TE Vwgh Beschluss 2018/11/13 Ra 2018/21/0162

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Veröffentlicht am 13.11.2018
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
41/02 Asylrecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

BFA-VG 2014 §16 Abs4;
B-VG Art133 Abs4;
VwGG §28 Abs3;
VwGG §34 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Sulzbacher als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Galesic, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 17. Juli 2018, W250 2200718-1/9E, betreffend Schubhaft (mitbeteiligte Partei: P N O, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH in 1170 Wien, Wattgasse 48/3. Stock), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Mitbeteiligte, ein nigerianischer Staatsangehöriger, reiste im Besitz eines bis 27. September 2021 gültigen Reisedokumentes und eines bis 21. März 2019 gültigen deutschen Aufenthaltstitels am 4. Juni 2018 nach Österreich ein.

2 Kurz darauf wurde er straffällig und es wurde über ihn nach seiner Festnahme am 8. Juni 2018 die Untersuchungshaft verhängt. In der Folge wurde der Mitbeteiligte mit Urteil vom 27. Juni 2018 wegen eines Suchtmitteldeliktes zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von sieben Monaten (davon ein Monat unbedingt) rechtskräftig verurteilt. Er wurde im Anschluss an die Entlassung aus dieser Strafhaft am 6. Juli 2018 in Schubhaft genommen. Dem lag der Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom selben Tag zugrunde, mit dem gegen den Mitbeteiligten gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG Schubhaft zur Sicherung seiner Abschiebung (nach Nigeria) angeordnet worden war. Auch am 6. Juli 2018 war nämlich vom BFA gegen den Mitbeteiligten eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG samt einem auf § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG gestützten Einreiseverbot in der Dauer von fünf Jahren in Verbindung mit der gemäß § 52 Abs. 9 FPG getroffenen Feststellung der Zulässigkeit seiner Abschiebung nach Nigeria erlassen worden, wobei gemäß § 55 Abs. 4 FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt und gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt wurde. Die Abschiebung des Mitbeteiligten nach Nigeria war für den 19. Juli 2018 geplant.

3 In der gegen die Schubhaftanordnung und gegen die darauf gegründete Anhaltung mit Schriftsatz vom 11. Juli 2018 erhobenen Beschwerde machte der Mitbeteiligte dann in erster Linie geltend, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung im Hinblick auf seinen gültigen Aufenthaltstitel für Deutschland nicht zulässig sei. Zum Vorliegen der Voraussetzungen für eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG habe das BFA nur damit argumentiert, dass der Aufenthalt des Mitbeteiligten aufgrund der strafrechtlichen Verurteilung illegal geworden sei. Dabei werde verkannt, dass durch eine strafrechtliche Verurteilung ein rechtmäßiger Aufenthalt "gerade nicht" unrechtmäßig werde. Außerdem normiere § 52 Abs. 6 FPG, dass ein unrechtmäßig aufhältiger Drittstaatsangehöriger, der über einen Aufenthaltstitel eines anderen Mitgliedstaates verfüge, anzuweisen sei, sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaates zu begeben. Der Mitbeteiligte wäre daher aufzufordern gewesen, sich selbständig nach Deutschland zu begeben. Er sei - wie er schon in der Vernehmung am 6. Juli 2018 "unmissverständlich" angegeben habe - auch bereit, freiwillig nach Deutschland auszureisen, was ihm aufgrund seines gültigen Reisepasses legal möglich wäre. Nur dann, wenn seine sofortige Ausreise aus dem Bundesgebiet aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich gewesen wäre, hätte eine Rückkehrentscheidung erlassen werden dürfen. Die bloße Bezugnahme auf die Tatsache einer strafgerichtlichen Verurteilung sei aber für sich genommen nicht geeignet, eine solche Gefahr zu begründen. Der Mitbeteiligte werde daher gegen die Rückkehrentscheidung, die zwar formell durchsetzbar, allerdings noch nicht rechtskräftig sei, und gegen das Einreiseverbot Beschwerde erheben. Da das BFA im Schubhaftbescheid "auf die Thematik des § 52 Abs. 6 FPG" nicht eingegangen sei, obwohl die Rechtmäßigkeit der Rückkehrentscheidung im Schubhaftverfahren als Vorfrage zu prüfen gewesen wäre, sei der Schubhaftbescheid jedenfalls rechtswidrig.

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 17. Juli 2018 gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) dieser Beschwerde gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG iVm § 76 Abs. 2 Z 1 FPG statt und erklärte den Schubhaftbescheid des BFA vom 6. Juli 2018 und die Anhaltung in Schubhaft seit diesem Tag für rechtswidrig (Spruchpunkt A.I.). Des Weiteren stellte das BVwG gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG fest, dass zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen nicht vorlägen (Spruchpunkt A.II.). Schließlich traf das BVwG diesem Ergebnis entsprechende Kostenentscheidungen (Spruchpunkte A.III. und A.IV.) und sprach gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei (Spruchpunkt B.).

