzulegen sind; darüber hinaus hat die Finanzprokuratur auch Akten und Unterlagen herauszugeben, die sie in den elektronischen Datenraum gestellt hat, der vom Bundesministerium für Landesverteidigung (zum damaligen Zeitpunkt: Bundesministerium für Landesverteidigung und Sport) im Frühjahr 2016 beauftragt worden ist und über den seitdem dieses Bundesministerium verfügungsberechtigt ist.
Die Ausführungen der Finanzprokuratur könnten jedoch im vorliegenden Fall auch als - im Rahmen der Vertretung vorgebrachte - materielle Geltendmachung des - dem Schutz der Bundesregierung und ihrer einzelnen Mitglieder in einem bestimmten Bereich ihrer Tätigkeit dienenden - Ausnahmetatbestandes des Art53 Abs4 B-VG gewertet werden, der zu einer Einschränkung der Vorlageverpflichtung gegenüber dem Eurofighter-Untersuchungsausschuss führen kann:
Nach Art53 Abs4 B-VG besteht die Verpflichtung gemäß Art53 Abs3 B-VG nicht, soweit die rechtmäßige Willensbildung der Bundesregierung oder von einzelnen ihrer Mitglieder oder ihre unmittelbare Vorbereitung beeinträchtigt wird.
Die Ausnahmebestimmung des Art53 Abs4 B-VG schränkt das Informationsrecht des Nationalrates ein, um die Funktionsfähigkeit sowie die unabhängige und unbeeinflusste Entscheidung der Bundesregierung bzw eines Mitgliedes der Bundesregierung im Einzelfall zu ermöglichen (so ausdrücklich die Materialien). In diesem Fall besteht keine Vorlagepflicht gemäß Art53 Abs3 B-VG, um ein "faktisches Mitregieren Dritter" zu verhindern. Nach den zitierten Materialien kann die Aufforderung zur Vorlage von Akten und Unterlagen im Umfang des - abgeschlossenen - Untersuchungsgegenstandes einen aktuellen (noch offenen) Willensbildungsprozess der Bundesregierung oder von einzelnen ihrer Mitglieder betreffen, sich unter bestimmten Voraussetzungen aber auch auf Vorgänge aus der Vergangenheit beziehen. Bei der Beurteilung des Vorliegens der beschriebenen Voraussetzungen für die Ausnahme von der sonst bestehenden Vorlageverpflichtung sind das Informationsinteresse des Nationalrates, dem im Bereich der Aufdeckung möglicher Rechtsverstöße und vergleichbarer Missstände innerhalb der Bundesregierung besonderes Gewicht zukommt, die Schutzzwecke des Art53 Abs4 B-VG und die konkrete Schutzbedürftigkeit von Informationen gegeneinander abzuwägen. Der pauschale Verweis allein darauf, dass der Bereich der Willensbildung der Bundesregierung betroffen sei, kann jedoch das Zurückhalten von Informationen nicht rechtfertigen.
Neben der Behauptungspflicht trifft das vorlagepflichtige Organ auch eine auf die einzelnen - von der sonst bestehenden Vorlagepflicht des Art53 Abs3 B-VG erfassten - Akten und Unterlagen bezogene Begründungspflicht für das Vorliegen der Voraussetzungen der Ausnahmebestimmung des Art53 Abs4 B-VG, um zunächst dem Untersuchungsausschuss eine Überprüfung und allfällige Bestreitung der Argumentation zu ermöglichen und diese einer etwaigen verfassungsgerichtlichen Nachprüfung unterziehen zu können. In dieser Begründung werden im Regelfall neben dem Informationsinteresse des Nationalrates die Frage der Aktualität oder Abgeschlossenheit der Willensbildung der Bundesregierung oder von einzelnen ihrer Mitglieder und die (nachvollziehbare) Schutzbedürftigkeit der betroffenen Informationen abzuwägen sein.
Das Art53 Abs3 und Art138b Abs1 Z4 B-VG zugrunde liegende und in §27 VO-UA sowie in §56f VfGG näher ausgestaltete Konzept des (Verfassungs-)Gesetzgebers lässt - trotz fehlender Definition des Begriffes Meinungsverschiedenheit für Verfahren nach Art138b Abs1 Z4 B-VG - deutlich erkennen, dass der VfGH angerufen werden kann, um die Klärung einer konkreten Meinungsverschiedenheit, im vorliegenden Fall der unterschiedlichen Auffassung hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der gegenüber dem Untersuchungsausschuss vorgebrachten Begründung für die teilweise oder gänzliche Ablehnung der Vorlage bestimmter Akten und Unterlagen an einen Untersuchungsausschuss, herbeizuführen. Vor dem Hintergrund der Verpflichtung des VfGH gemäß §56f Abs3 VfGG, über eine Meinungsverschiedenheit ua zwischen einem Untersuchungsausschuss des Nationalrates und einem informationspflichtigen Organ über die Verpflichtung, dem Untersuchungsausschuss Informationen zur Verfügung zu stellen, auf Grund der Aktenlage und ohne unnötigen Aufschub (tunlichst binnen vier Wochen nach vollständiger Einbringung des Antrages) zu entscheiden, sowie der befristeten Tätigkeit eines Untersuchungsausschusses (vgl §53 VO-UA) hat das vorlagepflichtige Organ seiner beschriebenen Behauptungs- und Begründungspflicht für das Vorliegen der Voraussetzungen der Ausnahmebestimmung des Art53 Abs4 B-VG bereits gegenüber dem Untersuchungsausschuss und nicht erst im Verfahren vor dem VfGH diesem gegenüber nachzukommen, um die Zulässigkeit der Aktenvorenthaltung für den Untersuchungsausschuss überprüfbar zu machen.
Schlagworte
Nationalrat, VfGH / Untersuchungsausschuss, Verschwiegenheitspflicht, Amtsverschwiegenheit, Auslegung verfassungskonformeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2018:UA3.2018Zuletzt aktualisiert am
09.03.2020