Entscheidungsdatum
17.10.2018Norm
B-VG Art.133 Abs4Spruch
I419 2145572-3/3E
I419 2207015-1/4E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Tomas JOOS über die Beschwerden von XXXX, geb. XXXX, StA. NIGERIA, vertreten durch RAe Dr. LECHENAUER & Dr. SWOZIL, gegen die Bescheide des Bundeamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA)
1. vom 05.02.2018, Zl. XXXX, und
2. vom 22.08.2018, Zl. XXXX,
zu Recht:
A) 1. Die Beschwerde gegen den ersten bekämpften Bescheid wird als
unbegründet abgewiesen.
2. Der Beschwerde gegen den zweiten bekämpften Bescheid wird teilweise stattgegeben und dieser Bescheid darin geändert, dass Spruchpunkt V lautet "Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt gemäß § 55 Abs. 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.", und Spruchpunkt VI ersatzlos behoben wird. Betreffend die Spruchpunkte I bis IV wird Beschwerde mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass der Spruchpunkt I wie folgt zu lauten hat: "Eine ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' gemäß § 57 AsylG 2005 wird Ihnen nicht erteilt."
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer stellte am 01.04.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Er sei homosexuell, seine Mutter bei einem Anschlag der Boko Haram ums Leben gekommen, der er hätte beitreten sollen. Bei seiner Rückkehr müsse er befürchten, umgebracht zu werden.
Der abweisende Bescheid des BFA dazu wurde am 01.12.2016 rechtskräftig. Das BFA hielt darin fest, das Vorbringen sei gänzlich unglaubwürdig und weise deshalb keine Asylrelevanz auf. Von einer existenziellen Bedrohung im Falle einer Rückkehr sei nicht auszugehen.
2. Am 12.12.2016 beantragte der Beschwerdeführer die Ausstellung einer Duldungskarte "gem. § 46 Abs. 1 Z 3 FPG (Abschiebung aus tatsächliche, vom Fremden nicht zur vertretenden Gründen unmöglich)".
Den abweisenden Bescheid des BFA vom 21.12.2016 bestätigte dieses Gericht am 31.07.2017. Die Voraussetzung des § 46a Abs. 1 Z. 3 FPG lägen nicht vor. Es sei mit der Ausstellung eines weiteren Heimreisezertifikats durch die Vertretungsbehörde zu rechnen, was diese bereits in Aussicht gestellt habe.
3. Am 03.04.2017 stellte der Beschwerdeführer einen Folgeantrag. Er habe wegen seiner sexuellen Orientierung nicht die Möglichkeit, im Herkunftsstaat ein menschenwürdiges und sicheres Leben zu führen. Bei einer Abschiebung werde er seinen in Österreich lebenden Partner verlieren, ein Zusammenleben und eine Partnerschaft mit seinem Freund sei im Herkunftsstaat keinesfalls möglich. Zudem leide er unter Depressionen. Er habe daran auch schon im Herkunftsstaat gelitten, in Österreich habe er Tabletten bekommen.
Das BFA wies den Folgeantrag wegen entschiedener Sache zurück, was dieses Gericht am 20.06.2017 bestätigte. Da weder in der maßgeblichen Sachlage noch in den anzuwendenden Rechtsnormen eine Änderung eingetreten sei, die eine andere rechtliche Beurteilung des Anliegens nicht von vornherein als ausgeschlossen scheinen ließe, liege entschiedene Sache vor, über welche nicht neuerlich meritorisch entschieden werden könne.
Die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde an den VfGH lehnte dieser mit Beschluss E 2383/2017-7 am 21.09.2017 ab. Eine Revision wies der VwGH zu Ra 2017/19/0540-4 am 13.12.2017 ab.
4. Am 02.02.2018 stellte der Beschwerdeführer nochmals einen Antrag auf Ausstellung einer Duldungskarte gemäß § 46 Abs. 1 Z. 3 FPG, wozu er vorbrachte, wegen seiner Erkrankungen und seiner Homosexualität sei seine Rückkehr aus derzeit tatsächlich vom ihm "nicht zur vertretenden Gründen [zu ergänzen: nicht] möglich". Er wolle geduldet sein, solange er der "dringenden Therapie" bedürfe.
Mit dem ersten im Spruch genannten bekämpften Bescheid wies das BFA diesen Antrag ab.
Beschwerdehalber wird vorgebracht, wegen der posttraumatischen Belastungsstörung mit schweren depressiven Episoden und suizidaler Krise sei der Beschwerdeführer vorübergehend nicht reisefähig. Seine medizinischen Urkunden sei das BFA stillschweigend übergangen.
5. Mit dem zweiten im Spruch angeführten Bescheid erteilte das BFA keinen Aufenthaltstitel "aus berücksichtigungswürdigen Gründen" "gemäß § 57 AsylgG" (Spruchpunkt I), erließ eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt II), erklärte die Abschiebung des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat für zulässig (Spruchpunkt III), erließ gegen ihn ein 18-monatiges Einreiseerbot(Spruchpunkt IV), gewährte keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt V)und aberkannte einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung(Spruchpunkt VI).
Die Beschwerde verweist auf die sexuelle Orientierung des Beschwerdeführers und dessen Depressionen, derentwegen er "nach einer Festnahme aufgrund seiner Homosexualität in einem [...] Gefängnis [im Herkunftsstaat] kaum überleben können" werde.
Er habe dem Konsul des Herkunftsstaats im Februar 2018 einen Bericht des behandelnden Facharztes übermittelt und der Botschaft die Suizidgefahr mitgeteilt.
Beantragt wurde unter anderem, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Zunächst wird der unter Punkt I dargestellte Verfahrensgang festgestellt. Darüber hinaus werden folgende Feststellungen getroffen:
1.1 Zur Person des Beschwerdeführers
Der Beschwerdeführer reiste mit einem bis 11.11.2019 gültigen Reisepass seines Herkunftsstaats samt griechischem Schengenvisum im März 2015 in Griechenland ein. Erstbefragt gab er an, nie ein Reisedokument besessen zu haben, dem BFA gegenüber, der Pass sei in Wien gestohlen worden.