5 Der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses lässt sich die unter Bezugnahme auf VwGH 29.5.2018, Ra 2018/21/0060, vertretene Auffassung entnehmen, dass sich das BVwG angesichts dessen, dass die Rückkehrentscheidung zwar im Hinblick auf die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde durchsetzbar, jedoch noch nicht rechtskräftig sei, im Schubhaftverfahren mit dem Beschwerdevorbringen zur Rechtswidrigkeit der Rückkehrentscheidung auseinanderzusetzen habe. Das machte das BVwG dann auch daran anschließend, und zwar mit dem Ergebnis, es könne "nicht mit der für die Anordnung der Schubhaft erforderlichen Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass die Abschiebung des BF (Mitbeteiligten) tatsächlich möglich ist, da die getroffene Rückkehrentscheidung noch nicht in Rechtskraft erwachsen ist und der BF bereits angekündigt hat, auch den diesbezüglichen Bescheid zu bekämpfen." Der Sache nach auch in diesem Zusammenhang bemängelte das BVwG, das BFA hätte Ausführungen darüber treffen müssen, aufgrund welcher gesetzlicher Bestimmung und aufgrund welcher Sachverhaltselemente es vom Vorliegen eines unrechtmäßigen Aufenthalts des Mitbeteiligten ausgegangen sei. Schon deshalb leide der Schubhaftbescheid an einem wesentlichen Begründungsmangel. Alleine der Umstand einer strafgerichtlichen Verurteilung führe nicht zur Unrechtmäßigkeit des Aufenthalts. Vielmehr hätte sich das BFA damit auseinandersetzen müssen, ob der Mitbeteiligte im Sinne des Art. 6 Abs. 1 lit. e Schengener Grenzkodex eine Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die innere Sicherheit darstelle. Darauf sei das BFA jedoch nicht näher eingegangen. Im Ergebnis sei daher dem Vorbringen des Mitbeteiligten in seiner Beschwerde, die Schubhaft sei "auf Grund der getroffenen Rückkehrentscheidung nicht rechtmäßig", zu folgen. Es sei daher der Beschwerde stattzugeben, wobei die Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides jene der darauf gestützten Anhaltung nach sich ziehe. Wegen der beim BVwG bestehenden Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Rückkehrentscheidung, auf deren Grundlage die Effektuierbarkeit der Abschiebung des Mitbeteiligten in seinen Herkunftsstaat nicht ausreichend wahrscheinlich sei, lägen auch die Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft nicht vor.

6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision des BFA, über deren Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

7 Hat das Verwaltungsgericht - so wie hier das BVwG - im Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei, hat die Revision zufolge § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird (außerordentliche Revision). Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof dann im Rahmen dieser vorgebrachten Gründe zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

8 Als Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne der genannten Verfassungsbestimmung wird in der Amtsrevision nur geltend gemacht, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der Frage, ob § 16 Abs. 4 BFA-VG entgegen seinem Wortlaut auf rein fremdenrechtliche Verfahren, also in Verfahren, in denen der Fremde (wie hier) keinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, anwendbar sei.

9 Die genannte Bestimmung lautet:

"§ 16. ...

(4) Kommt einer Beschwerde gegen eine Entscheidung, mit der ein Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen oder abgewiesen wurde, oder mit der eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 Abs. 1 Z 2 FPG erlassen wurde, die aufschiebende Wirkung nicht zu, ist diese durchsetzbar. Mit der Durchführung der mit einer solchen Entscheidung verbundenen aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder der die bereits bestehende Rückkehrentscheidung umsetzenden Abschiebung ist bis zum Ende der Rechtsmittelfrist, wird ein Rechtsmittel ergriffen bis zum Ablauf des siebenten Tages ab Einlangen der Beschwerdevorlage, zuzuwarten. Das Bundesverwaltungsgericht hat das Bundesamt unverzüglich vom Einlangen der Beschwerdevorlage und von der Gewährung der aufschiebenden Wirkung in Kenntnis zu setzen."

