Entscheidungsdatum
08.10.2018Norm
B-VG Art.133 Abs4Spruch
W163 1422790-2/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Daniel LEITNER über die Beschwerde von Herrn XXXX , geboren am XXXX , StA.:
Indien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.08.2018, Zl. XXXX , zu Recht:
A)
Der angefochtene Bescheid wird gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang
1.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) reiste unrechtmäßig in das Bundesgebiet und stellte am 14.11.2011 einen Antrag auf internationalen Schutz. Am gleichen Tag erfolgte die Erstbefragung des BF und wurde der BF vor dem Bundesasylamt niederschriftlich einvernommen.
1.2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 18.11.2011 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Indien (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gem. § 10 Abs. 1 Z 2 leg. cit. wurde der BF aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Indien ausgewiesen (Spruchpunkt III.).
1.3. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofs vom 19.11.2013 als unbegründet abgewiesen und diese Entscheidung durch Hinterlegung am 02.12.2013 zugestellt.
1.4. Der BF wurde am 05.12.2014 niederschriftlich vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) einvernommen und dabei u. a. das Formular zur Erlangung eines Heimreisezertifikats ausgefüllt.
Am 15.12.2014 ersuchte das BFA um die Veranlassung der Ausstellung eines Heimreisezertifikats für den BF.
1.5. Mit Schreiben der Österreichischen Flüchtlings- und MigrantInnehilfe vom 15.11.2017 wurde um die Korrektur der persönlichen Daten des BF gebeten, da irrtümlich der 11.10.1989 erfasst sei, das korrekte Geburtsdatum aber 10.11.1989 laute. Übermittelt wurde ein als beglaubigte Geburtsurkunde des BF bezeichnetes Dokument zusammen mit einer Übersetzung ins Deutsche.
1.6. Mit Mandatsbescheid vom 20.02.2018, Zl. IFA XXXX , wurde dem BF gem. § 57 Abs. 1 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG aufgetragen, bis zu seiner Ausreise durchgängig Unterkunft in der Betreuungseinrichtung Betreuungsstelle XXXX , zu nehmen und dieser Verpflichtung binnen drei Tagen nachzukommen.
1.7. Gegen diesen am 23.02.2018 zugestellten Bescheid erhob der BF durch seinen Vertreter am 28.02.2018 fristgerecht Vorstellung.
1.8. Am 27.02.2018 wurde mitgeteilt, dass der BF nicht in der im Mandatsbescheid genannten Betreuungseinrichtung erschienen ist und deshalb mit 27.02.2018 dem Quartier EAST-WEST unstet zugewiesen wurde.
1.9. Dem Vertreter des BF wurde mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 06.03.2018 mitgeteilt, dass die Wohnsitzauflage nach wie vor notwendig und gerechtfertigt sei. Unter einem wurde ein Konvolut von Fragen zur Lebenssituation des BF in Österreich und zur Wohnsitzauflage unter Einräumung einer zweiwöchigen Frist zur Stellungnahme übermittelt.
1.10. Am 12.03.2018 erfolgte eine Stellungnahme des bevollmächtigten Vertreters des BF.
1.11. Im Bericht vom 10.03.2018, eingelangt am 13.03.2018, teilte die LPD Wien mit, dass aufgrund des Ermittlungsersuchens des BFA betreffend die Wohnsitzauflage an der Wohnsitzadresse des BF Nachschau gehalten worden sei. Der dort angetroffene Mitbewohner des BF habe sinngemäß angegeben, dass der BF dort seit zehn Tagen nicht mehr wohne und er über dessen Verbleib nichts sagen könne. Die amtliche Abmeldung sei veranlasst worden.
