TE Bvwg Erkenntnis 2018/10/19 W198 2170376-1

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Veröffentlicht am 19.10.2018
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Entscheidungsdatum

19.10.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch

W198 2170376-1/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Karl SATTLER als Einzelrichter in der Beschwerdesache des XXXX , geboren am XXXX Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch Asyl in Not, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.08.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 12.10.2018 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß den §§ 3, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 55, 57 AsylG 2005 idgF.,

§ 9 BFA-VG idgF., und §§ 52, 55 FPG idgF. als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, hat sein Heimatland verlassen, ist illegal in das Bundesgebiet eingereist und hat am 18.03.2016 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

2. Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 18.03.2016 gab der Beschwerdeführer an, am

XXXX geboren zu sein. Zu seinem Fluchtgrund gab er an, dass er keine Zukunft und keine Sicherheit gehabt habe, sein Leben sei ständig in Gefahr gewesen. Im Falle einer Rückkehr hätte er Angst vor den Taliban und würde er um seine Sicherheit fürchten.

3. Aus dem Gutachten zur Altersfeststellung des Beschwerdeführers vom 08.06.2016 ergibt sich als errechnetes fiktives Geburtsdatum des Beschwerdeführers der XXXX .

4. Der Beschwerdeführer wurde am 05.07.2017 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er an, dass er in der Provinz Herat, Distrikt XXXX , Dorf XXXX geboren sei. Vier Jahre lang habe der Beschwerdeführer im Iran gelebt. Im Jahr 2013 oder 2014 sei er wieder nach Afghanistan zurückgekehrt. Seine drei Brüder würden nach wie vor im Iran leben; seine Eltern und seine Schwestern seien in Afghanistan aufhältig. Zu seinem Fluchtgrund befragt, führte der Beschwerdeführer aus, dass XXXX , ein Führer der Taliban, den Beschwerdeführer, einige Male aufgefordert habe, mit ihm mitzugehen. Zwei Tage vor seiner Ausreise sei er von zwei Personen in seiner Gasse angehalten worden. Am nächsten Tag um sechs Uhr abends seien dieselben Personen zu ihm nachhause gekommen. Der Beschwerdeführer sei daraufhin zu seiner Tante geflüchtet, wo er die Nacht und den nächsten Tag verbracht habe. Am nächsten Tag um zwei Uhr morgens seien die Männer wieder zum Beschwerdeführer nachhause gekommen und hätten das ganze Haus durchsucht. Am nächsten Morgen sei der Vater des Beschwerdeführers zur Tante des Beschwerdeführers, bei welcher sich der Beschwerdeführer aufgehalten habe, gekommen und habe erzählt, dass die Männer im Haus gewesen seien. In der Folge habe der Beschwerdeführer Afghanistan verlassen.

5. Mit nunmehr angefochtenem Bescheid vom 22.08.2017 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und gemäß § 10 Abs.1 Z 3AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Weiters wurde ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers, zu seinem Fluchtgrund, zur Situation im Falle seiner Rückkehr und zur Lage in seinem Herkunftsstaat. Es habe keine glaubhafte Gefährdungslage festgestellt werden können. Der Beschwerdeführer habe keine Verfolgung glaubhaft machen können. Dem Beschwerdeführer könne eine Rückkehr nach Afghanistan zugemutet werden. Bei der Heimatprovinz des Beschwerdeführers Herat handle es sich um eine relativ sichere Provinz, Außerdem wäre es dem Beschwerdeführer zumutbar sich in Kabul niederzulassen.

6. Gegen verfahrensgegenständlich angefochtenen Bescheid wurde mit Schreiben der damaligen Rechtsvertretung des Beschwerdeführers fristgerecht Beschwerde erhoben. Darin wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr asylrelevante Probleme zu befürchten hätte.

7. Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt langten am 12.09.2017 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

8. Am 13.09.2017 langte beim Bundesverwaltungsgericht eine mit 12.09.2017 datierte Beschwerdeergänzung ein. Darin wurde ausgeführt, dass die Fluchtgründe des Beschwerdeführers in der Verfolgung wegen Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe aufgrund der massiven Verfolgung durch die Taliban bestünden. In der Folge wurde in der Beschwerde auf einige im Bescheid getätigten Ausführungen eingegangen und wurde auf die UNHCR-Richtlinien bezüglich afghanischer Flüchtlinge verwiesen. Weiters wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr zudem gefährdet wäre, aufgrund seiner westlichen Lebenseinstellung verfolgt zu werden. In weiterer Folge wurde auf diverse Berichte zur allgemeinen Sicherheitslage in Afghanistan verwiesen und wurde ausgeführt, dass dem Beschwerdeführer aufgrund der katastrophalen Sicherheitslage in seiner Heimat eine Rückkehr nicht zumutbar wäre.

9. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichts vom 30.08.2018 wurde der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers mitgeteilt, dass eine aktualisierte Form des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation - Afghanistan vom 29.06.2018 - Kurzinformation 22.08.2018 - vorliegt.

10. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichts vom 11.09.2018 wurden dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers - bezugnehmend auf sein telefonisches Ersuchen - die gewünschten Unterlagen betreffend den Verhandlungstermin am 12.10.2018 übermittelt.

11. Am 14.09.2018 langte beim Bundesverwaltungsgericht eine mit 28.08.2018 datierte Bestätigung für den Beschwerdeführer als ehrenamtlicher Mitarbeiter ein.

12. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichts vom 17.09.2018 wurde der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers mitgeteilt, dass erneut eine aktualisierte Form des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation - Afghanistan vom 29.06.2018 - Kurzinformation 11.09.2018 - vorliegt.

13. Am 17.09.2018 wurde dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers das neuerlich aktualisierte Länderinformationsblatt der Staatendokumentation übermittelt.

14. Vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde in der gegenständlichen Rechtssache am 12.10.2018 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein des Beschwerdeführers und seiner Rechtsvertretung sowie der Zeugin XXXX sowie eines Dolmetschers für die Sprache Dari durchgeführt. Die belangte Behörde entschuldigte ihr Fernbleiben.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsbürger, geboren XXXX . Er wurde in der Provinz Herat, Distrikt XXXX , Dorf XXXX geboren. Er ist im Jahr 2009 oder 2010 mit seinen Brüdern in den Iran gegangen, hat in der Folge vier Jahre lang dort gelebt, bevor im Jahr 2013 oder 2014 wieder nach Afghanistan zurückging, wo er bis zu seiner Ausreise lebte. Die drei Brüder des Beschwerdeführers leben im Iran. Eine Schwester des Beschwerdeführers lebt in der Provinz Herat. Ob die Mutter des Beschwerdeführers nach wie vor in der Provinz Herat oder mittlerweile im Iran lebt, konnte nicht festgestellt werden. Es konnte auch nicht festgestellt werden, ob der Vater des Beschwerdeführers verstorben ist.

Der Beschwerdeführer ist volljährig und ledig. Er bekennt sich zum sunnitischen Glauben. Seine Volksgruppenzugehörigkeit konnte nicht festgestellt werden. Seine Muttersprache ist Farsi. Der Beschwerdeführer hat vier Jahre lang in Afghanistan die Grundschule besucht und hat danach als Maler gearbeitet.

Der Beschwerdeführer leidet an einer Nasenseptumdeviation mit Spornbildung; er leidet jedoch an keinen schweren chronischen oder akuten Krankheiten oder anderen Leiden oder Gebrechen. Der Beschwerdeführer ist arbeitsfähig.

Der Beschwerdeführer konnte keine Tazkira vorlegen. Somit steht seine Identität nicht fest.

Der Beschwerdeführer befindet sich seit spätestens 18.03.2016 in Österreich. Er ist illegal in das Bundesgebiet eingereist. Abgesehen von einem Cousin väterlicherseits, mit dem der Beschwerdeführer wöchentlich Kontakt hat, halten sich keine Familienangehörigen oder Verwandten des Beschwerdeführers in Österreich auf.

Der Beschwerdeführer hat Deutschkurse besucht und hat die Deutschprüfung A1 erfolgreich abgelegt. Er war von 03.06.2018 bis 28.08.2018 im Ausmaß von insgesamt 42 Stunden als ehrenamtlicher Mitarbeiter im Sozialmarkt " XXXX tätig. Er nahm an einem Lehrgang "Übergangsstufe für Jugendliche mit geringen Deutschkenntnissen" an der BHAK XXXX teil und hat die Übergangsstufe für Jugendliche mit geringen Kenntnissen der Unterrichtssprache Deutsch abgeschlossen. Der Beschwerdeführer nahm während seines Aufenthaltes im Bundesgebiet an einigen integrativen Aktivitäten teil und knüpfte soziale Kontakte. Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich unbescholten.

Der Beschwerdeführer war in Afghanistan keiner konkreten individuellen Verfolgung ausgesetzt und wurden von ihm keine asylrelevanten Gründe für das Verlassen seines Heimatstaates dargetan. Dem Beschwerdeführer droht in Afghanistan aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung keine Verfolgung.

Im Falle einer Verbringung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat droht diesem kein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958 (in der Folge EMRK).

Die Wohnraum- und Versorgungslage ist in Herat und Mazar-e Sharif sehr angespannt. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedelung in der Stadt Herat oder Mazar-e Sharif kann der Beschwerdeführer jedoch grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Er kann selbst für sein Auskommen und Fortkommen sorgen.

Es ist dem Beschwerdeführer möglich nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedlung in der Stadt Herat oder Mazar-e Sharif Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

1.2. Zum Fluchtgrund

Es kann kein asylrelevanter Fluchtgrund des Beschwerdeführers festgestellt werden. Eine individuelle Bedrohung konnte nicht festgestellt werden. Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer einer Bedrohung durch die Taliban ausgesetzt war bzw. im Falle einer Rückkehr ausgesetzt wäre.

Ein konkreter asylrelevanter Anlass für das Verlassen des Herkunftsstaates konnte nicht festgestellt werden. Es konnte auch nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer asylrelevanten Verfolgungsgefahr ausgesetzt ist.

Nicht festgestellt werden kann, dass der Beschwerdeführer als Rückkehrer mit westlicher Orientierung in Afghanistan einer Verfolgung ausgesetzt wäre.

1.3. Zur Lage im Herkunftsstaat:

Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (Länderinformationsblatt für Afghanistan vom 29.06.2018 mit Kurzinformation vom 11.09.2018 - LIB 11.09.2018, S. 27).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (LIB 11.09.2018, S. 27).

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren. Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah- Stadt) bedrohen. Dies ist den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zuzuschreiben (LIB 11.09.2018, S. 30).

Im Jänner 2018 waren 56.3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14.5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29.2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (LIB 11.09.2018, S. 38).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht. In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt. Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheits-operationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden; auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (LIB 11.09.2018, S. 31).