Er gehört der Volksgruppe Ibo an, spricht deren Sprache als Muttersprache und gut Englisch, ist christlichen Glaubens, ledig und in einem arbeitsfähigen Alter. Seine Identität steht fest. Er leidet an keinen schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen und ist arbeits- und reisefähig.
Der Beschwerdeführer weist eine vierjährige Schulbildung auf und hat seinen Lebensunterhalt im Herkunftsstaat zuletzt als Landwirt auf dem familiären Gut bestritten.
In Österreich verfügt der Beschwerdeführer über keine familiären Anknüpfungspunkte. Er teilt sich mit einem gut 18 Jahre älteren Landsmann eine Einzimmerwohnung. Mit einem weiteren, anderweitig seit Dezember 2017 verpartnerten Landsmann unterhält er nach seinen und dessen Angaben seit April 2018 eine Intimbeziehung.
Er hat 2016 Deutschkenntnisse auf Niveau A1 und A2/1 nachgewiesen, lebte bisher mindestens bis September 2018 von Grundversorgung und dem seit August 2015 ausgeübten Verkauf einer Straßenzeitung. Der Beschwerdeführer ist aktuell im Wege der Grundversorgung zumindest krankenversichert. Eine religiöse Gruppe hat zugesagt, für seinen sonstigen Lebensunterhalt aufzukommen, sollte dies nötig sein.
Der Beschwerdeführer hat aufgrund seiner Verkaufstätigkeit, des Singens in einem christlichen Chor, seiner Kontakte zu NGOs wie Greenpeace, Plattform für Menschenrechte, HOSI und Care Österreich, seinen Vereins- und Alltagskontakten, Kursen und gemeinnütziger wie Gefälligkeitsarbeit viele soziale Beziehungen aufgebaut, die er pflegt und vertieft. Er ist strafrechtlich unbescholten und kulturell interessiert. Für einen Bildband und eine Fotoausstellung hat er 2015/16 als einer der Protagonisten an Aufnahmen im Salzkammergut teilgenommen.
Der Beschwerdeführer leidet unter einer Angststörung, die im August 2018 eine Sozialphobie, eine Platzangst und eine schwere Depression umfasste.
Gegen die Depressionen und Angstzustände, die schon im Herkunftsstaat bestanden haben, wurden ihm spätestens am 08.02.2017 Xanor und Sertralin, somit ein Medikament gegen Depression und Angststörung sowie ein angstlösendes Beruhigungsmittel verschrieben. Zusätzlich absolviert er wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung seit September 2017 etwa wöchentlich ambulante Psychotherapie, wobei er die Medikamente nicht immer wie empfohlen einnimmt.
Die Termine der Therapie nimmt er meist verlässlich und pünktlich wahr, manchmal wegen Antriebslosigkeit oder Angstzuständen auch nicht.
Im August 2018 wurden ihm wieder Xanor (Wirkstoff Alprazolam), Mirtabene, das ist ein Antidepressivum (Wirkstoff Mirtazapin), und Oleovit (Vitamin D3) verschrieben. Im September 2018 empfahl ein weiterer Facharzt neben dem Beruhigungsmittel und dem Antidepressivum wieder das Medikament gegen Depression und Angststörung sowie das Neuroleptikum Dominal, ein Beruhigungs- und Einschlafmittel.
Nach rechtskräftiger Abweisung des Asylantrags und Rückkehrentscheidung befolgte er die Ausreiseverpflichtung nicht, sondern verlieb unrechtmäßig im Bundesgebiet und ist weiterhin illegal hier aufhältig.
Dem Beschwerdeführer wäre es seit 21.06.2017 jederzeit möglich gewesen und ist es weiter möglich, entweder dem BFA seinen Reisepass vorzulegen oder bei der Botschaft seines Herkunftsstaates ein Reisedokument zu beantragen oder beides zu tun.
Es konnte nicht festgestellt werden, dass sich der Beschwerdeführer bei der Botschaft des Herkunftsstaates um ein Duplikat seines Reisepasses bemüht hat, dessen Diebstahl auch nicht festgestellt werden konnte. Diese Botschaft hat für den Beschwerdeführer ein bis zum 09.05.2017 befristetes Heimreisezertifikat erteilt und ist bereit, das aufgrund eines Antrags des BFA vom 22.01.2018 auch künftig mit einer neuen Befristung zu tun, wenn keine Duldung und kein Aufenthaltstitel besteht.
Eine Abschiebung, die für 06.04.2017 geplant gewesen war, scheiterte, da die Festnahme des Beschwerdeführers zur Sicherung der Abschiebung am 03.04.2017 von 07 bis 17 Uhr nicht möglich war. Um 18 Uhr stellte er dann den unter I. 3. genannten Folgeantrag, also 3 Tage vor der geplanten Abschiebung. Er gab an, übersiedelt und bei der Meldebehörde gewesen zu sein.
1.2 Zur Lage im Herkunftsstaat:
Im gegebenen Zusammenhang sind mangels sonstiger Bezüge zum Vorbringen die folgenden Informationen von Relevanz und werden festgestellt:
1.2.1 Medizinische Versorgung
Nigeria verfügt über ein sehr kompliziertes Gesundheitssystem. Das öffentliche Gesundheitssystem wird von den drei Regierungsebenen geleitet (VN 14.9.2015) und das Hauptorgan der Regierung für das Gesundheitswesen ist das Bundesgesundheitsministerium (IOM 8.2014). Die Bundesregierung ist zuständig für die Koordination der Angelegenheiten in den medizinischen Zentren des Bundes und Universitätskliniken. Die Landesregierung ist zuständig für allgemeine Spitäler, die Kommunalregierung für die Medikamentenausgabestellen (VN 14.9.2015).
Die meisten Landeshauptstädte haben öffentliche und private Krankenhäuser sowie Fachkliniken, und jede Stadt hat darüber hinaus eine Universitätsklinik, die vom Bundesgesundheitsministerium finanziert wird (IOM 8.2014).
