TE Bvwg Beschluss 2018/10/2 W259 2152294-2

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Veröffentlicht am 02.10.2018
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Entscheidungsdatum

02.10.2018

Norm

AsylG 2005 §3
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §32 Abs1 Z2

Spruch

W259 2152294-2/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag. Ulrike RUPRECHT als Einzelrichterin über den Antrag von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch XXXX , Rechtsanwalt XXXX , auf Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom XXXX , Zl. XXXX , abgeschlossenen Verfahrens auf internationalen Schutz:

A) Der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens des mit Erkenntnis

des Bundesverwaltungsgerichtes vom XXXX , Zl. XXXX , abgeschlossenen Verfahrens auf internationalen Schutz wird gemäß § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG, als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Der Antragssteller (im Folgenden: "ASt" genannt), ein afghanischer Staatsangehöriger der Volksgruppe der Hazara, reiste ins österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 03.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Im Rahmen der am nächsten Tag erfolgten Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der ASt im Wesentlichen an, dass sein Vater vor einer längeren Zeit eine Affäre mit einem jungen Mädchen gehabt habe. Aufgrund dieser Geschichte seien das junge Mädchen und sein Vater ermordet worden. Dies sei der Grund gewesen, weshalb er und seine Mutter in den Iran gegangen seien. Da er im Iran illegal gelebt habe und allein gewesen sei, habe er beschlossen das Land zu verlassen.

3. Mit Bescheid vom XXXX wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: "BFA" genannt) den Antrag des AS auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm den Status eines Asylberechtigten ebenso wie gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan nicht zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005. Weiters wurde gegen den ASt gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des ASt nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des ASt 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

4. Gegen diesen Bescheid richtete sich die fristgerecht erhobene Beschwerde vom 03.04.2017.

5. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 28.11.2017 in Anwesenheit einer beeideten Dolmetscherin für die Sprache Dari und im Beisein des rechtskundigen Vertreters des ASt eine mündliche Verhandlung durch, in welcher der ASt ausführlich zu seinen Fluchtgründen befragt und eine Zeugin einvernommen wurde. Der ASt führte ergänzend im Wesentlichen aus, dass beim Begräbnis seines Vaters diese Leute geschworen hätten, dass sie seine Mutter und den ASt ebenfalls töten würden. Ein weiterer Grund, warum sie ihn töten wollen würden sei auch, dass sie verhindern wollen würden, dass er Anspruch auf die Grundstücke erhebe.

6. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom XXXX , Zl. XXXX wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

7. Mit Schreiben vom 17.09.2018 langte beim Bundesveraltungsgericht ein Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens zur XXXX ein. Der ASt berief sich auf die UNHCR Guidelines vom 30.08.2018 und führte aus, dass in diesen festgestellt worden sei, dass auf Grund der zum Entscheidungszeitpunkt des Bundesverwaltungsgerichts in Afghanistan, insbesondere in Kabul, herrschenden Sicherheitslage eine reale Gefahr einer Verletzung der Rechte nach Art 2 und 3 EMRK für den ASt bestehe. Nunmehr sei der ASt in den Besitz des UNCHR Dokuments "Eligibility Guidelines for Assessing the Interantional Protection Needs of Asylum-Seekers from Afghanistan" (im Folgenden: "UNHCR-Guidelines vom 30.08.2018" genannt) gelangt, aus denen sich ergebe, dass Kabul als innerstaatliche Fluchtalternative nicht in Betracht komme. Die UNHCR-Guidelines vom 30.08.2018 würden sich auf die Informationslage 2017/2018 beziehen. Inhalt seien daher Tatsachen, die zum Entscheidungszeitpunkt bereits bestanden hätten, aber erst nach der Entscheidung festgestellt worden seien.

Zur Rechtzeitigkeit wurde ausgeführt, dass der ASt die Informationen zu den UNHCR-Guidelines vom 30.08.2018 per E-Mail am 03.09.2018 erhalten habe, sodass die zweiwöchige Wiederaufnahmefrist gewahrt sei.

Abschließend wurde beantragt, die Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 27.05.2018, Zl. W259 2152294-1/13E, abgeschlossenen Verfahrens zu bewilligen und dem ASt den Status des Asylberechtigten gemäß § 3 AsylG 2005 zuzuerkennen, in eventu ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 AsylG 2005 zuzuerkennen, in eventu auszusprechen, dass ihm eine Aufenthaltsberechtigung nach § 55 AsylG 2005, nach § 56 AsylG 2005 oder nach § 57 AsylG 2005 zu erteilen ist, sowie festzustellen, dass seine Ausweisung aus dem Bundesgebiet unzulässig ist.