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (LIB 11.09.2018, S. 31). Die Auflistung der high-profile Angriffe zeigt, dass die Anschläge in großen Städten, auch Kabul, hauptsächlich im Nahebereich von Einrichtungen mit Symbolcharakter (Moscheen, Tempel bzw. andere Anbetungsorte), auf Botschaften oder auf staatliche Einrichtungen stattfinden. Diese richten sich mehrheitlich gezielt gegen die Regierung, ausländische Regierungen und internationale Organisationen (LIB 11.09.2018, S. 32 ff, 36).

Mazar-e Sharif:

Mazar-e Sharif ist die Hauptstadt der Provinz Balkh. Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana und Pul-e-Khumri und ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst (LIB 11.09.2018, S. 71).

In Mazar-e Sharif gibt es einen internationalen Flughafen, durch den die Stadt sicher zu erreichen ist (LIB 11.09.2018, S. 71).

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans, sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan. Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften (LIB 11.09.2018, S. 72).

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.382.155 geschätzt (LIB 11.09.2018, S. 61f).

Herat

Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans und liegt im Westen des Landes. Herat grenzt im Norden an die Provinz Badghis und Turkmenistan, im Süden an die Provinz Farah, im Osten an die Provinz Ghor und im Westen an den Iran. Die Provinz ist in 16 Bezirke eingeteilt, die gleichzeitig auch die administrativen Einheiten bilden. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.967.180 geschätzt. In der Provinz leben Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Uzbeken und Aimaken (LIB 11.09.2018, S. 107).

Provinzhauptstadt ist Herat-Stadt, welche sich im gleichnamigen Distrikt befindet und eine Einwohnerzahl von 506.900 hat. In der Provinz befinden sich zwei Flughäfen: ein internationaler in Herat-Stadt und ein militärischer in Shindand, sodass die Stadt sicher erreichbar ist (LIB 11.09.2018, S. 107, 228 f).

Herat ist eine relativ entwickelte Provinz im Westen des Landes. Bekannt ist Herat auch wegen seiner Vorreiterrolle in der Safran-Produktion. Die Safran-Produktion garantierte z.B. auch zahlreiche Arbeitsplätze für Frauen in der Provinz (LIB 11.09.2018, S. 107).

Herat wird als eine der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv. Die Provinz Herat zählt zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen des Landes zählt, wenngleich sich in den abgelegenen Distrikten die Situation in den letzten Jahren aufgrund der Taliban verschlechtert hat (LIB 11.09.2018, S. 108).

Nach zehn Jahren der Entminung sind nun 14 von 16 Distrikten der Provinz sicher. In diesen Gegenden besteht keine Gefahr mehr, Landminen und anderen Blindgängern ausgesetzt zu sein. In der Provinz leben u.a. tausende afghanische Binnenflüchtlinge (LIB 11.09.2018, S. 108).

Im gesamten Jahr 2017 wurden in der Provinz Herat 495 zivile Opfer (238 getötete Zivilisten und 257 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Selbstmordanschlägen/komplexen Attacken und gezielten Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 37% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (LIB 11.09.2018, S. 109).

Regierungsfeindliche Aufständische griffen Mitte 2017 heilige Orte, wie schiitische Moscheen, in Hauptstädten wie Kabul und Herat, an. Dennoch erklärten Talibanaufständische ihre Bereitschaft, sich am Friedensprozess zu beteiligen. Es kam zu internen Konflikten zwischen verfeindeten Taliban-Gruppierungen (LIB 11.09.2018, S. 110).

Aufgrund der anhaltenden Dürre in Afghanistan kommt es zu einer Landflucht, insbesondere in die Stadt Herat. Die Mehrheit der von der Dürre betroffenen Bewohner der informellen Siedlungen am Stadtrand von Herat-Stadt sind Landwirte, welche ihren gesamten Besitz verloren haben. Aus den vorliegenden Berichten (Anfragebeantwortung von ACCORD vom 12.10.2018, Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 13.09.2018 zur Lage in Herat-Stadt und Mazar-e Sharif aufgrund anhaltender Dürre) geht nicht hervor, dass Rückkehrer aus Europa in besonderem Maße von den Folgen der Dürre betroffen sind.

Medizinische Versorgung

Es gibt keine staatliche Krankenkasse und die privaten Anbieter sind überschaubar und teuer, somit für die einheimische Bevölkerung nicht erschwinglich. Eine begrenzte Zahl staatlich geförderter öffentlicher Krankenhäuser bieten kostenfreie medizinische Versorgung. Alle Staatsbürger haben Zugang zu medizinischer Versorgung und Medikamenten. Die Kosten für Medikamente in diesen Einrichtungen weichen vom lokalen Marktpreis ab. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e-Sharif, Herat und Kandahar. Medikamente sind auf jedem Markt in Afghanistan erwerblich, Preise variieren je nach Marke und Qualität des Produktes (LIB 11.09.2018, S. 206 ff).

Psychische Erkrankungen sind in öffentlichen und privaten Klinken grundsätzlich behandelbar. Die Behandlung in privaten Kliniken ist für Menschen mit durchschnittlichen Einkommen nicht leistbar. In öffentlichen Krankenhäusern müssen die Patienten nichts für ihre Aufnahme bezahlen. In Kabul gibt es zwei psychiatrische Einrichtungen: das Mental Health Hospital und die Universitätsklinik Aliabad. Zwar gibt es traditionelle Methoden bei denen psychisch Kranke in spirituellen Schreinen unmenschlich behandelt werden. Es gibt jedoch aktuelle Bemühungen, die Akzeptanz und Kapazitäten für psychiatrische Behandlungsmöglichkeiten zu stärken und auch Aufklärung zu betreiben. Die Bundesregierung finanziert Projekte zur Verbesserung der Möglichkeiten psychiatrischer Behandlung und psychologischer Begleitung in Afghanistan (LIB 11.09.2018, S. 327 f). In Mazar-e Sharif gibt es ein privates neuropsychiatrisches Krankenhaus (Alemi Hospital) und ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus (LIB 11.09.2018, S. 327).