Öffentliche (staatliche Krankenhäuser): Diese umfassen die allgemeinen Krankenhäuser, die Universitätskliniken und die Fachkliniken. Die Gebühren sind moderat, doch einigen Krankenhäusern fehlt es an Ausrüstung und ausreichendem Komfort. Es treten oftmals Verzögerungen auf und vielfach werden Untersuchungen aufgrund der großen Anzahl an Patienten nicht sofort durchgeführt (IOM 8.2014). Die Kosten von medizinischer Betreuung müssen im Regelfall selbst getragen werden; die staatlichen Gesundheitszentren heben eine Registrierungsgebühr von umgerechnet 10 bis 25 Cent ein: Tests und Medikamente werden unentgeltlich abgegeben, so ferne vorhanden (ÖBA 9.2016).
Private Krankenhäuser: Hierbei handelt es sich um Standard-Krankenhäuser. Diese Krankenhäuser verfügen nur teilweise über eine ausreichende Ausstattung und müssen Patienten für Labortests und Röntgenuntersuchungen oftmals an größere Krankenhäuser überweisen. Diese Krankenhäuser sind im Allgemeinen teurer (IOM 8.2014).
Die medizinische Versorgung im Lande ist mit Europa nicht zu vergleichen. Sie ist vor allem im ländlichen Bereich vielfach technisch, apparativ und/oder hygienisch problematisch. In den großen Städten findet man jedoch einige Privatkliniken mit besserem Standard (AA 4.7.2017). Es besteht keine umfassende Liste der Krankenhäuser und Ausstattungen, aber zahlreiche Krankenhäuser in Nigeria sind gut ausgestattet und in der Lage, zahlungsfähige Patienten medizinisch zu versorgen. Verschiedene Krankenhäuser in Nigeria haben sich auf unterschiedliche Krankheiten spezialisiert und Patienten suchen diese Krankenhäuser entsprechend ihrer Erkrankung auf. Allgemeine Krankenhäuser in Nigeria behandeln Patienten mit verschiedenen Krankheiten, verfügen jedoch üblicherweise über Fachärzte wie etwa Kinderärzte, Augenärzte, Zahnärzte, Gynäkologen zur Behandlung bestimmter Krankheiten. Zu den Fachkliniken zählen orthopädische Kliniken, psychiatrische Kliniken etc. (IOM 8.2014).
Aufgrund der hohen Sterblichkeitsrate von rund 90.000 Neugeborenen jährlich, die während der ersten 28 Tage nach ihrer Geburt sterben, rangiert Nigeria auf Platz 12 von 176 untersuchten Ländern und gilt auch innerhalb des südlichen Afrikas als "einer der gefährlichsten Orte" um geboren zu werden (GIZ 7.2017b). Die aktuelle Sterberate unter 5 beträgt 128 Todesfälle pro 1.000 Lebendgeburten. Die mütterliche Sterblichkeit liegt bei 545 Todesfällen pro 100.000 Lebendgeburten (ÖBA 9.2016).
Laut dem Gesundheitsministerium gibt es weniger als 150 Psychiater in Nigeria (IRIN 13.7.2017). Insgesamt gibt es in Nigeria acht psychiatrische Krankenhäuser, die von der Regierung geführt und finanziert werden. Sechs weitere psychiatrische Kliniken werden von Bundesstaaten unterhalten (SFH 22.1.2014; vgl. WPA o.D.). In diesen psychiatrischen Kliniken werden unter anderem klinische Depressionen, suizidale Tendenzen, Posttraumatische Belastungsstörungen, Schizophrenie und Psychosen behandelt (SFH 22.1.2014). Es existiert kein mit deutschen Standards vergleichbares Psychiatriewesen, sondern allenfalls Verwahreinrichtungen auf sehr niedrigem Niveau, in denen Menschen mit psychischen Erkrankungen oft gegen ihren Willen untergebracht werden, aber nicht adäquat behandelt werden können (AA 21.11.2016; vgl. SFH 22.1.2014). Das in Lagos befindliche Federal Neuro Psychiatric Hospital Yaba bietet sich als erste Anlaufstelle für die Behandlung psychisch kranker nigerianischer Staatsangehöriger an, die abgeschoben werden sollen. Die Kosten für den Empfang durch ein medizinisches Team direkt am Flughafen belaufen sich auf ca. 195.000 Naira (ca. 570 Euro). Zudem ist dort auch die stationäre Behandlung psychischer Erkrankungen mit entsprechender Medikation möglich (AA 21.11.2016).
Es gibt eine allgemeine Kranken- und Rentenversicherung, die allerdings nur für Beschäftigte im formellen Sektor gilt. Die meisten Nigerianer arbeiten dagegen als Bauern, Landarbeiter oder Tagelöhner im informellen Sektor. Leistungen der Krankenversicherung kommen schätzungsweise nur zehn Prozent der Bevölkerung zugute (AA 21.11.2016). Gemäß dem Exekutivsekretär des National Health Insurance Scheme (NHIS) beträgt nach zwölf Jahren die Zahl der Nigerianer, die durch das NHIS krankenversichert sind, 1,5 Prozent (Vanguard 22.6.2017). Hilfsorganisationen, die für notleidende Patienten die Kosten übernehmen, sind nicht bekannt. Aufwändigere Behandlungsmethoden, wie Dialyse oder die Behandlung von HIV/AIDS, sind zwar möglich, können vom Großteil der Bevölkerung aber nicht finanziert werden (AA 21.11.2016). Wer kein Geld hat, bekommt keine medizinische Behandlung (GIZ 7.2017b).
Rückkehrer finden in den Großstädten eine medizinische Grundversorgung vor. In privaten Kliniken können die meisten Krankheiten behandelt werden (AA 21.11.2016). Wenn ein Heimkehrer über eine medizinische Vorgeschichte verfügt, sollte er möglichst eine Überweisung von dem letzten Krankenhaus, in dem er behandelt wurde, vorlegen (IOM 8.2014). Heimkehrer, die vorher nicht in ärztlicher Behandlung waren, müssen lediglich dem Krankenhaus eine Registrierungsgebühr zahlen und in der Lage sein, ihre Behandlungskosten selbst zu tragen (IOM 8.2014; vgl. AA 21.11.2016). Hat eine Person keine Dokumente, führt dieser Umstand nicht zur Verweigerung medizinischer Versorgung oder zum Ausschluss von anderen öffentlichen Diensten (z.B. Bildung) (USDOS 3.3.2017).