Dem Wiederaufnahmeantrag wurden die UNHCR-Guidelines vom 30.08.2018 sowie ein E-Mail der Asylkoordination Österreich vom 03.09.2018 mit einem Link zu diesen Guidelines beigelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage der Einsichtnahme in den Bezug habenden Gerichtsakt und das Verfahren zu W259 2152294-1 werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Erkenntnis vom 27.05.2018 das Beschwerdeverfahren über den Antrag des ASt auf internationalen Schutz vom 03.11.2015 abgeschlossen.

Mit Schreiben vom 17.09.2018, eingelangt beim Bundesverwaltungsgericht am selben Tag, beantragte der ASt die Wiederaufnahme des gegenständlichen abgeschlossenen Verfahrens und legte die UNHCR-Guidelines vom 30.08.2018 vor.

Der ASt erlangte von den die UNHCR-Guidelines vom 30.08.2018 am 03.09.2018 Kenntnis.

Die vorgelegten UNHCR-Guidelines vom 30.08.2018 vertreten die Auffassung, dass eine interne Flucht- und Neuansiedlungsalternative in der Stadt Kabul allgemein nicht zur Verfügung stehe (vgl. Seite 114 der UNHCR-Guidelines vom 30.08.2018: "UNHCR considers that given the current security, human rights and humanitarian situation in Kabul, an Internal Flight or Relocation Alternative (IFA/IRA) is generally not available in the city."). Diese Schlussfolgerung gründet sich zum Großteil auf Länderberichte, die vor der gegenständlichen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts bekannt waren. Es kann nicht festgestellt werden, dass der ASt von diesen zugrunde gelegten Länderberichten zum Zeitpunkt der Entscheidung keine Kenntnis erlangt hat.

2. Beweiswürdigung:

Beweise wurden erhoben durch die Einsichtnahme in den Verwaltungs- und Gerichtsakt (W259 2152294-1 und W259 2152294-2) sowie durch die Einsicht in die mit dem Wiederaufnahmeantrag vorgelegten UNHCR Guidelines vom 30.08.2018 und in das E-Mail vom 03.09.2018.

Der relevante Sachverhalt ergibt sich zweifelsfrei aus der Aktenlage. Nachdem die den UNHCR-Guidelines vom 30.08.2018 zugrunde gelegten Länderberichte aus den Jahren 2016, 2017 und 2018 (bis zum 27.05.2018) öffentlich zugänglich waren, konnte nicht festgestellt werden, dass der ASt von diesen zum Zeitpunkt der Entscheidung (27.05.2018) keine Kenntnis erlangt hat. Dies wurde vom ASt auch nicht behauptet.

3. Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

3.1. Zu Spruchpunkt A) Abweisung des Antrages auf Wiederaufnahme:

Gemäß § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anders lautendes Erkenntnis herbeigeführt hätten.

Gemäß Abs. 2 leg. cit. ist der Antrag auf Wiederaufnahme binnen zwei Wochen beim Verwaltungsgericht einzubringen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, wenn dies jedoch nach der Verkündung des mündlichen Erkenntnisses und vor Zustellung der schriftlichen Ausfertigung geschehen ist, erst mit diesem Zeitpunkt. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann der Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden. Die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen.

Abs. 3 leg. cit. lautet: Unter den Voraussetzungen des Abs. 1 kann die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Z 1 stattfinden.

Ausgehend von der (dem Akteninhalt nach nachvollziehbaren) Darstellung des ASt, wonach sein rechtsfreundlicher Vertreter erst am 03.09.2017 von der Veröffentlichung der UNHCR-Guidelines vom 30.08.2018 Kenntnis erlangt habe, ist die in § 32 Abs. 2 VwGVG geforderte Frist von zwei Wochen ab Kenntniserlangung erfüllt, weshalb der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens, eingelangt am 17.09.2018, als rechtzeitig eingebracht anzusehen ist.

In der Regierungsvorlage zum Verwaltungsgerichtsbarkeits-Ausführungsgesetz 2013 (2009 der Beilagen, XXIV. GP) ist festgehalten, dass die Bestimmungen über die Wiederaufnahme des Verfahrens und die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im VwGVG weitgehend den Bestimmungen der §§ 69 bis 72 AVG mit den entsprechenden Anpassungen auf Grund der Einführung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz entsprechen. Durch den Ausschluss der Anwendung des IV. Teiles des AVG ist das AVG in diesem Bereich für unanwendbar erklärt worden, wobei aufgrund der inhaltlichen Übereinstimmung und ähnlichen Formulierung der Bestimmung des § 32 Abs. 1-3 VwGVG mit § 69 AVG die bisher ergangenen höchstgerichtlichen Entscheidungen sinngemäß anzuwenden sind bzw. die bisherigen Judikaturrichtlinien zu § 69 AVG herangezogen werden können.

