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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §45 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Novak und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Neumair, über die Beschwerde des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Spittal an der Drau vom 18. März 1999, Zl. 25-89/6/98, betreffend Rodungsbewilligung (mitbeteiligte Partei: Nachbarschaft E in G), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Begründung
Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Spittal an der Drau (BH) vom 18. März 1999 wurde der mitbeteiligten Partei (einer Agrargemeinschaft) die Bewilligung zur Rodung einer Teilfläche des Grundstückes Nr. 466/1 der KG B. im Ausmaß von 2,8 ha zum Zwecke der Schaffung eines Startplatzes für Drachenflieger und Paragleiter unter Vorschreibung von Auflagen erteilt. Nach der Begründung habe der forsttechnische Amtssachverständige nach Durchführung eines Ortsaugenscheines ein entsprechendes Gutachten erstattet. Danach lägen die Rodeflächen in einer Funktionsfläche, die nach dem Waldentwicklungsplan die Kennziffer 311 aufweise. Die Flächendynamik sei für die Gemeinde B. mit einem Zugang von 1,7 % positiv; die Waldausstattung der Gemeinde betrage 55 % und die der KG E. 33 %. Die Rodefläche liege im mittleren und östlichen Teil des Grundstückes 466/1 in einer Seehöhe zwischen 1.680 m und
1.760 m. Der beantragte Startplatz solle zwischen dem alten E. Almweg und der neu zu errichtenden Forststraße "S. Platz" zu liegen kommen. Der Untergrund sei trocken und stabil und die Geländeneigung betrage im mittleren Teil 55 % sowie im oberen und unteren Teil 35 bis 45 %. Die Rodefläche selbst sowie die unmittelbare Umgebung sei mit einem "Fichten-Alpswald" der I. bis V. Altersklasse bestockt; die durchschnittliche Überschirmung betrage 0,6. Der Bestand sei auf Grund seines Aufbaues als sehr stabil anzusehen (Textur und Struktur seien sehr gut ausgebildet).
Im anschließenden Gutachten heißt es wörtlich:
"Die Rodungsfläche befindet sich im Schutzwald, da es sich um den Waldgürtel unter der Kampfzone des Waldes handelt. Wie bereits aus dem Befund hervorgeht, handelt es sich bei den Waldflächen um stabile Fichten-Lärchen-Mischwälder, die zum überwiegenden Teil aus Naturverjüngung hervorgegangen sind. Hinsichtlich der Geländeneigung und der Lage des Startplatzes bietet sich die Rodefläche als ideale Fläche für die Errichtung eines solchen Startplatzes an. Durch die beabsichtigten Rodungsmaßnahmen werden im Hinblick auf negative Windeinwirkung auf die umliegenden Waldflächen keine Auswirkungen zu erwarten sein, da die Bestände die erforderliche Stabilität aufweisen. Hinsichtlich einer eventuellen Veränderung der Wasserabflussverhältnisse wird auf das Gutachten der Wildbach- und Lawinenverbauung für Kärnten hingewiesen. Eine eventuelle Rodung würde sich auf die Untergrundverhältnisse und die Oberböden im Hinblick auf die Standsicherheit nicht negativ auswirken, da ein ausgesprochen stabiler und trockener Untergrund vorhanden ist. Inwieweit die Notwendigkeit der Waldinanspruchnahme gegeben ist, wird auf die Stellungnahme der (mitbeteiligten Partei) sowie auf die Stellungnahmen der Raumordnung und des Naturschutzes hingewiesen. Insbesondere ist auch die Stellungnahme der Gemeinde hinsichtlich des öffentlichen Interesses wichtig.
Sollten die öffentlichen Interessen an der Rodung die öffentlichen Interessen der Walderhaltung überwiegen, sind aus forstfachlicher Sicht die im Spruch angeführten Bedingungen und Auflagen in den Bewilligungsbescheid aufzunehmen.
Auf die Vorschreibung einer Ersatzaufforstungsfläche konnte verzichtet werden, da einerseits die Gemeinde B. eine hohe Waldausstattung besitzt und andererseits die Gemeinde eine positive Waldflächendynamik aufweist. Gerade auf der E. Alm sind in den letzten Jahrzehnten viele Almflächen durch natürliche Widerbewaldung in Wald übergegangen."
Die Wildbach- und Lawinenverbauung habe gegen die beantragte Rodung keinen Einwand erhoben. Seitens der Gemeinde B. sei die Auffassung vertreten worden, die Schaffung eines Startplatzes für Drachenflieger und Paragleiter sei aus Gründen der Sicherheit unbedingt notwendig, da der gegenständliche Startplatz immer zu Problemen hinsichtlich der Sicherheit wegen der Windverhältnisse und hinsichtlich der Parkplatzsituation führe. Da die gegenständlichen Maßnahmen im öffentlichen Interesse des Fremdenverkehrs lägen, würden diese seitens der Gemeinde befürwortet und liege das öffentliche Interesse vor.
Nach Auffassung der belangten Behörde sei das öffentliche Interesse an der Schaffung des Parkplatzes entsprechend den Ausführungen der Stellungnahmen höher bewertet worden als das öffentliche Interesse an der Erhaltung der betroffenen Flächen als Wald. Es sei daher spruchgemäß zu entscheiden gewesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vom Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft gemäß § 170 Abs. 8 des Forstgesetzes 1975 (in der Folge: ForstG 1975) unter Anschluss der Verwaltungsakten erhobene Beschwerde.