1.12. Mit dem nunmehr angefochtenen (Vorstellungs-)Bescheid vom 23.08.2018, zugestellt am 28.08.2018, Zahl IFA- XXXX , wurde dem BF gem. § 57 Abs. 1 FPG aufgetragen, bis zu seiner Ausreise durchgängig Unterkunft in der Betreuungseinrichtung Betreuungsstelle XXXX , zu nehmen und dieser Verpflichtung unverzüglich nachzukommen (Spruchpunkt I.). Die aufschiebende Wirkung der Beschwerde gegen diesen Bescheid wurde gem. § 13 Abs. 2 VwGVG ausgeschlossen (Spruchpunkt II.).
1.13. Gegen diesen am 28.08.2018 zugestellten Bescheid wurde am 18.09.2018 fristgerecht Beschwerde erhoben.
1.14. Die gegenständliche Beschwerde und die bezughabenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) am 28.09.2018 vom BFA vorgelegt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen
1.1 Der BF ist nach eigenen Angaben Staatsangehöriger von Indien, gehört der Religionsgemeinschaft der Sikh an und stammt aus dem Bundesstaat Punjab in Indien. Die Identität des BF steht nicht fest.
1.2. Der BF stellte am 14.11.2011 einen Antrag auf internationalen Schutz, welcher vom Bundesasylamt mit Bescheid vom 18.11.2011 abgewiesen wurde. Nach Abweisung der Beschwerde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofs vom 19.11.2013 besteht gegen den BF eine rechtskräftige Ausweisung.
Der Beschwerdeführer kam seiner Ausreiseverpflichtung bislang nicht nach. Die 14-tägige Frist zur freiwilligen Ausreise ist verstrichen.
2. Beweiswürdigung
Die Feststellungen stützen sich auf den Inhalt der Akten des BFA sowie des BVwG.
2.1. Mangels Vorliegens eines unbedenklichen nationalen Identitätsdokumentes oder eines sonstigen unbedenklichen Bescheinigungsmittels im Original steht die Identität des BF nicht fest.
2.2. Die Feststellungen zum Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich, zum Ausgang des Verfahrens über seinen Antrag auf internationalen Schutz, zum Bestehen einer Ausweisung und zum Verbleib in Österreich nach Ablauf der Frist für die freiwillige Ausreise ergeben sich unstrittig aus dem Akteninhalt.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A)
3.1. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides
3.1.1. Rechtliche Grundlagen:
§ 57 FPG lautet auszugsweise:
"Wohnsitzauflage
§ 57. (1) Einem Drittstaatsangehörigen, gegen den eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen wurde und dessen Aufenthalt im Bundesgebiet nicht geduldet (§ 46a) ist, kann aufgetragen werden, bis zur Ausreise in vom Bundesamt bestimmten Quartieren des Bundes Unterkunft zu nehmen, wenn
1. keine Frist zur freiwilligen Ausreise gemäß § 55 gewährt wurde oder
2. nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise gemäß § 55 bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Drittstaatsangehörige seiner Ausreiseverpflichtung weiterhin nicht nachkommen wird.
(2) Bei der Beurteilung, ob bestimmte Tatsachen gemäß Abs. 1 Z 2 vorliegen, ist insbesondere zu berücksichtigen, ob der Drittstaatsangehörige
1. entgegen einer Anordnung des Bundesamtes oder trotz eines nachweislichen Angebotes der Rückkehrberatungsstelle ein Rückkehrberatungsgespräch (§ 52a Abs. 2 BFA-VG) nicht in Anspruch genommen hat;
2. nach Ablauf der Frist für die freiwillige Ausreise seinen Wohnsitz oder den Ort seines gewöhnlichen Aufenthalts gewechselt und das Bundesamt davon nicht in Kenntnis gesetzt hat;
3. an den zur Erlangung einer Bewilligung oder eines Reisedokumentes notwendigen Handlungen im Sinne der § 46 Abs. 2 und 2a nicht mitwirkt;
4. im Rahmen des Asylverfahrens, des Verfahrens zur Erlassung der Rückkehrentscheidung oder des Rückkehrberatungsgesprächs erklärt hat, seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen zu wollen;
5. im Asylverfahren oder im Verfahren zur Erlassung der Rückkehrentscheidung über seinen Herkunftsstaat oder seine Identität getäuscht oder zu täuschen versucht hat.
