TE Vwgh Beschluss 2018/11/30 Ro 2016/08/0021

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Veröffentlicht am 30.11.2018
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Index

66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;
66/03 Sonstiges Sozialversicherungsrecht;

Norm

ASVG §18b Abs1;
BPGG 1993 §4 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler sowie die Hofräte Dr. Strohmayer und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision der Pensionsversicherungsanstalt in Wien (als belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht), vertreten durch Dr. Josef Milchram, Dr. Anton Ehm und Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Singerstraße 12/9, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. Juni 2016, W178 2123131-1/6E, betreffend Selbstversicherung in der Pensionsversicherung gemäß § 18b ASVG (mitbeteiligte Partei: K S in L; weitere Partei: Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet wird.

Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Gemäß § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichts gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden.

2.1. Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht der Beschwerde der Mitbeteiligten gegen den Bescheid der Revisionswerberin vom 7. Jänner 2016, mit dem der Antrag der Mitbeteiligten auf Selbstversicherung in der Pensionsversicherung gemäß § 18b ASVG ab dem 1. Oktober 2014 für Zeiten der Pflege eines nahen Angehörigen (ihres Ehemanns) mangels erheblicher Beanspruchung der Arbeitskraft durch die Pflege abgelehnt worden war, Folge und stellte in Abänderung der bekämpften Entscheidung fest, dass die Mitbeteiligte ab dem 1. Oktober 2014 zur Selbstversicherung in der Pensionsversicherung gemäß § 18b ASVG berechtigt sei.

Das Verwaltungsgericht führte - auf Grundlage der getroffenen Feststellungen, wonach die Mitbeteiligte 20 Stunden wöchentlich unselbständig erwerbstätig sei und daneben ihren (zunächst Pflegegeld der Stufe 6 und seit November 2015 Pflegegeld der Stufe 7 beziehenden, laut einem ärztlichen Sachverständigengutachten der Hilfe und Beaufsichtigung rund um die Uhr bedürfenden) Ehemann während der notwendigen Ruhepausen einer zur Pflege herangezogenen 24-Stunden-Kraft mindestens zwei Stunden täglich in häuslicher Umgebung pflege und daneben auch sonstige Tätigkeiten als vertretungsbefugte nahe Angehörige verrichte, sodass sich ein Betreuungsaufwand von mindestens drei Stunden (laut rechtlicher Würdigung zwei bis drei Stunden) täglich ergebe - aus, dass ihre Arbeitskraft durch die Pflege erheblich beansprucht werde und daher die Selbstversicherung in der Pensionsversicherung gemäß § 18b ASVG anzuerkennen sei.

2.2. Das Verwaltungsgericht sprach weiters aus, dass die Revision zulässig sei, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zu der Frage fehle, unter welchen Voraussetzungen eine erhebliche Beanspruchung der Arbeitskraft im Sinn des § 18b ASVG vorliege.

3.1. Die Revisionswerberin führte in der ordentlichen Revision im Wesentlichen aus, es fehle Rechtsprechung zu der Frage, ob im Fall der Beiziehung einer 24-Stunden-Kraft eine zusätzliche Pflege durch einen nahen Angehörigen unter erheblicher Beanspruchung dessen Arbeitskraft im Sinn des § 18b ASVG in Betracht komme, bestehe doch der Zweck einer 24-Stunden-Betreuung darin, dass die 24-Stunden-Kraft unter Beachtung der notwendigen Pausen rund um die Uhr sämtliche pflegerischen Tätigkeiten ausführe.

Im Übrigen stelle der fallbezogene Pflegeaufwand von zwei bis drei Stunden täglich noch keine erhebliche Beanspruchung der Arbeitskraft dar.

3.2. Die Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung.

4. Die Revision ist entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichts nicht zulässig.

5.1. Was die Zulassungsbegründung des Verwaltungsgerichts und die diesbezüglichen Ausführungen (auch) der Revisionswerberin betrifft, so hat der Verwaltungsgerichtshof mittlerweile in seinem Erkenntnis vom 19. Jänner 2017, Ro 2014/08/0084, auf dessen Inhalt verwiesen wird (§ 43 Abs. 2 VwGG), klargestellt, was unter einer erheblichen Beanspruchung der Arbeitskraft durch die Pflege im Sinn des § 18b ASVG zu verstehen ist. Demnach kommt es auf die anhand der Regelungen des Bundespflegegeldgesetzes (BPGG) und der dazu ergangenen Einstufungsverordnung zu ermittelnde Anzahl der von der pflegenden Person für den nahen Angehörigen durchschnittlich zu leistenden Pflegestunden an, wobei eine erhebliche Beanspruchung der Arbeitskraft bei einem durchschnittlichen Pflegeaufwand ab 14 Stunden wöchentlich bzw. ab 60 Stunden monatlich anzunehmen ist.