Wirtschaft

Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut weiterhin zu (LIB 11.09.2018, S. 321).

Für ca. ein Drittel der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (inklusive Tiernutzung) die Haupteinnahmequelle. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet. Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Mehr als ein Drittel der männlichen Bevölkerung (34,3%) Afghanistans und mehr als die Hälfte der weiblichen Bevölkerung (51,1%) sind nicht in der Lage, eine passende Stelle zu finden (LIB 11.09.2018, S. 321).

Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist angespannt und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Sogar für gut ausgebildete und gut qualifizierte Personen ist es schwierig ohne ein Netzwerk einen Arbeitsplatz zu finden, wenn man nicht empfohlen wird oder dem Arbeitgeber nicht vorgestellt wird. Vetternwirtschaft ist gang und gebe. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen. Es gibt lokale Webseiten, die offene Stellen im öffentlichen und privaten Sektor annoncieren. Die meisten Afghanen sind unqualifiziert und Teil des informellen, nicht-regulierten Arbeitsmarktes. Der Arbeitsmarkt besteht Großteiles aus manueller Arbeit ohne Anforderungen an eine formelle Ausbildung und spiegelt das niedrige Bildungsniveau wieder. In Kabul gibt es öffentliche Plätze, wo sich Arbeitssuchende und Nachfragende treffen. Viele bewerben sich, nicht jeder wird engagiert. Der Lohn beträgt für Hilfsarbeiter meist USD 4,3 und für angelernte Kräfte bis zu USD 14,5 pro Tag (EASO Afghanistan Netzwerke aus Jänner 2018, Beilage ./III, S. 29 - 30).

In Kabul und in großen Städten stehen Häuser und Wohnungen zur Verfügung. Es ist auch möglich an Stelle einer Wohnung ein Zimmer zu mieten. Dies ist billiger als eine Wohnung zu mieten. Heimkehrer mit Geld können Grund und Boden erwerben und langfristig ein eigenes Haus bauen. Vertriebene in Kabul, die keine Familienanbindung haben und kein Haus anmieten konnten, landen in Lagern, Zeltsiedlungen und provisorischen Hütten oder besetzen aufgelassene Regierungsgebäude. In Städten gibt es Hotels und Pensionen unterschiedlichster Preiskategorien. Für Tagelöhner, Jugendliche, Fahrer, unverheiratete Männer und andere Personen, ohne permanenten Wohnsitz in der jeweiligen Gegend, gibt es im ganzen Land Angebote geringerer Qualität, sogenannte chai khana (Teehaus). Dabei handelt es sich um einfache große Zimmer in denen Tee und Essen aufgetischt wird. Der Preis für eine Übernachtung beträgt zwischen 0,4 und 1,4 USD. In Kabul und anderen großen Städten gibt es viele solche chai khana und wenn ein derartiges Haus voll ist, lässt sich Kost und Logis leicht anderswo finden. Man muss niemanden kennen um dort eingelassen zu werden (EASO Afghanistan Netzwerke aus Jänner 2018, Beilage ./III, S. 31).

Rückkehrer:

Im Jahr 2017 kehrten sowohl freiwillig, als auch zwangsweise insgesamt 98.191 Personen aus Pakistan und 462.361 Personen aus Iran zurück. Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück (LIB 29.06.2018, S. 334 f).

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (z. B. IPSO und AMASO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung, wo Rückkehrer/innen für maximal zwei Wochen untergebracht werden können (LIB 11.09.2018, S. 335 f).

IOM, IRARA, ACE und AKAH bieten Unterstützung und nachhaltige Begleitung bei der Reintegration einschließlich Unterstützung bei der Suche nach einer Beschäftigung oder Schulungen an. NRC bietet Rückkehrer/innen aus Pakistan, Iran und anderen Ländern Unterkunft sowie Haushaltsgegenstände und Informationen zur Sicherheit an und hilft bei Grundstücksstreitigkeiten. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (ICRC) unterstützt Rückkehrer/innen dabei, ihre Familien zu finden (LIB 11.09.2018, S. 336f).

Psychologische Unterstützung von Rückkehrer/innen wird über die Organisation IPSO betrieben - alle Leistungen sind kostenfrei. Diejenigen, die es benötigen und in abgelegene Provinzen zurückkehren, erhalten bis zu fünf Skype-Sitzungen von IPSO. Für psychologische Unterstützung könnte auch ein Krankenhaus aufgesucht werden; möglicherweise mangelt es diesen aber an Kapazitäten (LIB 11.09.2018, S. 337f).