Der gegenständliche Antrag zielt darauf ab, das mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom XXXX , Zl. XXXX in Hinblick auf Asyl und subsidiären Schutz abgeschlossene Verfahren der antragstellenden Partei aufgrund neu hervorgekommener Beweismittel im Sinne des § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG wiederaufzunehmen.

Laut ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kann der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 69 Abs. 1 Z 2 AVG nur auf solche Tatsachen, das heißt Geschehnisse im Seinsbereich (vgl. VwGH 15.12.1994, 93/09/0434; 04.09.2003, 2000/17/0024) oder Beweismittel, das heißt Mittel zur Herbeiführung eines Urteiles über Tatsachen (vgl. VwGH 16.11.2004, 2000/17/0022; 24.04.2007, 2005/11/0127), gestützt werden, die erst nach Abschluss eines Verfahrens hervorgekommen sind und deshalb von der Partei ohne ihr Verschulden nicht geltend gemacht werden konnten.

Es muss sich also um Tatsachen und Beweismittel handeln, die beim Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens schon vorhanden waren, deren Verwertung der Partei aber ohne ihr Verschulden erst nachträglich möglich wurde ("nova reperta"), nicht aber um erst nach Abschluss des seinerzeitigen Verfahrens neu entstandene Tatsachen und Beweismittel ("nova producta" bzw. "nova causa superveniens") (vgl. VwGH 17.02.2006, 2006/18/0031; 07.04.2000, 96/19/2240, 20.06.2001, 95/08/0036; 18.12.1996, 95/20/0672; 25.11.1994, 94/19/0145; 25.10.1994, 93/08/0123; 19.02.1992, 90/12/0224 u.a.).

Laut Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist es zwar notwendig, aber nicht ausreichend, dass die Tatsachen (Beweismittel) im wieder aufzunehmenden Verfahren nicht geltend gemacht worden sind; es ist darüber hinaus auch erforderlich, dass sie - allenfalls auch im Verfahren vor der höheren Instanz - nicht geltend gemacht werden konnten und dass die Partei daran kein Verschulden trifft. Jegliches Verschulden, dass die Partei an der Unterlassung ihrer Geltendmachung trifft, auch leichte Fahrlässigkeit, schließt den Rechtsanspruch auf Wiederaufnahme des Verfahrens aus (vgl. VwGH 19.03.2003, Zl. 2000/08/0105). Die Wiederaufnahme des Verfahrens dient jedenfalls nicht dazu, Versäumnisse während eines Verwaltungsverfahrens zu sanieren (vgl. VwGH 22.12.2005, Zl. 2004/07/0209).

Neu entstandene Tatsachen, also Änderungen des Sachverhalts nach Abschluss des Verfahrens, erübrigen eine Wiederaufnahme des Verfahrens, weil in diesem Fall einem Antrag auf der Basis des geänderten Sachverhalts die Rechtskraft des bereits erlassenen Bescheides nicht entgegensteht. Bei Sachverhaltsänderungen, die nach der Entscheidung über einen Asylantrag eingetreten sind, ist kein Antrag auf Wiederaufnahme, sondern ein neuer Antrag (auf internationalen Schutz) zu stellen (vgl. dazu VwGH 19.02.1992, 90/12/0224 ua; 25.10.1994, 93/08/0123; 25.11.1994, 94/19/0145; 18.12.1996, 95/20/0672; 07.04.2000, 96/19/2240; 20.06.2001, 95/08/0036; 17.02.2006, 2006/18/0031).

Gegenständlich wurden zur Begründung des Wiederaufnahmeantrages die UNHCR-Guidelines vom 30.08.2018 vorgelegt. Der ASt brachte vor, dass sich diese auf die Informationslage 2017/2018 beziehen würden. Inhalt seien daher Tatsachen, die zum Entscheidungszeitpunkt bereits bestanden hätten, aber erst nach der Entscheidung festgestellt worden seien. Zudem würde sich daraus ergeben, dass die Stadt Kabul als innerstaatliche Fluchtalternative nicht in Betracht komme, was eine anderslautende, den Anträgen des ASt stattgebende Entscheidung herbeigeführt hätte.