10 Das BFA geht in der Revision davon aus, das BVwG habe im vorliegenden Fall damit argumentiert, dass die gegen den Mitbeteiligten erlassene Rückkehrentscheidung zwar im Hinblick auf die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung durchsetzbar, jedoch im Sinne des § 16 Abs. 4 BFA-VG noch nicht durchführbar sei. Schon nach deren Wortlaut handle es sich dabei aber um eine "Sonderbestimmung" für Asylverfahren. Für diese Beurteilung spreche auch, dass § 16 Abs. 4 BFA-VG "seinen Ursprung" in der Verfahrensrichtlinie (RL 2013/32/EU) habe, die gemäß deren Art. 1 nur für Verfahren über einen Antrag auf internationalen Schutz (bzw. seiner Aberkennung) gelte. Der Mitbeteiligte habe jedoch in Österreich keinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt und falle damit nicht in den Geltungsbereich der Verfahrensrichtlinie, sondern der Rückführungsrichtlinie (RL 2008/115/EG). Aufgrund des Fehlens einer mit § 16 Abs. 4 BFA-VG vergleichbaren Regelung für rein fremdenrechtliche Verfahren gelte hierfür die Unterscheidung zwischen Durchsetzbarkeit und Durchführbarkeit nicht. Demzufolge hätte im vorliegenden Fall mit der Durchführung der Abschiebung des Mitbeteiligten weder bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist noch im Falle der Erhebung eines Rechtsmittels bis zum Ablauf des siebenten Tages ab Einlangen der Beschwerdevorlage beim BVwG zugewartet werden müssen. Diese für die Rechtmäßigkeit der Schubhaft zu klärende Vorfrage (Hinweis auf VwGH 29.5.2018, Ra 2018/21/0060) erweise sich daher als wesentlich, wobei das BFA die gegenteilige Auffassung des BVwG als verfehlt erachte.

11 Diese Deutung der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses wird jedoch deren Inhalt nicht gerecht, bestehen doch nicht die geringsten Anhaltspunkte, das BVwG habe im vorliegenden Fall § 16 Abs. 4 BFA-VG angewandt. Weder wurde die genannte Bestimmung in der Begründung erwähnt, noch wurde auf ihren Inhalt in Form der Abgrenzung von Durchsetzbarkeit und Durchführbarkeit inhaltlich Bezug genommen. Das BVwG äußerte zwar Zweifel, ob die Abschiebung "rechtlich durchführbar" sei. Diese Zweifel gründeten sich aber lediglich auf die Annahme, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen den Mitbeteiligten nicht zulässig gewesen sei, wobei das BVwG - wie es auch ausdrücklich festhielt - insoweit "im Ergebnis" dem entsprechenden Vorbringen in der Beschwerde folgte. Auch dort wurde jedoch nicht mit § 16 Abs. 4 BFA-VG argumentiert. Die im angefochtenen Erkenntnis vorgenommene Bezugnahme darauf, dass die Rückkehrentscheidung zwar durchsetzbar, aber noch nicht rechtskräftig sei und der Mitbeteiligte die Erhebung einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung (samt Einreiseverbot) beabsichtige, diente lediglich der Begründung, weshalb auf die Vorfrage der Rechtmäßigkeit der Rückkehrentscheidung im Schubhaftbeschwerdeverfahren überhaupt einzugehen sei. In dem vom BVwG dazu ins Treffen geführten und auch in der Amtsrevision zitierten Erkenntnis VwGH 29.5.2018, Ra 2018/21/0060, wurde nämlich in einem vergleichbaren Fall zum Ausdruck gebracht, dass gegen die (dort) Mitbeteiligte im Hinblick auf ihren polnischen Aufenthaltstitel die Erlassung einer Rückkehrentscheidung (samt Einreiseverbot) nur nach Maßgabe des § 52 Abs. 6 FPG in Frage gekommen und dass darauf - vor dem Hintergrund der dies thematisierenden Beschwerde der Mitbeteiligten und weil die vom BFA verhängte Rückkehrentscheidung (samt Einreiseverbot) noch nicht rechtskräftig gewesen sei - einzugehen gewesen wäre.

12 Vor diesem Hintergrund stellt sich die in der Revision für grundsätzlich erachtete Rechtsfrage, ob § 16 Abs. 4 BFA-VG entgegen seinem Wortlaut auch in fremdenrechtlichen Verfahren anwendbar sei, nicht, hat doch das BVwG im angefochtenen Erkenntnis eine solche Auffassung gar nicht vertreten. Der aufgeworfenen Frage kommt daher fallbezogen keine Relevanz zu, sodass sich damit die Zulässigkeit der Revision im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht begründen lässt. Andere Gründe für die Zulässigkeit der Revision werden vom BFA nicht geltend gemacht, sodass sie sich im Sinne des § 34 Abs. 1 VwGG "nicht zur Behandlung eignet". Die Revision war daher - ohne dass eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Begründung des BVwG vorzunehmen war - gemäß der genannten Bestimmung ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Wien, am 13. November 2018

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018210162.L00

Im RIS seit

19.12.2018

Zuletzt aktualisiert am

28.12.2018
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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