Medikamente sind verfügbar, können aber je nach Art teuer sein (IOM 8.2014). Die staatliche Gesundheitsversorgung gewährleistet keine kostenfreie Medikamentenversorgung. Jeder Patient - auch im Krankenhaus - muss Medikamente selbst besorgen bzw. dafür selbst aufkommen (AA 21.11.2016). Medikamente gegen einige weit verbreitete Infektionskrankheiten wie Malaria und HIV/Aids können teils kostenlos in Anspruch genommen werden, werden jedoch nicht landesweit flächendeckend ausgegeben (ÖBA 9.2016).
In der Regel gibt es fast alle geläufigen Medikamente in Nigeria in Apotheken zu kaufen, so auch die Antiphlogistika und Schmerzmittel Ibuprofen und Diclofenac sowie die meisten Antibiotika, Bluthochdruckmedikamente und Medikamente zur Behandlung von neurologischen und psychiatrischen Leiden (AA 21.11.2016).
Es gibt zahlreiche Apotheken in den verschiedenen Landesteilen Nigerias. Die National Agency for Food and Drug Administration and Control (NAFDAC) hat ebenfalls umfangreiche Anstrengungen unternommen, um sicherzustellen, dass diese Apotheken überwacht werden und der nigerianischen Bevölkerung unverfälschte Medikamente verkaufen (IOM 8.2014). Trotzdem bliebt die Qualität der Produkte auf dem freien Markt zweifelhaft, da viele gefälschte Produkte - meist aus asiatischer Produktion - vertrieben werden (bis zu 25 Prozent aller verkauften Medikamente), die aufgrund unzureichender Dosisanteile der Wirkstoffe nur eingeschränkt wirken (AA 21.11.2016).
Der Glaube an die Heilungskräfte der traditionellen Medizin ist bei den Nigerianern nach wie vor sehr lebendig. Bei bestimmten Krankheiten werden eher die traditionellen Heiler als die Schulmediziner nach westlichem Vorbild konsultiert (GIZ 7.2017b).
In den letzten Jahren wurden mehrere Massenimpfungen gegen Polio und Meningitis durchgeführt. Ende 2016 kam es zu einem akuten Meningitis-Ausbruch, bei dem 745 Menschen gestorben sind und mehr als 8.000 Verdachtsfälle registriert wurden (GIZ 7.2017b).
1.2.2 Behandlung nach Rückkehr
Zum Zeitpunkt der Berichtslegung kann aufgrund der dargelegten Gründe kein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen generell festgestellt werden, welcher geeignet wäre, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Der pauschale Hinweis eines Asylwerbers auf die allgemein herrschende Situation in Nigeria reicht nicht aus, um eine Bedrohung iSv Art. 2 MRK, 3 MRK oder des Protokolls Nr. 6 oder 13 der EMRK darzustellen. Es kann allgemein festgestellt werden, dass in Nigeria eine zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit finden kann, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird und ihre existenziellen Grundbedürfnisse, aus selbstständiger Arbeit, sichern kann, insbesondere dann wenn Rückkehrhilfe angeboten wird (ÖBA 9.2016).
Abschiebungen erfolgen auf dem Luftweg, in Linien- oder Chartermaschinen. Rückführungen aus EU-Staaten erfolgen meist durch Charterflüge, die auch durch FRONTEX durchgeführt werden. Ohne gültigen nigerianischen Pass oder einen von einer nigerianischen Botschaft ausgestellten vorläufigen Reiseausweis ist eine Einreise aus Europa kommender nigerianischer Staatsangehöriger nicht möglich. Dies gilt auch für zwangsweise Rückführungen. Die Einwanderungsbehörde führt ein Fahndungsbuch, anhand dessen bei aus dem Ausland zu-rückkehrenden Nigerianern eine Überprüfung bereits bei Ankunft am Flughafen erfolgt: Bei Notierung im Fahndungsbuch wird der Betreffende noch im Flughafengebäude verhaftet; im anderen Fall wird der betroffenen Person ein vorläufiges Identifikationspapier durch die nigerianische Einwanderungsbehörde ausgestellt, wenn sie lediglich über einen vorläufigen Reiseausweis einer nigerianischen Botschaft verfügt (AA 21.11.2016).
Erkenntnisse darüber, ob abgelehnte Asylbewerber bei Rückkehr nach Nigeria allein wegen der Beantragung von Asyl mit staatlichen Repressionen zu rechnen haben, liegen dem Auswärtigen Amt nicht vor. Verhaftung bei Rückkehr aus politischen Gründen oder andere außergewöhnliche Vorkommnisse bei der Einreise von abgeschobenen oder freiwillig ausgereisten Asylbewerbern aus Deutschland sind nicht bekannt. Abgeschobene Personen werden im Allgemeinen nach ihrer Ankunft in Lagos von der Nigerianischen Immigrationsbehörde (Nigerian Immigration Service), manchmal auch der Drogenpolizei (National Drug Law Enforcement Agency/NDLEA) befragt und können danach das Flughafengelände unbehelligt verlassen (AA 21.11.2016). Die österreichische Botschaft in Abuja unterstützt regelmäßig die Vorbereitung und Durchführung von Joint Return Operations im Rahmen von FRONTEX als "lead nation". Die Erfahrungen seit dem Jahre 2005 lassen kaum Probleme erkennen. Die Rückgeführten verlassen das Flughafengebäude und steigen meistens in ein Taxi ein oder werden von ihren Familien abgeholt. Probleme, Anhaltungen oder Verhaftungen von rückgeführten Personen bei ihrer Ankunft am Flughafen Lagos wurden im Rahmen des Monitoring der Ankunft und des ungehinderten Verlassens des Flughafengeländes durch Vertreter der Botschaft nicht beobachtet. Es kann jedoch nicht mit gänzlicher Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die abgeschobenen Personen keine weiteren Probleme mit offiziellen Behörden haben. Das fehlende Meldesystem in Nigeria lässt allerdings darauf schließen, dass nach Verlassen des Flughafengeländes eine Ausforschung Abgeschobener kaum mehr möglich ist (ÖBA 9.2016).