(3) [...]
(4) Die Verpflichtungen des Drittstaatsangehörigen aufgrund einer Wohnsitzauflage gemäß Abs. 1 oder Abs. 3 ruhen, wenn und solange
1. die Rückkehrentscheidung gemäß § 59 Abs. 6 oder die Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 12a Abs. 4 AsylG 2005 vorübergehend nicht durchführbar,
2. sein Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß § 46a geduldet oder
3. ihm die persönliche Freiheit entzogen ist.
(5) Wird eine Rückkehrentscheidung gemäß § 60 Abs. 3 gegenstandslos oder tritt eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 Abs. 4 außer Kraft, tritt auch die Wohnsitzauflage außer Kraft.
(6) Die Wohnsitzauflage gemäß Abs. 1 oder Abs. 3 ist mit Mandatsbescheid (§ 57 AVG) anzuordnen. In diesem sind dem Drittstaatsangehörigen auch die Folgen einer allfälligen Missachtung zur Kenntnis zu bringen."
§ 46 FPG lautet auszugsweise:
"[...]
(2) Ein zur Ausreise verpflichteter Fremder, der über kein Reisedokument verfügt und ohne ein solches seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen kann, hat - vorbehaltlich des Abs. 2a - bei der für ihn zuständigen ausländischen Behörde aus Eigenem ein Reisedokument einzuholen und gegenüber dieser Behörde sämtliche zu diesem Zweck erforderlichen Handlungen, insbesondere die Beantragung des Dokumentes, die wahrheitsgemäße Angabe seiner Identität (§ 36 Abs. 2 BFA-VG) und seiner Herkunft sowie die Abgabe allfälliger erkennungsdienstlicher Daten, zu setzen; es sei denn, dies wäre aus Gründen, die der Fremde nicht zu vertreten hat, nachweislich nicht möglich. Die Erfüllung dieser Verpflichtung hat der Fremde dem Bundesamt gegenüber nachzuweisen. Satz 1 und 2 gilt nicht, wenn der Aufenthalt des Fremden gemäß § 46a geduldet ist.
(2a) Das Bundesamt ist jederzeit ermächtigt, bei der für den Fremden zuständigen ausländischen Behörde die für die Abschiebung notwendigen Bewilligungen (insbesondere Heimreisezertifikat oder Ersatzreisedokument) einzuholen oder ein Reisedokument für die Rückführung von Drittstaatsangehörigen (§ 97 Abs. 1) auszustellen. Macht es davon Gebrauch, hat der Fremde an den Amtshandlungen des Bundesamtes, die der Erlangung der für die Abschiebung notwendigen Bewilligung oder der Ausstellung des Reisedokumentes gemäß § 97 Abs. 1 dienen, insbesondere an der Feststellung seiner Identität (§ 36 Abs. 2 BFA-VG) und seiner Herkunft, im erforderlichen Umfang mitzuwirken und vom Bundesamt zu diesem Zweck angekündigte Termine wahrzunehmen.
[...]"
3.1.2. Aus den Erläuterungen zum FRÄG 2017 betreffend § 57 FPG ergibt sich auszugsweise Folgendes:
"[...] Die Erlassung einer Wohnsitzauflage soll dabei nicht systematisch erfolgen, sondern hat jedenfalls abhängig von den konkreten Umständen des Einzelfalls zu ergehen. Dabei sind insbesondere der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sowie Art. 8 EMRK - insbesondere im Hinblick auf das Bestehen familiärer Strukturen, die Wahrung der Familieneinheit und die besonderen Bedürfnisse von Minderjährigen auch im Sinne der Jugendwohlfahrt - zu berücksichtigen. Die Wohnsitzauflage soll daher als ultima ratio nur dann angeordnet werden, wenn der Drittstaatsangehörige seiner Verpflichtung zur Ausreise bislang nicht nachgekommen ist und aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls anzunehmen ist, dass er auch weiterhin seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen wird.