Die Großfamilie ist die zentrale soziale Institution in Afghanistan und bildet das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen. Alle Familienmitglieder sind Teil des familiären Netzes. Die Großfamilie trägt zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder bei. Sie bildet auch eine wirtschaftliche Einheit; die Männer der Familie sind verpflichtet, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen und die Familie in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Auslandsafghanen pflegen zumeist enge Kontakte mit ihren Verwandten in Afghanistan. Nur sehr wenige Afghanen in Europa verlieren den Kontakt zu ihrer Familie. Die Qualität des Kontakts mit der Familie hängt möglicherweise auch davon ab, wie lange die betreffende Person im Ausland war bzw. wie lange sie tatsächlich in Afghanistan lebte, bevor sie nach Europa migrierte. Der Faktor geographische Nähe verliert durch technologische Entwicklungen sogar an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile "universell" geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten. Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migrant/innen in Afghanistan dar. Dennoch haben alleinstehende afghanische Männer, egal ob sie sich kürzer oder länger außerhalb der Landesgrenzen aufhielten, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan, zu der sie zurückkehren können. Eine Ausnahme stellen möglicherweise jene Fälle dar, deren familiäre Netze in den Nachbarstaaten Iran oder Pakistan liegen (LIB 11.09.2018, S. 338 f).

Familien in Afghanistan halten in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (LIB 11.09.2018, S. 339).

Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind einige Rückkehrer/innen auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer/innen besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB 29.06.2018, S. 339).

Rückkehrer aus Europa oder dem westlichen Ausland werden von der afghanischen Gesellschaft häufig sehr misstrauisch wahrgenommen. Rückkehrer werden aufgrund ihres Aufenthaltes in Europa nicht Opfer von Gewalttaten. Haben Rückkehrer lange Zeit im Ausland gelebt oder haben sie zusammen mit der gesamten Familie Afghanistan verlassen, ist es wahrscheinlich, dass lokale Netzwerke nicht mehr existieren oder der Zugang zu solchen erheblich eingeschränkt ist. Dies kann die Reintegration stark erschweren. Der Mangel an Arbeitsplätzen stellt für den Großteil der Rückkehrer die größte Schwierigkeit dar (Beilage ./O, S. 30).

Als "verwestlicht" wahrgenommene Personen:

Berichten zufolge werden Personen von regierungsfeindlichen Kräften angegriffen, die vermeintlich Werte und/oder ein Erscheinungsbild angenommen haben, die mit westlichen Ländern in Verbindung gebracht werden, und denen deshalb unterstellt wird, die Regierung und die internationale Gemeinschaft zu unterstützen.

UNHCR ist auf Grundlage der vorangegangenen Analyse der Ansicht, dass - je nach den Umständen des Einzelfalls - für solche Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung oder mit der internationalen Gemeinschaft einschließlich der internationalen Streitkräfte verbunden sind, oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen, ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz aufgrund ihrer (zugeschriebenen) politischen Überzeugung oder aufgrund anderer relevanter Gründe bestehen kann.

(Zusammenfassung aus folgender Quelle: UNHCR Richtlinien, Pkt III.A.1.j und l).

Dokumentierte Fälle eines gezielten Vorgehens gegen zurückkehrende Afghanen auf Grundlage einer "Verwestlichung", weil diese in Europa gereist wären oder dort gelebt hätten, westliche Ausweisdokumente in ihrem Besitz oder Ideen angenommen hätten, welche als "unafghanisch", "westlich" oder "europäisch" angesehen werden, sind spärlich. Uneinheitliche Beschreibungen aus Quellen nennen vereinzelte Berichte vermeintlicher Entführungen oder sonstige, auf Einzelne abzielende Verfolgungshandlungen, oder, dass nicht für jede Person ein Risiko besteht, aber, dass solche Handlungen vorkommen, wobei allerdings der Grad und die Verbreitung schwierig zu quantifizieren sind, oder aber, dass Verfolgung nicht spezifisch vorkomme wegen des Asylwerbens oder des Bereisens westlicher Länder.

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus folgender Quelle: EASO, Country of Origin Report Afghanistan "Individuals targeted under societal and legal norms", Dezember 2017, [abrufbar unter:

https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/Afghanistan_targeting_society.pdf, abgerufen am 23.03.2018; in Folge: "EASO-Bericht Verfolgung Einzelner unter gesellschaftlichen und rechtlichen Normen"]" S. 92)

Afghanen, welche aus dem Westen zurückkehren wurden oft von anderen als Quelle für Mittel oder Wohlstand empfunden, nachdem sie Zeit im Ausland verbracht haben. Rückkehrer fürchten Entführungen für Schutzgeld aus diesem Grund oder, dass deren Kinder für Schutzgeld verschleppt werden. Die Australische Regierung stellte in einem Bericht aus 2015 fest, dass es vereinzelte Berichte über behauptete Entführungen nach der Rückkehr gibt. In ähnlicher Weise kommt ein Forschungsprojekt über Rückkehrmigration von Europa nach Afghanistan der Wissenschaftler Ceri Oeppen and Nassim Majidi, publiziert im Jahr 2015, zum Schluss, dass eine kleine Minderheit (der in der Studie behandelten afghanischen Rückkehren aus Europa) mit spezifische Bedrohungen nach deren Rückkehr, im Regelfall durch gewaltsames Verlangen nach Geld. Im Jahr 2015, brachte ein Artikel über zurückkehrende Afghanen aus dem Vereinigten Königreich das Beispiel, welcher geschlagen und zum Zweck der Schutzgelderpressung entführt wurde, welchem es jedoch gelang, zu entkommen. Dr. Schuster gab an, dass ihr drei Fälle bekannt seien, wo zurückkehrende Afghanen wegen deren empfundenen/gefühlten Wohlstands bedroht oder geschlagen wurden. Weitere Beispiele von durch Kriminalität verfolgten Migranten konnten innerhalb der Zeitbeschränkung nicht gefunden werden.