Im Ausland straf- oder polizeilich auffällig gewordene Personen, insbesondere Prostituierte, werden in ihren Herkunfts-Bundesstaat überstellt. Wegen Drogendelikten im Ausland verurteilte Nigerianer werden nach Rückkehr an die NDLEA überstellt. Ein zweites Strafverfahren in Nigeria wegen derselben Straftat haben diese Personen jedoch trotz anderslautender Vorschriften im "Decree 33" nicht zu befürchten. Im Mai 2012 erhielt die Deutsche Botschaft in Abuja ein Schreiben des nigerianischen Justizministers mit der Bestätigung der Nichtanwendung des "Decree 33" (AA 21.11.2016). Da die österreichische Botschaft stets "overstay" als Abschiebungsgrund angibt, sind Verhaftungen bei Ankunft in Nigeria unwahrscheinlich. Dadurch ist das "Dekret 33" nicht geeignet, ein Rückschiebungshindernis für eine Person darzustellen (ÖBA 9.2016).
Staatliche oder sonstige Aufnahmeeinrichtungen für zurückkehrende unbegleitete Minderjährige sind in Lagos grundsätzlich vorhanden. Sie sind jedoch in schlechtem Zustand, so dass z.B. eine ausreichende Versorgung von minderjährigen Rückkehrern dort nicht ohne weiteres gewährleistet wäre (AA 21.11.2016).
1.2.3 Zum Vorbringen des Beschwerdeführers
Zum bereits Festgestellten sind noch in Bezug auf das Vorbringen diese Feststellungen zu treffen: Im Herkunftsstaat sind unter anderem folgende Medikamente und Wirkstoffe verfügbar:
Mirtabene/Mirtazapin, Alprazolam (Wirkstoff von Xanor), Sertralin/Sertralin. Auch Neuroleptika sind dort erhältlich. Oleovit/Vitamin D3 (Colecalciferol) wird dort auch im Internet gehandelt.
Der Beschwerdeführer wird nach seiner Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner asylrelevanten Verfolgung und keiner wie auch immer gearteten existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein.
2. Beweiswürdigung:
Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes sowie den Erkenntnissen der bisherigen Verfahren, I416 2145572-2/4E vom 20.06.2017 und I405 2145572-1/5E vom 31.07.2017. Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Fremdenregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR) und dem Betreuungsinformationssystem der Grundversorgung (GVS) wurden ergänzend eingeholt.
Auf den bereits ergangenen Entscheidungen dieses Gerichts fußen auch die mit den dort getroffenen übereinstimmenden Feststellungen.
Die Feststellungen konnten sich weiters auf die Angaben des Beschwerdeführers in den Einvernahmen am 05.09.2016 und am 09.05.2017 stützen.
Betreffend die Pharmazeutika stammen Angaben auch aus der Online-Abfrage der Gebrauchs- und der Fachinformationen im öffentlichen Arzneispezialitätenregister des Bundesamts für Sicherheit im Gesundheitswesen.
2.1 Zum Beschwerdeführer
Betreffend seinen Gesundheitszustand hat der Beschwerdeführer vorgelegt:
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Ambulanzbericht vom 08.02.2017
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Psychotherapeutische Stellungnahmen vom 06.11.2017, 30.01.2018 und 23.02.2018 betreffend Suizidgefährdung und Behandlungsbedarf,
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fachärztliche Mitteilungen eines Psychiaters vom 13.06.2017 sowie 29.01., 22.02. und 20.08.2018 betreffend Homosexualität und Suizidgefährdung samt Rezept,
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fachärztlicher Ambulanzbericht vom 10.09.2018,
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Mitteilung eines Allgemeinmediziners 05.09.2018 über die Tatsache einer Behandlung "wegen einer psychischen Krankheit".
Aus diesen Urkunden konnten die Feststellungen zur aktuellen Beeinträchtigung des Beschwerdeführers, der Medikation und der weiteren Therapie abgeleitet werden.
Der Beschwerdeführer arbeitet als Zeitungsverkäufer, hat sich für gemeinnützige Arbeit angemeldet und singt im Chor. Daraus und aus dem Alter folgt die Feststellung, dass er weiterhin an keiner schwerwiegenden Krankheit leidet und arbeitsfähig ist.
Da er nicht ortsgebunden ist und auch die Medikamenteneinnahme und die wöchentliche Psychotherapie keinen stationären Aufenthalt erfordern, ist er auch reisefähig. Die auf den Entscheidungszeitpunkt bezogene Feststellung kann im Hinblick auf die vorgebrachten psychischen Probleme naturgemäß nicht die ärztliche Beurteilung der gesundheitlichen Auswirkungen eines Transports zum Abreisezeitpunkt entbehrlich machen.
Angesichts der Arbeitsfähigkeit und Mobilität des Beschwerdeführers konnte auch festgestellt werden, dass dieser seinen Reisepass vorlegen oder sich einen um einen neuen bei der Botschaft hätte bemühen können. Die Negativfeststellung betreffen die Bemühungen um ein Duplikat seines Reisepasses und dessen Diebstahl fußen auf jenen im Vorerkenntnis zur Duldung und auf den im neuen Verfahren bereits von vornherein unterlassenen Behauptungen dazu. Auch im bekämpften Bescheid wird lediglich die Identitätsfeststellung durch die Delegation des Herkunftsstaats referiert, nicht aber das Unterlassen des Beschwerdeführers.