[...]
Zu Abs. 1:
[...]
Die zweite Konstellation soll auch jene Fälle umfassen, in denen zwar eine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt wurde, der Drittstaatsangehörige aber nicht innerhalb der Frist ausgereist ist und anzunehmen ist, dass er seiner Ausreiseverpflichtung auch weiterhin nicht nachkommen wird.
[...]
Zu Abs. 2:
In Abs. 2 werden jene Tatsachen näher definiert und demonstrativ aufgezählt, welche im Sinne des Abs. 1 Z 2 die Annahme rechtfertigen, dass der Drittstaatsangehörige seiner Ausreiseverpflichtung weiterhin nicht nachkommen wird.
Ein Hinweis auf die mangelnde Bereitschaft zur Ausreise ist naturgemäß dann gegeben, wenn der Drittstaatsangehörige selbst angibt, dass er nicht bereit ist, seiner Ausreiseverpflichtung nachzukommen. Es kann des Weiteren davon ausgegangen werden, dass er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen wird, wenn er ein ihm angebotenes oder angeordnetes Rückkehrberatungsgespräch zum Zweck der freiwilligen Ausreise nicht wahrnimmt. Ebenso wird davon auszugehen sein, dass der Drittstaatsangehörige nicht bereit ist auszureisen, wenn er während einer gewährten Frist zur freiwilligen Ausreise nicht ausgereist ist und anschließend seinen Wohnsitz bzw. den Ort seines gewöhnlichen Aufenthalts ändert, ohne das Bundesamt hiervon in Kenntnis zu setzen. Ferner kann von mangelhafter Bereitschaft zur Ausreise ausgegangen werden, wenn der betreffende Drittstaatsangehörige es unterlässt, an der Beschaffung von für die Ausreise erforderlichen Dokumenten mitzuwirken oder ein vorhandenes Reisedokument vernichtet oder sich dessen auf sonstige Weise entledigt. Hat der Drittstaatsangehörige bereits im Verfahren über seine Identität getäuscht oder zu täuschen versucht und damit die Beschaffung von für die Ausreise erforderlichen Dokumenten erschwert bzw. verhindert, wird ebenfalls von einer mangelnden Bereitschaft zur Ausreise auszugehen sein.
Da es sich bei Abs. 2 um eine demonstrative Aufzählung handelt, kommen auch weitere Umstände in Betracht, welche die Annahme rechtfertigen, dass der Drittstaatsangehörige seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen wird. Weitere denkbare Gründe in diesem Sinne sind etwa falsche oder widersprüchliche Angaben zum Vorliegen einer Voll- oder Minderjährigkeit bzw. voneinander abweichende Altersangaben in Verfahren vor verschiedenen Behörden (dazu VwGH 25.02.2015, Ra 2014/20/0045) sowie die Verschweigung von vorhandenen Identitätsdokumenten. Hievon sollen beispielsweise jene Fälle erfasst sein, in denen Drittstaatsangehörige im Verfahren vor dem Bundesamt angeben, über keine Identitätsdokumente zu verfügen, während sie im Verfahren vor anderen Behörden (bspw. dem Standesamt im Zuge einer Eheschließung) oder Gerichten solche vorlegen.
[...]