(Auszug aus folgender Quelle: EASO-Bericht Verfolgung unter gesellschaftlichen und rechtlichen Normen, Pkt. 8.5)

2. Beweiswürdigung:

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt des BFA unter zentraler Berücksichtigung der darin enthaltenen niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers, dem bekämpften Bescheid, der Beschwerde sowie den Ergebnissen der mündlichen Verhandlung Beweis erhoben.

2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die getroffenen Feststellungen zur Person ergeben sich aus dem diesbezüglichen Vorbringen des Beschwerdeführers. Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, zur Religionszugehörigkeit und zur Abstammung aus der Provinz Herat stützen sich auf die Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren vor dem BFA, in der Beschwerde, sowie in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht und auf die Kenntnis und Verwendung der Sprache Dari.

Das festgestellte Geburtsdatum ergibt sich aus dem Gutachten zur Altersfeststellung.

Die Identität des Beschwerdeführers steht mit für das Verfahren ausreichender Sicherheit fest.

Der Umstand, dass nicht festgestellt werden konnte, ob die Mutter des Beschwerdeführers nach wie vor in der Provinz Herat oder mittlerweile im Iran lebt, ergibt sich daraus, dass der Beschwerdeführer diesbezüglich ein unstimmiges Vorbringen erstattete. So gab er im Verfahren vor der belangten Behörde an, dass seine Mutter nach wie vor in Herat lebe, während er in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vorbrachte, dass seine Mutter mittelweise in den Iran gegangen sei. Er konnte allerdings keinerlei Beweismittel für dieses Vorbringen vorlegen.

Ebenso wenig konnte festgestellt werden, ob der Vater des Beschwerdeführers verstorben ist. Der Beschwerdeführer brachte diesen Umstand erstmals in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vor. Er legte zum Beweis einen USB-Stick vor, auf welchem ein Videofilm sowie Fotos einer Beerdigung sowie ein Video einer Person im Krankenhaus zu sehen sind. Der Beschwerdeführer hatte allerdings kein Beweismittel dafür, dass es sich bei der Person auf dem USB-Stick tatsächlich um seinen Vater handle.

Die Volksgruppenzugehörigkeit des Beschwerdeführers konnte nicht festgestellt werden, da der Beschwerdeführer dazu keinen Angaben machen konnte.

Die Feststellung betreffend die gesundheitliche Beeinträchtigung des Beschwerdeführers beruht auf dem vorgelegten Befund vom 24.05.2018. Darüber hinaus wurden vom Beschwerdeführer keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen vorgebracht oder ärztliche Bestätigungen vorgelegt.

Die Feststellungen zu den absolvierten Kursen, Prüfungen sowie den integrativen Aktivitäten und der ehrenamtlichen Tätigkeit ergeben sich aus den vor dem Bundesamt sowie im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegten Bestätigungen.

2.2. Zum vorgebrachten Fluchtgrund:

Die Feststellungen zu den Gründen des Beschwerdeführers für das Verlassen seines Heimatstaates stützen sich auf die vom Beschwerdeführer vor dem BFA, in der Beschwerde sowie in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht getroffenen Aussagen.

Als fluchtauslösendes Ereignis brachte der Beschwerdeführer vor, dass er von den Taliban ausgefordert worden sei mitzugehen und sie auch das Haus nach ihm durchsucht hätten und er aus diesem Grund Afghanistan verlassen habe müssen. Das Fluchtvorbringen ist jedoch aus folgenden Erwägungen nicht glaubhaft:

Zunächst gab der Beschwerdeführer in der Einvernahme vor der belangten Behörde an, dass er von XXXX , einem Führer der Taliban, einige Male aufgefordert worden sei, mit ihm mitzugehen. Etwas später gab er hingehen an, dass er diesen Mann noch nie gesehen habe und nicht persönlich kenne.

Widersprüchliche Angaben tätigte der Beschwerdeführer dahingehend, wann er erstmals aufgefordert worden sei, mit den Leuten des XXXX mitzukommen. So gab er in der Einvernahme vor der belangten Behörde einmal an, dass diese Aufforderung zwei Tage vor seiner Ausreise erfolgt sei, dann wiederum gab er in derselben Einvernahme an, dass dies zwei Wochen vor seiner Ausreise passiert sei.

Hinsichtlich der Chronologie der Ereignisse tätigte der Beschwerdeführer unstimmige Angaben. Er gab an, dass es zwei "Besuche" der Leute des XXXX bei ihm zuhause gegeben habe und er nach dem ersten "Besuch" zu seiner Tante geflüchtet sei und führte er weiters aus, dass sein Vater nach dem ersten "Besuch" dieser Leute zur Tante gekommen und dem Beschwerdeführer darüber erzählt habe. Dies erscheint jedoch unlogisch, zumal der Beschwerdeführer beim ersten "Besuch" noch zuhause gewesen sei und daher alles mitbekommen habe und es daher keinen Sinn macht, wenn der Vater des Beschwerdeführers ihm vom ersten "Besuch" erzählt hätte.