Unbeschadet dessen verkennt der ASt jedoch, dass die UNHCR-Guidelines vom 30.08.2018 im gegebenen Zusammenhang weder "neue Tatsachen" noch ein "neues Beweismittel" iSd § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG darstellen.

Im Wiederaufnahmeantrag wird diesbezüglich unter Bezugnahme auf Hengstschläger/Leeb, (Verwaltungsverfahrensrecht5, Rz 583) und eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 18.01.1989, 88/03/0188) argumentiert, dass neue Gutachten einen Wiederaufnahmegrund begründen, wenn Tatsachen, die bereits zum Zeitpunkt der Entscheidung bestanden hätten, später festgestellt würden bzw. erst hervorkommen würden.

Im Kommentar von Hengstschläger/Leeb (AVG § 69 Stand 01.04.2009, Rdb Rz 33) wird zudem ausgeführt, dass Gutachten von Sachverständigen, die erst nach Eintritt der Rechtskraft des Bescheides eingeholt wurden, nicht neu hervorgekommen, sondern neu entstanden sind und damit auch nicht als neue Beweismittel Grund für eine Wiederaufnahme des Verfahrens sein können (VwGH 10.05.1996, 94/02/0449; 21.04.1999, 99/03/0097; 02.07.2007, 2006/12/0043). Nur wenn ein Sachverständiger Tatsachen, die zur Zeit der Sachverhaltsverwirklichung bereits bestanden, erst nach Rechtskraft des Bescheides "feststellt" oder wenn ihm solche Daten erst später zur Kenntnis kommen, können diese bzw. die daraus resultierenden neuen Befundergebnisse, die sich auf die zuvor bestandenen Tatsachen beziehen, bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen als neue Tatsachen einen Grund für eine Wiederaufnahme darstellen (VwGH 18.01.1989, 88/03/0188; 04.08.2004, 2002/08/0074; 25.07.2007, 2006/11/0147). Einen Wiederaufnahmegrund können aber nur neue Befundergebnisse bzw. neue konkrete sachverständige Tatsachenfeststellungen in einem Gutachten bilden und nicht auch ein Irrtum des Sachverständigen (VwGH 07.09.2005, 2003/08/0093; 16.10.2007, 2004/18/0376), d.h. geänderte sachverständige Schlussfolgerungen aus eben den festgestellten Tatsachen.

Zwar handelt es sich bei den UNHCR-Richtlinien nicht im engeren Sinn um ein Sachverständigengutachten iSd AVG, sondern um eine Hilfestellung für Entscheidungsträger bei der Beurteilung des internationalen Schutzbedarfs von Asylwerbern. Dennoch sind Rechtsprechung und Lehre zum Vorliegen eines Wiederaufnahmegrundes nach Ansicht des erkennenden Gerichtes zumindest insoweit auf den vorliegenden Fall übertragbar, als die hier in Rede stehende Einschätzung des UNHCR zur Relevanz und Zumutbarkeit einer internen Flucht- und Neuansiedlungsalternative in der Stadt Kabul eben keine "neue (sachverständige) Tatsachenfeststellung", sondern vielmehr eine geänderte Schlussfolgerung des UNHCR auf Basis der bereits zum Entscheidungszeitpunkt bestandenen und dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 27.05.2018 zugrunde gelegten Tatsachen (insbesondere betreffend die Sicherheits- und Versorgungslage in Kabul) darstellt und insoweit als (unverbindliche) Empfehlung angesehen werden kann.

Vor diesem Hintergrund ist festzuhalten, dass neue Schlussfolgerungen weder Tatsachen noch Beweismittel iSd. § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG darstellen können (VwGH 21.10.2016, Ra 2016/11/0141; Hinweis Erkenntnisse vom 27. Februar 1995, 90/10/0137, und vom 24. September 2003, 2003/11/0079).

Zudem gründen sich die Schlussfolgerungen in den UNHCR-Guidelines vom 30.08.2018 zum Großteil auf Länderberichte, die vor dem Entscheidungszeitpunkt bestanden haben und somit nicht neu hervorgekommen sind, sondern vielmehr bereits vor Entscheidungszeitpunkt bekannt und zugänglich waren (VwGH 27.06.2017, Ra 2016/18/0277). Der ASt hat in diesem Zusammenhang auch nicht geltend gemacht, dass er von den entsprechenden zugrunde gelegten Länderberichten keine Kenntnis erlangt hat.

Es wurden daher keine neuen Beweismittel oder Tatsachen iSd § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG geltend gemacht, sodass der Antrag auf Wiederaufnahme bereits aus diesem Grund als unbegründet abzuweisen war.