Der Beschwerdeführer hat betreffend seine Integration eine Anzahl von Dokumenten vorgelegt, unter anderem folgende:
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Unterstützungsschreiben mit 49 Unterschriften aus dem Sommer 2018,
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Bestätigungen der HOSI über regen Kontakt vom 17.01. und 13.09.2018 sowie Bestätigung der Teilnahme an einem Deutschkurs für homo- und für bisexuelle Flüchtlinge,
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13 undatierte Unterstützungsunterschriften von Angehörigen dieses Vereins,
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Bestätigung einer Straßenzeitung betreffend die Verkaufstätigkeit des Beschwerdeführers und einer in derselben Stadt wohnhaften Frau vom 23.08.2018 über gefälligkeitsweise Gartenarbeit des Beschwerdeführers seit 2016,
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Mietvertrag und Ergänzung betreffend Eintritt des Beschwerdeführers in diesen,
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Mitgliedschaftsbestätigung eines religiösen Vereins vom 02.05.2017, wonach der Beschwerdeführer auch regelmäßig spendet und ehrenamtlich hilft, und Haftungserklärung dieses Vereins vom 23.08.2018 für den Lebensunterhalt des Beschwerdeführers nach Enden der Grundversorgung,
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Verzichtserklärung des Beschwerdeführers auf Grundversorgung ausgenommen Krankenversicherung vom 23.08.2018,
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Buchungsbestätigung einer VHS betreffend einen Sprachkurs im September 2018,
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Anmeldungs- und Wartelistenbestätigung vom 17.08.2018 für ein Sprachtraining,
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Empfehlungsschreiben von Deutschlehrerinnen vom 17.08.2018 und 23.08.2018 sowie eines christlichen Bekannten vom 30.08.2018,
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Zeitungsreportage über den Beschwerdeführer, der im Gospelchor singt,
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Bibliotheksausweis und Rotkreuzausweis 2017 des Beschwerdeführers,
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Zertifikate über erfolgreich abgeschlossene Deutsch-/Integrationskurse auf dem Niveau A1/1 und A2/1 von 2015,
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Fotos des Beschwerdeführers mit einem Seelsorger und weiteren Personen beim Zeitungsverkauf sowie mit einer weiteren Person im Wald,
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Bestätigungen einer Landeshauptstadt über gemeinnützige Arbeit des Beschwerdeführers von 2015 und dafür, dass er auf einer Warteliste für gemeinnützige Bestätigung steht, vom 21.08.2018,
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Bestätigung eines Mannes vom 03.09.2018, wonach er neben seiner eingetragenen Partnerschaft mit einem Dritten auch eine intime Beziehung mit dem Beschwerdeführer habe, und zwar nach einer Unterbrechung wieder seit April 2018, welche er aus Rücksicht auf seinen Lebenspartner diskret behandelt wissen wolle.
Aus diesen Urkunden und Lichtbildern konnten die Feststellungen zur Integration abgeleitet werden.
2.2 Zum Herkunftsstaat
Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat beruhen auf dem aktuellen Länderinformationsbericht der Staatendokumentation für Nigeria samt den dort publizierten Quellen und Nachweisen Dieser Länderinformationsbericht stützt sich auf Berichte verschiedener ausländischer Behörden, etwa die allgemein anerkannten Berichte des Deutschen Auswärtigen Amtes, als auch jene von internationalen Organisationen, wie bspw. dem UNHCR, sowie Berichte von allgemein anerkannten unabhängigen Nachrichtenorganisationen.
Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wissentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.
2.3 Zum Vorbringen
Die Verfügbarkeit der Medikamente im Herkunftsstaat war der bisherigen Judikatur und den dort jeweils angegebenen Beweismitteln zu entnehmen (BVwG 02.12.2016, I403 2132628-1/11E; AsylGH 29.09.2010, B1 251.101-0/2008/26E).
Das Gericht ist angesichts der Länderinformationen überzeugt, dass bei der beschriebenen medizinischen Versorgung auch Vitamin D3 im Herkunftsstaat erhältlich ist, und wird darin dadurch bestärkt, dass dieses neben anderen Nahrungsergänzungsmitteln auch im Versandhandel angeboten wird (z. B. auf
https://www.jumia.com.ng/swanson-high-potency-vitamin-d-3-125539.html, Abfrage 15.10.2018).
Bereits dem Vorerkenntnis I416 2145572-2/4E vom 20.06.2017 ist zu entnehmen, "dass der Beschwerdeführer einerseits anlässlich einer Gesundheitsbefragung am 03.04.2017, angegeben hat, dass er weder an Angst, Depressionen noch Schlafstörungen leiden würde und andererseits im Zuge der Einvernahme vor dem BFA einen Ambulanzbericht vom 08.02.2017 hinsichtlich Angst und depressiver Störung vorgelegt hat, wobei er in der Einvernahme gegenüber der Behörde selbst ausgeführt hat, dass er diese Depressionen schon vor seiner Ausreise aus Nigeria gehabt hat."
Bereits im eben erwähnten Beschwerdeverfahren war auch davon ausgegangen worden, dass der Beschwerdeführer in Nigeria über kein familiäres oder soziales Netz verfügt, und dennoch die Rückkehrentscheidung bestätigt worden. Auch in Bezug auf eine etwaige Rückkehrgefährdung im Sinne einer realen Gefahr einer Verletzung der in Art. 2 und 3 EMRK verankerten Rechte des Beschwerdeführers ist daher keine Änderung des Sachverhaltes erkenntlich.
Dies alles spricht gegen die Annahme, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr in eine ausweglose, existenzbedrohende Lage geraten würde.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) (Abweisung der Beschwerde 1, Teilstattgebung der Beschwerde 2)
3.1 Zum Antrag auf Ausstellung einer Karte für Geduldete
Nach einer Ausweisung ist es allein am betroffenen Fremden gelegen, der Ausreiseverpflichtung nachzukommen und von sich aus alle nötigen vorbereitenden Maßnahmen zu setzen (§ 46 Abs. 2 FPG). Die Rückkehrentscheidung ist ein höchstpersönlich wirkender Leistungsbescheid, der den Adressaten - allenfalls unter Gewährung einer Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 FPG - zum Verlassen des Bundesgebietes verpflichtet. Da somit nur der Fremde selbst die Leistungspflicht erfüllen kann, muss er sich, wenn er über kein gültiges Reisedokument verfügt, rechtzeitig um die Ausstellung eines solchen bemühen.
Kommt der Fremde der Ausreiseverpflichtung nicht (fristgerecht) nach, dann wird die Rückkehrentscheidung zwangsweise durchgesetzt, was das FPG in § 46 Abs. 1 als Abschiebung bezeichnet.