Festzuhalten ist, dass es den Leuten des XXXX nicht gelungen ist, den Beschwerdeführer unter Zwang mitzunehmen, obwohl sie ihn zweimal auf der Straße aufgefordert hätten, mitzugehen und auch zweimal bei ihm zuhause gewesen seien, wobei der Beschwerdeführer einmal davon selbst zuhause war. Auf entsprechenden Vorhalt in der mündlichen Verhandlung tätigte der Beschwerdeführer ausweichende Antworten und führte er aus, dass die Taliban ihn auf der Straße nicht mitnehmen hätten können, da es in dem Fall Zeugen gegeben hätte. Diese Angabe erscheint jedoch nicht nachvollziehbar, gab der Beschwerdeführer doch an, dass die Taliban in dem Dorf, in dem er gelebt habe, großen Einfluss gehabt hätten und erscheint es daher nicht plausibel, dass die Taliban Angst vor Zeugen gehabt hätten.

Nicht nachvollziehbar erscheint weiters, wieso gerade der Beschwerdeführer, nicht aber seine Brüder, diese Probleme mit XXXX bekommen habe. Die Brüder des Beschwerdeführers sind zwar 2009 oder 2010 in den Iran gegangen, sie hätten jedoch theoretisch schon davor die gleichen Probleme bekommen können. Ebenso wenig erscheint das plötzliche Interesse des XXXX am Beschwerdeführer erst im Jahr 2016 nachvollziehbar und ist es nicht plausibel, dass nicht schon bereits 2014 oder 2015, als der Beschwerdeführer aus dem Iran zurückgekehrt ist, ein Interesse an ihm bestand.

Der Beschwerdeführer brachte weiters vor, dass sein Vater nach der Flucht des Beschwerdeführers eine Schwester des Beschwerdeführers mit einem Bruder des XXXX zwangsverheiraten habe müssen. In der mündlichen Verhandlung wurde der Beschwerdeführer nach dem Namen dieses Mannes gefragt und konnte er den Namen nicht angeben und erscheint dies dahingehend unlogisch, als der Beschwerdeführer das Alter des Mannes, nämlich vierzig Jahre, sehr wohl angeben konnte. Auf Vorhalt, ob die Rachewünsche des XXXX gegen den Beschwerdeführer aufgrund der Heirat mit der Schwester des Beschwerdeführers nun befriedigt sein könnten und gar kein Interesse am Beschwerdeführer mehr bestehe, gab der Beschwerdeführer eine völlig ausweichende Antwort. Er konnte auch die Frage, ob die Leute des XXXX nach der Zwangsverheiratung noch einmal nach dem Beschwerdeführer gefragt hätten, nicht beantworten und gab er an, dass er seine Familie nicht danach gefragt habe.

Gegen die persönliche Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers sprechen zudem folgende Umstände: Der Beschwerdeführer konnte das Geburtsjahr seiner Geschwister angeben, sein eigenes hingehen wusste er nicht und erscheint dies unlogisch. So gab er im Zuge der Erstbefragung an, am XXXX geboren zu sein; im Zuge der Altersfeststellung wurde sein Geburtsdatum jedoch mit XXXX ermittelt. Der Hinweis des Rechtsvertreters in der mündlichen Verhandlung, dass sich der Beschwerdeführer zuerst älter gemacht habe und ihm daraus keine Vorteile erwachen wären, geht sohin ins Leere. Weiters konnte der Beschwerdeführer den genauen Aufenthaltsort seiner älteren Schwester nicht angeben, obwohl er vorbrachte, dass seine Mutter, mit der er in Kontakt stehe, manchmal ihren Schwiegersohn anrufe und nach der Tochter frage. Nicht nachvollziehbar erscheint weiters, dass der Beschwerdeführer seinen Cousin, welcher ebenfalls in Österreich lebe und mit dem er wöchentlich Kontakt habe, weder nach dem Stand seines Asylverfahrens gefragt habe noch nach dem Grund seiner Ausreise aus Afghanistan. Zudem sagte die Zeugin in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht aus, dass der Beschwerdeführer ihr erzählt habe, dass er Analphabet sei und nur die Koranschule besucht habe, während der Beschwerdeführer vor der belangten Behörde und vor dem Bundesverwaltungsgericht aussagte, dass er vier Jahre lang die Grundschule besucht habe.

In einer Gesamtschau ist daher festzuhalten, dass der Beschwerdeführer eine asylrelevante Verfolgung nicht glaubhaft machen konnte. Seinen Aussagen kann kein Vorbringen entnommen werden, welches für sich alleine gesehen eine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention darstellen würde.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer als Rückkehrer mit westlicher Orientierung in Afghanistan keiner Verfolgung aus diesem Grund ausgesetzt wäre, ergibt sich aus seinem diesbezüglich lediglich völlig allgemein gehaltenen Vorbringen in der Beschwerde, mit dem er mögliche Gewalthandlungen gegen seine Person nicht hinreichend substantiiert aufzuzeigen vermochte.

2.3. Zur derzeitigen Sicherheitslage in Afghanistan und der Heimatregion des Beschwerdeführers, zur Versorgunglage- und Rückkehrsituation:

Die getroffenen Feststellungen zum Herkunftsstaat stützen einerseits sich auf die dem angefochtenen Bescheid zu Grunde gelegten und anlässlich der Einvernahme des Beschwerdeführers dargetanen Länderdokumente, nämlich auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation. Da die Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger unbedenklicher Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der schlüssigen Situationsdarstellungen im Herkunftsstaat zu zweifeln. Die aktuelle Beurteilung der Lage in Afghanistan (vgl. die aktuelle Version des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation vom 11.09.2018) ergibt, dass sich seit der Beurteilung der Lage mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid keine für das gegenständliche Verfahren relevante erhebliche Änderung der Situation ergeben hat.