Die belangte Behörde hat dazu eine Gegenschrift erstattet, in der Stellungnahmen der mitbeteiligten Partei sowie der Gemeinde B.
angeschlossen waren.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2
VwGG gebildeten Senat erwogen:
Der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft beantragt die
Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Er bringt dazu im Wesentlichen vor, die belangte Behörde habe es verabsäumt, nachprüfbare Feststellungen zu den von ihr angenommenen öffentlichen Interesse zu treffen. Sie hätte diesbezüglich einen Amtssachverständigen aus dem Gebiet des Fremdenverkehrs oder der (überörtlichen) Raumplanung beiziehen müssen. Darüber hinaus sei darauf hinzuweisen, dass das von der belangten Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides angenommene überwiegende öffentliche Interesse an der Schaffung eines Parkplatzes mit dem im Spruch angegebenen Rodungszweck (Schaffung eines Startplatzes für Drachenflieger und Paragleiter) nicht vereinbar sei.
Gemäß § 17 Abs. 1 ForstG 1975 ist die Verwendung von Waldboden zu anderen Zwecken als für solche der Waldkultur (Rodung) verboten. Unbeschadet der Bestimmung des Abs. 1 kann die gemäß § 19 Abs. 1 ForstG 1975 zuständige Behörde eine Bewilligung zur Rodung gemäß § 17 Abs. 2 leg. cit. erteilen, wenn ein öffentliches Interesse an einer anderen Verwendung der zur Rodung beantragten Fläche das öffentliche Interesse an der Erhaltung dieser Fläche als Wald überwiegt.
Öffentliche Interessen im Sinne des Abs. 2 sind gemäß § 17 Abs. 3 ForstG 1975 insbesondere in der umfassenden Landesverteidigung, im Eisenbahn-, Luft- und öffentlichen Straßenverkehr, im Post- und öffentlichen Fernmeldewesen, im Bergbau, im Wasserbau, in der Energiewirtschaft, in der Agrarstrukturverbesserung sowie im Siedlungswesen begründet.
Gemäß § 19 Abs. 11 ForstG 1975 sind Bescheide, mit denen eine Rodungsbewilligung erteilt wird, auch dann zu begründen, wenn dem Antrag vollinhaltlich Rechnung getragen wird.
Gemäß § 60 AVG sind in der Begründung des Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen.
Ausgehend von diesen Bestimmungen ist es Sache der Forstbehörde, gestützt auf entsprechende Ermittlungsergebnisse in einer der nachprüfenden Kontrolle zugänglichen Weise darzutun, ob und inwiefern am dargelegten Rodungszweck ein öffentliches Interesse besteht und gegebenenfalls, ob und aus welchen Gründen dieses öffentliche Interesse jenes an der Erhaltung der zur Rodung beantragten Fläche als Wald überwiegt. Die von der Forstbehörde gemäß § 17 ForstG 1975 vorzunehmende Interessenabwägung setzt somit voraus, dass zunächst festgestellt wird, ob und in welchem Ausmaß ein öffentliches Interesse an einer anderen Verwendung der zur Rodung beantragten Fläche besteht (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 14. Dezember 1998, Zl. 97/10/0194, und die dort zitierte Vorjudikatur).
Die demonstrative Aufzählung "öffentlicher Interessen" im § 17 Abs. 3 ForstG 1975 lässt es zu, dass "öffentliche Interessen" im Sinne des § 17 Abs. 2 leg. cit. auch im Fremdenverkehr begründet sein können (vgl. etwa das Erkenntnis vom 27. November 1992, Zl. 89/10/0210). Auch bei einer geordneten und sicheren Ausübung von Breitensport handelt es sich um Gemeinwohlbelange, die als öffentliche Interessen iS des § 17 Abs. 2 leg. cit. in Betracht kommen.
Die Beantwortung der Frage, ob und gegebenenfalls in welchem Ausmaß ein im Fremdenverkehr oder in der Sportausübung begründetes öffentliches Interesse an der Verwirklichung des Rodungsvorhabens der mitbeteiligten Partei besteht, hätte allerdings konkreter, auf der Grundlage fachlich fundierter Ausführungen getroffener, nachvollziehbarer Feststellungen bedurft.
Das Bestehen eines öffentlichen Interesses an einer anderen Verwendung der Waldfläche bedeutet freilich noch nicht, dass deswegen die begehrte Rodungsbewilligung bereits erteilt werden müsste. Vielmehr hat die Behörde, nachdem sie das öffentliche Interesse an einer anderen Verwendung der Waldfläche festgestellt hat, die gesetzlich vorgesehene Interessenabwägung vorzunehmen und in einer der nachprüfenden Kontrolle zugänglichen Weise zu untersuchen, ob das öffentliche Interesse an der anderen Verwendung der Waldfläche das öffentliche Interesse an der Walderhaltung überwiegt (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 16. März 1992, Zl. 91/10/0157).
Die Feststellungen der belangten Behörde zur Annahme eines (das Walderhaltungsinteresse übersteigenden) öffentlichen Interesses am Fremdenverkehr bzw. an der Sportausübung reichen allerdings nicht aus, wobei auch zu prüfen gewesen wäre, ob der angestrebte Zweck ohne Inanspruchnahme von Waldflächen verwirklicht werden könnte.
Da es die belangte Behörde unterließ, die erforderlichen Feststellungen zu treffen und die gesetzlich vorgesehene Interessenabwägung vorzunehmen, hat sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können, belastet. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Wien, am 20. September 1999
Schlagworte
Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel Sachverständiger Erfordernis der Beiziehung ArztEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1999100131.X00Im RIS seit
19.04.2001