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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
B-VG Art130 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Bayjones und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Paal, über die Beschwerde des JS, (geboren am 20. Juli 1975), in W, vertreten durch Dr. Rosemarie Rismondo, Rechtsanwalt in 2320 Schwechat, Sendnergasse 38, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 23. Juni 1999, Zl. SD 10/99, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 23. Juni 1999 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen deutschen Staatsangehörigen, gemäß § 36 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 2 Z. 1 iVm § 48 Abs. 1 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von fünf Jahren erlassen.
Der Beschwerdeführer sei am 22. September 1998 vom Landesgericht für Strafsachen Wien wegen des Verbrechens nach § 28 Abs. 2 Suchtmittelgesetz und des Vergehens nach § 27 Abs. 1 leg. cit. zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von acht Monaten rechtskräftig verurteilt worden. Wie aus der Urteilsbegründung hervorgehe, habe er in Wien den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift in einer großen Menge in Verkehr gesetzt bzw. dazu beigetragen, indem er in der Zeit von 1995 bis Mai 1997 für eine andere Person Verkäufe vermittelt habe. Es habe sich dabei um 100 bis 150 Ecstasy-Tabletten und 50 Speed Kapseln gehandelt. Im Jahr 1997 habe er Verkäufe für eine weitere Person vermittelt, wobei es sich um 100 bis 150 Ecstasy-Tabletten gehandelt habe. Der Beschwerdeführer selbst habe in der Zeit von 1995 bis 26. Oktober 1997 wiederholt Suchtgifte erworben und besessen. Zur Finanzierung dieser Sucht habe er Verkäufe an andere Personen vermittelt. Bei dieser Verurteilung handle es sich jedenfalls um eine bestimmte Tatsache iS des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG, die ohne jeden Zweifel deutlich erkennen lasse, dass der Aufenthalt eines solchen Fremden die öffentliche Ordnung und die öffentliche Sicherheit in höchstem Maß gefährde. Die Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes iS des § 48 Abs. 2 (offensichtlich gemeint: Abs. 1) iVm § 36 Abs. 1 FrG seien daher unter dem Vorbehalt der §§ 37 und 38 leg. cit. gegeben.
Der Beschwerdeführer sei im Jahr 1990 als Vierzehnjähriger nach Österreich gekommen und habe hier eine Lehre als Starkstrommonteur erfolgreich abgeschlossen. Seit November 1998 sei er bei einem Unternehmen in Wien beschäftigt. Seine Mutter befinde sich ebenfalls in Wien, mit der er jedoch nicht im gemeinsamen Haushalt lebe. Auf Grund seines langjährigen inländischen Aufenthaltes und im Hinblick darauf, dass seine Mutter hier lebe, liege ein mit dem Aufenthaltsverbot verbundener Eingriff in sein Privat- und Familienleben vor. Dessen ungeachtet sei die Zulässigkeit dieser Maßnahme im Grunde des § 37 FrG zu bejahen. Gerade wegen der besonderen Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität sei die Erlassung des Aufenthaltsverbotes zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele, hier: zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen, zum Schutz der Rechte Dritter und zum Schutz der Gesundheit, als dringend geboten zu erachten. Dies umso mehr, als der Beschwerdeführer Suchtgiftverkäufe über einen längeren Zeitraum vermittelt habe, um seine eigene Sucht zu finanzieren, was für sich allein eine positive Zukunftsprognose derzeit nicht zulasse.
Im Rahmen der nach § 37 Abs. 2 FrG vorzunehmenden Interessenabwägung sei auf den seit dem Jahre 1990 gegebenen Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet Bedacht zu nehmen gewesen. Der daraus und aus seiner Beschäftigung ableitbaren Integration komme aber insofern kein entscheidendes Gewicht zu, als die dafür erforderliche soziale Komponente durch die von ihm begangenen Straftaten erheblich gemindert werde. Auch die Bindung zu seiner Mutter werde durch den Umstand, dass er erwachsen sei, relativiert. Diesen - solcherart geminderten - familiären und privaten Interessen stehe das hoch zu veranschlagende öffentliche Interesse an der Verhinderung der Suchtgiftkriminalität gegenüber. Unter Bedachtnahme auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes im Zusammenhang mit Suchtgiftdelikten auch bei ansonsten völliger sozialer Integration eines Fremden nicht rechtswidrig sei, gelange die belangte Behörde bei Abwägung der genannten Interessen zur Auffassung, dass die Auswirkungen der vorliegenden Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie keinesfalls schwerer wögen als die gegenläufigen öffentlichen Interessen und damit die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von dieser Maßnahme.