Die geänderte Schlussfolgerung des UNHCR zur Relevanz und Zumutbarkeit einer internen Flucht- und Neuansiedlungsalternative in Kabul in den UNHCR-Guidelines vom 30.08.2018 vermag auch deshalb weder "neue Tatsachen" noch ein "neues Beweismittel" zu begründen, weil die Beurteilung der Möglichkeit und Zumutbarkeit der Verweisung auf eine innerstaatliche Fluchtalternative rechtlicher Natur ist, mag diese auch anhand konkreter einzelfallbezogener Sachverhaltsfeststellungen erfolgen.

Dass es sich sowohl bei der Frage, ob im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan in Kabul die reale Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK besteht, als auch bei der Frage der Zumutbarkeit einer in Betracht kommenden innerstaatlichen Fluchtalternative jeweils um eine rechtliche Beurteilung handelt, welche freilich in den Feststellungen Deckung finden muss, hat der Verwaltungsgerichtshof bereits klargestellt (vgl. etwa VwGH 21.03.2018, Ra 2017/18/0372; 02.08.2018, Ra 2017/19/0229).

Eine allenfalls unrichtige rechtliche Beurteilung bzw. Beweiswürdigung dieses Vorbringens durch die Behörde würde keinen Wiederaufnahmegrund darstellen (VwGH 29.05.2017, Ra 2017/16/0070; vgl. etwa zum nachträglichen Erkennen von Verfahrensmängeln VwGH 29.11.1994, 94/20/0077; hinsichtlich der unrichtigen rechtlichen Beurteilung 19.02.1992, 90/12/0224)

Das Bundesverwaltungsgericht ist somit aus den dargelegten Erwägungen der Ansicht, dass die vom ASt ins Treffen geführte - in den UNHCR-Guidelines vom 30.08.2018 enthaltene - Einschätzung des UNHCR zur Relevanz und Zumutbarkeit einer internen Flucht- und Neuansiedlungsalternative in der Stadt Kabul keinen Wiederaufnahmegrund iSd § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG darstellt.

Im Übrigen besteht die Möglichkeit, Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichtes, in denen eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul im Lichte der zum jeweiligen Entscheidungszeitpunkt verfügbaren Länderinformationen und der persönlichen Umstände des Asylwerbers in rechtlicher Hinsicht als möglich und zumutbar erachtet wird, im Wege außerordentlicher Rechtsbehelfe zu bekämpfen. Von dieser Möglichkeit hat der Antragsteller auch Gebrauch gemacht.

Zum "Hinweis" des Antragstellers im Wiederaufnahmeantrag, dass der belangten Behörde Gelegenheit zu geben sei, nach § 68 Abs. 3 AVG vorzugehen, wird der Vollständigkeit halber festgehalten, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes niemandem ein Rechtsanspruch auf Ausübung des der Behörde gemäß § 68 Abs. 2 bis 4 AVG eingeräumten Abänderungs- und Behebungsrechtes zusteht, weshalb eine Partei durch Ablehnung ihres darauf gerichteten Begehrens nicht in ihren Rechten verletzt sein kann (VwGH 22.02.2013, 2010/02/0272, mwN; 24.02.2015, Ra 2015/05/0004). Gleiches gilt für die amtswegige Verfügung der Wiederaufnahme eines Verfahrens (VwGH 21.09.2007, 2006/05/0273, mwN, dessen Ausführungen sich auf die insoweit gleichlautende Bestimmung des § 32 Abs. 3 VwGVG übertragen lassen).

Eine Verpflichtung des Bundesverwaltungsgerichtes, (anstelle des ASt) bei der Behörde ein Vorgehen nach § 68 Abs. 3 AVG anzuregen, besteht im Lichte der dargestellten Rechtslage nicht.

Mit der Abweisung des gegenständlichen Antrags auf Wiederaufnahme des Verfahrens erübrigt sich ein Abspruch über den Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung.

Der Antrag auf Wiederaufnahme des abgeschlossenen inhaltlichen Verfahrens des ASt zu XXXX war sohin spruchgemäß abzuweisen.

3.2. Zu Spruchpunkt B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzlichen Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden, noch im Verfahren vor dem BVwG hervorgekommen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu Spruchpunkt A wiedergegeben. Die unter Spruchpunkt A angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zum Teil zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich weitestgehend gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Aktualität, Beweismittel, Gutachten, innerstaatliche
Fluchtalternative, Rechtsfrage, Sicherheitslage, UNHCR-Berichte,
Wiederaufnahmeantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W259.2152294.2.00

Zuletzt aktualisiert am

19.12.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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