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L9200 Sozialhilfe, Grundsicherung, MindestsicherungNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Unsachlichkeit der Berücksichtigung von Personen ohne Leistungsanspruch(-bezug) bei der Berechnung der Summe der Mindeststandards bei Hausgemeinschaften nach dem Oö MindestsicherungsG; keine Unsachlichkeit der Kürzung des Haushaltsgemeinschaften zukommenden Mindeststandards bei Überschreitung des vorgesehenen Höchstbetrags durch Normierung eines nicht unterschreitbaren Mindestbetrags je HaushaltsangehörigemRechtssatz
Abweisung von - zulässigen - Anträgen des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich (LVwG) auf Aufhebung von Bestimmungen des Oö MindestsicherungsG (Oö BMSG) betreffend die Deckelung der Mindeststandards im System der Mindestsicherung nach §13a Abs1, Abs2, Abs6 und Abs7 Oö BMSG; Aufhebung von §13a Abs1 2. Satz Oö BMSG idF LGBl 41/2017 betreffend die Berücksichtigung eines fiktiven Mindeststandards für Personen, die keinen Antrag gestellt haben oder keinen Leistungsanspruch haben.
In VfSlg 11662/1988 wurde betont, dass die Lebenshaltungskosten pro Person bei zunehmender Größe der Haushaltsgemeinschaft abnehmen mögen, jedoch immer noch je weiterer Person ein Aufwand in einiger Höhe erforderlich ist. Es ist also kein sachlicher Grund zu erkennen, richtsatzmäßige Geldleistungen je Haushaltsgemeinschaft ab dem dritten Haushaltsangehörigen abrupt zu kürzen. In solchen Fällen, in denen allfällige weitere Haushaltsangehörige keine Familienbeihilfe beziehen, ist eine Höchstgrenze verfehlt. Aber auch dann, wenn für eine allfällige weitere haushaltsangehörige Person Anspruch auf Familienbeihilfe besteht, kann in der Regel mit der Familienbeihilfe allein der Lebensunterhalt dieser weiteren Person (beispielsweise des zweiten oder dritten Kindes) nicht bestritten werden.
Es steht dem Gesetzgeber frei, besondere Regelungen für Haushaltsgemeinschaften zu schaffen, weil hier grundsätzlich ein anderer Bedarf vorliegt als bei Einpersonenhaushalten. So haben in Haushaltsgemeinschaft lebende Personen geringere Wohnkosten und - in einem gewissen Ausmaß - auch geringere Lebenshaltungskosten, die sich beispielsweise in degressiven Mindeststandards niederschlagen können. Der Gesetzgeber muss aber sicherstellen, dass das von ihm eingerichtete System der bedarfsorientierten Mindestsicherung seinen eigentlichen Zweck - die Vermeidung und Bekämpfung sozialer Notlagen bei hilfsbedürftigen Personen - erfüllt.
Keine Unsachlichkeit der Deckelung der Mindeststandards nach §13a Abs1, Abs2, Abs6 und Abs7 Oö BMSG:
Vor diesem Hintergrund hat der VfGH die vom Verordnungsgeber nach dem Vorarlberger Mindestsicherungsgesetz (Vbg MSG) getroffene Regelung, die neben der Berücksichtigung des Wohnbedarfes eine degressive Staffelung ab der vierten minderjährigen Person, für die ein Anspruch auf Familienbeihilfe besteht, und einen nicht unterschreitbaren Betrag ab der siebtältesten minderjährigen Person, für die ein Anspruch auf Familienbeihilfe besteht, vorsieht, als eine sachgerechte Regelung erkannt, die unter Berücksichtigung der Familienbeihilfe am Bedarf der jeweiligen Person anknüpft (VfGH 12.12.2017, V101/2017). Dabei hat der VfGH ausdrücklich festgehalten, dass es dem Landesgesetzgeber nicht verwehrt ist, den Grundbetrag der Familienbeihilfe und den Kinderabsetzbetrag bei der Bemessung von Leistungen aus der Mindestsicherung zu berücksichtigen, da diese Leistungen der Sicherung des Lebensunterhaltes dienen.
Zum System der bedarfsorientierten Mindestsicherung nach dem Niederösterreichischen Mindestsicherungsgesetz (Nö MSG) hat der VfGH ausgesprochen, dass dieses - wenn auch nur in einer Durchschnittsbetrachtung - auf die Bedarfslage hilfsbedürftiger Personen abstellt, in Abkehr davon hingegen in §11b Nö MSG die Begrenzung des Anspruchs eines Haushaltes mit € 1.500,- unabhängig davon, wie viele und welche Personen dem Haushalt angehören, angeordnet wird, und eine solche Regelung nicht mit dem geringeren Wohnbedarf oder mit Synergieeffekten einer Haushaltsgemeinschaft sachlich gerechtfertigt werden kann.