Zu Abs. 6:
Die Auferlegung der Wohnsitzauflage gemäß § 57 erfolgt mittels Mandatsbescheid gemäß §57 AVG. Ein solcher kann erlassen werden, wenn es sich um die Vorschreibung einer Geldleistung oder wegen Gefahr in Verzug um unaufschiebbare Maßnahmen handelt. Für den vorgeschlagenen § 57 ist der Tatbestand "Gefahr in Verzug" maßgeblich: In der Fallkonstellation nach Abs. 1 Z 1 ist der Ausschluss einer Frist zur freiwilligen Ausreise an die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung der Rückkehrentscheidung (§ 18 Abs. 2 BFA-VG) geknüpft. Somit wurde bereits im Falle einer Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde und der Nichtgewährung einer Frist gemäß § 55 festgestellt, dass eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit vorliegt. Dadurch ist die Erlassung der Wohnsitzauflage in dieser Konstellation mittels Mandatsbescheid aufgrund der bereits zuvor anlässlich des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung festgestellten Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zulässig. Hinsichtlich der zweiten Fallkonstellation nach Abs. 1 Z 2 liegt eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit vor, wenn anzunehmen ist, dass der Drittstaatsangehörige weiterhin nicht ausreisen wird (zumal er dies bereits während der Frist für die freiwillige Ausreise nicht getan hat). Das bloße unrechtmäßige Verbleiben im Bundesgebiet sowie ein länger andauernder unrechtmäßiger Aufenthalt, ohne dass bereits eine entsprechende Entscheidung vorliegt, die eine Ausreiseverpflichtung auferlegt oder feststellt, und unabhängig davon, ob die Einreise bereits unrechtmäßig oder rechtmäßig erfolgte, stellt nach ständiger Rechtsprechung des VwGH eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit dar (VwGH 02.06.2000, 2000/19/0081; 23.03.2001, 2000/19/0042; 02.06.2000, 2000/19/0081; 23.03.2001, 2000/19/0042). Dies muss umso mehr gelten, wenn bereits eine im Wege eines rechtsstaatlichen Verfahrens getroffene Entscheidung vorliegt, die eine Ausreiseverpflichtung feststellt oder auferlegt, und der Drittstaatsangehörige dieser Verpflichtung auch nach Ablauf einer ihm eingeräumten Frist für die freiwillige Ausreise nicht nachkommt bzw. die Annahme gerechtfertigt ist, dass er ihr weiterhin nicht nachkommen wird. Weiters ergibt sich aus dieser Rechtsprechung, dass das beharrliche unrechtmäßige Verbleiben eines Fremden nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens bzw. ein länger andauernder unrechtmäßiger Aufenthalt eine gewichtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Hinblick auf ein geordnetes Fremdenwesen darstellt und der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung durch geordnete Abwicklung des Fremdenwesens ein hoher Stellenwert zukommt (VwGH 31.10.2002, 2002/18/0190; 15.12.2015, Ra 2015/19/0247). Daher ist in diesen Fällen von einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit auszugehen, wodurch die Erlassung der Wohnsitzauflage mittels Mandatsbescheides gerechtfertigt ist."
3.1.3. Für den vorliegenden Fall bedeutet dies:
Die belangte Behörde weist im angefochtenen Bescheid wiederholt darauf hin, dass gegen den BF eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung (Anm.: Ausweisung) besteht, er die Frist zur freiwilligen Ausreise ungenützt ließ und sich seither unrechtmäßig im Bundesgebiet befindet. Dass dieses Verhalten alleine ausreicht, eine Wohnsitzauflage zu erlassen, ergibt sich weder aus dem Gesetzestext noch aus den oben dargestellten Erläuterungen zum FRÄG 2017 betreffend § 57 FPG. Zur Erlassung einer Wohnsitzauflage als ultima ratio bedarf es konkreter Umstände des Einzelfalles, die zur Annahme führen, dass der Drittstaatsangehörige weiterhin seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen wird.
3.1.3.1. Die belangte Behörde trifft im angefochtenen Bescheid die Feststellungen (Unterpunkt "Zu Ihrem bisherigen Verhalten"), dass der BF die Behörde durch Verwendung von zwei Geburtsdaten zu täuschen versucht habe. Zudem wird festgestellt, dass der BF dem verpflichtendem Rückkehrberatungsgespräch nicht nachgekommen sei und er der Wohnsitzauflage keine Folge geleistet habe. Festgestellt wird auch mehrfach, dass der BF kein gültiges Reisedokument besitze und Österreich nicht aus eigenem Entschluss verlassen könne.