Die Feststellungen zu den Folgen einer Ansiedlung des Beschwerdeführers in der Stadt Herat oder Mazar-e Sharif, ergeben sich - unter Berücksichtigung der von UNHCR aufgestellten Kriterien für das Bestehen einer internen Schutzalternative für Afghanistan - aus den o.a. Länderberichten zu Mazar-e Sharif und Herat.

In den Städten finden überwiegend Angriffe in Regierungs- und Botschaftsnähe, also mit möglichst hoher medialer Reichweite, statt. Dabei kam es immer wieder zu zivilen Opfern. Die Regierung ist jedoch in der Lage hier die Sicherheit abseits dieser High-Profile Attentate zu gewährleisten. Das Gericht geht daher davon aus, dass es in der Stadt Herat und Mazar-e Sharfi zu Anschlägen kommt, jedoch nicht in allen Stadtteilen.

Dass die Wohnraum- und Versorgungslage angespannt ist, ergibt sich aus den Länderberichten, wonach in großen Städten zwar an sich Wohnraum zur Verfügung steht, es jedoch eine erhebliche Anzahl an Rückkehrern gibt, sodass die Lage angespannt ist. Auch gibt es nicht genügend Arbeitsplätze.

Der Beschwerdeführer hat eine mehrjährige Schulausbildung und verfügt über Berufserfahrung als Maler.

Der Beschwerdeführer ist zudem im erwerbsfähigen Alter, volljährig, alleinstehend und arbeitsfähig.

Das Gericht geht daher auf Grund dieser Umstände davon aus, dass sich der Beschwerdeführer nach anfänglichen Schwierigkeiten, in Herat oder Mazar-e Sharif niederlassen und sich dort eine Existenz ohne unbillige Härte aufbauen könnte.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:

Gemäß § 9 Abs. 2 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, und § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA.

Da sich die gegenständliche Beschwerde gegen einen Bescheid des BFA richtet, ist das Bundesverwaltungsgericht für die Entscheidung zuständig.

Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr 33/2013 idgF, geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu A) Abweisung der Beschwerde:

Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Asylantrag gestellt hat, soweit der Antrag nicht gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl. 2004 Nr. L 304/12 [Statusrichtlinie] verweist). Damit will der Gesetzgeber an die Gesamtheit der aufeinander bezogenen Elemente des Flüchtlingsbegriffs der GFK anknüpfen (VwGH 24.3.2011, 2008/23/1443). Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (idF des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) - deren Bestimmungen gemäß § 74 AsylG 2005 unberührt bleiben - ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren." (vgl. VfSlg. 19.086/2010; VfGH 12.6.2010, U 613/10).

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. zB VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011; 17.3.2009, 2007/19/0459; 28.5.2009, 2008/19/1031). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde (vgl. VwGH 19.12.2007, 2006/20/0771; 17.3.2009, 2007/19/0459; 28.5.2009, 2008/19/1031; 6.11.2009, 2008/19/0012). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011; 28.5.2009, 2008/19/1031. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 9.9.1993, 93/01/0284; 15.3.2001, 99/20/0128; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.3.1995, 95/19/0041; 27.6.1995, 94/20/0836; 23.7.1999, 99/20/0208; 21.9.2000, 99/20/0373; 26.2.2002, 99/20/0509 mwN; 12.9.2002, 99/20/0505; 17.9.2003, 2001/20/0177; 28.10.2009, 2006/01/0793; 23.2.2011, 2011/23/0064) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (VwGH 22.3.2000, 99/01/0256 mwN).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe Dritter präventiv zu schützen (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191; 28.10.2009, 2006/01/0793¿19.11.2010, 2007/19/0203; 23.2.2011, 2011/23/0064; 24.3.2011, 2008/23/1101). Für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht - unter dem Fehlen einer solchen ist nicht "zu verstehen, dass die mangelnde Schutzfähigkeit zur Voraussetzung hat, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht" (VwGH 22.3.2000, 99/01/0256) -, kommt es darauf an, ob jemand, der von dritter Seite (aus den in der GFK genannten Gründen) verfolgt wird, trotz staatlichem Schutz einen - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteil aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat (vgl. VwGH 22.3.2000, 99/01/0256 im Anschluss an Goodwin-Gill, The Refugee in International Law2 [1996] 73; weiters VwGH 26.2.2002, 99/20/0509 mwN; 20.9.2004, 2001/20/0430; 17.10.2006, 2006/20/0120; 13.11.2008, 2006/01/0191; 28.10.2009, 2006/01/0793; 19.11.2010, 2007/19/0203; 23.2.2011, 2011/23/0064; 24.3.2011, 2008/23/1101). Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er auf Grund staatlicher Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ob ihm dieser Nachteil mit derselben Wahrscheinlichkeit auf Grund einer Verfolgung droht, die von anderen ausgeht und die vom Staat nicht ausreichend verhindert werden kann. In diesem Sinne ist die oben verwendete Formulierung zu verstehen, dass der Herkunftsstaat "nicht gewillt oder nicht in der Lage" sei, Schutz zu gewähren (VwGH 26.2.2002, 99/20/0509). In beiden Fällen ist es dem Verfolgten nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen (vgl. VwGH 22.3.2000, 99/01/0256; 13.11.2008, 2006/01/0191; 28.10.2009, 2006/01/0793; 19.11.2010, 2007/19/0203; 23.2.2011, 2011/23/0064; 24.3.2011, 2008/23/1101).

Im gegenständlichen Fall sind nach Ansicht des Bundesverwaltungsger

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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