Die Duldung gemäß dem vom Beschwerdeführer als erfüllt behaupteten Tatbestand des § 46a Abs. 1 Z. 3 FPG setzt dagegen voraus, dass die Abschiebung aus tatsächlichen Gründen unmöglich erscheint, die der Fremde nicht zu vertreten hat. Sie tritt von Gesetzes wegen ein, "wenn eine (freiwillige) Ausreise nicht möglich ist und tatsächliche, vom Fremden nicht zu vertretende Gründe eine Abschiebung verhindern" (VfGH 09.12.2014, G160/2014 ua)
Nach den EBRV zum FrÄG 2009 soll die tatsächliche Unmöglichkeit "naturgemäß nur dann zu einer Duldung führen, wenn die Hinderungsgründe nicht im Einflussbereich des Fremden liegen". Eine Verpflichtung zur Ausstellung wird insbesondere dann nicht bestehen, wenn klar ist, dass der Aufenthalt des Fremden nur für einen sehr kurzen Zeitraum geduldet sein wird, z. B. weil das tatsächliche Abschiebehindernis in Kürze wegfallen wird. (VwGH 21.12.2010, 2010/21/0231)
Damit ist bereits zweifach geklärt, dass fallbezogen eine Duldung nach der genannten Bestimmung nicht besteht. Die Botschaft des Herkunftsstaats wird (1.) nach den Feststellungen erwartungsgemäß spätestens nach Erlassung des vorliegenden Erkenntnisses das beantragte Zertifikat erteilen, sodass das allfällige Abschiebehindernis gestohlener Pass in Kürze wegfallen wird.
Der Beschwerdeführer hat (2.) im nunmehrigen Verfahren nicht einmal behauptet, irgendwelche Handlungen vorgenommen zu haben, die seine Ausreise ermöglichen, sondern im Gegenteil vorgebracht, er sei seines Gesundheitszustands wegen nicht reisefähig.
Demgegenüber wurde seine Reisefähigkeit festgestellt. Aus den Feststellungen ergibt sich auch, dass er jederzeit seit Entstehen seiner Verpflichtung für seine Ausreise hätte Sorgen können, indem er dem BFA seinen Reisepass vorgelegt oder sich um einen neuen gekümmert hätte.
Er hatte als Beschwerdeführer im vorangegangenen "Duldungsverfahren" noch behauptet, einen neuen Pass beantragt zu haben, was damals auch nicht feststellbar war, nunmehr ist das Vorbringen gerade noch schlüssig, aber angesichts der Feststellungen keine zum Erfolg führende Antragsbegründung.
Mangels eingetretener Voraussetzungen hat das BFA daher den neuerlichen Antrag auf Ausstellung einer Karte für Geduldete zu Recht abgewiesen. Die Beschwerde gegen den ersten im Spruch angeführten angefochtenen Bescheid war demnach auch abzuweisen.
3.2 Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels (Spruchpunkt I des zweiten Bescheides):
Im Spruchpunkt I sprach das BFA aus, dass dem Beschwerdeführer ein "Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen" "gemäß § 57 AsylG" nicht erteilt werde. Damit war nach der Begründung (S. 12 f, AS 144 f) offensichtlich das in § 57 AsylG 2005 beschriebene Rechtsinstitut "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" gemeint. Dem war durch die Richtigstellung des Spruchs Rechnung zu tragen.
Das Vorliegen der Voraussetzungen für die Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" gemäß § 57 AsylG 2005 wurde vom Beschwerdeführer nicht behauptet. Aus der Beschwerde und auch aus dem Verwaltungsakt ergeben sich auch keine Hinweise, die nahelegen würden, dass die Erteilung einer solchen Aufenthaltsberechtigung in Betracht kommt. Der Beschwerdeführer hätte zudem im Falle des § 57 Abs. 1 Z. 1 AsylG 2005 den Ausschlussgrund der rechtskräftigen Verurteilung wegen eines Verbrechens gegen sich gelten zu lassen.
3.3 Zur Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt II):
Nach § 52 Abs. 1 Z. 1 FPG ist eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn ein Drittstaats-angehöriger sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Zuletzt war der Beschwerdeführer während seines Asylverfahrens aus diesem Grund zum Aufenthalt in Österreich berechtigt, welches aber wie festgestellt schon länger rechtskräftig abgeschlossen ist.
Seit 21.06.2017 hält sich der Beschwerdeführer nicht mehr rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Somit ist auch im vorliegenden Fall die Rückkehrentscheidung vorgesehen.
Das gilt nur dann nicht, wenn eine Rückkehrentscheidung wegen eines Eingriffs in das Privat- oder Familienleben eines Fremden auf Basis des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG für dauernd unzulässig zu erklären ist. Zu entscheiden ist dabei nach einer individuellen Abwägung der berührten Interessen gegenüber den öffentlichen, ob ein Eingriff im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK verhältnismäßig ist.
Eine individuelle Abwägung der berührten Interessen ergibt, dass ein Eingriff in das Familien- und Privatleben des Beschwerdeführers durch seine Außerlandesbringung als im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK verhältnismäßig anzusehen ist.
Dazu ist zunächst auf das Erkenntnis dieses Gerichts vom 20.06.2017 zu verweisen, in dem diese Verhältnismäßigkeit unter Hinweis auf die Aufenthaltsdauer und das fehlende Familienleben bejaht hat, auch in Anbetracht eines angeblich fehlenden familiären Rückhalts im Herkunftsstaat.
Daran hat sich in der Zwischenzeit nichts so Gravierendes geändert, dass es zur Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung führen müsste. Das Gericht verkennt nicht, dass ein guter Teil der Integrationsleistungen des Beschwerdeführers nur oder doch auch in diese Periode fallen. Es verkennt aber ebenso wenig, dass diese nur stattfinden konnten, da der Beschwerdeführer einen unbegründeten Asylantrag einbrachte, seiner Ausreisepflicht nicht nachkam, stattdessen einen Folgeantrag stellte und auch nach dessen Zurückweisung keine Schritte unternahm, die ihm die Ausreise erleichtert hätten.
Zu verweisen ist in diesem Zusammenhang auch auf das Erkenntnis des VwGH vom 23.02.2017, Ra 2017/21/0009, wonach selbst bei einem Aufenthalt im Bundesgebiet in der Dauer von 4 1/2 Jahren auf Basis eines unberechtigten Antrags auf internationalen Schutz auch dann nicht von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem weiteren Verbleib aus-gegangen werden muss, wenn "außerordentliche Integrationsbemühungen" vorliegen, wie Deutschkenntnisse auf dem Niveau B2 sowie kirchliches, soziales und berufliches Engagement. Der Beschwerdeführer befindet sich demgegenüber ein Jahr weniger lang im Inland und verfügt über Deutschkenntnisse von A1 und teils A2.