Was die Gültigkeitsdauer dieser Maßnahme betreffe, so erscheine die von der Erstbehörde vorgenommene Befristung keineswegs zu lang bemessen. In Anbetracht des aufgezeigten Fehlverhaltens des Beschwerdeführers könne ein Wegfall des für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Grundes, nämlich der Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch den Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet, keinesfalls vor Verstreichen des festgesetzten Zeitraumes erwartet werden.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Gemäß § 36 Abs. 1 FrG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt (Z. 1) die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährdet. Nach § 48 Abs. 1 FrG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen einen EWR-Bürger nur zulässig, wenn auf Grund seines Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Hatte der EWR-Bürger seinen Hauptwohnsitz ununterbrochen seit zehn Jahren im Bundesgebiet, ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen ihn nicht zulässig.
2. Die Beschwerde führt u.a. ins Treffen, dass der Beschwerdeführer in seinem 14. Lebensjahr mit seiner Mutter aus der BRD nach Österreich gezogen sei, in der BRD keine Verwandten mehr habe und seine gesamten familiären und berufsmäßigen Beziehungen seit fast zehn Jahren ausschließlich in Österreich habe. Er sei als fast noch Jugendlicher in die Disco-Szene geraten und habe von Mai 1995 bis Oktober 1997 infolge seiner Suchtgiftabhängigkeit "Modedrogen" konsumiert bzw. Freunden vermittelt, habe sich jedoch seit Oktober 1997 nichts mehr zuschulden kommen lassen und sei zum Zeitpunkt seiner Verurteilung bereits seit fast einem Jahr "clean" gewesen. Auch habe das Strafgericht - bezogen auf den Strafrahmen - eine Mindeststrafe über ihn verhängt, weil es den subjektiven Schuldgehalt für relativ geringfügig angesehen habe. Er habe seine Lehre mit Auszeichnung absolviert, arbeite bei angesehenen Unternehmen als hoch qualifizierter Facharbeiter und stelle keine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit mehr dar. Die belangte Behörde habe es unterlassen, den für ihre Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt vollständig zu ermitteln, und es würde die "Ausweisung" eine unangemessene Härte bedeuten.
3. Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde im Ergebnis eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.
Die Bestimmung des § 36 Abs. 1 FrG räumt der Behörde insofern Ermessen ein, als sie diese ermächtigt, von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes trotz Vorliegens der in den §§ 36 bis 38 FrG normierten Tatbestandsvoraussetzungen abzusehen. Nach Art. 130 Abs. 2 B-VG hat die Behörde von dem besagten Ermessen "im Sinne des Gesetzes" Gebrauch zu machen. Sie hat hiebei in Erwägung zu ziehen, ob und gegebenenfalls welche Umstände im Einzelfall vor dem Hintergrund der gesamten Rechtsordnung gegen die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes sprechen, und sich hiebei insbesondere von den Vorschriften des FrG leiten zu lassen. Es könnten etwa - anders als bei der Beurteilung der Zulässigkeit eines Aufenthaltsverbotes nach § 37 FrG - öffentliche Interessen zugunsten eines Fremden berücksichtigt werden und bei entsprechendem Gewicht eine Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes im Rahmen der Ermessensentscheidung rechtfertigen. Aber auch persönliche, schon im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit eines Aufenthaltsverbotes nach § 37 FrG zu berücksichtigende Interessen sind bei der Handhabung des Ermessens nach § 36 Abs. 1 FrG dann zu beachten, wenn dies erforderlich ist, um den besonderen im Einzelfall gegebenen Umständen gerecht zu werden. (Vgl. zum Ganzen etwa die zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 33 Abs. 1 FrG ergangenen, für die Frage der Ermessensübung auch hier maßgeblichen hg. Erkenntnisse vom 17. September 1998, Zl. 98/18/0175, und vom 3. Dezember 1998, Zl. 98/18/0252.)
Zur Frage des Ermessens enthält der angefochtene Bescheid keine Ausführungen. Es liegt auch kein Fall vor, in dem das Vorliegen der Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes eindeutig und daher eine gesonderte Begründung der Ermessensentscheidung entbehrlich wäre (vgl. die in § 38 Abs. 1 Z. 3 sowie § 35 Abs. 3 Z. 1 und 2 FrG genannten Fälle und zum Ganzen den vorzitierten Beschluss, Zl. 96/21/0490).
Die belangte Behörde belastete ihren Bescheid somit insofern mit einem wesentlichen Begründungsmangel, weshalb jener wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war.
4. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Kostenmehrbegehren von S 2.500,-- war abzuweisen, weil neben dem pauschalierten Schriftsatzaufwand ein Anspruch auf Ersatz der Umsatzsteuer nicht zusteht (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 17. September 1998, Zl. 96/18/0033).
Wien, am 21. September 1999
Schlagworte
Ermessen Ermessen VwRallg8European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1999180282.X00Im RIS seit
26.07.2001