§13a Abs1 und 2 Oö BMSG sehen so wie §11b Nö MSG eine Begrenzung der Summe der richtsatzmäßigen Geldleistungen mit dem Betrag von € 1.512,- und eine prozentuelle gleichmäßige Kürzung der richtsatzmäßigen Geldleistungen aller Personen einer Haushaltsgemeinschaft für den Fall der Überschreitung dieses Betrages vor. Wie in VfGH 07.03.2018, G136/2017, zu dem dort behandelten System der Nö Mindestsicherung festgehalten wurde, bedingt eine solche Regelung, dass bei Hinzutreten weiterer Personen eine Kürzung der auf die jeweilige Person rechnerisch entfallenden richtsatzmäßigen Geldleistung unabhängig von der Bedarfslage der hilfsbedürftigen Person eintritt. Anders als das System der Nö Mindestsicherung sieht jedoch das Oö BMSG in §13a Abs1 und Abs2 iVm Abs6 und 7 vor, dass der für eine Haushaltsgemeinschaft vorgesehene pauschale Betrag bei Hinzutreten weiterer Personen insoweit zu erhöhen ist, als für eine unterhaltsberechtigte minderjährige Person ein Betrag iHv 12% und im Fall einer weiteren volljährigen Person iHv 30% des Netto-Ausgleichszulagen-Richtsatzes unterschritten würde.
Das Oö MSG geht sohin davon aus, dass mit Hinzutreten einer weiteren Person zu einer bestehenden Haushaltsgemeinschaft für diese in jedem Fall ein bestimmter Betrag anzusetzen ist, was dazu führt, dass der für eine Haushaltsgemeinschaft vorgesehene Betrag ab einer gewissen Haushaltsgröße um einen bestimmten Betrag zu erhöhen ist.
Damit berücksichtigt der Oö Landesgesetzgeber anders als die Regelung im Nö MSG sowohl für Haushaltsgemeinschaften mit minderjährigen Personen wie auch für solche mit volljährigen Personen, dass ungeachtet der jeweiligen Haushaltsgröße und der mit zunehmender Größe eintretenden Synergieeffekte für jede Person ein Aufwand in einiger Höhe erforderlich ist und diese individuelle Bedarfslage entsprechend durch Ansatz einer richtsatzmäßigen Geldleistung zu berücksichtigen ist, die im Rahmen der Leistungen der Mindestsicherung nicht unterschritten werden darf.
Eine solche Regelung gewährleistet, dass nicht der - vom VfGH als unsachlich qualifizierte - Fall eintreten kann, dass der Lebensunterhalt für eine minderjährige Person im Rahmen eines Mindestsicherungssystems ausschließlich mit der Familienbeihilfe bestritten wird.
Der VfGH geht weiters davon aus, dass - im Rahmen einer Regelung, die je Haushaltsgemeinschaft einen Pauschalbetrag vorsieht, der ab einer gewissen Haushaltsgröße um einen bestimmten Betrag zu erhöhen ist - die bei Hinzutreten einer weiteren Person zu einer bestehenden Haushaltsgemeinschaft eintretende Kürzung dann nicht in verfassungswidriger Weise in die verbürgten Rechtspositionen der Anspruchsberechtigten eingreift, wenn die für die jeweilige einzelne (minderjährige) Person festgelegte nicht unterschreitbare richtsatzmäßige Geldleistung mit Blick auf den für die Haushaltsgemeinschaft vorgesehenen Pauschalbetrag den eigentümlichen Zweck der bedarfsorientierten Mindestsicherung, nämlich die Vermeidung und Bekämpfung sozialer Notlagen (VfSlg 19698/2012), gewährleistet.
Vor diesem Hintergrund steht dem Gleichheitssatz auch nicht entgegen, dass eine Haushaltsgemeinschaft mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern denselben für eine Haushaltsgemeinschaft zur Verfügung stehenden Betrag erhält wie eine Haushaltsgemeinschaft mit zwei Erwachsenen und sieben Kindern. Derartige Effekte treten nämlich in einer Durchschnittsbetrachtung im Fall des Hinzutretens einer weiteren Person zu einer Haushaltsgemeinschaft insofern ein, als sich hiedurch der je Person der Haushaltsgemeinschaft bis dahin zur Verfügung stehende Betrag typischerweise verringert. Dem Gesetzgeber steht es frei, in einer Durchschnittsbetrachtung einen Pauschalbetrag anzusetzen, wenn sichergestellt ist, dass der bei Hinzutreten einer weiteren minderjährigen Person eintretende zusätzliche Bedarf vom Gesetzgeber im Rahmen einer solchen Pauschalregelung in einer die Vermeidung sozialer Notlagen Rechnung tragenden Weise sachangemessen berücksichtigt wird.