Die belangte Behörde beschränkt sich im Weiteren darauf, unter dem Punkt "Feststellungen", Unterpunkt "Voraussetzungen für die Erlassung der Wohnsitzauflage", die Feststellungen zum unrechtmäßigen Aufenthalt und der unterbliebenen Ausreise des BF zu wiederholen und anschließend, den Gesetzestext der Ziffern 1. bis 5. des § 57 Abs. 2 FPG, teilweise in Fettdruck, anzuführen.
In der rechtlichen Beurteilung beschränkt sich die belangte Behörde diesbezüglich ebenso auf den Abdruck dieses Gesetzestextes.
Die belangte Behörde legt damit im angefochtenen Bescheid nicht nachvollziehbar dar, zu welchem Ermittlungsergebnis sie gelangt sei, worauf sich dieses stütze und welche bestimmten Tatsachen im Sinne des § 57 FPG die Annahme rechtfertigen, der BF werde seiner Ausreiseverpflichtung weiterhin nicht nachkommen. Die Ziffern 1., 2. und 5. des Gesetzestextes fett zu setzen und von den übrigen zitierten Ziffern damit optisch abzugrenzen, kann eine Begründung nicht ersetzen.
Unter der Annahme, dass die belangte Behörde die fett gesetzten Tatbestandsmerkmale des § 57 Abs. 2 FPG als erfüllt sieht, ist zu Ziffer 1. leg. cit. festzuhalten, dass die belangte Behörde nicht einmal ansatzweise darlegt, wann der BF eine Anordnung des BFA oder ein nachweisliches Angebot der Rückkehrberatungsstelle erhalten hätte. Dies ergibt sich auch nicht aus dem Akt, zumal sich dort weder für das eine noch für das andere Hinweise finden.
Auch zur fett gesetzten Ziffer 2. des § 57 Abs. 2 FPG legt die belangte Behörde nicht einmal ansatzweise dar, wann der BF den Ort seines gewöhnlichen Aufenthaltes gewechselt und das Bundesamt davon nicht in Kenntnis gesetzt hätte. Insoweit sich hierfür allenfalls im Akteninhalt ein Hinweis - nämlich die einmalige Nachschau durch Organe der LPD - findet, stellt dies nur eine ansatzweise Ermittlung dar. Das BFA traf keine Feststellungen dazu und würdigte dieses Ermittlungsergebnis weder für sich noch im Zusammenhalt mit sonstigen Ermittlungsergebnissen. Allein die einmalige Nachschau vermag diese Annahme auch nicht zu tragen, zumal der BF auch nach dem aktuellen Auszug aus dem Zentralen Melderegister durchgehend aufrecht an dortiger Adresse gemeldet ist, was auch darauf hindeutete, dass das Meldeamt sich offenbar nicht aufgrund dessen zur amtlichen Abmeldung veranlasst sah. Die belangte Behörde unterließ es, zu ermitteln, ob der tatsächlich seinen Wohnsitz bzw. Ort des gewöhnlichen Aufenthalts gewechselt hat, sodass auch hier der maßgebliche Sachverhalt nicht feststeht.
Zur fett gesetzten Ziffer 5. mangelt es an Sachverhaltsermittlungen, die die Verwirklichung dieses Tatbestands tragen würden:
Zwar finden sich im Akteninhalt verschiedene Geburtsdaten, zu der als gesetzliche Voraussetzung normierten Täuschungsabsicht hat die belangte Behörde aber keine Sachverhaltsermittlungen angestrengt. Andere Beweisergebnisse - wie etwa der Umstand der Vorlage von Dokumenten und Richtigstellung durch den BF im November 2017 - wurden unter diesem Gesichtspunkt überhaupt nicht in die Erwägung miteinbezogen. Der BF wurde zu diesem Umstand auch nicht einvernommen, um seine Absichten im Lichte eines persönlichen Eindrucks beurteilen zu können. Damit unterblieb seitens der Behörde zum ersten die Ermittlung, ob dem BF eine Täuschungsabsicht anzulasten ist.