5.2. Nach den vom Verwaltungsgericht getroffenen im Revisionsverfahren unstrittigen Feststellungen wird der - zunächst Pflegegeld der Stufe 6 und zuletzt Pflegegeld der Stufe 7 beziehende - Angehörige mindestens drei  Stunden täglich (laut rechtlicher Würdigung zwei bis drei Stunden täglich) von der Mitbeteiligten gepflegt. Bei einer solchen täglichen Stundenanzahl ist das für das Vorliegen einer erheblichen Beanspruchung der Arbeitskraft vorauszusetzende zeitliche Ausmaß von durchschnittlich 14 Stunden wöchentlich bzw. 60 Stunden monatlich jedenfalls erfüllt. Da auch die sonstigen Voraussetzungen für die Selbstversicherung in der Pensionsversicherung gemäß § 18b ASVG unstrittig gegeben sind, erweist sich der Anspruch der Mitbeteiligten als berechtigt.

6.1. Was das Revisionsvorbringen bezüglich des Vorliegens einer 24-Stunden-Betreuung anlangt, so hat der Verwaltungsgerichtshof im schon zitierten Erkenntnis Ro 2014/08/0084 (vgl. auch VwGH 19.1.2017, Ro 2015/08/0014) festgehalten, dass die Inanspruchnahme einer 24-Stunden-Betreuung zwar ein Indiz für die alleinige Vornahme der notwendigen Pflegeleistungen durch die beigezogene 24-Stunden-Kraft sein mag. Damit ist jedoch nicht von vornherein ausgeschlossen, dass daneben die nahen Angehörigen einen Teil der notwendigen Pflegeleistungen selbst verrichten müssen. Das Vorliegen derartiger besonderer Gründe ist vom Antragsteller konkret vorzubringen.

6.2. Vorliegend wurden solche besonderen Gründe dargelegt, aus denen - trotz Beiziehung einer 24-Stunden-Kraft - von einer zusätzlichen notwendigen Pflege durch die Mitbeteiligte unter erheblicher Beanspruchung ihrer Arbeitskraft im Sinn des § 18b ASVG auszugehen ist.

Das dem pflegebedürftigen Ehemann der Mitbeteiligten zuerkannte Pflegegeld (von zunächst Stufe 6 und zuletzt Stufe 7) setzt gemäß § 4 Abs. 2 BPGG nicht nur einen durchschnittlichen Pflegebedarf von (jeweils) mehr als 180 Stunden monatlich voraus, sondern erfordert zusätzlich, dass (in Bezug auf Stufe 6) zeitlich unkoordinierbare regelmäßig bei Tag und bei Nacht zu erbringende Betreuungsmaßnahmen oder eine dauernde Anwesenheit der Pflegeperson bei Tag und bei Nacht wegen der Wahrscheinlichkeit einer Eigen- oder Fremdgefährdung erforderlich sind, bzw. dass (in Bezug auf Stufe 7) der pflegebedürftigen Person keine zielgerichteten Bewegungen der vier Extremitäten mit funktioneller Umsetzung mehr möglich sind oder ein gleichartiger Zustand vorliegt.

Der Grundgedanke dieser (soeben angeführten) besonderen Voraussetzungen für die Pflegestufen 6 bzw. 7 ist eine pflegerisch objektiv notwendige dauernde Anwesenheit einer Pflegeperson im Sinn eines permanenten Pflegeeinsatzes im Wohnbereich des Pflegebedürftigen durchgehend bei Tag und bei Nacht (vgl. dazu Greifeneder/Liebhart, Pflegegeld4 Rz 5.394, 5.416, mwN). Ein solcher ununterbrochener Pflegeeinsatz rund um die Uhr kann jedoch - wie das Verwaltungsgericht zutreffend erkannt hat und auch die Revisionswerberin in der Revision ausdrücklich einräumt - selbst von einer (entsprechend geschulten und belastbaren) 24- Stunden-Betreuungskraft nur unter Einhaltung der notwendigen Pausen erbracht werden. In den Pausen muss daher die permanent notwendige Anwesenheit und Pflege durch eine andere Betreuungsperson geleistet werden.

6.3. Ausgehend davon begegnet es keinen Bedenken, wenn das Verwaltungsgericht fallbezogen zum Ergebnis gelangt ist, dass während der von der 24-Stunden-Kraft benötigten Pausen die Mitbeteiligte die notwendigen Pflegeleistungen im zeitlichen Umfang von mindestens zwei Stunden täglich zu erbringen hat, sowie dass sich - im Hinblick auf die weiteren mit der Pflege im unmittelbaren Zusammenhang stehenden Tätigkeiten der Mitbeteiligten als vertretungsbefugte nahe Angehörige - die von ihr durchschnittlich geleistete Pflege auf zusammen (mindestens) drei Stunden täglich beläuft.

Bei einer solchen täglichen Stundenzahl ist jedoch - wie schon gesagt - das für das Vorliegen einer erheblichen Beanspruchung der Arbeitskraft im Sinn des § 18b ASVG vorauszusetzende zeitliche Ausmaß jedenfalls erfüllt.

7. Insgesamt sind daher die aufgeworfenen Rechtsfragen durch die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs bereits geklärt (siehe zur Maßgeblichkeit des Zeitpunkts der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs für das Vorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung etwa VwGH 26.6.2014, Ra 2014/03/0005) und wurden vom Verwaltungsgericht auch zutreffend gelöst.

8. Die Revision war deshalb gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 30. November 2018

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RO2016080021.J00

Im RIS seit

20.12.2018

Zuletzt aktualisiert am

14.02.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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