Unter Beachtung vorstehender Grundsätze kann der Verfassungsgerichtshof nicht finden, dass die Festlegung des Pauschalbetrages in §13a Abs1 und 2 in Verbindung mit der in §13a Abs6 und 7 Oö BMSG geregelten nicht unterschreitbaren richtsatzmäßigen Geldleistung den eigentümlichen Zweck der bedarfsorientierten Mindestsicherung, nämlich die Vermeidung und Bekämpfung sozialer Notlagen, nicht in einer dem Gleichheitssatz hinreichend Rechnung tragenden Weise gewährleisten würde. Dies zumal bei der Beurteilung, ob ein ausreichender Betrag zur Vermeidung einer sozialen Notlage zur Verfügung steht, der Landesgesetzgeber für minderjährige unterhaltsberechtigte Personen zusätzlich den Grundbetrag der Familienbeihilfe und den Kinderabsetzbetrag bei der Bemessung von Leistungen aus der Mindestsicherung einbeziehen kann, dienen diese Leistungen doch ebenso der Sicherung des Lebensunterhaltes.
Damit gewährleistet aber das Oö BMSG, dass - in Anbetracht der Regelung, die je Haushaltsgemeinschaft einen Pauschalbetrag und ab einer gewissen Haushaltsgröße einen bestimmten, nicht unterschreitbaren Betrag je weiterer minderjähriger Person vorsieht - unter Einbeziehung der hinzutretenden Familienleistungen für die jeweilige Haushaltsgemeinschaft insgesamt ein zur Vermeidung sozialer Notlagen ausreichender Betrag zur Verfügung steht.
Soweit das antragstellende Gericht das Bedenken hegt, dass das bloße Anknüpfen an das Vorliegen einer Haushaltsgemeinschaft zu undifferenziert sei, da die Bedarfe und die Synergieeffekte in einer Haushaltsgemeinschaft mit einer Familie mit wechselseitigen Unterhaltsansprüchen andere seien als in einer Haushaltsgemeinschaft in Form einer bloßen Wohngemeinschaft, kann der VfGH nicht erkennen, dass der Landesgesetzgeber eine Rechtslage geschaffen hätte, die nicht die Vermeidung sozialer Notlagen für Haushaltsgemeinschaften mit volljährigen Personen gewährleisten könnte, zumal für solche Haushaltsgemeinschaften im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Disposition auch offen steht, die Größe der Haushaltsgemeinschaft derart festzulegen, dass mit dem gemäß §13a Abs1 und 2 Oö BMSG zugewiesenen Betrag eine soziale Notlage vermieden wird.
Unsachlichkeit des §13a Abs1 zweiter Satz Oö BMSG:
Diese Regelung sieht vor, dass bei der Berechnung der Summe der Mindeststandards für die jeweilige Haushaltsgemeinschaft auch jene Personen mit einem fiktiven Mindeststandard zu berücksichtigen sind, die keinen Antrag gestellt haben oder keinen Leistungsanspruch haben. Wie der VfGH bereits zur Nö Mindestsicherung (VfGH 07.03.2018, G136/2017) ausgesprochen hat, ist eine Begrenzung, die unabhängig davon wirksam wird, ob die weiteren Mitbewohner selbst Mindestsicherung beziehen, unsachlich. Eine solche Regelung führt dazu, dass die rechnerisch auf die jeweilige Person entfallende richtsatzmäßige Geldleistung von Beziehern der Mindestsicherung nicht für die Deckung des Bedarfes zur Verfügung steht, ohne dass eine sachliche Rechtfertigung hiefür besteht, zumal selbst Synergieeffekte mit anderen Mindestsicherungsbeziehern der Haushaltsgemeinschaft gar nicht eintreten können. Damit wird aber eine Haushaltsgemeinschaft mit nicht anspruchsberechtigten Personen gegenüber einer Haushaltsgemeinschaft mit anspruchsberechtigten Personen in unsachlicher Weise schlechter gestellt.
Entscheidungstexte
Schlagworte
Mindestsicherung, ArmenwesenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2018:G156.2018Zuletzt aktualisiert am
10.03.2020