Zum zweiten unterblieb eine Auseinandersetzung damit, inwiefern vor dem Hintergrund der nunmehrigen Dokumentenvorlage und Richtigstellung (trotz einer allenfalls vorliegenden früheren Täuschung) dennoch aktuell eine Tatsache vorliegt, aufgrund derer die Annahme gerechtfertigt sein kann, dass der BF weiterhin seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen wird. Die belangte Behörde ermittelte nämlich nicht, ob auch nach der Dokumentenvorlage noch eine bestimmte Tatsache vorliegt, die eine entsprechende Annahme rechtfertigt, sondern stützte sich lediglich auf die Verwirklichung des demonstrativen Tatbestands der Ziffer 5. Inwiefern aber nach der Dokumentenvorlage anzunehmen ist, dass der BF seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen wollen würde bzw. ob dies, anders gewendet, nicht für seine Bereitschaft zur Ausreise spräche, ermittelte das BFA nicht. Die bloße Verwirklichung von Abs. 2 Z 5 leg. cit. kann aber nicht hinreichen, da diese Bestimmung nur zusammen mit Abs. 1 Z 2 leg. cit. zu verstehen ist. Es mangelt demzufolge an Sachverhaltsermittlungen, ob die "bestimmte Tatsache" des Abs. 2 Z 5 auch im Entscheidungszeitpunkt die Annahme rechtfertigt, dass der BF weiterhin seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen wird (Abs. 1 Z 2 leg. cit.). Die belangte Behörde verabsäumte es, die Sachverhaltsermittlungen, um beide Tatbestandsmerkmale in Beziehung setzen zu können, zu ermitteln.
3.1.3.2. Die Interessenabwägung zu Art. 8 EMRK nimmt das BFA unter Bezugnahme auf die Ausweisungsentscheidung des Asylgerichtshofs (vgl. oben Punkt 1.3.) vor und hält fest, dass seither keine Änderungen bekannt geworden seien, sondern der BF um seinen unsicheren Aufenthaltsstatus und seine Ausreiseverpflichtung gewusst hätte. Die Wohnsitzauflage stelle nur einen geringfügigen Eingriff sein Recht Schutz des Privatlebens dar und das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit sowie dem geordneten Vollzug des Fremdenwesens überwiege, zumal er sich vehement weigere, der Ausreiseverpflichtung nachzukommen.
Die belangte Behörde verabsäumte es aber auch hier, den maßgeblichen Sachverhalt zu ermitteln. Soweit sie sich auf jenen vom Asylgerichtshof festgestellten Sachverhalt stützt, ist festzuhalten, dass seither beinahe vier Jahre vergangen sind, sodass die gebotene Aktualität nicht mehr gegeben ist. Auch wenn der Aufenthalt des BF seither weiter unrechtmäßig ist, kann daraus nicht geschlossen werden, dass er seinem allenfalls seither entwickelten Privatleben keine Bedeutung zukommt. Die belangte Behörde hat auch hier den Sachverhalt nicht ermittelt und es insbesondere verabsäumt, in einer Einvernahme einen persönlichen Eindruck vom BF zu gewinnen, um seine tatsächlichen Lebensverhältnisse aktuell beurteilen zu können.