An diesem Ergebnis ändert auch die angeblich vor einem halben Jahr wieder aufgenommene Beziehung zu einem Landsmann nichts, zumal dieser sich nach eigenen Angaben nicht von seinem seit Ende 2017 sogar eingetragenen Lebenspartner zu trennen beabsichtigt, die Affäre erst kurz und während des unrechtmäßigen Aufenthalts des Beschwerdeführers andauert und auch keine gemeinsame Wohnung existiert.
Ohne Zweifel liegt in der Fortsetzung der medizinischen Behandlung des Beschwerdeführers ein gravierendes privates Interesse. Bereits im Vorerkenntnis vom 20.06.2017 hat dieses Gericht dazu ausgeführt, dass weder der Beschwerdeführer behauptet habe, eine medizinische Versorgung mit entsprechenden Medikamenten sei in Nigeria nicht möglich, noch in den Länderinformationen zu finden seien.
Inzwischen wurde ebendies zwar vorgebracht, durch die Feststellungen allerdings widerlegt. Obendrein ist den Länderfeststellungen zu entnehmen, dass neben der Medikation auch die Behandlung weiterhin - wie auch schon zur Zeit des Vorerkenntnisses - verfügbar ist.
Nach der ständigen Rechtsprechung des EGMR und des Verwaltungsgerichtshofes hat im Allgemeinen kein Fremder ein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder suizidgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland (einer Abschiebung oder Überstellung) nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben, wobei die Kosten der Behandlung und Medikamente, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks und die für den Zugang zur Versorgung zurückzulegende Entfernung zu berücksichtigen sind. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Solche liegen jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt (VwGH 08.08.2017, Ra 2017/19/0082 mwH).
Nach den Feststellungen ist der Beschwerdeführer nicht schwer krank, sondern geht dem Zeitungsverkauf und dem Chorgesang nach und hat sich für gemeinnützige Arbeit beworben. Eine wie eben beschriebene Ausnahmesituation liegt demnach weiterhin nicht vor.
Bei der Abwägung der persönlichen Interessen des Fremden an einem Verbleib im Bundesgebiet mit dem öffentlichen Interesse an der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme kommt auch dem Umstand Bedeutung zu, dass eine medizinische Behandlung in Österreich vorgenommen wird. Wenn für den Fremden keine Aussicht besteht, sich in seinem Heimatstaat oder einem anderen Land außerhalb Österreichs der für ihn notwendigen Behandlung unterziehen zu können, kann das - abhängig von den dann zu erwartenden Folgen - eine maßgebliche Verstärkung der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich darstellen. Bei einer solchen Interessenabwägung ist auch ein Vorbringen zu berücksichtigen, es werde eine durch die Rückkehr in den Herkunftsstaat wegen der dort herrschenden Verhältnisse bewirkte maßgebliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Fremden, insbesondere die deutliche Verschlimmerung psychischer Probleme, eintreten. (VwGH 21.02.2017, Ro 2016/18/0005 mwH)
Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Zusammenhang aber ebenfalls ausgesprochen, dass es dem Fremden obliegt, substantiiert darzulegen, warum eine bestimmte medizinische Behandlung für ihn notwendig sei, und dass diese nur in Österreich erfolgen könne. Denn nur dann wäre ein sich daraus allenfalls ergebendes privates Interesse im Sinne des Art. 8 EMRK an einem Verbleib in Österreich - auch in seinem Gewicht - beurteilbar (26.03.2015, 2013/22/0297 mwH).
Diesem Erfordernis hat der Beschwerdeführer aber nicht entsprochen. Er hat lediglich - kontrafaktisch - die Verfügbarkeit der Medikamente bestritten und ohne weitere Begründung behauptet, die ärztliche Behandlung sei nicht gewährleistet. Zum Beschwerdevorbringen, wonach sich das BFA nicht damit auseinandergesetzt habe, ob die Behandlung der psychischen Erkrankung im Herkunftsstaat möglich sei, ist zu erinnern, dass dies bereits Gegenstand des Asylverfahrens war. Eine Verschlechterung der Versorgungslage im Herkunftsstaat wurde nicht vorgebracht, auch nicht, dass die notwendige medizinische Versorgung im Gegensatz zur Zeit der vorangegangenen Entscheidung dieses Gerichts nicht mehr verfügbar sei.
Der Beschwerdeführer ist weiterhin, wie bereits im Vorerkenntnis ausgeführt, volljährig, weist eine Schulbildung auf und ist arbeitsfähig. Durch seine Tätigkeit als Bauer war er vor seiner Ausreise imstande, seinen Lebensunterhalt zu sichern.
Zudem hat der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat, in dem er aufgewachsen ist und den Großteil seines bisherigen Lebens verbracht hat, sprachliche und kulturelle Verbindungen sowie Ortskenntnisse und die Möglichkeit, alte oder neue soziale Kontakte zu pflegen oder aufzufrischen. Daher wird er, wie ebenfalls bereits das Vorerkenntnis festhält, im Falle seiner Rückkehr durch die Aufnahme einer Tätigkeit, selbst wenn es sich um eine Hilfstätigkeit handelt, seinen Lebensunterhalt bestreiten können, auch wenn er angibt, keine Familie mehr in Nigeria zu haben.
Dem bestehenden Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich stehen öffentliche Interessen gegenüber. Zuerst steht ihnen das öffentliche Interesse daran gegenüber, dass das geltende Migrationsrecht auch vollzogen wird, indem Personen, die ohne Aufenthaltstitel anwesend sind - gegebenenfalls nach Abschluss eines allfälligen Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz - auch zur tatsächlichen Ausreise verhalten werden.
Dazu kommt fallbezogen, dass das fremdenrechtliche Fehlverhalten zur Basis einer intensiven Inanspruchnahme der - jedenfalls von Transferleistungen finanzierten - Krankenversicherung des Beschwerdeführers und einer bereits über ein Jahr konsumierten Therapie wurde, sodass auch ein öffentliches Interesse daran zu bejahen ist, dass der unrechtmäßige Aufenthalt nicht ohne Not zum Zweck der Fortsetzung einer Heilbehandlung verlängert wird.