3.1.4. Die ersatzlose Behebung des angefochtenen Bescheides ist eine Entscheidung in der Sache selbst (vgl. E 25. März 2015, Ro 2015/12/0003). Als verfahrensrechtliche Grundlage für eine solche Entscheidung ist im Spruch daher § 28 Abs. 1 und Abs. 2 (bzw. Abs. 3 Satz 1) VwGVG 2014 zu nennen. § 28 Abs. 5 VwGVG 2014 regelt hingegen nur die Rechtsfolgen von Bescheidaufhebungen durch das VwG und bietet keine eigenständige Rechtsgrundlage für die Aufhebung selbst, sei es nach § 28 Abs. 3 Satz 2 und 3 (oder Abs. 4) VwGVG 2014, sei es nach § 28 Abs. 1 und 2 oder Abs. 3 Satz 1 VwGVG 2014 (VwGH 04.08.2016 2016/21/0162).
Die ersatzlose Behebung eines Bescheides setzt voraus, dass dieser nicht hätte ergehen dürfen und der dem materiellen Recht entsprechende Zustand nur durch die Kassation hergestellt werden kann. Dabei handelt es sich um eine "negative" Sachentscheidung (vgl zB Hengstschläger/Leeb, AVG III, § 66 AVG, Rz 97, mwN). Eine solche Entscheidung ist eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts in der Sache selbst, welche eine neuerliche Entscheidung über den Verfahrensgegenstand durch die Verwaltungsbehörde grundsätzlich ausschließt (vgl VwGH vom 25. März 2015, Ro 2015/12/0003 sowie Hengstschläger/Leeb, AVG III, § 66 AVG, Rz 108 f), (VwGH Ra 2015/17/0082 vom 28.06.2016).
Da es kein Ermittlungsergebnis und damit keinen festgestellten Sachverhalt gibt, aufgrund dessen das Vorliegen der Voraussetzungen für den Erlass einer Wohnsitzauflage als gegeben angenommen werden kann sowie ferner die Verhältnismäßigkeit dieser Maßnahme und die Interessenabwägung zum Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte beurteilt werden kann, war der angefochtene Bescheid zu beheben.
3.1.5. Im gegenständlichen Fall hat die belangte Behörde die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid gem. § 13 Abs. 2 VwGVG ausgeschlossen und dies mit einem überwiegenden öffentlichen Interesse am sofortigen Vollzug des Bescheides begründet. Das öffentliche Interesse sei bereits durch die Regelung der Wohnsitzauflage mittels sofort durchsetzbaren Mandatsbescheides indiziert, zudem würden diese Interessen in Hinblick auf die Ausreise in Erfüllung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme überwiegen.
Gemäß § 22 Abs. 3 1. Fall VwGVG kann das Verwaltungsgericht Bescheide gemäß § 13 VwGVG - ein solcher liegt in Hinblick auf Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides vor - auf Antrag einer Partei - ein solcher wurde in der Beschwerde gestellt - aufheben oder abändern, wenn es die Voraussetzungen der Zuerkennung bzw. des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung anders beurteilt oder wenn sich die Voraussetzungen, die für die Entscheidung über den Ausschluss bzw. die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde maßgebend waren, wesentlich geändert haben.
Mangels festgestellter Verwirklichung der Voraussetzungen für die Wohnsitzauflage und der dieser immanenten "Gefahr im Verzug" (vgl. oben 3.1.3.) war der angefochtene Bescheid auch im Umfang der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung (Spruchpunkt II.) zu beheben.
3.2. Entfall der mündlichen Verhandlung
Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Im gegenständlichen Verfahren konnte eine mündliche Verhandlung unterbleiben, da das Bundesverwaltungsgericht die Voraussetzungen des § 24 Abs. 2 Z 1 Halbsatz VwGVG als gegeben erachtet, zumal bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit der Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist.
Zu Spruchteil B):
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen sind aufgrund der klaren Rechtslage nicht hervorgekommen.
Schlagworte
aufrechte Rückkehrentscheidung, Begründungsmangel, Einvernahme,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:W163.1422790.2.00Zuletzt aktualisiert am
19.12.2018